Eine Rhythmacht ist instabil, ihre Theorie ist auf das Ereignis bezogen, sodass die Axiome der Nicht-Musikologie immer vorläufig sind, während gleichzeitig ihre theoretische Praxis von den Samples abhängig ist, die zur Verfügung stehen, und zugleich durch die Schaffung neuer Samples überprüfbar wird. Die Rhythmacht wird durch die axiomatische Anti-Kausalität des Rhythmus als Gegenzählung und durch die Methode des Rhythmischen bestimmt, die ausgehend von der Rhythmizität hört. Obgleich die Nicht-Musikologie kritisch gegenüber der musikalischen Doktrin ist, ist ihr Ziel nicht die absolute Zerstörung der Musik, sondern das der Invention und Innovation in der Musik. (Fowler 2015) Nicht-Musikologie operiert als ein spezifischer Shift mit dem Realen, wobei mit der Nicht-Musik kosmopolitische Zeitpakte oder Rudimente, i. e. Quanten angestrebt werden. Diese Rudimente können sich verschieben, um alle Sorten von Konfusion anzurichten und um gleichzeitig die unendliche Aufgabe »Weitermachen« zu geben. Wenn Teile dieser Rhythmächte der Metrik äquivalent sind, dann bricht die Nicht-Musikologie diese Rudimente einfach aus ihrer Äquivalenz heraus und benutzt sie indifferent gegenüber musikalischen Strukturen. Die axiomatische Antikausalität der Gegenzählung ist der Angelpunkt einer Theorie, die die Gegenzählung des Rhythmus fordert, damit die verschiedenen Bruchstücke, die die Musik bevölkern, als ungezählt in Beziehung zum Rhythmus gesetzt werden können. Diese Art der Nicht-Mixologie erlaubt es, die Fragmente hin und her zu bewegen, um alle Sorten der Konfusion herzustellen und der Musik die unendliche Aufgabe aufzubürden, weiterzumachen (Ultrablackness), endlos die Fragmente der Rhythmächte zu mixen und zu remixen.
Die theoretische Praxis der Musik bezieht sich heute immer auch auf Sampling-Politik, die zwischen der Kenntnis eines aktuellen Pools von Samples und der Kapazität, neue Samples zu kreieren, oszilliert. Heutzutage sind Samples Teile eines ubiquitären Medienpools, egal, ob sie von analogen oder digitalen Medien gespeichert werden. Sampling inkludiert die durch das Programm kontrollierte bzw. maschinelle Transformation des musikalischen Materials, und dies mit Hilfe von Features wie transposing, time-stretching, Cut-up etc. Sampling ist eine Technologie, die dazu dient, vielfältigstes Medienmaterial zu transformieren. Anstatt den Prozess eines exakten Mappings vom Input zum Output in Gang zu setzen, konstituiert das Sampling meistens einen asymmetrischen Produktionsprozess, indem es das bisherige Signal von seinem alten Environment trennt und in ein neues einfügt. Sampling dekonstruiert damit den absichtsvollen Transfer von der Quelle hin zum Ziel, indem es die Rekombination als primäre Funktion einsetzt. Gleichzeitig verdichtet sich im Sample ein Gedächtnis, das Universum verdichtet sich mit ihm in einem Körnchen Sound, wobei das Sample nun auch wieder eine bestimmte alte Umgebung mit sich führen kann (Eshun 1999: 216). Samples zeitigen dann einen Realitätseffekt, weil man die Samples eben wiedererkennt, aber sie können weiterhin auch einen Unbekanntheitseffekt erzeugen, weil man manche eben nicht wieder erkennt. Sie lösen dann Wellen der Verfremdung und deren Rezeption aus, löschen aber auch Gedanken. Sie zeitigen de-realsierende Effekte, die in die Gewohnheit hineinschneiden, indem sie etwas ausschneiden.
Dritter Einspruch: Gerade mit den musikalischen Funktionen des Remixens und der Rekombination findet aber auch eine Mimesis an die derivativen Preisbewegungen statt. Analog befindet sich der Musik-Markt heute immer schon im Prozess des Re- der Rekombination. Und der Ursprung, nach dem wir uns so sehr sehnen, ist und bleibt in einen endlosen Prozess der Rekombination bzw. des Sampling im und am Musik-Markt eingebunden, i. e. der Markt ist der Fall einer originären Wiederholung, er besitzt den Charakter einer Spur. Die Originalität des Marktes impliziert das Verschwinden des Ursprungs à la »am Anfang war der Markt und dann kamen die Musik-Werke«, sodass letztere eben heute als nichts weiter als Derivat-Simulationen fungieren, die gehandelt werden, um das Re- der Rekombination zu prozessieren.
