Sag ‘s durch den Ukrainer: Nationalismus und Deutschlands Wiedergutwerdung

Es ist ein historisches Versagen der aktuellen Linken, dass sie diese deutschlandkritische Komponente bei der Beurteilung der aktuellen Ukraine-Politik fast vollständig ausspart. Erst deshalb können sich auch in Teilen der Antikriegsbewegung, mehr noch bei den diffusen sozialen Protesten, nationalistische Erklärungsmuster durchsetzen, wie sie auch von Teilen des Wagenknecht-Lagers bedient werden.

Nein, es stimmt nicht, dass man zur Zeit einfach nur Ukrainer sein muss, um im Westen irgendeine Auszeichnung zu bekommen. Der Schriftsteller Serhij Zhadan hat mit seinen Worten offensichtlich einen deutschen Nerv getroffen. „Friedenspreis für Russenhass“ kommentierte hier unlängst Franz Alt. In seinem Buch „Himmel über Charkiw“ hatte Zhadan die Russen als „Horde“, „Verbrecher“, „Tiere“, „Unrat“ bezeichnet. In der Tageszeitung Neues Deutschlandschaute Erik Zielke auf die Reaktionen des Publikums bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Zhadan. ….

… Warum erheben sich die Anwesenden zum Applaus, darunter die Grünen-Politikerinnen Claudia Roth und Kathrin Göring-Eckhardt? Erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zeigt sich wieder eine Bevölkerungsmehrheit offen kriegseuphorisch. Man spricht wieder von „den Russen“, entmenschlichtem Soldatenmaterial im Osten. Die Deutschen sind wieder für den Krieg, aber dieses Mal mit der Gewissheit, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen.
Erik Zielke, Neues Deutschland

Salonfähige Relativierung von Auschwitz

Auch der entscheidende Grund wird genannt:

„Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben“, notierte Theodor W. Adorno 1949. „Natürlich ist Dichtung nach Butscha und Isjum weiterhin möglich“, räumte Zhadan in seiner Preisrede ein. Taktil geht der Dichter vor, der Mann der Worte weiß, was er tut. Durch die Betonung der vermeintlichen Differenz stellt er erst seinen Vergleich an: Butscha ist ihm das Auschwitz dieser Tage.
Erik Zielke. Neues Deutschland

Hier findet eine Relativierung des deutschen Verbrechens an der fabrikmäßigen Ermordung von Jüdinnen und Juden statt, für die Auschwitz steht. Natürlich haben lange vor Zhadan immer wieder auch Linke Auschwitz relativiert, in dem sie den Ort zum Synonym für viele andere Verbrechen machen wollten.

Doch es ist eben ein Unterschied, wenn eine solche Relativierung an einem renommierten Ort stattfindet und von Teilen des deutschen Staatsapparats mit Applaus gewürdigt wird. Man kann hier durchaus eine Parallele ziehen zur Rede Martin Walsers anlässlich der Preisverleihung 1998 an ihn. Walser wollte damals nicht mehr ständig an Auschwitz erinnert werden – und fast das gesamte Publikum applaudierte ihm stehend. Nur Ignatz Bubis, damals Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, blieb erschrocken sitzen.

Er wusste als Jude in Deutschland, was diese Töne bedeuten. Tatsächlich wurde er auch zum Zielobjekt eines neuen deutschen Antisemitismus, der Juden trifft, die nicht mitmachen wollen bei der Wiedergutwerdung Deutschlands, die der deutschlandkritische Publizist Eike Geiselschon in den 1990er-Jahren polemisch aufspießte.

Die Verleihung des Friedenspreises an den ukrainischen Ultranationalisten zeigt auch an, wie weit diese Wiedergutwerdung schon gediehen ist. Es ist auch kein Zufall, dass mit Zhadan ein politischer Erbe jenes deutschfreundlichen ukrainischen Nationalismus den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen hat, der zeitweise mit dem Naziregime kooperierte und sich mit ihm das Feindbild – Juden und Moskowiter – teilte.

