Si vis pacem para pacem

Günther Anders
Si vis pacem para pacem
Ansprache auf dem 3. Forum der „Krefelder Initiative
am 17. September 1983 in Bad Godesberg

Aus: Initiative Sozialistisches Forum, Frieden – je näher man hinschaut desto fremder schaut es
zurück. Zur Kritik einer deutschen Friedensbewegung, Freiburg (ça ira – Verlag 1984), S. 13 – 20

Mitteilung:

In Wien liegt ein Brief aus dem Jahre ’57, nicht an mich gerichtet. Er schließt mit dem Absatz:„Was die deutsche Verteidigungspolitik angeht, so wissen Sie ja, daß wir Sozialdemokraten die atomare Bewaffnung konsequent ablehnen. Wir sind nicht dazu berufen, das Gleichgewicht gegendie Russen zu bilden“. Der Brief ist gezeichnet von einem Mitglied des Deutschen Bundestages, einem gewissen Helmut Schmidt. Schön wäre es, wenn die SPD wieder diejenige politische Reife, Konsequenz und Prägnanz zurückerobern könnte, die sie vor mehr als einem Vierteljahrhundert besessen hatte.

Warnung:

Vor kurzem – am Hiroshima-Tag – haben uns Biedermänner – und nicht nur weltliche – belehrt:
„Wer Frieden wünscht, der fange bei sich selber an; der erringe erst einmal inneren Frieden! Seelenfrieden! Und der halte Frieden mit seinem Hausnachbarn .Wenn das gelungen ist, dann wird der äußere und allgemeine Frieden schon ganz von selber kommen.“ Solche Versuche, uns sentimental zu depolitisieren, sind abzulehnen. Ganz von selber kommt gar nichts. Auch ich bin natürlich für inneren Frieden und für den mit dem Wohnungsnachbarn. Aber ob ein Gebiet Europas mit Atomraketen bespickt wird oder ob der fatale Knopf, der den Raketenabschuß auslöst, gedrückt wird oder nicht, das hängt nicht von unserem inneren Gemütszustand ab. Oder davon, ob ich die Nachbarin mit einer Schale Kompott überrasche. Sondern allein von unseren politischen Aktionen. Diejenigen, die uns ausschließlich auf inneren oder nachbarlichen Frieden verweisen, sind wissentlich Betrüger und Exploiteure religiöser Gefühle, da sie uns mit ihren Reizwörtern zu Untertanen machen und davon ausschließen wollen, das Leben unserer Kinder und Kindeskinder effektiv selbst in unsere Hände zu nehmen. Wir sind aber keine Untertanen, sondern Bürger. Und werden uns unser Recht, für uns und unser Überleben selbst zu handeln, nicht aus den Händen schlagen lassen. Darin besteht Demokratie. Und nicht darin, daß wir einer Macht, die sich trotz Vietnam als der Garant der Demokratie und Friedfertigkeit und Freiheit aufspielt, erlauben, über unsere Souveränität zu verfügen und unser Territorium in einen .prospektiven Friedhof zu verwandeln.Wir werden uns nicht ver“kohlen“ lassen, wir werden etwas tun.

These:

Die Grundlüge derer, die die Atomrüstung betreiben, und die Sowjetrußland dazu gezwungen haben, sich, wie Reagan das formuliert hat, „totzurüsten“ – sich also auf den Irrsinn des nuklearen Wettlaufs einzulassen, deren Grundlüge lautet: „Durch das atomare Wettrüsten ist der Frieden bis heute erhalten worden.“ Durch? Warum durch? Sondern bis heute – trotz. Trotz des Wettrüstens! Wer uns weiszumachen versucht, Bedrohung, also die Situation, in der (sogar durch Versehen) die Katastrophe eintreten könnte, sei die Bedingung des Friedens gewesen, und künftig müßte das auch so bleiben, der ist entweder geistig verwirrt oder ein total gewissenloser Hasardeur. Oder – und das ist das Wahrscheinlichste – beides gleichzeitig.

Der Spruch, der für uns gilt, der lautet nicht „Si vis pacem para bellum“, sondern „Si vis pacem para pacem“. Die Wahrscheinlichkeit, daß es sich bei der pausenlosen Steigerung des Waffenarsenals, der Zahl der Raketenköpfe und der Steigerung des Brisanzkoeffizienten um eine Art von Idiotie handelt, ist sehr groß. Denn diese Männer bleiben unfähig einzusehen, daß sie einander längst auslöschen können, daß man nämlich seinen Gegner nicht toter als tot machen kann.

