Stichpunkte zu Bichler/Nitzans Text “Capital as Power”

Es scheint auf den ersten Blick so, dass wir es bei Deleuzes Konzept der Struktur mit einer komplexen Form der sog. Creorder zu tun, ein Begriff, der an vorderster Front der methodologischen Befunde bei den Ökonomen Bichler/Nitzan auftaucht. (Vgl. Bichler/Nitzan 2009) Wenn sich die Struktur in jedem ihrer Momente in Prozessen aktualisiert, so belegen Bichler/Nitzan diesen Vorgang mit den Begriff “Creorder” (ebd. 2009: 19f.). Sie halten diesen für einen höchst artifiziellen Begriff, der anzeigen soll, dass sich eine Struktur/Ordnung in der (historischen) Zeit permanent konstruieren und rekonstruieren muss, wie sich eben auch eine Form unaufhörlich zu transformieren hat. Bichler/Nitzan zufolge liegt im Kontext der Creorder der Sinn der Beziehung zwischen dem heraklitischen Werden und dem parmenidischen Sein genau darin, dass die Fusion von Verb und Substantiv den Begriff »Creorder« ergibt: “To have a history is to create order – a verb and a noun whose fusion yields the verb-noun creorder.” (Ebd.: 305) Einerseits mag nun die sog. Creorder vollkommen vertikal bzw. hierarchisch geordnet sein, wie dies etwa in ultrabürokratischen Systemen der Fall ist, andererseits vermag sie auch horizontal zu verlaufen, wie dies etwa in radikalen Demokratien der Fall sein könnte, oder sie befindet sich im Dazwischen von Ordnung und Unordnung. Dabei können die Fluktuationen innerhalb der sog. Creorder fast unwahrnehmbar langsam ablaufen, bis man schließlich den Eindruck einer vollkommenen Stabilität der Ordnung erhält, oder sie vermögen im Gegenteil zu rasanten Beschleunigungen (Erhöhung der Outputs pro Zeiteinheit) und Wachstumsexzessen zu führen, die die Ordnung schließlich unterminieren, wobei die jeweiligen transformativen zeitlichen Patterns kontinuierlich oder diskret oder im Dazwischen prozessieren, etwa im Sinne einer Dedekind-Operation. Dabei gilt es mit Hartmut Rosa (Rosa 2005: 118) festzuhalten, dass das nicht nur immer schneller produziert, distributiert und konsumiert wird, sondern auch immer mehr, wobei es zu einer progressiven Verdichtung oder Verknappung von sozialen und individuellen Zeitressourcen nur dann kommt, wenn die Wachstumsraten der Produktion von Gütern, Dienstleistungen Informationen, Wegstrecken etc. die temporalen Beschleunigungsraten der ihnen korrespondierenden Prozesse übersteigen, ansonsten würden die technologisch forcierten Beschleunigungsprozesse eher zur Freisetzung von sozialen Zeitressourcen führen. Und schließlich mag man sich die temporalen Beschleunigungen sowie die Fluktuationen der Wachstumsraten uniform oder zufällig, singulär oder multifaktoriell vorstellen, aber egal, welche Eigenschaft diese Art von prozessualer Strukturordnung schließlich auszeichnet, die sog. Creorder impliziert für Bichler/Nitzan immerfort eine paradoxale Dualität, nämlich die einer dynamischen Kreation einer an sich statischen Struktur (das Paradoxon eines Systems/Satzes, das/der die Fähigkeit besitzt, sich auf sich selbst zu beziehen).