Genau diese geschichtspolitische Dimension wird heute kaum noch erwähnt, weil die deutschlandkritische Linke, die noch zu Zeiten des Jugoslawienkrieges darauf besonders hinwies, heute größtenteils auf Regierungskurs ist. Sie folgt damit einem ihrer Vordenker, dem US-Historiker Daniel Goldhagen, der in den 1990er-Jahren gute Forschungarbeit zu den ganz normalen Vollstreckern des Judenmords im Naziregime leistete.

Wie Deutschland wieder einmal als Opfer dargestellt wird

Es ist ein historisches Versagen der aktuellen Linken, dass sie diese deutschlandkritische Komponente bei der Beurteilung der aktuellen Ukraine-Politik fast vollständig ausspart. Erst deshalb können sich auch in Teilen der Antikriegsbewegung, mehr noch bei den diffusen sozialen Protesten, nationalistische Erklärungsmuster durchsetzen, wie sie auch von Teilen des Wagenknecht-Lagers bedient werden.

Demnach ist Deutschland ein Opfer eines geopolitischen Konflikts zwischen Russland und den USA auf dem Boden der Ukraine. Das Embargo gegen Russland wird dann teilweise sogar nationalistisch als Machenschaft zur Strangulierung der deutschen Wirtschaft gedeutet.

Wie schon in der Hochzeit der deutschen Friedensbewegung wird hier wieder einmal Deutschland als Opfer fremder Mächte dargestellt und sogar die mangelnde Souveränität beklagt. Bei dieser nationalistischen Sicht wird völlig ausgeblendet, dass die deutschlandfreundlichen ukrainischen Nationalisten nach 1945 mit der Wehrmacht und der SS vor der Roten Armee ins Deutsche Reich geflohen waren und dort im Kalten Krieg auch bald als Vorkämpfer gegen die Sowjetunion eine neue Aufgabe gefunden haben.

München war einer der Rückzugsorte dieser ukrainischen Nationalisten, die mit der Zerschlagung der Sowjetunion ihre Stunde gekommen sahen. Von Anfang an waren die Erben dieser deutschlandfreundlichen ukrainischen Nationalisten in der unabhängigen Ukraine nach 1991 in verschiedenen politischen Parteien und Formationen vertreten. Massiven Auftrieb bekamen sie bei den Maidan-Unruhen ab Ende 2013, wo sich endgültig der prowestliche Flügel des ukrainischen Nationalismus durchsetze.

Anwesend waren damals in Kiew nicht nur hochrangige Politiker aus den USA, sondern auch aus Deutschland, darunter der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), aber auch führende Grüne. Es ist also eine völlig falsche Darstellung, wenn hier die Rolle Deutschlands heruntergespielt wird, als sei die Bundesrepublik in diesem Zusammenhang Opfer von Machenschaften anderer Mächte.

Dass sich solche deutschnationale Lesarten durchsetzen können, ist aber auch dem Ausfall der deutschlandkritischen Linken geschuldet. Nicht nur Zhadan wird in linksliberalen Kreisen, die sich doch sonst so sprachsensibel geben, verteidigt, sondern auch die Verleihung eines expliziten Friedenspreises an ihn. Das ist etwas mehr als einfach nur seinen Sprachgebrauch und den Zorn dahinter irgendwie menschlich nachvollziehbar zu finden. 

Viel Verständnis für Zhadan

„Wer das Morden, das Metzeln und den Vernichtungswillen seitens der russischen Armee aus nächster Nähe erlebt und für den dabei empfundenen Ekel, für Abscheu und Hass drastische Worte findet, dem sollte man erst einmal Verständnis entgegenbringen“, begründet Jens Uthoff in der taz, warum Serhij Zhadan in seinem Kriegstagebuch russische Soldaten als „Abschaum“, „Unrat“ und „Barbaren“ bezeichnet.

