Remothering 2 / Big Mother (Renaissance)

So wie die Renaissance auf eine Kulturepoche unter bestimmten Vorzeichen verweist und in der Begrifflichkeit Aufbruch andeutet, so scheint der Begriff Remothering* gegenteilige Entwicklungen am Beginn des 21. Jahrhunderts zu kennzeichnen. Abbruch: das Projekt der Moderne und der Aufklärung gilt als gescheitert. Als Sentiment ist es in der Folklore eines nachmodernen Kulturbegriffs aufgegangen. 

Der Postmoderne, die das Zeitalter der Reparaturen kennzeichnet, ergibt sich dem im Material begründeten, irreparablen Verschleiß und wendet sich neuen Möglichkeiten, bzw. Virtualitäten zu. Nachdem man im Material gescheitert ist, sucht man nunmehr nach einer Intelligenz, die Programmen inne wohnt. Der Code löst sich weiter vom Material und dieses wird zunehmend in Beschreibungsformen transformiert. Von dort nun erhofft man sich via Rückkopplung einen weiteren Transfer: Die Intelligenz soll zurück in die Materie. Welcher Intelligenzbegriff diesem Hin und Her zu Grunde liegt, bleibt unklar. 

Die nette Metapher des großen Bruders, die mit den neuerlichen Entwicklungen assoziiert wird, verweist auf die Ableitung aus einer anderen Metapher: Die der Mutter, einem regressiven Bedürfnis, das sich in der Projektion einer grossen Mutter – Big Mother und im zurück ins kuschelige, behagliche, angenehme, bequeme, heimelige und gegen das Böse da draussen in der Welt zeigt. Darin gründet auch der Anspruch auf das Rundum-Sorglos-Packet für alle, das man vorgibt, über Algorithmen weitgehend erfüllen zu können.

Die virtuelle Mama ist die Fruchtblase, die eine ständige Anpassung an die differenziertesten Bedürfnisse hochorganisierter Lebewesen sicher stellen soll. Die Wunschmaschine, der man sich anvertraut und die Schutz verspricht, wo jenseitig ausschliesslich “böse” Welt existiert, die im besten Fall mit ihrer Hilfe in der Rückkopplung einer erweiterten Fruchtblase (Glücksanzug) bewältigt werden kann. Der Raum ist ein tautologischer, ein Datenraum, der sich aus dem Eindruck vermeintlich erfahrener Wirklichkeiten speist und so nötige Vertrautheit bietet. Komplexitäten werden, wo möglich, vereinfacht. Niemand soll verschreckt werden. Alle Bedürfnisse werden sowohl ständig erfüllt, wie auch permanent aufrechterhalten. Erst dadurch entsteht die Symbiose zwischen der Mutter und dem, was aus ihr entsteht. Es wird redressiert und automatisiert. Die Mutter ist ein Pseudoorganismus, der sich aus dem Netz angeschlossener Automaten speist. Die Subjekt/Objekte des Remotherings werden idealiter auf einige Eigenschaften als Turingmaschinen reduziert. Oberstes Ziel ist die Automatisierung der Gesellschaft. Ethische Grundlagen sind nur in soweit relevant, wie sie der Akzeptanz nötiger Transformation dienen. Dabei genügt es, wenn Illusion als Realität empfunden wird. Ist das Ziel erreicht, spielen diese Fragen ohnehin keine Rolle mehr. 

Mother, you had me, but I never had you


I wanted you, you didn’t want me

So I, I just got to tell you

Goodbye, goodbye

Father…** 

max.Ernst


* Donald E. Cameron** John Lennon

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