Notiz zur Quantenphysik

Die Quantenphysik wurde im Jahr 1900 mit Max Plancks Entdeckung eingeführt, die zeigte, dass elektromagnetische Strahlung (Radiation) wie das Licht (hochfrequente elektromagnetische Wellen), von der bis dahin angenommen wurde, dass es sich rein um kontinuierliche wellenähnliche Phänomene handelt, einen diskontinuierlichen Charakter haben kann. Ein weiterer radikaler Schritt wurde später von Einstein gemacht, der das Verständnis über das Licht vorantrieb, um Plancks Entdeckung der Diskontinuität zu erklären. Wenn das Licht nach klassischem Verständnis sich wellenförmig verhält, so begriff Einstein das Licht als Teilchen. Danach besitzt das Licht je nach experimenteller Versuchsanordnung einen dualen Charakter, den jedoch die klassische Physik nicht erklären konnte. Bohr erklärte mit seinem Konzept der Komplementarität, dass die Eigenschaften des Lichts als Welle oder Teilchen wechselseitige Eigenschaften eines Quantenphänomens seien, die nicht simultan beobachtet werden könnten und deshalb eine neue methodisch-experimentelle Herangehensweise erforderten, die bisher in der klassischen Physik unbekannt war. Das Konzept der Komplementarität versuchte die wechselseitige Exklusivität (nicht unähnlich später Derridas differantiellem Schritt, Gegensätze zur gleichen Zeit aufrechtzuerhalten) im Kontext der Quantenmechanik zu erklären und wurde von Bohr zu einem allgemeinen Konzept der Philosophie ausgearbeitet.
Die Quantenwelt besteht aus diskreten Partikeln bzw. lokalisierbaren Objekten, die in jedem zeitlichen Moment nur einen gegebenen Ort einnehmen, wie etwa Photonen. Wäre das Licht nun ein kontinuierlicher Strahl oder eine sich kontinuierlich ausbreitende Welle, bestünde es also aus Objekten mit räumlicher Ausdehnung, so könnte es in einem zeitlichen Moment mehr als nur einen Ort einnehmen. Anders als Teilchen können sich Wellen nämlich überlappen, womit sich Welle und Teilchen wechselseitig ausschließen. Eine Objekt kann also nicht zugleich lokalisiert oder ausgedehnt sein. Jedoch konnte in der Quantenphysik gezeigt werden, dass sich unter bestimmten experimentellen Versuchsanordnungen, die sich gegenseitig ausschließen, das Licht sich entweder als Welle oder als Teilchen verhält. Somit wäre das Licht in gewisser Weise beides gleichzeitig: Teilchen und Welle. Bohrs Lösung des Problems besteht darin, zu zeigen, dass Welle und Teilchen klassische Beschreibungen sind, die auf einander ausschließende Phänomene, das heißt auf Verschränkungen von experimentellen Apparaten und Objekten, und eben nicht auf unabhängige, physikalische Objekte referieren. Gleichzeitig können also Welle und Teilchen nicht beobachtet werden, da dafür verschiedene experimentelle Versuchsanordnungen benötigt werden. (Vgl. Barad 2015: 40f.)
Wenn die bisher wichtigste Frage war, wie dasselbe Objekt wellenähnliche Eigenschaften >zu einem Zeitpunkt und teilchenähnliche Eigenschaften zu einem anderen Zeitpunkt haben konnte, so zeigten neue Experimente, dass es weitere Realisationen jener Eigenschaften gab, die den Quantenobjekten noch nicht einmal als Attribute zugeschrieben werden konnten, da diese im Kontext mit anderen Attributen wie Impuls und Bewegung immer noch die alten klassischen Konzepte inkludierten, die wiederum benutzt wurden, um die radikal neuen Phänomene zu erklären. Auf dem Spiel stand in der Tat die Sichtbarkeit der Quantenobjekte selbst (die die klassische Physik für garantiert hielt), und schließlich kam die Frage auf, ob es sich bei den Quantenobjekten überhaupt noch um Objekte handelt. So stand die klassische Physik plötzlich auf Augenhöhe mit dem Unerkennbaren, das beobachtbar nur in seinen Effekten ist.
Der Mathematiker und Philosoph Arcady Plotnitsky warf an dieser Stelle ein, dass die unbekannten Objekte der Quantenphänomene eher »efficacies« (Wirksamkeiten) seien, die uns nur als Effekte zugänglich, wobei diese aber wiederum mittels der Konzepte der klassischen Physik beobachtbar seien. (Plotnitsky 2006) Wirksamkeit sei die Fähigkeit, Effekte zu produzieren, aber man könne keine Macht, die Wirksamkeiten erzeugt, bestimmen, und deshalb sei das Konzept der Kausalität brüchig. Zusammen mit dem Konzept der Komplementarität stellt diese Sichtweise einen weiteren Bruch mit der Auffassung der klassischen Physik dar, die versucht, Natur ganz im Kontext von Ursache- und Wirkungszusammenhängen zu verstehen.