Dabei beteiligt auch er sich an einer Begradigung deutscher Geschichte. Denn so kann auch in linksliberalen Kreisen 80 Jahre später die NS-Erlebnisgeneration rehabilitiert werden, die ja größtenteils die Rote Armee nicht als Befreier empfand. Als die wenigen Überlebenden im Vernichtungslager Auschwitz riefen „Die Russen kommen“, war es hingegen ein Ausruf der Befreiung. Genau diese Sicht der Opfer Deutschlands, die erst in den letzten 30 Jahren eine größere Bedeutung der öffentlichen Auseinandersetzung bekam, wird heute in den Hintergrund gedrängt.

Dafür ist ein Zhadan, der Butscha suggestiv zum Auschwitz unserer Tage macht, natürlich besonders wichtig. So werden dann seine Hasstiraden auch nicht als faschistoide Konsequenz des ukrainischen Nationalismus dargestellt.

Ukrainische Ultranationalisten sogar gegen russische Deserteure

Zudem ist es eben nicht selbstverständlich, sondern ein Ausdruck von Nationalismus, dass die Grausamkeiten des Krieges des Putin-Regimes gleich auf alle russischen Bürger ausgeweitet ausgeweitet. Das geht sogar so weit, dass der neue ukrainische Botschafter Oleksij Makejew in Deutschland vor der Aufnahme russischer Deserteure warnt: „Da fliehen junge Männer, die nichts bereuen, sich trotzdem vor dem Militärdienst drücken wollen und am Ende Russlandfahnen schwenkend in Autokorsos durch deutsche Städte fahren“, sagte der Botschafter der Bild am Sonntag.

Dabei müsste doch jeder Verteidiger Ukraine froh sein, wenn die russische Armee durch möglichst viele Deserteure destabilisiert wird. Letztere werden stattdessen als rein egoistische Drückeberger diskreditiert, während Persönlichkeiten der russischen Geschichte von Puschkin bis Tolstoi für die Politik des Putin-Regimes verantwortlich gemacht werden und in der Ukraine verfemt sind.

Das ist das Kennzeichen eines Ultranationalismus. Dagegen steht die Politik der kurdischen Bewegung, die in den letzten 20 Jahren immer wieder vor dem Aufkommen eines kurdischen Nationalismus in Form von allgemeinem Türkenhass gewarnt hat. Sie suchte vielmehr in Bündnisprojekten und der Demokratischen Partei der Völker (HDP) die Kooperation mit türkischen Linken, Gewerkschaften und Linksliberalen.

Als in Berlin Kurdinnen und Kurden, darunter auch traumatisierte Geflüchtete, gegen die türkische Invasion im nordsyrischen Afrin demonstrierten, wurden Parolen gegen den türkischen Staat und seine dschihadistischen Verbündeten gerufen – Parolen gegen Türken als solche waren unerwünscht. Das machten die kurdischen Ordnerinnen und Ordner einzelnen Teilnehmern, die sie anstimmten, sofort klar.

Dabei ist der Kemalismus, die türkische Spielart des Nationalismus, der immer gegen alle ethnischen Minderheiten, auch die Kurden agierte, in großen Teilen der türkischen Gesellschaft, auch in der großen Teilen der Linken, stark verankert. Auch waren kurdische Zivilpersonen in den letzten Jahrzehnten immer wieder türkischer Militärgewalt ausgesetzt – auch in den Nachbarländern Syrien und Irak.

Das Beispiel der kurdischen Bewegung zeigt aber, dass es eben nicht selbstverständlich ist, auf Nationalismus und Krieg mit Nationalismus und Rassismus zu reagieren.

Letzteres ist vielmehr ein Zeichen dafür, dass auf beiden Seiten nationalistische Bewegungen agieren. Progressive Kräfte müssten dagegen den Kontakt mit den Menschen auf der anderen Seite der Front suchen und ihnen klarmachen, dass sie nur Kanonenfutter für kapitalistische Interessen sind.

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