Simulation von Sozialpolitik als Test zur Regulation ökonomischer Verwahrlosung

Der Sozialpolitik geht es wie dem Politischen selbst. Man verabreicht sie den Massen in homöopathischen Dosen, verdünnt sie so weit, dass sie im Verhältnis zur Gesamtlösung verschwindend gering wird, bis sie schließlich verschwindet und nur noch eine Spur hinterlässt, die so klein ist, dass sie kaum mehr wahrgenommen werden kann, aber schließlich als Simulation (als eine Politik der wohlgemeinten Ratschläge, wie man spart) überlebt. Wenn die Sozialpolitik als Vergabe von Almosen an das Recht des Spenders gebunden ist, das Privatleben des Empfängers en detail zu kontrollieren, dann bedarf ihre Simulation dieser Kontrolle nicht mehr, weil sie in alles einsickert, bis sie den universellen Konsumenten-Patienten erzeugt hat.

Wenn alles aber sozial ist, dann ist nichts mehr sozial. Dies äußert sich in all den Umfragen, die danach forschen, ob es das Soziale überhaupt noch gibt, und in denen die Massen mal dies, mal das antworten. Das mag ihre Rache im Zeitalter des Trans- Sozialen sein, satt wird man davon nicht unbedingt, wenn auch mit Information übersättigt. Eines ist unabweisbar: Soziale Probleme, die mit zunehmender Trivialität behandelt werden, werden im Zeitalter des Trans-Sozialen zugleich mit immenser Härte und moralischer Panik angegangen.

Das ist der Rest des Sozialen: Einen immer größer werdenden Teil der Bevölkerung vor der (ökonomischen) Verwahrlosung zu retten, indem man das Ökonomische zumindest als Nachfrage und Konsum restituiert. Es gibt jetzt staatliche Zuschüsse und Entlastungen für ärmere Haushalte, damit diese im Klima der Inflation weiter ihre Energierechnungen bei den Stadtwerken, ihre Mieten bezahlen und in den Discountern einkaufen können. Als Produzent ist dieser Teil der Masse längst eliminiert, er ist allenfalls die Parodie auf die Arbeit oder der Arbeiter als eine in Cellophan verpackte Nutte (Baudrillard), als Konsument darf er jedoch nicht ganz aufgegeben werden. Das Kapital musste sehr bald das Proletariat nicht nur zum Arbeiten, sondern auch zum Konsumieren bringen. Der Konsum wurde zum strategischen Element; das Proletariat muss von nun an als Konsument mobilisiert werden, seine “Bedürfnisse” werden genauso wichtig wie ihre Arbeitskraft. Nicht nur, weil die Waren auch verkauft werden müssen, sondern weil die Kontingenz der Nachfrage abgeschafft werden muss, um eine geplante Sozialisierung für die Ware, die Information und die Bilder einzuleiten (wofür dann Werbung und Marketing stehen, selbst noch die Ein-Euro-Ware muss Woche für Woche in billigen Reklameheftchen beworben werden).

Gerade am Rande der ökonomischen Verwahrlosung wird aber nicht nur konsumiert, sondern durch schlechte Nahrung Fettleibigkeit produziert. Dabei sind die Fettleibigen ein Symptom des Systems, sie beanspruchen sogar eine Art Wahrheit, und tatsächlich zeigen sie etwas vom System, von seiner leeren Inflation (die zur Implosion führt). Sie sind der nihilistische Ausdruck der allgemeinen Inkohärenz von Zeichen, Derivaten, Geldern und Ernährungsformen in dem in alle Richtungen wuchernden Zellgewebe der Megacity. Das Über, das ist heute das Zeichen der Erschöpfung: Überfischt, überbewertet, übertheoretisiert, überspekuliert, überkommuniziert, überinformiert, mit Marken überhäuft, überästhetisiert, übermedikamentiert, überüberwacht, übervirtualisiert, übermedialisiert, überhitzt und so weiter.

(Chongqing in China ist ein städtisches Gebiet mit mehr als 32 Millionen Einwohnern, in dem die Mindesttemperatur seit zwei Wochen nicht mehr unter 32 °C und seit fast drei Wochen nicht mehr unter 30 °C gefallen ist. Die Tageshöchsttemperaturen lagen bei 41-45 °C. Und das bei 40 % Luftfeuchtigkeit und brennenden Bergen in der Umgebung. Überhitzt. Mit Sicherheit wird das System implodieren.)

Dan armen Teil vor der ökonomischen Verwahrlosung zu retten, ist auch deswegen notwendig, weil der Staat sich als Legitimationsinstanz nicht ganz aufgeben kann, sondern sich selbst noch beim Sub-Proletariat bewähren muss. Wenn ihm dies nicht gelingt, droht er jeden sozialen Protest als rechtsradikal zu diskriminieren und zu externalisieren. Wenn man Nancy Faesers Aussage, man könne seine Meinung auch kundtun, ohne sich zu versammeln, wirklich ernst nimmt, dann muss man von einer Erpressung sprechen. Mehr noch, der Einzelne wird nun als Geisel genommen. Denn eine Geisel zu nehmen, heißt sie einem Territorium zu entreißen, um sie in einer kleinen Zelle zu versenken. Die Geisel hat kein Territorium, also braucht man sich ja auch nicht versammeln. Man kann man sich dann vor den Bildschirm setzen und Plakate hochhalten. Das funktioniert auch, weil wir selbst zu Bildschirmen geworden sind (via Smartphone). Aber das heißt auch, dass niemand mehr an Frasers Aussage glaubt, denn der Bildschirm glaubt nicht daran, was er aufzeichnet, warum auch.