Die klassische Physik benötigte nun dringend die Konstruktion eines Modells, mit dem die Interaktionen zwischen natürlichen Objekten und zwischen natürlichen Phänomenen beobachtet, gemessen, theoretisiert, erklärt und verifiziert werden konnte. In der Quantentheorie konnten nämlich allein die Interaktionen zwischen den Effekten/Wirksamkeiten und den Messinstrumenten beschrieben werden, aber es war keine Konstruktion eines kongruenten Modells möglich. Deshalb war Bohrs Konzept der Komplementarität wichtig, da es das Verschwinden der theoretischen Modelle selbst ins Visier nahm, indem es auf die Unmöglichkeit verwies, ein vollständiges Bild der Quantenphänomene hinsichtlich ihrer wechselseitigen Eigenschaften als Welle oder Teilchen (Quantenobjekte) anbieten zu können. Zumindest waren aber die Wellen- oder Teilchen-Effekte der unbekannten Objekte sichtbar und definierbar, und dies gemäß dem jeweiligen Aufbau des Experiments. Da jedes Experiment nur zu einer partiellen Definition des Effekts und nicht der Wirksamkeit selbst führte, so ließ sich das »ganze« Phänomen niemals als Modell visualisieren, stattdessen konnte allein eine komplementäre Relation gedacht werden.

All dies erforderte eine Revision nicht nur der Konzepte der Kausalität und der Sichtbarkeit, sondern auch der Perspektive der Physik auf die physikalische Realität selbst. Wenn das Unbekannte nur durch seine Effekte bekannt war, und dies wiederum nur mit den Konzepten der klassischen Physik zu verstehen war, dann benötigte solch eine Situation definitiv eine Revision der Sichtweise dessen, was Realität überhaupt konstituiert. Wie Plotnitsky sagt, lässt sich die klassische Physik oder die Mechanik Newtons als realistisch interpretieren, insofern sie die physikalischen Eigenschaften von unabhängigen Objekten beschreibt, um schließlich ihr Verhalten zu erklären. (Ebd.) Dagegen bewiesen doch die Quantenphänomene, dass die physikalische Realität selbst auf dem Spiel stand. Damit zeigte sich die Quantenphysik in aller Deutlichkeit als eine Krise der Repäsentation an, als eine Krise der klassischen Methoden in der Physik und schließlich des platonischen Modells, mit dem die Wissenschaften bisher fähig waren, Phänomene als »reasonable« zu begründen. Was mit dem Quantenphänomenen also auf dem Spiel stand, das bestand in der Unmöglichkeit ein theoretisch-mathematisches Modell zu konstruieren, das auf eine eindeutig zurechenbare physikalische Realität referierte.

Für die klassische Physik waren Zeit und Raum zwei fundamentale Notwendigkeiten, um Dinge überhaupt beobachten zu können. Die Quantenphysik trieb jetzt aber selbst noch die Sichtbarkeit der Dinge in eine Krise, indem sie die Raum-Zeit Determination aufschob. Bohr de-idealisierte die klassischen physikalischen Konzepte, während Einstein, insofern er die Zeit als vierte Dimension einführte, die Synthesis nur neu begründete, indem er die Zeit-Raum Frage vereinheitlichte, das heißt sie in die Kontinuität zurück übersetzte, also ganz im Gegensatz zu Bohr, der von einer »Kontinuität-Diskontinuität Komplementarität« ausging. Bohr betrieb in diesem Sinne eine De-Idealisierung des Idealisierten, während Einstein das unidealisierbare Idealisierte neu errichtete. Bohr ging es um die Radikalisierung der Differenz zwischen Kontinuität und Diskontinuität, und dies in einer komplementären Beziehung. Einsteins Versuch, die Kontinuität zurück in die Physik zu bringen, war durch sein Beharren auf Grundlagen begründet, die sich notwendigerweise auf ein bestimmtes Konzept der Kausalität beziehen mussten. Ohne Kontinuität, so zumindest Planck, gebe es keine Kausalität und umgekehrt.

