Post Covid Prime Riot Manifest [Part I)

Zwanzig notwendige Anmerkungen zu den gegenwärtigen Konfliktualitäten und Perspektiven.

Teil 1: Anmerkungen 1-5

Eins: Alle Regierungen sind schlecht. Rechte, linke, ultrarechte,… alle. Sie handeln nicht in unserem Interesse, den Menschen von unten, wie die Zapatisten sagen würden. Covid 19 hat wie in einem Brennglas den grundsätzlichen Antagonismus zwischen denen, die die Welt neu erschaffen müssen, damit es eine Welt überhaupt geben kann und denen die in unterschiedlichen Formen, an der bestehenden Welt, der Welt des Untergangs festhalten, an ihrer Konsistenz partizipieren, zum Ausdruck gebracht.

Zwei: Die Linken sind in dem Prozess, der notwendig ist, um den Aufstand zu organisieren, keine Verbündeten, von einigen ehrenwerten Ausnahmen abgesehen. Sie haben uns in der Corona Ära alleine und im Stich gelassen. Sie haben sich den Narrativen der Unvermeidlichkeit des Ausnahmezustandes nicht entgegen gestellt, viele haben sogar noch härtere Einschnitte in unsere kollektiven, grundsätzlichen Rechte gefordert. Die weiße, reiche Linke des Westens hat der ‘Solidarität’ das Wort geredet, in Wahrheit jedoch einen faktischen Schulterschluss mit der Macht vollzogen und dazu aufgerufen, alle grundsätzlichen Klassenkämpfe, alle Manöver des sozialen Krieges von unten einzustellen, ruhen zu lassen. Dazu aufgerufen, der Macht und ihren Anweisungen zu vertrauen, hat ihre Propaganda weiter verbreitet, hat es völlig versäumt, eigene grundsätzliche Untersuchungen zur Situation anzustellen. Auch hier gilt: von wenigen ehrenwerten Ausnahmen abgesehen, wie zum Bespiel die Untersuchungen und Überlegungen einiger italienischer Linken zum Ausgangspunkt der Corona Pandemie in Norditalien. (1)

Drei: Aufstände sind auch unter den Bedingungen einer Pandemie möglich und notwendig. Der landesweite Aufstand in den Vereinigten Staaten von Amerika nach der Ermordung von George Floyd, bei dem Werte des Gegners in Milliardenhöhe zerstört wurden, waren die umfangreichsten Erhebungen seit den sogenannten “Rassenunruhen” der 60iger Jahre. Diese massenhaften Zusammenkünfte von wütenden Menschen haben nicht zu einer schnelleren Ausbreitung des Corona Virus geführt, wie sogar die Medien unserer Gegner zugeben mussten. Sie haben es allerdings geschafft, die Fokussierung auf den Krieg gegen ein Virus, ein Krieg, der ein Krieg der Wahnsinnigen ist, weil man einem Virus nicht den Krieg erklären, geschweige denn einen solchen gewinnen kann, hin zu den eigentlichen Krankheiten der Gesellschaft zu lenken, dem allgegenwärtigen Rassismus, der besonders von den Sicherheitskräften ein praktizierter shoot to kill Rassismus ist, der zugleich Hinrichtungen in einem quasi extralegalen Raum schafft, die Liquidierung der Armen, wie sie seit Jahrzehnten z.B. in den Favelas Brasiliens tagtägliche Praxis ist, in die Governance der Metropolen des Westens implantiert. Daran hat die Präsidentschaft von Obama ebensowenig etwas geändert, wie die Präsidentschaft von Biden daran etwas ändern wird. Heute beugen die Bullen ein Knie vor den Kameras der Medien, morgen fahren sie und ihre Herren mit dem Morden einfach weiter fort. Daran ändern auch die schönen Gedichte und Showeinlagen zur Amtseinführung der “progressiven” US Präsidenten nichts. Kennedy hat die Anzahl der “Militärberater” in Südvietnam von 700 auf 16.000 erhöht, Obama den Drohnenkrieg intensiviert. Die einzige effektive Maßnahme zur Eindämmung der rassistischen Polizeigewalt ist es, ihre Reviere niederzubrennen. Die Generalisierung dieser Praxis ist den Aufständischen der George Floyd Revolte nicht gelungen, die entscheidende taktische Niederlage war die verlorene Schlacht um das Fifth Precinct in Minneapolis, kurz nachdem das dritte Polizeirevier vollständig niedergebrannt worden war, wie in Memes Without End richtigerweise analysiert. (2)

Die einzigen effektiven Maßnahmen zur Beendigung ihrer Kriege sind keine Friedensmärsche, sondern die Sabotage und Zersetzung ihrer Kriegsmaschinerie, die Blockade der für den Krieg nach Innen und Aussen notwendigen Infrastruktur. Nicht als symbolischer, zeitlich begrenzter demonstrativer Akt, sondern als grundsätzliche, strategische Intervention.