Und sie verstehen nicht, daß sie in einer Epoche leben, in der der Komparativ nicht mehr gilt. Sie sind – und das gilt natürlich vor allem für die Vereinigten Staaten – durch ihr Konkurrenzdenken endgültig geprägt: also außerstande zu verstehen, daß es Leistungen geben kann, die steigern zu wollen sinnlos ist -und tödlich.

These:

Die andauernde Erhaltung (in Wahrheit Steigerung) des sogenannten „Gleichgewichts des Schreckens“ und dessen Bejahung kommt bereits einem Erstschlag gleich. Denn wer Raketen hat, der verwendet sie durch sein Haben als Erpresser.

Diese Tatsache habe ich schon vor einem Vierteljahrhundert ausgesprochen und publiziert. Und ihr, um sie international einsehbar und benutzbar zu machen, 1960 den lateinischen Wortlaut gegeben: Habere est adhibere – Haben ist Anwenden. Diese Formel müßte von jedem, der sich nicht selbst absichtlich idiotisiert, verstanden werden. Der östliche Staat, dem die Drohung mit der. Nachrüstung gilt, und gegen den die Geräte gemeint sind und eingesetzt werden sollen, sofern er sich nicht brav benimmt (in Reagans oberlehrerhaften Worten: „If he does not behave“), der östliche Staat gerät dadurch natürlich in die Versuchung, die ihn bedrohende Gefahr durch gleiche Geräte zu neutralisieren oder diesen gar zuvorzukommen.

These:

Die im Westen, in England und Frankreich stationierten Raketen nicht mitzuzählen, ist eine so absurde
Idee (wenn man eine Zumutung eine Idee nennen kann), daß Amerika noch nicht einmal den leisesten Versuch unternommen hat, sich irgendeine rational klingende Begründung oder Ausrede dafür auszudenken. Reagan spekuliert einfach darauf, daß die durch die Massenmedien frageunfähig gemachten Millionen die Frage: „Warum eigentlich nicht mitzählen?“ nicht stellen. Aber er irrt. Wir stellen die Frage. Und wir erwarten nicht bloß Reizwörter, nicht bloß Ausrufungszeichen. Sondern eine einsehbare Antwort.

These:

„Panikmacher werden wir Warner genannt.“ Als solche sind wir schon vor mehr als zwanzig Jahren verketzert worden. Verketzert? Sind Warner Ketzer? Wenn ja, dann sind wir stolz auf diese Bezeichnung, die von den professionellen Verharmlosern erfunden worden ist. Die sind Ketzer, da sie von der Wahrheit der Gefahr abweichen.

Frage:

Der anachronistische und falsch archaische Ausdruck „Atomschild“ ist als solcher schon eine Lüge. Und eine Lüge ist es zu behaupten, durch diesen sog. „Schild“ sei der Atomkrieg bis heute nicht ausgebrochen. Was vom Wettrüsten gilt, gilt vom sog. „Atomschirm“. In Wahrheit ist der Krieg natürlich trotz des angeblich rettenden Schildes nicht ausgebrochen. Wenn ein Kettenraucher 90 wird, dann erreicht er dieses sein hohes Alter nicht durch die Zigaretten, sondern trotz dieser. Wenn Reagan, die Iron Lady oder Herr Kohl glauben, uns einreden zu können, sie hätten uns bis heute vor der Gefahr gerettet, dann halten sie uns zum Narren. Und zwar auf das Beleidigendste. Denn die Gefahr eines Angriffs aus dem Osten auf Mittel- und Westeuropa hat ja effektiv niemals bestanden. Sofern Reagans Angst vor einem Atomangriff der Russen nicht einfach vorgespiegelt ist, handelt es sich um einen krankhaften Verfolgungswahn. Dann entspringt sie einer Ausrottungsbegierde, parallel zur antisemitischen Ausrottungsbegierde Hitlers.
Außerdem beweist Reagans Verteufelung des atheistischen Rußland, die auf den Fundamentalismus spekuliert, totale Geschichtsunkenntnis und Ahnungs-losigkeit über die wahren Interessen Sowjetrußlands.

Rußland ist seit dem 18. Jahrhundert, seit Friedrich II. und Napoleon, stets Opfer von Aggressionen aus dem Westen gewesen. Allein in unserem Jahrhundert dreimal. 1914, dann nach dem 1. Weltkrieg im Baltikum. Das Lied hat stets gelautet „Gen Osten woll’n wir reiten“, nicht auf russisch „Gen Westen woll’n wir reiten“. Und später war Sowjetrußland das Opfer Hitlers. Und da wagt Reagan, uns zu erzählen, Sowjetrußland giere auf die Eroberung Westeuropas und habe das stets getan. Und da geben sich deutsche Politiker dafür her, die Ignoranz eines Schmierenschauspielers zu unterstützen und ganz Europa der Möglichkeit der Verwüstung zu exponieren?

