REDE DES AUFSTÄNDISCHEN

Die Polizei verziert mit ihren Vertretern alle Straßenecken, alle öffentlichen Kundgebungen, schwarze schnurrbärtige Schafhirten in Rangabzeichen. Zum Schreien sowas! Überall, überall. Das sind die Verfechter der Ordnung. Die Menschen unterwerfen sich, gehorchen ihren Stockschlägen, ihren Trillerpfeifen, der gebieterischen Welle ihrer schwarzen Umhänge! Ich spreche nicht von diesen Vertretern der moralischen Ordnung, den Priestern, auch sie in schwarze Umhänge gehüllt. Die sind nicht gefährlich, solange man ihnen nicht zu nahe kommt. Die grauen Mauern bedecken sich mit großen Buchstaben: PLAKATE ANKLEBEN VERBOTEN, HARN ABLASSEN VERBOTEN, EINTRITT VERBOTEN …

Und dann die Armee! Gewehre geschultert. Ständige Bedrohung. Da krieg ich Lust wegzulaufen, ich werde bleich vor Wut. Das Vaterland, Frankreich!

Ich sehe hin, Kinder und Dichter sind tot. Dichter sind Kinder, schlafende Fische im Auge des Ozeans, abgeschnittene Blumen auf ein Emaillemesser gespießt, Spiegel der Sterne, Engel mit Blumenblättern und Trunkenheit bekleidet, Engel, die barfuß auf dem warmen Gold der Dächer gehen, Täuschungen, die ihr den Traum in den Falten eurer Kleider mit euch nehmt, funkelnde Goldglitzer in eisigen Streifen, ihr seid Regenbogen vor einer unwirklichen Weiße vereinigt, ich folge euch.

Wie liebe ich es, in gewissen Augenblicken diese kindliche Reinheit wiederzufinden! Und mit welcher Schaulust hebe ich die Augenlider von denen empor, denen ich begegne, in der Hoffnung, das aufblendende Licht des Himmels zu entdecken. Wer kennt nicht die außergewöhnlichen Augen von Artür Harfaux, Kugeln aus blauem Glas, bei denen man nie weiß, ob sie nicht gleich in den Wind rollen werden zwischen die Wolken, die rosig wie Muschelschalen sind. Das Zusammensein mit jungen Kindern beruhigt ein wenig meine Wut. Ich erfrische mich an der Quelle der Ursprünglichkeit, der “zum Spaß” geformten Wörter, der unverständlichen Gesten.

Sobald das Kind das Alter von sechs oder sieben Jahren erreicht (das Vernunftalter, sagt man!), ist es verloren Es wird Mensch, es erniedrigt sich, es verliert seine Unschuld. Seine Blicke werden gequält oder idiotisch. Die Familie ist mit blutigen Hammern bewaffnet, Mitleid erfaßt mich. Was soll man Kindern raten, um sie zu behüten, um sie zu bewahren vor dieser Erniedrigung? Ich kann ihnen nur wiederholen, was Herr Gide ihnen beigebracht hat (Herr Gide liebt es sehr, hinter seinen Burgzinnen die universelle Unordnung zu ordnen): Raus auf die Straßen, meine jungen Brüder, pflückt euch selber die Freiheit. Nach der Familie warten andere kalte und schwarze Organisationen auf euch und ihr werdet unausweichlich verpflichtet sein, euch ihnen in die Arme zu werfen.

Es gibt nichts mehr hier auf Erden. Mit meinen Tränen flechte ich die Hecken. Wohin ich mich auch wende, meine Blicke gleiten ab auf der glatten Oberfläche der Mauern oder verwirren sich in den Dornen. Wenn ich den Arm ausstrecke, werfe ich einen Gegenstand um, wenn ich laufen kann, treffen meine Füße auf Wolfsfallen, auf zerbrochene Flaschenhälse oder spitz hervorragende Schienen, ich falle und, bitteschön, meine Stirn blutet. Hindernisse, immer und ewig.

Die Schreie, die ich ausstoße, rühren niemanden. Ich irre im Wald der Gleichgültigkeit herum; ich könnte mir die Haare aus dem Kopf reißen, um mich dem Sarkasmus der Menschen auszusetzen. Ich habe Schmerzen, das kann ich Ihnen sagen, ich habe Schmerzen überall in meinem großen verzweifelten Körper, meine Knochen sind hart, mein Fleisch ist zäh und die Schläge, die ich kriege, lassen dort Stücke schmerzender Regenbogen zurück. Die Welt ist zu klein, ich stoße an die Decke, ich stoße an die Mauern, ich sehe nichts. Und meine Fäuste, die sich zerquetschen, und mein Schädel, der wie eine hohle Dose scheppert, und meine Beine, die sich krümmen!

Ja ich, ich bewundere die Menschen: die Brennnesseln zerfressen ihnen die Hände und sie nehmen das hin wie vom Schicksal gegeben. Sie leben, sie leben, und ich, ich sterbe, weil ich mich lebend weiß.