Zudem. Die protektionistischen Maskeraden sind von der gleichen Art wie der Gebrauch des Kondoms. “Bald werden wir nur noch denken, wenn wir mit Latex umhüllt sind. Und der Datenanzug der Virtuellen Realität stülpt sich bereits wie ein Kondom über. Heute verführt man mit dem Präservativ. Er versucht sie zu verführen, sie wehrt sich, er holt sein Kondom heraus, sie fällt ihm in die Arme.“ (Baudrillard)

Weil der Staat Sozialpolitik als Rest oder lediglich in homöopathischen Dosen betreibt, muss er Sozialpolitik andauernd simulieren. Davon zeugen dann die täglich im Frühstücksfernsehen abgesonderten Ratschläge der Politiker (insbesondere an die Armen), die sparsames Duschen und korrektes Händewaschen anempfehlen. Das ist von der gleichen Sorte, wie einem Hungernden den Rat zu geben, noch weniger zu essen. Ein-Euro-Duschen ist die Vorgabe, wenn Sozialpolitik simuliert wird, und solches Duschen erzeugt zudem noch die Beigabe, dass für das Vaterland gespart wird, um die Wirtschaft des Russen weiter schwächen zu können.

Das alles geschieht in einer Situation der Inflation. Die Preise steigen, besonders bei Strom, Gas und Lebensmitteln, und das trifft all jene hart, die zu wenig Geld haben, um das bezahlen zu können. Ihnen drohen kalte oder gar die Kündigungen ihrer Wohnungen, ja die ökonomische Verwahrlosung. Angeblich ist daran auch der Russe schuld. In Wirklichkeit sind es die Finanzmärkte, die mit der Angst, dass der Russe das Gas abstellt, spekulieren. Sie spekulieren auf unsichere Zukünfte und treiben damit die Preise hoch.  Die Preisbildung für Öl und Gas und ihre Derivate, wird nicht so sehr durch reale Knappheiten mit tatsächlichen Versorgungsengpässen beeinflusst, sondern durch die Spekulation mit eventuellen Knappheiten in der Zukunft. Die Explosion der Energiepreise, die mit Lieferkettenstörungen die Inflation deutlich dominiert, wird durch die Spekulation an den Finanzmärkten angetrieben. Die Inflation ist daher vor allem eine Spekulations- und Gewinninflation, die an den Finanzmärkten ihren Ausgang nimmt und in der Preisdurchsetzungsmacht der Energiekonzerne ihre Fortsetzung findet. Das treibt die Verarmung von Teilen der Bevölkerung weiter voran.

Diese muss der Staat bis zu einem gewissen Maß begrenzen, ansonsten riskiert er die Endlösung. Das Hartz4 und Covid Regime haben es geschafft, das Lager zu virtualisieren, es als eine vernetzte Hyperrealität zu simulieren, indem man virtuelle Mikrozellen (jedem seinen Bildschirm, das ist das letzte Menschenrecht) auf den Weg bringt, die Massen in die statistische Bedeutungslosigkeit überführt und sie hospitalisiert. Am Ende überlebt der Mensch als universeller Konsument und Patient, der aber irgendwie dennoch aktiv bleiben soll. Wir werden damit zu Geiseln des Systems: Wenn ihr nicht mitmacht, wenn ihr euch nicht um eure Gesundheit, euren Konsum und um euer Kapital kümmert, dann zerstört ihr euch selbst. Es ist die reine Erpressung: Wenn du das nicht machst, dann …

Aber was, wenn das ökonomische Kapital, das in der primitiven neoliberalen Form darin besteht, dass jeder zum Unternehmer seiner selbst wird, für einige nicht mehr vorhanden ist?

Dann kommt all die Übersättigung, Weißwaschung, Prophylaxe und Prävention ans Ende ihres Lateins. Dann hilft kein Geschwätz mehr, wie Brecht wusste, stattdessen wird das Fressen zu reinen Lebensfunktion, das Leben wird nackt.

Und längst hängt über den westlichen Metropolen das Damoklesschwert, das Karl-Heinz Brodbeck folgendermaßen beschrieben hat: „Es besteht wohl ein teleologischer, aber kein faktischer Unterschied zwischen dem, was einerseits an den globalen Marktschranken an Hunger, Tod und Elend erzeugt wird und andererseits in den Lagern von Hitler, Stalin, Mao, sowie den Einzäunungen und Camps des US-Imperiums und seiner Satelliten. Gewiss, in den Lagern herrscht nackte und beabsichtigte Gewalt, gelenkt von der Intention, zu foltern und gezielt zu töten. Die Opfer der Märkte werden wohl nicht beabsichtigt, aber sie werden präzise und wörtlich, in Kauf genommen. Der Wahnsinn beider Handlungsweisen, der Herstellung von Opfern oder ihre Inkaufnahme, besitzt gleichwohl eine gemeinsame Form: Die Durchsetzung einer Abstraktion ohne Rücksicht auf die Mittel, gelenkt vom dummen Stolz eines herrschenden Nichtwissens. Es ist deshalb kein Zufall, dass sich mehr und mehr auch eine instrumentelle Konvergenz zwischen totalitärer Gewalt und der abstrakten Herrschaft des Geldes herausbildet und die Differenz zwischen dem Elend in den Slums und dem Terror in den modernen Folterkammern nivelliert wird.”

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