Sind nicht diese Männer, die Mitteleuropa zu ver“kohlen“ riskieren, die Verräter Europas?

Fragen und Ratschläge:

Das Bekenntnis zum ausschließlich gewaltlosen Widerstand beweist nicht immer nur Güte und Religiosität, sondern oft auch Ängstlichkeit. Hätten vielleicht diejenigen Völker, in deren Länder Hitler von 1939 an einfiel, „gewaltlos Widerstand“ leisten sollen? Und wenn einige von ihnen das effektiv getan haben (manche haben sich noch nicht einmal dazu bequemt), z.B. die Franzosen unter Laval, die sich auf den „Operettenwiderstand“, genannt Drôle de Guerre, beschränkten, haben die das vielleicht aus religiösen Motiven getan? Als Christen oder Gandhiisten? Hüten wir uns davor, Lavais zu werden. Und hüten wir uns schließlich davor, den rechten Moment zu verpassen!

Müssen wir unbedingt zu spät kommen? Sollen wir uns erst dann zum Widerstand entschließen, wenn der halbe Erdteil bereits ermordet ist? Ist Stillhalten angesichts einer Massenmord-Vorbereitung grundsätzlich etwas Tugendhaftes? Ist Nachhumpeln oder Zuspät-Kommen etwas Positives? Genauso wie die heutige Medizin muß die heutige Politik präventiv sein, wirklich präventiv! Nicht so präventiv wie angeblich der Vietnamkrieg gewesen war. War denn diese damalige Ermordung von Millionen von Asiaten vielleicht eine Prävention gewesen? War sie deshalb geschehen, um einer Attacke der Vietnamesen auf Kalifornien rasch noch zuvorzukommen? Da lachen die Hühner. Oder hätten die Vietnamesen, als Washington den Franzosen den Krieg abnahm, den Amerikanern gewaltlos Widerstand leisten sollen? Und sich aus dem Dschungel forttragen lassen sollen? Und ebensowenig dürfen wir uns darauf beschränken. Si vis pacem para pacem! Wenn Du den Frieden willst, bereite den Frieden vor.

Mahnung:

Wir dürfen nicht nachhumpeln. Nicht mehr mit verschränkten Armen dabeistehen und die Vorbereitung der Katastrophe reglos so angaffen, wie viele Passanten Verkehrsunfälle angaffen, ohne sich  einzumischen. Wir haben uns einzumischen. „Einmischung“ ist nur das, gute deutsche Wort für „Demokratie“. Wer diese verhindert oder uns diese verbietet, oder, was Herr Zimmermann verblüffenderweise getan hat, gewaltlosen Widerstand als Gewalt klassifiziert, der verstößt gegen das Grundgesetz. Offenbar wünscht Herr Zimmermann, die Axt im Hause der Bundesrepublik zu ersetzen.

Warnung:

Es gibt eine Regierung und Bevölkerung, auf deren immensem Kontinent seit über 100 Jahren – Gott sei dank – kein Krieg gewütet hat, die also nicht nur phantasielos, sondern absolut erfahrungslos ist, die die Verwüstung immer nur in der Fremde erlebt oder erzeugt oder kaum erlebt hat; oder als Fernsehglotzer. Diesen unerfahrenen, vorstellungsunfähigen, vorstellungsunwilligen Männern die Entscheidung darüber zu überlassen, ob wir Millionen Europäer, die ihnen ziemlich schnuppe sind, auch wenn sie trivial und schablonenhaft von sog. „abendländischen Werten“ reden, denen zu überlassen, ob wir Europäer weiterleben sollen oder nicht, dazu sind wir nicht bereit!

Und Europäer, die dazu bereit sind, das Schicksal unseres Erdteils und uns, die Millionen Bewohner,
und hoffentlich auch die zukünftigen Bewohner Europas, diesen zur gefälligen Verwendung – d.h. zur gefälligen Verwüstung – zur Verfügung zu stellen, die sind nicht nur Landesverräter, sondern Erdteilverräter. Und Zukunftsverräter.

Ratschlag:

In der griechischen Antike hat es einen Spruch gegeben, aus dem unser deutscher Ausdruck „Den Kohl aufwärmen“ entstanden ist. Das griechische Sprichwort lautet: „Zweimal hintereinander Kohl ist tödlich“. Kohl dürfen wir nicht aufwärmen. Vielmehr sollten wir ihn in irgendeiner lauen Küchenecke abstellen, wo ihm niemand und er niemandem Schaden zufügen kann. Und wenn er sich, um zu beweisen, wie jugendlich und wie friedlich und wie up to date er ist, plötzlich als Grünkohl verkleiden sollte, dann sollten wir ihn gehörig auslachen.