Als Bedingung einer nicht-musikalischen Produktion fungiert Sampling-in-der-letzten-Instanz. Sampling, das auch die pulsierenden Rhythmächte, die durch immanente und generische Methoden von perkussiven Flights und differenziellen Strukturen des Sounds erzeugt werden, aufnimmt, intendiert kein In-der-Welt-Sein, sondern In-der-Musik-Sein, das heißt eine Musik, die radikal immanent bleibt. Rhythmächte werden durch die Kraft des Rhythmus erzeugt und gesampelt in der letzten Instanz und binden zugleich die Methoden der Rhythmisierung an ein ökologisches Hören-im-Rhythmus. Dabei bleibt die Relation zwischen Rhythmus und Hören unilateral. Es gibt nur einen Weg, nämlich den vom Rhythmus zum Hören. Weil die Nicht-Musikologie eine unilaterale Relation zwischen Rhythmus und Hören einfordert, kann das Hören-im-Rhythmus den Rhythmus nicht affizieren, sodass der Rhythmus gegenüber dem Hören-im-Rhythmus abgeschlossen bleibt. Die Unilateralität des Rhythmus bedeutet aber nicht, die Musik auf Rhythmus zu reduzieren, sondern sie wird vom Rhythmus aus gehört (plus ihren territorialen Motiven und melodischen Landschaften).
Nicht-Musikologie platziert die experimentelle musikalische Nicht-Komposition in einen ökologischen Anti-Grund hinein, dem Hören-im-Rhythmus. Wenn man vom Rhythmus her hört, dann hört man Hören-im-Rhythmus als radikale Ökologie. (Fowler 2015) Das musikalische Bedürfnis nach dem Rhythmus oder das Hören des Rhythmus, wobei dieser dann meist der Metrik subsumiert ist, wird negiert. Man hört vom Rhythmus aus, wenn man spürt, dass alle Zählungen im Hören-im-Rhythmus verstreut sind (man komponiert auch nicht die Zählung des Rhythmus, sondern konstruiert die Gegenzählung). Rhythmus ist jetzt auch radikale Ökologie, unterschieden von Metrik und Erscheinung. Weiterhin arbeitet die Musik-Fiktion am Privileg – selbst im Hören des Rhythmus oder gerade durch die Interaktion mit dem Hören-im-Rhythmus -, den Rhythmus von jeder Autorität zu befreien, selbst noch von der der Wissenschaft, indem die Wissenschaft rein als Material be- und genutzt wird. Befreit von der musikalischen Komposition strategemisiert die Nicht-Musikologie mit einer fraktalen Unbestimmtheitskraft das Sampling sowie die Rhythmächte, wobei letztere inkonsistent gegen die Zählung zählen. Rhythmacht ist nun zugleich der nicht-musikologische Term für eine nicht-musikalische Praxis des indifferenten Hörens, das die narzisstische Musik und das narzisstische Hören ersetzt. Durch die Parallelisierung des Sampling-in-der-letzten-Instanz mit dem Trassieren der Rhythmizität des Rhythmus im Hören-im-Rhythmus entwickelt die Nicht-Musikologie eine neue radikale Ökologie. Dafür sampelt sie von den Wissenschaften und der Philosophie, ja vom musikalischen Material selbst, um eine immanente generische Matrix zu konstruieren, die nicht länger durch die kapitalistischen Relationen der Produktion und Zirkulation überdeterminiert, sondern durch eine Art von Objektivität ohne Repräsentation konstruiert wird. Die traditionelle Musiktheorie, die sich durch ihre Indifferenz gegenüber dem Rhythmus auszeichnet, muss hingegen Musik als Metrik, Ordnung und Komposition halluzinieren, um dann eben auch die radikale Ökologie ignorieren zu können, die in Relation zur nicht-musikologischen Objektivität steht, die ohne die geläufigen Repräsentationen auskommt. Rhythmächte müssen sich zur gleichen Zeit immer auch einer perzeptiven Ökologie erwehren, die permanent durch die Konvertabilität des Geldes infiltriert wird.
Das Hören-im-Rhythmus kann das Hören und sein Organ, das Ohr, durchaus überfordern, wenn der Rhythmus bzw. die Perkussion zu mobil, motil und verteilt ist, sodass es dem Ohr nicht mehr gelingt, einen festumrissenen Sound wahrzunehmen und damit der Sound auf die Haut wandert und diese anfängt, selbst zu hören (Eshun 1999: 217). Die Haut wird zur Antenne, die empfängt und aussendet zugleich (ebd.: 117): sie komprimiert sich, wirft Bläschen oder erzittert und atmet das nonverbale »Nirvana der taktilen Telepathie« (ebd.: 118). Bassfrequenzen erzeugen mächtige taktile und taktische Vibrationen, da der Bass nicht nur hör-, sondern auch fühlbar ist. Bass-induzierte Musik lässt tradierte Wahrnehmungsparameter von Raum und Zeit crashen, führt zu »Audiohalluzinationen«, einer Musik, die das Ohr hinters Licht führt. (Ebd.) Ein weiterer entscheidender Parameter der »Audiohalluzinationen« ist das, was Goodman »Rhythmanalysis« (Goodman 2009) nennt und in Beziehung zu Eshuns »Futurhythmachine« (Eshun1999: 026) steht.
Vierter Einspruch: Nicht-Musikologie widerspricht der Inskription des Differenzianten Wert, der das Geld in alle Register einschreibt, und sie widerspricht dem Beat des Signifikanten, der das Metrum als Preis zählt und eben nicht als das tic-toc der pulsierenden Differenz als Nicht-Preis. Die punktierte Produktionszeit der Codes wird permanent in den Körper der Musik eingeschrieben. An diesem Punkt kann es schnell zu einer Konvergenz zwischen der non-frequency-politics und dem High-Frequency-Trading kommen.
Foto: Stefan Paulus