Staatliche Antworten auf Hamburg und ihre Grenzen

Die mehr als 40 Jahre alte Parole der Gauche prolétarienne, wonach der Faschismus im Innenministerium beginne, war analytisch wahrscheinlich immer schon falsch und doch erscheint sie heute wieder verwendbar. So massiv sind die staatlichen Repressionsmaßnahmen seit den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg. Die angedrohten Schließungen zahlreicher linker Veranstaltungsorte in Deutschland, geplante Gesetzesverschärfungen und das Verbot von linksunten.indymedia.org sind der Versuch, die letzten Orte einer linksradikalen Öffentlichkeit zu zerschlagen. Im Namen der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ und der Sicherheit werden Versammlungs- und Pressefreiheit stückweise einkassiert. Um dies zu legitimieren wird selbst gelogen und vertuscht.

Der Kampfbegriff des Extremismus spielt dabei eine altbekannte Rolle. Seine ideologische Funktion bestand in der Bundesrepublik darin, sich als Gesellschaft der Täter zunächst gegenüber dem deutschen Faschismus abzugrenzen, wie gegenüber der DDR zu distinguieren. Auch wenn heute die DDR der unwiederbringlichen Vergangenheit angehört, sind diese Abgrenzungen nach wie vor präsent. Jedoch richten sie sich, wie bereits in den 1960er und 1970er Jahren, vornehmlich gegen linksradikale Bewegungen und Gruppen in Westeuropa. Auch wenn diese sich häufig selbst als entgegengesetzt zu den vermeintlich sozialistischen Staaten des Ostblocks verstanden und dementsprechend operierten, wurde hier immer wieder ein Zusammenhang unterstellt. Das Staatsschutzdispositiv des Extremismus führt die totalitarismustheoretisch vorkonstruierte Gleichsetzung von linken und rechten Bewegungen bei gleichzeitiger Affirmation des Status Quo der parlamentarischen Demokratie durch. Solche Gleichsetzungen verharmlosen die rechte Gewalt und delegitimieren dabei die Einzigen, die sich ihr konsequent entgegenstellen.

Effekt der jüngsten Repressionen im Namen der Extremismusbekämpfung ist neben den Inhaftierungen vor allem eine Behinderung der innerlinken Kommunikation: der Angriff auf Versuche einer Gegenöffentlichkeit und eines solidarischen Miteinanders.

Die, wenn sie nicht ganz fehlt, nur zögerliche linksliberale Solidarisierung mit den betroffenen Personen und Institutionen und die klatschenden Rechten zeigen, dass es sich um weitere Schritte in der Verschiebung des Massenkonsenses nach rechts handelt.

Anstatt all das vorschnell als Wahlkampftaktik der CDU zu erklären, könnte man fragen, welch ohnmächtiges Gemüt, welche Furcht den zuständigen Minister und seinen Apparat zu solch einer Verschärfung der Repressionsmaßnahmen treibt. Offensichtlich waren die Proteste in Hamburg eindrücklich genug, um einen mit dem Wort konservativ schon nicht mehr zu belegenden Minister und zahlreiche Politiker in den Ländern und Kommunen in ihren Sicherheits- und Ordnungsphantasien gehörig zittern zu lassen, und sie in manchen Äußerungen ununterscheidbar von der Anti-Antifa zu machen.

Schon aus der politischen Philosophie Spinozas, nach Machiavelli dem ersten Theoretiker des modernen Staatsapparates, konnte die Schlussfolgerung gezogen werden, dass eine staatliche Gewalt umso maßloser ist, je ohnmächtiger sie sich insgeheim fühlt. Die repressiven Folgen dieser Furcht, so ließe sich mit Spinoza weitergehend sagen, können nicht durch eine symmetrisch funktionierende Furcht vor dem Staat bekämpft werden, da diese selbst nur Handlungsunfähigkeit produziert.

Das für ihn wirklich zu Fürchtende an Plattformen wie linksunten.indymedia.org wird der Sicherheitsstaat durch keine Räumung und kein Verbot beseitigen können. Ein Messer ohne Griff und ohne Klinge: Menschen, die miteinander kommunizieren, sich gemeinsam organisieren und ihn zu zerschlagen versuchen. Diese Garantie, dass Auflehnung und der gemeinsame Wunsch nach anderen Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, niemals komplett auszulöschen sind, kann den sozialen Kämpfen, in denen sie zum Ausdruck kommen, aber nicht ihre Gefahren der Selbstdestruktion und des Etatismus nehmen. Die Gefahr, dass die Formen und Institutionen der Gegenmacht selbst Formen des Staates und der autoritären Kollektivbildung bilden, kann nicht im Vorhinein beseitigt werden.

Die gesellschaftskritische Linke schwankt traditionell zwischen Liebe und Hass zum Staat. Alle Zwischenstufen eingerechnet, auch außerparlamentarische, aber staatszentrierte Initiativen der Globalisierungskritik, beruht dieses Schwanken zwischen Furcht vor und Hoffnung auf den Staat in letzter Instanz auf einer Metaphysik des Staats, die positiv gewendet, im kommenden Staat den Garanten des irdischen Glücks sieht; negativ gewendet, im bestehenden Staat den Vernichter menschlichen Glücks erkennt.

Es ist ein Bruch mit den etatistischen Traditionen notwendig, die entweder darauf setzen, dass staatliche Regulierung oder gar eine Eroberung der Staatsapparate dem Befreiungsprojekt förderlich sein könnte, oder aber in der Staatsphobie befangen sind, also in der Angst vor dem Staat als repressivem Ungeheuer und als autonome Quelle von Macht und Autorität. Der linke Anti-Etatismus müsste sich vielmehr mit einer Coolness verbinden, die um die Schranken staatlicher Macht weiß.

Eine emanzipatorische Gegenmacht könnte also darin bestehen, dass sich gemeinsam dem Staat zu entziehen versucht wird. Spuren eines solchen Entzuges lassen sich in den diesen August geräumten Centri Sociali in Bologna finden, oder in dem Versuch, Bewegungen die Möglichkeit zu bieten, „frei von staatlichen Kontrollen und kapitalistischen Interessen Berichte, Erfahrungen, Analysen, Träume und Meinungen zu verbreiten, um Gegenöffentlichkeit zu schaffen“, wie es im Selbstverständnis von linksunten.indymedia.org heißt. Es wird deutlich, dass nichts verloren geht, wenn man dem Staat den Rücken zu kehren versucht. Ganz im Gegenteil bilden sich in dem konstituierenden Entzug solidarischer Assoziationen überall dort, wo es gelingt Formen des gemeinsamen Handelns zu finden und den Gefahren autoritärer Kollektivbildungen zu widerstehen, Konturen einer nicht-repräsentativen Demokratie und einer nicht-staatlichen Öffentlichkeit. Eine Welt zu gewinnen!

 

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