These:

Vor einem Monat hat jemand in Washington über die Sowjetunion gesagt, diese müsse „decapitated“, d.h. „geköpft“ werden. Im Osten ist von der Köpfung des Westens niemals die Rede gewesen. Solche Töne und Ausdrücke hat man seit Himmlers berüchtigtem Lob des Massenmordes (in Posen) nie mehr wieder gehört. Der Mann, der dieses Wort in den Mund genommen hat, der sollte „Traufe“ heißen, denn der Name, den er wirklich trägt, ist viel zu harmlos. Die aber hier mit seinem Munde reden, die treiben uns die Schamröte ins Gesicht. Noch heute denken wir bestürzt an unsere Väter und Großväter, die sich vor genau 50 Jahren mit dem Naziregime gleichgeschaltet hatten. Sollen auch wir uns wieder gleichschalten? Und diesmal sogar mit der Befehlszentrale eines anderen Landes, überdies eines, das seine Aggressivität und Bedenkenlosigkeit in Hiroshima, Nagasaki und in Vietnam aufs Erschreckendste bezeugt hat? Nein, noch einmal werden wir uns nicht gleichschalten lassen. Und auf die Goebbels-Frage „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ werden wir diesmal nicht „Ja“ brüllen, sondern „Nein“. Und nicht nur brüllen, sondern tun. Aber wie?

These:

Rein verbaler Widerstand: Schreien, Rufen und Proteste unterschreiben – das ist natürlich unzulänglich. Aber nicht weniger unzulänglich sind die nur symbolischen Handlungen. Wer sich auf den Asphalt legt, den Tod simuliert, und sich wie eine Leiche forttragen läßt, der handelt ebenfalls nicht. Auch er protestiert nur. Statt mit dem Munde eben mit dem Leibe. Leichenspielen ist so unernst wie das Soldatenspielen von Kindern. Ein seriöses Handeln findet auch hier nicht statt. Auch die drei Mädchen, die mir aus Köln schreiben, eine Woche lang würden sie keinen Bissen essen und den Fernseher nicht anrühren, die handeln nicht. Oder richtiger: Sie glauben an eine ganz irreale, gewissermaßen „schräge Kausalität“. Denn natürlich gibt es in Wahrheit keinen Wirkungszusammenhang zwischen den Protestleistungen, also z.B. zwischen der nichtgegessenen Schinkensemmel und den militärischen Schaltstellen jenseits des Atlantik. Der Glaube an die Effizienz solcher privater Opfer ist reiner Aberglaube. Solche pseudoreligiöse Hungerei bewirkt nicht das Mindeste. Der Effekt besteht lediglich in der Genugtuung über die eigene gute Tat. Ebensogut hätten die Mädchen sich dazu entschließen können, pausenlos nur Schinkensemmeln zu essen. Weder durch das eine noch durch das andere werden sich die militärischen Planer motivieren lassen. Die Verzweiflung derer, die unter allen Umständen etwas tun wollen und lieber ganz Sinnloses tun als überhaupt nichts, diese Verzweiflung ist mir wahrhaftig nicht unverständlich. Aber obwohl moralisch symbolhaft, bleiben die genannten Aktionen eben bloße „Happenings“. Nun erst, zwanzig Jahre seit dem ersten Auftauchen dieser Scheinaktivität, verstehen wir, was „Happenings“ eigentlich gewesen sind und sind. Von Anfang an sind sie die desperaten Strampeleien derer gewesen, denen es nicht gelungen war, sich auf bloß verbales Protestieren zu beschränken, die aber andererseits, teils aus Einsicht in die unbestreitbare Machtüberlegenheit der wirklichen Machthaber, teils
aus echt religiösen Hemmungen, teils aus religiös verbrämter Feigheit, nur Scheintaten durchführen. Eine solche Scheintat war z.B. auch der Angriff des hessischen Grünen-Abgeordneten Schwalba-Hoth auf den kommandierenden General Williams, wobei der Täter Blut, das er sich selbst abgezapft hatte, auf die Generalsuniform spritzte. Diese Aktion ist nicht etwa nur deshalb abzulehnen, weil sie sinnwidrig ist, denn im sog. Ernstfall wird ja kein Opfer den Täter mit Blut bespritzen. Oder deshalb, weil die Tat zu weit ginge. Die Aktion ist vielmehr deshalb abzulehnen, weil sie nicht weit genug ging. Weil sie rein symbolisch, weil sie eben ein Happening .blieb. Wirhaben die prospektiven Täter tatsächlich daran zu hindern, in den Kreis ihrer prospektiven Opfer zu treten. Wer uns gefährdet, der soll das auf eigene Gefahr hin tun müssen. Es genügt auch nicht, obwohl das schon einen großen Schritt vorwärts darstellt, eine kurze Zeit lang eine Anlage, z.B. Mutlangen, zu blockieren. Denn auch das ist, weil ein Intermezzo, nur etwas Symbolisches. Unser Mut muß weiter langen, weiter hinaus. Das Zeitalter der Intermezzos hat aufzuhören. Die Wirklichkeit hat zu beginnen. Das bedeutet: Die Blockierung der Zugänge zu den kontinuierlich bestehenden Mordinstallationen muß ebenfalls kontinuierlich stattfinden, pausenlos! Auch Polizisten erfüllen ja ihre Pflicht nicht nur intermezzohaft, um Verbrechen zu verhindern, sondern ständig – und recht haben sie. Dasselbe Recht der Kontinuität haben und beanspruchen wir. Die Zugänge, d.h. die zu den Mordinstallationen führenden Zufahrten, haben wir, unter Umständen weit von den Installationen entfernt, pausenlos unverwendbar zu machen und zu halten. Damit wir Menschen nicht zerstört werden, haben wir die zu den Installationen hinführenden Straßen ständig zu sabotieren!