Das Einstein-Podolsky-Rosen Argument (EPR) sollte der Kritik an Bohr Konzeption der Quantentheorie dienen. Wie Plotnitsky schreibt, betraf das EPR Argument eine Situation, in der sowohl die Position als auch der Impuls eines Teilchens unter bestimmten Annahmen ohne jegliche Unsicherheit bestimmt wurden. (Ebd.) Hinsichtlich der unsicheren Relationen ließ sich in der Quantenphysik jedoch der Impuls und die Position eines jeden Teilchens nicht mit exakter Präzision messen – die Formalisierung erlaubte es nicht, die kombinierten Impulse der Teilchen und die relativen Distanzen zwischen zwei Teilchen ohne Unsicherheit zu kalkulieren. Wenn die Teilchen interagieren, dann ist allein die Möglichkeit der Messung entweder der Position oder des Impulses eines Teilchens zu jedem gegebenen Punkt möglich, und erst das Gesetz der Impulskonversation erlaubt es, mit Sicherheit die Position und den Impuls des anderen Teilchens zu kalkulieren und vorherzusagen. Bohr verwies darauf, dass es hier nicht um die Synthese, sondern um die Komplementarität von »vollständig« und »unvollständig« ginge. Deshalb bestritt Bohr keineswegs die Unvollständigkeit der Quantenphysik, sondern dekonstruierte nur das Verständnis Einsteins und der klassischen Physik von Vollständigkeit, das ganz auf Kontinuität beruhte. Bohrs Prinzip der Korrespondenz fragte nach der Reinterpretation all dieser klassischen Konzepte, auf denen unsere Interpretation der Erfahrung basiert, und insofern eröffnete er auch einen gewissen Sinn für eine neue Korrespondenz zwischen klassischen und nicht-klassischen Konzepten.

Ohne Zweifel lag eine der wesentlichen Differenzen zwischen Bohr und Einstein in der Herangehensweise an die Frage der »Synthesis«. Plotnitsky zufolge basierte Einsteins philosophische Position an dieser Stelle auf mehreren Bedingungen: 1) Das Prinzip der Kausalität und der Abwesenheit des Zufalls. 2) Die Kontinuität aller mathematischen Repräsentationen und des Raum-Zeit-Kontinuums. 3) Die Vollständigkeit der Theorie, welche eine eins-zu-eins-Korrespondenz zwischen Theorie und physischer Realität annimmt. 4) Das Konzept der physikalischen Realität, die unabhängig von der Beobachtung und Interpretation vorhanden ist. (Ebd.) Bohr antwortete Einstein mit der Frage, was es denn bedeute, dass irgendetwas unabhängig sei oder einen gegebenen Wert habe oder als Variable definiert sei, wie etwa als Position oder Impuls. Es bedeutet, dass bestimmte experimentelle Bedingungen arrangiert werden, mit denen gegebene ariablen oder ein Set von Variablen definiert werden, und wenn sie dann auch noch gemessen werden können, dann haben sie eben diesen oder jenen Wert.
Die Quantenphysik macht aber nicht jede Determination obsolet, sondern sie sagt nur, dass sich die fehlende Determination von Einzelteilchen nicht durch Beobachtungsgrößen nachliefern lässt. Indeterminiertheit im Kleinen ist allerdings durchaus mit Determiniertheit im Großen verträglich, und dies zeigt eben das Gedankenexperiment von »Schrödingers Katze« als die kausale Verkettung von einem nicht kausal ablaufenden Mikro- und einem kausal ablaufenden Makroprozess. Photonen, die einen Filter mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit passieren, bleiben auch hinter dem Filter in einem verschränkten Zustand, der darin besteht, dass sie den Filter entweder passiert haben oder nicht. (Vgl. Mainzer 2014: 118) Erst durch eine Messung entscheidet sich, ob ein verschränktes Etwas durch den Filter gelangt ist. Solange nicht gemessen wird, verharren die Photonen in ihrem verschränkten Zustand, gleichzeitig »durch und nicht durch« zu sein. So wie Schrödingers Katze, die gleichzeitig tot und lebendig ist.

 

Barad, Karen (2012): Agentieller Realismus.Über die Bedeutung materiell-diskursiver Praktiken. Berlin.

– (2015): Verschränkungen. Berlin.

Mainzer, Klaus (2014): Die Berechnung der Welt. Von der Weltformel zu Big Data. München

Plotnitsky, Arcady (2006): Reading Bohr. Physics and Philosophy.Berlin.

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