Abschlagen all die Balken um mich herum, die mich unbeweglich halten, das Blut und diesen Schlamm wegwaschen, die mich verdrecken und verunstalten! Wenn ich an diese Befreiung denke, die ich mir verspreche, als wäre sie eine Frau, spannen sich meine Muskeln und eine ungeordnete Aktivität ergreift meinen kompaßlosen Geist. Ich höre nicht mehr die Worte der Menschen, ich sehe nur noch einen Nebel aus Fleisch und Stahl und meine Augen kreiseln wie schwarze Murmeln. Das Schweigen ist nicht länger Herr über mich, meine Nerven straffen sich wie Lichtstrahlen, die Revolte.

Die Revolte platzt, zerspringt wie eine Trommel. Blutige Schleier ziehen über die Sonne, die Segel der Schiffe verdunkeln sich in den Salzwogen. Der Himmel fällt langsam, wie ein Theatervorhang. Eine Nacht, von Donnern und Blitzen durchzogen, voller Blähungen und Lärm. Stahl und Feuer. Die Risse der Wolken lassen reißende Ströme bleischweren Blutes schießen.

Alle Masken zerstören und herunterreißen, das bleiche Fleisch, das erschreckte und zitternde Fleisch krallen und zerreißen. All diese lächerlichen Gerüste umstürzen und sich zwischen Ruinen und Staub aufrichten mit einem schrecklichen und triumphierenden Lachen. Meine Arme strecken sich zum Himmel aus, zum großen Frieden, und mein Lachen gerinnt in die Ewigkeit …

Ich revoltiere gegen alles. Schon fühle ich, wie meine Füße den Boden verlassen, als meisterhafte Flügel sich an mich heften um mir zu helfen, diesen Foltergeistern zu entkommen. Ich möchte rufen, bitten, weinen, aber die Kränkung der weißen Federn zerbricht mein Herz. Also schreie ich. Berührt mich nicht! Ich werde göttlich sein!

Der schwere Vorhang des Schreis, den ich ausgestoßen habe, rutscht auf seinen Kupferringen zwischen die Welt und mir.

Ich bin allein. Ich glaube, allein zu sein. Es gibt nichts mehr anzufassen. Ich richte mich wieder auf, meine Augen öffnen sich. Was denn? Wo ist nun das Licht, das ich erwarte?

Das Dunkel ist das Gleiche, nicht einmal von einem Schimmer getönt. Ich sperre die Augen auf, ich strecke die Hände aus. Ich mache einen Schritt vorwärts, einen anderen rückwärts, dann nach rechts, nach links, ich weiche zurück und rücke vor, ich gehe, ich laufe in alle Richtungen.

Ich bleibe stehen, erschöpft.

Meine Augen sind Pillen, die ich ins Leere verteile. Nichts. Aber das Licht?

Ich bin allein, im Dunkeln. Und nur diese Feststellung. Ich glaubte mich fähig, frei eine Welt zu erfinden, die endlich von irdischen Dingen geräumt wäre. Nichts hat sich geändert. Ich kann lediglich laufen, dumm herumrennen, unnütze Gesten machen.

(Glücklicherweise von den Umständen begünstigt, hat die Revolte es schließlich geschafft, sich der Polizei, der Armee, der Familie und anderer sozialer Ordnungen zu entledigen. Trotz alledem, neue Rede:)

Die Aufschriften der großen Buchstaben sind nicht zu Ende. Wie? Immer noch nicht. Muß man immer noch die ekelhaften Verbote lesen. Muß ich immer noch meine Wut gegen diese grauen Mauern kotzen?

Die Moral, schreckliches Instrument in der Hand der Menschen, weitergegeben vom Vater auf den Sohn wie eine kostbare Waffe zur Verteidigung gegen ihre Triebe, ihre Leidenschaften, ihre Begierden. Pah! was bringt es da, die Polizei zu beseitigen?

Ich will unbekannte Wollust in meinen Adern rollen fühlen wie warme Murmeln, liebevoll die Düfte von Blut und Mord einsaugen bis mir das Fieber auf die Stirn steigt, bis meine Augen mit roten Rinnsalen unterlaufen sind.

Die Perversität ist anbetungswürdiges Entzücken. Engel aus geronnenem Blut breiten ihre wollüstigen Arme aus zu den Bettnischen und anrüchigen Gassen. Töten: ich denke oft an die Kannibalen, die nichts zurückhält.

Es gibt alle möglichen Arten von Töten, jede wird eine unterschiedliche Lust hervorbringen. Das Verbrechen ohne Gewalt: jemanden vergiften, oder ein Neugeborenes in den Himmel zurückschicken, bei dem das Leben erst ein kleines flackerndes Lämpchen ist.

Ich denke dennoch, daß ich die größte Wonne aus der brutalen Grausamkeit ziehen werde. Ich fühle mich fähig, die primitive Rohheit der Tiere wiederzufinden.

