Rhythmächte (Ultrablack of Music 5)

Die sich auf den französischen Philosophen François Laruelle beziehende Nicht-Musikologie benutzt die klassische Musikwissenschaft und die existierende Musik allenfalls als Material. Und auch die Nicht-Musiker beginnen damit, die Diskurse der Wissenschaft und die Musik auf reines Material zu reduzieren, um in der Interaktion mit dem Hören-im-Rhythmus neue pulsierende Rhythmusmächte zu erzeugen.

Der Term »Rhythmacht« eröffnet eine neue experimentelle Methode der rhythmischen Produktion. (Vgl. Fowler 2015) Man ist jetzt vielleicht Kleists Forderung ganz nahe: Um großartige Rhythmusmächte zu produzieren, muss der Nicht-Musiker wie ein Puppenspieler zum Automaten werden, um als Maschinist sich selbst in der Emphase der Puppe zu lokalisieren, wobei solch eine Emphase mit Anziehung verbunden ist, die mit dem Folgenden korreliert: Nicht-Musikologie wäre nun im Anschluss an Laruelle als die Linie der Rhythmizität des Rhythmus als Tanz im Rhythmus zu verstehen, als Ereignis einer Verdichtung, die als Effekt der rhythmisierenden Rhythmacht sich schreibt. Es muss gar keine Drums geben, womit der perkussive Schlag auch gar keinen Punkt innerhalb einer rhythmischen Struktur markiert. Das perkussive Element wird vielmehr zum Nukleus eines Klangs jenseits des Harmonischen. Zu Teilen besteht dieser neue Klang aus akustischen Phänomenen, die aus klassischer Sicht zu den minoritären Klängen gehören – Klicken, Plocken, Rasseln, Rascheln, Dröhnen, Schnarren etc. – eine Art Rhythmuswaldregen, in dem die Klänge gar nicht mehr recht lokalisierbar sind. Diese minoritären Klänge bilden zumindest eine geräuschvolle Hülle für die Perkussion. Gleichzeitig sollten die Futurrhythmusmaschinen den perkussiven Schlag oder den Beat in die n-te Dimension komplexifizieren und eine Alien-Macht generieren, sie sollten den Hyper-Rhythmus erzeugen – unberechenbar, zergliedert und bestürzend – indem sie Pulsen und Clicks aus Rauschen programmieren und Frequenzen, Wellen und gesampelte Drumsounds modulieren, sodass der Klang zum Vibrieren gebracht wird. Eshun spricht von einer posthumanen Multiplikation des Rhythmus, einer Rhythmatik, die als asynchrone Überlappung, Wiederholung und Aneinanderreihung von spastischen Pulsen, Clicks und Schlägen das Sensorium der Rezipienten neu verdrahtet und die Tänzer in eine Kinästhetik des Stotterns und der falschen Schritte überführt, in einen »Tanz der Epilepsie der Fülle« (Eshun 2009: 094).

Erster Einwurf: Die Rhythmusmaschine ist digital und sie rechnet. Sie ist nicht allein elektrischer Strom, synthetische Perkussion oder gar Synkussion, die Snares zu klirrenden Stricknadeln und die Bassdrum zur mobilen Waffe macht (ebd.: 085) vielmehr ist sie auch »digitale Musik«, berechnend, verrechnend, auf-teilend und sie ist Uhrzeit-Musik. Damit enthält sie immer auch schon das Potenzial zur Standardisierung. (Bei einer digitalen Übertragung wird nicht mehr eine kontinuierlich änderbare Spannung übertragen wie bei der analogen Übertragung, sondern binäre – mit den Zuständen 0 und 1 – Zahlenwerte, die den Spannungswerten entsprechen. Wenn wir Musik hören, so handelt es sich um analoge Signale bzw. um kontinuierliche Änderungen von Schallwellen.)