Ständig. Wir sind mehr wert als die Tötungsmaschinen. Das berühmte Gebot des 2. Buch Moses lautet ja nicht: „Du sollst Tötungsmaschinen beschützen!“ sondern: „Du sollst nicht töten!“. Tötungsmaschinen sind sie aber nicht nur deshalb, weil sie selbstverständlich vom Gegner im Ernstfall als die ersten Zerstörungsziele zerstört werden würden. Mein Spruch: „Rampen für Raketen sind Untergangsmagneten“ gilt leider heute wie vor 20 Jahren. Freunde, Fremde und Feinde: „Wer nicht mit uns ist, ist gegen sich selbst“. In anderen Worten: Symbole mögen tief sein. Hören wir auf mit Tiefe, seien wir effektiv. Das heißt nicht etwa: Werden wir gewalttätig gegen diejenigen, die die Untergangsgeräte installieren! Auch nicht gleich: Zerstören wir diese Zerstörungsgeräte!

Sondern: Zerstören wir die Möglichkeit, an diese Geräte heranzukommen! Sabotieren wir
die Friedenssabotierer!

Diese Idee ist nicht neu: Laßt mich an eine Aktion – oder richtiger: Nichtaktion – aus einer mehr als 40 Jahre zurückliegenden Zeit erinnern. Da erfuhren die Alliierten die Wahrheit über die Vernichtungslager in Polen. Sofort wurde der Vorschlag gemacht, die Lager zu blockieren, d.h. auf weite Entfernungen hinaus die Schienenwege, die nach Auschwitz, Majdanek usw. führten, zu zerbomben und nach ihrer Reparatur sie von neuem zu zerbomben und unbrauchbar zu machen. Und durch diese Blockade die Zulieferung neuer Opfer – die Möglichkeit des Weitermordens – zu sabotieren. Was man also vorschlug, war nicht, die Lager selbst anzugreifen, denn in diesen hatte man ja Abertausende zu Opfern gemacht. Nun, durch wessen Intervention dieses leicht durchführbare Rettungsprojekt zunichte gemacht worden ist, ist geschichtsnotorisch. Der Saboteur dieses Rettungsprojekts hat sich in der Tat kaum minder schuldig gemacht, mordschuldig gemacht als Hitler und Himmler. Gleichviel, wiederholen darf sich diese Sabotage, also diese Unterlassung der Blockade nicht. Heute nicht! Dies um so weniger, als ja wir selbst, wir Mitteleuropäer selbst, die Insassen des heutigen KZ sind. Denn wir Millionen sind eingeschlossen in ein Vernichtungslager, dessen Schornsteine zwar heute noch nicht rauchen, das aber von einem Tag zum anderen zur Gluthölle werden könnte. Kann! Wir Insassen der Konzentrationslager haben die Aufhebung der Lager selber durchzuführen. Durch Abschneiden und Wiederabschneiden der Zugangswege. Befreien wir uns also selbst aus dem KZ! Und schämen wir uns, daß unter uns Lagerinsassen sind, würdelose, sogar würdelose Würdenträger sind, die den Lagerkommandanten in die Hand arbeiten!

 

Foto: Stefan Paulus

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