Ich werde lässig ganze Städte zerstören, indem ich Petroleum und Feuer verbreite, ich werde die Schreie der lebendig verbrannten Opfer hören, das kopflose Durcheinander, den Lärm der nackten Paniken. Ich werde mir die Ratlosigkeit zunutze machen, um weiter zu töten, zu töten wie ein Rohling, mit einem Schlachtmesser oder einer Axt; ich werde das Blut in der Hitze des Brandes kochen lassen und ein schändlicher Geruch wird sich überall verbreiten.

Das Feuer des Meeres auf der Himmeldecke wird seine schandhafte Flamme widerspiegeln und ich werde meine Freude in die roten und grauen Straßen schreien. Seltsame Blumen werden in meinen Armen sterben und ich werde rasend ihre Blüten zupfen mit einem zeitlosen Lächeln.

Die Vernunft, diese Vogelscheuche der Oberschulen, wird von selbst mit vielsagendem Röcheln verschwinden. Es diente zu nichts, sie zu dressieren. Sie ist ein Gift. Ich fühle die ganze Zukunft eines neuen, vernunftfreien Lebens.

Woher dieses Vorurteil, das die Mehrheit der Menschen glauben macht, es würde absurde Handlungen und Gedanken geben, die schon allein deswegen verachtenswert seien! Es gibt im Gegenteil eine ganze Welt, die darauf aufzubauen ist, eine wunderbare Welt, in der nichts von vorneherein durch eine unerbittliche Logik festgelegt ist, eine Welt des Unvorhersehbaren, des Wunders und des Verrückten.

Ich werde mich der Eingebung der Gesten hingeben. Wenn es mir gefällt, werde ich auf den Händen laufen, ich werde mit dem Revolver in die Luft schießen, ich werde auf Bäume klettern, ich werde mich ganz in Rot kleiden und ich werde zerreißende Schreie vor den Nasen alter Damen ausstoßen.

Ich habe übrigens jede Einteilungskraft verloren, die eine der beschissensten Eigenschaften der Intelligenz ist. Ich bin nicht mehr fähig, auf die eine Seite die Wirklichkeit, auf die andere den Traum zu stellen. Ich erkenne zwischen den Menschen meine Traumgestalten. Aufgerissene Hände ziehen das Blut durch trübe Himmelstraßen. Fleischfrauen entstehen mit Sternköpfen und ich wundere mich nicht mehr darüber. Das Nach-Denken ermüdet mich. Ich stelle mir Fragen, die ohne Antwort bleiben, denn ich kann weder bestätigen noch verneinen. Ich bleibe lieber in einer fließenden Leere.

Der Boden kracht, Veilchen bearbeiten großartige Aktenordner, Beerdigungsinstitut; der General und seine Vögel beugen sich zu den Gefäßen mit Karminrot; Blumen auch in den Mündern der Fische, widerspenstige kleine Boote, deren Ruder aus Traumstoff sind. Rose, ich stoße, ich schreie, ich behüte den Schmuck meiner Augen; ich zermalme und ich zerbreche; Widder würden es nicht besser machen. Sehen Sie nur, wie ich richtig aussehe wie ein Revolutionär. Mein Hemd ist rot und meine Haare hängen wie zerrissene Fäden!

Nach dem Kampf, wenn ich erst erst einmal befreit bin, werde ich keinen Grund mehr haben, zu schreien, zu schlagen. Ich werde sanft sein wie ein blonder Haarschopf. Ich werde Kind-im- Schweigen-erstarrt sein.

Unter mir ist ein Abgrund geöffnet, ein blauer Abgrund mit blauen Wänden. Ah! die kleinen roten Affen in den Quellen der Schreie! Die göttlichen Mücken, verschüttet unter ihrem Sturz: trunkene Tiere, verlorene Engel. Weit geöffnete Lilien, die ihre Schmerzen besänftigen, indem sie wie Münder lachen; Waffen, weggeworfen im Zufall der Sintfluten, unter den Möwen der Stimmen.

Um mich herum sind Federpferde, Vögel in den Läufen der Jagdgewehre, riesige Hindus mit Hirschgeweihen geschmückt. Es gibt rotäugige Frauen, mit Maikäferwangen, mit Emaillefüßen, verlorene Bilder auf der Leinwand der Träumerei; es gibt unschuldig Enthauptete durch den Galgenstrick, lange und weiche Wesen singen Balladen von einst, Fliegen, dick wie eine Faust und blutende Querstangen der Stühle. Es gibt, sobald ich will, die ganze Ausstattung der klassischen Mythologie, die Sirenen, die Zentauren, die Gorgonen und der fruchtbare Schenkel von Jupiter …

Es gibt nur noch ein Universum, es gibt den Traum, dessen Überraschungsnebel ich alle in der Hand halte.

Und meine Freiheit weihe ich als Brandgabe meiner Opfer.

Maurice Henry

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