Nun scheinen die meisten hierarchischen Systeme tatsächlich eine außerordentlich hohe Stabilität zu besitzen, womit bspw. ihr akzeleratives Potenzial zumindest restringiert oder eingeschränkt erscheint, wobei dies in der Ökonomie laut Bichler/Nitzan entweder durch materielle Begrenzungen und/oder symbolische Beschränkungen geschieht, in und mit denen sich die permanente Anstrengung des Systems ausdrückt, jede Art von Konflikten, von Klassenkämpfen und Widerständen zu regulieren oder gar zu eliminieren, zumindest aber einen offenen Ausbruch der Konflikte zu verhindern. Nach Bichler/Nitzan hat der Kapitalismus diese Art Restriktion jedoch durch zwei Formen der sich selbst immer weiter beschleunigenden Deterritorialisierung, die jegliche Prinzipien der Bewegung und der Erstarrung noch einmal dynamisieren, entscheidend und wesentlich gelockert und flexibilisiert (ohne sich je des Faktums der Konfliktualität entledigen zu können; d. h., Konflikte bleiben in der Struktur aufgespeichert): a) durch die permanente Revolutionierung der wissenschaftlichen und ideologischen Denkweisen und Mentalitäten, im Zuge von Beschleunigungs- und Wachstumsprozessen und b) durch Prozesse der intensiven monetären Kapitalisierung, die die unaufhörliche Übersetzung von Qualitäten in Quantitäten mit zunehmender Veränderungsgeschwindigkeit (variable Rhythmen, Sequenzen und Metriken) zustande bringen. Und hierin erweist sich Kapitalisierung als die generative Matrix des Kapitalismus selbst, indem sie äußerste Akzeleration und rapides Mengenwachstum von ökonomischen Entitäten ermöglicht, Faktoren, die wiederum miteinander in Beziehung zu setzen sind, wenn man zu schlagkräftigen Aussagen hinsichtlich der Verdichtung der ökonomischen Zeit kommen will. Dabei zeigt sich Kapitalisierung heute als eine rein monetär orientierte Bildung und Kalkulation von (synthetischem) Kapital an, d. h., mit Hilfe von effizienten mathematischen Kalkülen versuchen machtorientierte Kapitalisten die risikobehafteten, in der Zukunft zu erwartenden Gewinne zu diskontieren, zu kalkulieren und zu realisieren. Im ersten Moment scheint es, dass diese Art der Begriffsbildung bei Bichler/Nitzan mit Deleuzes Versuch korrespondiert, unaufhörlich diejenige objektive Illusion zu zertrümmern, die den Prozess hinter der Struktur vergisst, allerdings besitzt in Deleuzes Darstellungen die Struktur selbst eine reale Differenzialität, deren Aktualisierung wiederum sich noch bis in die Mikropartikel der sozialen Realität und ihrer Semiosen und Matheme finden lässt.

Die Ökonomen Bichler/Nitzan haben einen streitbaren Ansatz vorgelegt, der in Absetzung vom Arbeitswertmarxismus, den sie allerdings fälschlicherweise mit der Marx’schen Theorie identifizieren, die Komplexität der monetären Kalkulation von Zukunft durch das (dominante) finanzielle Kapital (als Macht) betont. Bichler/Nitzan zufolge lässt das Kapital sich keineswegs primär als ein Modus der Produktion, Konsumtion und Zirkulation verstehen, vielmehr als ein symbolischer Modus des quantifizierenden monetären Kapitals als Macht, ein determinierendes Regime von dominanten Kapitalen, die perfekt in der Lage sind, die verschiedenen Attraktoren, Trajektoren und Vektoren des Systems in Permanenz machtpolitisch zu definieren, zu gestalten und zu regulieren. (Vgl. Bichler/Nitzan 2009: 42ff.) Tatsächlich sehen Bichler/Nitzan im Zentrum des gegenwärtig finanziellen Regimes die dominanten Kapitale, die sie als symbolische Institutionen der quantifizierten und quantifizierenden Kapital-Macht definieren, indem sie die den Machtanspruch der privaten Eigentümer ökonomischer Einheiten in den Prozessen der Kapitalisierung und des Discounting unaufhörlich perpetuieren. Es geht hier um ökonomisch quantifizierbare Entitäten, deren Logik als Ausdruck und Maßstab gesellschaftlicher Macht zu gelten hat. Bichler/Nitzan sprechen nicht davon, dass das Kapital die Macht affiziere oder durch die Macht beeinflusst würde, dass die Macht das Kapital vergrößere oder umgekehrt das Kapital die Macht steigere, im Gegenteil, man müsse sich an dieser Stelle von der Vorstellung einer externen Relation zwischen distinkten Entitäten verabschieden, da diese das Problem der Macht nicht fassen könne. Demzufolge sprechen Bichler/Nitzan nicht von Kapital und Macht, sondern vom Kapital als Macht. Demnach wurden die komplexen Codes alter Gesellschaften, nachdem sie in langwierigen politischen Kämpfen zerstört worden waren, durch eine universelle Axiomatik/Logik ersetzt, nämlich der Machtlogik des Kapitals selbst, dessen Kalküle von vornherein nicht durch die des subjektiven Nutzens, auch nicht durch Kalküle der Produktion oder Konsumtion, sondern rein und umfassend durch Kalküle der Finanzen qua Kapitalisierung konstruiert wurden. (Ebd.: 158f.) Die ständig wandelbaren Synthesen der finanziellen Quantitäten, ja man könnte sagen, die reinen Strömungen der Finanzen, die qua Kapitalisierung konstituiert, artikuliert und zugleich codiert werden (eine axiomatisierende Leistung der Kapitalisierung, die Strom und Code des Geldkapitals in ein Verhältnis setzt), reflektieren laut Bitzler/Nitzan keineswegs die Qualitäten kapitalistischer Waren oder etwa die Produktivität des Kapitals, sondern repräsentieren und verdichten die Macht der dominanten kapitalistischen Privateigentümer, die indessen kontinuierlich das ökonomische, das politische und das kulturelle Magma der Gesellschaft unter Zuhilfenahme ihrer symbolischen Machtpolitik aktiv in ihrem eigenen Interesse gestalten, regulieren und steuern. Dabei inhäriert die Logik der Kapitalisierung einen anonymen, differenzierten und unsichtbaren „Mechanismus“, mit dem und durch den das dominante Kapital unter Ausspielung seiner Eigentumsrechte die gesamte Gesellschaft kontrolliert.Um es zunächst einmal rein formal auf eine einfache Formel zu bringen: Kapitalisierung inhäriert für Bichler/Nitzan den berechneten (diskontierten) gegenwärtigen Wert der aus einer ökonomischen Einheit in der Zukunft erwarteten, risikobereinigten Gewinne. „Capitalization represents the discounting to present value of risk-adjusted expected future earnings (and each of its symbolic components – the expected future earnings, the risk that capitalists associate with these earnings, and the normal rate of return that they use to bring them to present value – is a manifestation of organized power).”(Bichler/Nitzan 2013)