Die potenzielle Virtuosität des Perkussions-Geräuschapparats ist längst ins Innere de, Maschinen (Software und Hardware) gewandert, wo auch alle Soundcards, Presetsounds und Soundfiles abgelegt sind (ebd.:036); es ist ein Möglichkeitsraum, durch den der Produzent zu navigieren hat. Die Kopie authentifiziert nun das Original. Aus der Beschränkung, die Programmen wie Cubase etc. inhärent ist, soll aber gerade ein Möglichkeitsraum oder ein virtueller Raum erwachsen. Er ist einerseits Zeichen der Technik und andererseits dient er der Simulation von natürlichen Objekten (zerspringendes Glas, Toilettenspülrauschen, raschelnder Wind etc.) – als Sound aktualisiert, mutieren die sonischen Exkursionen zum Spiel-Objekt der Produzenten. Das Geräusch entsteht vielfach nicht mehr aus dem Spiel mit oder dem Missbrauch der Maschine, sondern es sind die Maschinen selbst, die die Musik in einen neuen Inhumanismus drängen: Acid hört die Frequenzen der TB303, genau so, wie sie sind. (Ebd.: 022) Der Produzent folgt nur noch der Spur, die die Maschine gelegt hat. Damit wird die rigide Funktion des digitalen Studios akzeptiert, gleichzeitig sollen dem digitalen Studio durch Optimierung weiterhin neue Möglichkeiten abgewonnen werden. Allerdings führt diese musikalische Praxis heute eher zu einer rigiden Standardisierung, dem naiven Auf- und Abrufen der Preset-Sounds und der Metriken. Das Lineare definiert sich hier als die gleichförmige Abfolge bzw. als die Reproduktion eines vollkommen oder nahezu identischen Phänomens, und dies in mehr oder weniger kurzen Intervallen – wie bei einer Reihe von Hammerschlägen, einer repetitiven Serie, in die aber auch stärkere und schwächere Schläge und Pausen in regelmäßiger Folge eingehen können. Das Metronom gibt uns ein Beispiel für den harten linearen Rhythmus. Es bildet dem Ausgangspunkt alles Mechanischen. Das Lineare baut auf die Identität des Wiederholten, auf die Stereotype, und seine eher extensiven und symmetrischen Rhythmen neigen dazu, sich dem die Differenz differenzierenden Werden querzustellen.

Zweiter Einwurf: Im technophilen Konzept des emphatisch schizoiden Körpers lauerten von Anfang an Gefahren, die heute längst Gewissheit geworden sind. Die Intensivierung der Sinne und der Motorik des Körpers, wie sie durch Breakbeat und Breakbeatwissenschaft angetrieben wurde, eröffnete nicht nur neue sensorische Felder, wie dies Eshun glaubt, sondern sie wurde auch zum Repertoire, mit dem ihre Adressaten und Sender zu Teilen einer neuen Wellness- und Fitnessbewegung – gedämpft und hyperaktiv zugleich – transformiert wurden. Bei Goldie vermutet Kodwo Eshun – »[wenn] zwei Drumbreaks prozessiert [werden], bis sie rasseln wie verchromte Schlangenschwänze und in entgegengesetzter Richtung um deinen Kopf schwirren« (ebd.: 088) – als Effekt der Musik eine Art befreienden Körperkrampf und eine kopfzertrümmernde Synapsenverdrehung – aber – man muss es einfach hinzufügen -, es ist dem akzelerierenden Kapital längst gelungen, Körper und Hirn noch viel effektiver als die Breakbeat-Science in Panik zu versetzen (meinetwegen von guter in schlechte Panik zu versetzen, analog wie Eshun den guten vom schlechten Cyborg unterscheidet), um dann das verteilte Körper-Hirn der Überspasmisierung auszusetzen, die jedoch immer eine gute Schwingung (des Körpers) beibehalten soll, aber, indem Körper und Hirn von den angeblich guten Schwingungen unaufhörlich invadiert, dividuiert und bedröhnt/berieselt werden, bis sie förmlich überschnappen und deshalb wiederum überwacht und übermedikamentiert werden müssen, implodiert der Körper in sein eigenes Multisensorium und explodiert zugleich als verteiltes Hirn, sobald sein Zentralnervensystem endgültig in die Techno-City entlassen wird – die Dividuen werden heute zunehmend auf tippende Finger, spastische Körper und aufmerksamkeitsreduzierende und nervlich erschöpfende Informationsaufnahmen zugleich kondensiert, wenn sie etwa mit ihrem kryptischen Surfen in den sozialen Netzwerken verzweifelt versuchen, mit den Informationsgeschwindigkeiten und -massen Schritt zu halten. Mit dem Begriff des Spasmus (Krampf), den Guattari in seiner letzten Schrift Chaosmose verwendet, will er auf die exzessive und kompulsive Beschleunigung der Rhythmen des Ökonomischen, des Technologischen und des Sozialen hinweisen, auf eine forcierte Vibration sämtlicher Rhythmen in den alltäglichen Räumen der sozialen Kommunikation. Guattari bezieht sich hier insbesondere auf den Bereich der kognitiven Arbeit und der mit ihr zusammenhängenden nervlichen Belastung, der die Dividuen in den maschinellen Netzwerken und Systemen gegenwärtig immer stärker ausgesetzt sind. Demzufolge ist der Spasmus als ein Effekt der gewaltsamen Penetration des Kapitals in das Feld der Kommunikations- und Informationstechnologien zu verstehen, die wiederum unablässig auf die Sphären der Kognition, der Sensibilität, der Neuronalität und des Unbewussten einwirken.