Vier: Wenn wir von unseren Aufständen reden, ist es notwendig, dies zu präzisieren. Unsere Aufstände haben schon lange nichts mehr mit der historisch gescheiterten Linken zu tun. Manchmal mögen sie sich noch selber als Stichwortgeber, Berater, Experten und Organizer aufspielen, aber ihre Zeit ist abgelaufen. Oder wie ein berühmter Vordenker der Linken einst sagte: „Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergißt, daß die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muß.” Wir stehen nicht mehr als Schachfiguren für ihre geopolitischen Spielchen zur Verfügung, uns ist es egal ob Asad ein Anti-Zionist, Maduro ein Anti-Imperialist ist. Für uns gibt es keine freundlichere Macht in der Zuspitzung der Konfrontation um die Hegemonie zwischen der demokratischen Partei der USA und der kommunistischen Partei der VR China, uns geht das ziemlich am Arsch vorbei. Wir haben von den Taktiken der Revolte in Hongkong viel gelernt, wir schauen bewundernd nach Myanmar, wir wurden inspiriert von der Wucht der Revolte der Gilets Jaunes, die Ministerien gestürmt und Luxusgeschäfte auf den Champs Élysées geplündert haben. Die Frontliners der Revolte der Jugendlichen in Chile finden sich in der gegenwärtigen Revolte in Kolumbien wieder, stolz präsentiert jede kolumbianische Stadt ihre Primera Línea, gebildet aus proletarischen Jugendlichen, die nichts mehr zu verlieren, aber eine neue Welt zu gewinnen haben. Die wissen, dass ihre Zukunft nur dann in ihren Händen liegt, wenn sie autonom über ihre Angelegenheiten entscheiden und alle Ansinnen der Repräsentanz zurückweisen. Diese aufständischen Bewegungen, denen keine grundsätzlichen Forderungen eigen sind, auch wenn am Ausgangspunkt der Revolten häufig konkrete Verhältnisse und Empörung die Wut explodieren lassen, verweigern sich in ihren Widersprüchlichkeiten und Zusammensetzungen den tradierten Sichtweisen auf die Begrenzungen und Perspektiven solch spontaner Revolten. Die Barbaren setzen zum Sturm auf den Himmel an. (3)

Fünf: Alle Bewegungen schreiben ihre Geschichte selbst. Wir haben damit schon lange angefangen, nur dominieren im Diskurs die Stimmen der alten, weißen Welt, die Stimmen derjenigen, die mit unseren Aufständen ihr Geld verdienen, darauf ihre Karrieren begründen, als Journalisten, Soziologen, Autoren, Aktivsten, Parteigründer, Politologen … Wir sagen, es braucht eine Erzählung der Peripherie und unsere Peripherie erstreckt sich von den Vororten Brüssels über die Vororte Khartoums, von den Kreisverkehren des vergessenen Frankreichs bis ins Herzen von Cali. Wir schreiben wieder und wieder unsere Geschichte auf, fast niemand hört uns zu oder unsere Geschichten werden gestohlen und vermarktet. Dabei sind wir es, von denen es Lektionen zu lernen gilt. Über Siege, Niederlagen, über Opfer und Trauer, aber vor allem über die Art und Weise zu kämpfen. Wir wissen, dass die Jugendlichen, die im Sommer letzten Jahres in der Innenstadt von Stuttgart randaliert haben, mit den Bildern der rassistischen Polizeigewalt gegen George Floyd, aber auch mit dem darauf folgenden Aufstand mehr anfangen konnten als die deutschen Linken. Weil es ziemlich viel mit ihrer Lebensrealität zu tun hat. Sie wurden nur schmählich im Stich gelassen von eben jenen, als die Welle der Repression gegen sie einsetzte. Wir denken, sie werden sich das gut gemerkt haben, die Grenzen des Geredes von ‘Solidarität’. Vielleicht fehlt ihnen noch ein bisschen die Erfahrung, wie man seine eigene Geschichte aufschreibt, aber zumindestens scheinen sie nicht verlernt zu haben, wie man randaliert, wie wir dieser Tage den deutschen Medien entnehmen konnten. Wir werden noch viel Geschichte aufzuschreiben haben, denn wir werden es sein, die die Geschichte dieser sogenannten Welt und der Welt, die darauf folgt, schreiben werden.

Teil 2 : Anmerkungen 6-10 folgt

Fußnoten des deutschsprachigen Lektorats

  1. Eine deutsche Übersetzung von “Ammalarsi di paura. L’«effetto nocebo» dello #stareincasa e della malainformazione sul coronavirus” findet sich in den ‘Pandemie Kriegsstagebüchern’ von Sebastian Lotzer: Neurosenlehre https://enough-is-enough14.org/2020/05/05/pandemie-kriegstagebuecher-neurosenlehre/
  2. Der Beitrag von Adrian Wohlleben liegt mittlerweile auch auf deutsch vor, erschienen auf Sunzi Binga https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2021/05/31/memes-ohne-ende/
  3. Eine deutsche Übersetzung von “Vorwärts Barbaren” findet sich ebenfalls auf Sunzi Bingfa
Vorwärts Barbaren
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