Dementsprechend impliziert die Symbolik der Kapitalisierung die Kalkulation der wesentlichen Komponenten des Kapitals, u. a. die in Zukunft erwarteten Gewinne sowie die Risiken, die die Kapitalisten mit diesen imaginären Gewinnen assoziieren, die durchschnittlichen Zinsraten und schließlich die zukünftigen Renditen im Verhältnis zu den gegenwärtigen Kapitalgewinnen, und all diese Komponenten, exakter die Bewirtschaftung und Beherrschung all dieser symbolischen Komponenten, stellen für Bichler/Nitzan auf ganz strukturelle Art und Weise Manifestationen der organisierten kapitalistischen Macht dar. Die in Quantifizierungen bzw. Preisen ausgedrückte Macht dieser ökonomischen Einheiten (Ware, Firma etc.), die qua capitalization und discounting zustande kommt, ist für Bichler/Nitzan hinsichtlich der Analyse der gegenwärtigen Finanzialisierungsregime ausschlaggebend. Und das Primat der Macht, das Bichler/Nitzan dem Kapital zuschreiben, basiert für die beiden Autoren letzten Endes auf dem Dispositiv des Privateigentums, das sowohl institutionellen Ausschluss als auch Deprivation impliziert; das Dispositiv des Privateigentums enthält eine positive und zugleich eine negative Komponente, und beide im Zusammenspiel befördern die Möglichkeit von den Ausgeschlossenen oder Verschuldeten ganz legal beständig monetäre Beträge einzufordern und zu beziehen, um schließlich das Recht nicht qua Gewalt ausüben zu müssen. Und nur allzu deutlich besitzt die Architektonik der Macht eine quantitative und eine qualitative Dimension: Während die qualitative Dimension Faktoren wie Institutionen, makroökonomische Evolution und gesellschaftliche Konflikte umfasst, mit deren Hilfe vor allem die dominanten Kapitalisten die gesellschaftliche Ordnung gestalten, fundieren und regulieren, d. h. durch Prozesse, mit denen sie die sog. sozialen Trajektoren des Systems in Permanenz formen, um ihre Einkommen in relativer Sicherheit zu generieren, beinhaltet die quantitative Dimension neben der Kapitalisierung insbesondere Prozesse der Maschinisierung, i. e. das Funktionieren des universellen Algorithmus und der objektorientierten Computersprachen (binärer Code), die wiederum die zahllosen qualitativen Prozesse antreiben und codieren, integrieren und kondensieren, und das vollzieht sich unter der Dominanz der in Computernetzwerken strömenden Transaktionen monetärer Größen. Schließlich gilt jeder x-beliebige monetäre Strom erwarteter Gewinne als Parameter der Kapitalisierung, die heute potenziell jeden noch so singulären Aspekt des gesellschaftlichen Feldes durchdringt – die dominanten Unternehmen kapitalisieren bestänig menschliches Leben, soziale Netzwerke, soziale Habiti, Körper und genetische Codes, Affekte, Kriege und vieles andere, wenn sie damit Einkommen und Renditen erzielen können.