Wie das Summen, Pfeifen und Qietschen erscheint auch das Klicken, Knacken und Knistern, das Plocken und Pochen (meist als Störgeräusche beim Betrieb von Geräten und Maschinen bezeichnet) als der akustische Müll einer auf Elektrizität und Elektronik basierenden Technologie. Durch seine Infiltration und Integration in den Sound hat der akustische Müll aufgehört zu stören und mutiert oft genug zum angenehmen Klang, zu einem Soundelement, das als Baustein für das Komponieren verwendet wird und seinen Platz innerhalb einer schönen Sinnstruktur der Musik einnimmt.

Als Rhythmus-Synthesizer kann die Musik-Schwingung (Quantenphysik des Lärms) aber auch direkt in den dividuierten Körper eindringen, um sein zeitliches Auflösungsvermögen, das seine Lokalisierung im Ohr längst verloren hat, und seine Orientierung in der Zeit zu verwirren, sodass er als verteiltes Hirn über-tranquilisiert werden muss, damit die Musik ihn passieren kann, ohne Spuren zu hinterlassen. Musik wird in den heutigen Mega-Cities niemals ausgeschlossen und ist damit prädestiniert, hyper-präsent zu sein; sie sekretiert als Panikstimmung oder fließt in einer Art akustischer Inversion von Energieprozessen (die durch eine Nukleinkraft zusammengezogen und -gehalten werden) durch die zeitgenössischen sozialen Labore (das Kapital kennt nur noch Labore). Indem sie global zirkuliert, transportiert Techno-Musik (jede Musik ist heute Techno-Musik) das postcontemporary Energieniveau – das Hyperaktivität und Burnout zugleich erzeugt – durch die Zentralnervensysteme (der Finance, des Dance und der Dividuen), wobei letztere wie vergoldete Klapperschlangenschwänze die Techno-Landschaften durchfluten. Da die hyper-futurisierte Musik, wie Eshun sagt, der gute Cyborg ist, (man kann sie allerdings mit Arthur Kroker auch als »gespenstische Formwerdung von fraktalen Subjekten, Spaßvibrationen und panischem Lärm beschreiben« (Kroker, Kroker, Cook 1999: 187), macht sie die Technologie des Kapitals, ja das Kapital selbst, noch viel besser, indem sie etwa soziale Beziehungen herstellt, die kein Eigentum verlangen. Sie zirkuliert dann nämlich analog dem Derivat, dessen Kapitalisierung auch nicht unbedingt Eigentum verlangt. (Von nun an ist Sound als Audio je schon an die technologischen Dispositive der Produktion und Rezeption von Sound angeschlossen.)

Foto: Stefan Paulus

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