Für Bichler/Nitzan beschwören die dominanten Kapitale mit ihren hyper-aktiven Strategen ständig künftige Ereignisse, Entwicklungen und Szenarios herauf, und dies geschieht immer mit der Perspektive der »sicheren« Kalkulation zukünftiger Geldkapitalströme. Aber in gewisser Weise hat auch für Bichler/Nitzan das Kapital seine Zukunft schon immer hinter sich oder es muss sozusagen rückwärts in die Zukunft gehen, weil es keinessfalls zu 100% weiß, in was es da mit seinen Kalkulationen – ganz im Zwangskorsett der Kapitalisierung gefangen – hineingerät, nicht weiß, wohin die Reise denn geht und wie tief man eigentlich fallen kann, obwohl das ja schon tausendmal passiert ist. Und dies alles vollzieht sich genau dadurch, dass man aktuelles Geldkapital, dessen Summe man kennt, als einen (vergangenen) Bezugspunkt anführt, um zukünftige Beträge und Gewinne zu extrapolieren (die man aber nicht kennt), wobei man erwartete zukünftige Gewinne auf gegenwärtige Geldsummen zu diskontieren versucht, während eine (fiktive) Benchmark für das jeweils richtige »Level« hinsichtlich des Wachstums der Gewinne sorgt. Und dies gilt für zeitliche Cluster über längere Perioden hinweg, wobei diese Prozesse so etwas wie das prinzipielle Movens der differenziellen und finanziellen Akkumulation des Kapitals darstellen. Anders gesagt, Kapitalisierung inkludiert von der formal-ökonomischen Seite her eine Technologie der Berechnung des (»diskontierten«) gegenwärtigen Werts der aus einer ökonomischen Einheit (Geld, Ware, Unternehmen etc.) in der Zukunft sich ergebenden, erwarteten Einkünfte, und dies wiederum dokumentiert die in Preisen zu realisierende und realisierte Macht, den Machtanspruch der Eigentümer von dominantem Kapital über andere gesellschaftliche Aktanten. Die Begriffe der Kapitalisierung und Diskontierung gelten für Bichler/Nitzan sui generis als Ausdruck und Maßstab kapitalistischer Macht. (Bichler/Nitzan 2009: 183f.)

Im Rahmen der Ausarbeitung ihres Konzepts der Kapitalisierung nehmen Bichler/Nitzan eine weitere notwendige Definition vor, die allerdings ein noch exaktere Analyse der kapitalistischen Gewinne herausfordert: Demnach gilt es die zu einem gegebenen Zeitpunkt (ex ante) erwarteten, zukünftigen Gewinne (gegenwärtige Zukunft) mit den aktuell gewordenen, erst ex post als bekannt geltenden Gewinnen zu vergleichen, auf die man spekuliert hat (künftige Gegenwart). Diese beiden Gewinnströme erweisen sich im besten Falle als identisch. Bichler/Nitzan schreiben: “By definition, ex ante expected future earnings are equal to the ex post product of actual future […]”(Ebd.: 188) Und diese Relation nennen Bichler/Nitzan den Hype-Koeffizienten. Definitionsgemäß legen Bichler/Nitzan fest, dass eine (variable) Relation zwischen den ex ante erwarteten, zukünftigen Renditen und den aktuell gewordenen Renditen einer künftigen Gegenwart besteht, der Aktualisierung einer Zukunft (ex post product of actual future). Wie wir noch sehen werden, gleicht diese Formalisierung der Unterscheidung, die Elena Esposito im Rahmen ihrer Analysen über Finanzderivate als Differenz von gegenwärtiger Zukunft (erwartete Zukunft) und künftiger Gegenwart (Zukunft, die tatsächlich eintritt) vorführt. Man kann nun laut Bichler/Nitzan folgende Gleichung anschreiben:

(Kt=Kapitalisierung in der Zeit) Kt = EE = E × H, wobei (EE) für die erwarteten zukünftigen Gewinne, (E) für den aktuellen Level der Gewinne und (H) für den Hype-Koeffizienten steht (H=EE/E).(Ebd.: 189)

Während das sog. materielle Kapital in seiner Eindimensionalität stets stärker auf die Vergangenheit bezogen bleibt, auf den Kapitalstock und die zurückliegenden, durch Abschreibungen korrigierten Geldbeträge, erweist sich die multidimensionale monetäre Kapitalisierung als rein zukunftsorientiert. Kapitalisierung zeichnet sich also durch vier wesentliche Parameter/Variablen aus: a) aktueller Bestand an Gewinnen, die je schon der Spekulation mit der Zukunft entspringen, b) Hype-Koeffizient, c) erwartete zukünftige Gewinne, d) der sog. Risiko-Koeffizient (Ebd.: 183ff.). Das Zusammenspiel dieser elementaren symbolischen Variablen der Kapitalisierung kondensiert, verdichtet und repräsentiert Bichler/Nitzan zufolge die Macht der dominanten Kapitale, ja sie zeigt das Kapital als Macht an, wobei Finanzialisierung und die ihr zugrunde liegende Kapitalisierung von Anfang das eigentliche Movens kapitalistischer Wirtschaft bilden. Gemäß der obigen Gleichung hängt die Kapitalisierung eines Assets/Vermögens oder eines Vermögensanteils ganz wesentlich von zwei die Gewinne/Renditen definierenden Faktoren ab: a) den aktuellen, immer nur ex post feststellbaren Vermögen, die sich stets aus der Bewirtschaftung der Zukunft ergeben. Die Renditen dieser Vermögen sind zu dem Zeitpunkt, an dem die Vermögen kapitalisiert werden, unbekannt, aber sie werden mit und in der Zeit bekannt, wenn man Einkommen und Gewinne fixiert, aufzeichnet und bekanntgibt, b) dem Hype-Koeffizienten, der den kollektiven Irrtum der Kapitalisten als Klasse umfasst und schon zu dem Zeitpunkt eintritt, an dem Vermögen (aufgrund von ex ante Erwartungen) ausgepreist werden, wobei man natürlich nur ex post festzustellen vermag, ob sich die Erwartungen realisiert haben oder nicht, d. h., dieser Irrtum ist zu dem Zeitpunkt, an dem man den jeweiligen Vermögen Preise zuordnet, potenziell gegeben, kommt aber erst dann zum Vorschein, wenn man die Gewinne fixiert bzw. bekannt gibt. Wenn man den Hype-Koeffizienten in einer Zahl ausdrückt, so artikuliert sich mit ihr die Frage, ob die Kapitalisten allzu optimistisch oder allzu pessimistisch ihre zukünftigen Gewinne eingeschätzt haben: Waren nun die Erwartungen übermäßig optimistisch, dann ist ein Hypefaktor größer als 1 anzunehmen, bei übermäßigem Pessimismus ist er kleiner als 1 zu setzen; nur wenn die Projektionen der Kapitalisten vollkommen korrekt waren, dann ist der Hype-Koeffizient gleich 1 zu setzen. (Ebd.: 188f.) Es geht hier nicht um eine partikulare Entität oder um die Strategien von Einzelkapitalen, sondern um so etwas wie den universellen Wert einer Entität, die durch ein kapitalisiertes und zu kapitalisierendes Vermögen definiert wird.

Ungewissheit im Kapitalismus liegt für Bichler/Nitzan sui generis im Diskont-Zins-Schema verborgen. (Ebd.: 196f.) (Der Diskont gilt als eine Form des Zinses. Während der Zins immer nachträglich bezogen wird, zieht man den Diskont ex ante vom sog. Nennwert einer Forderung ab, die innerhalb einer bestimmten Frist fällig wird. Er ist in  %en des Nennwerts auf ein Jahr bezogen zu berechnen.) Bichler/Nitzan erweitern die Herleitung der Kapitalisierungs-Formel mit der Definition der Rentabilität (r), dem Verhältnis zwischen der Größe (E) (Erträge/Gewinne) und (K) (K gilt hier als der Dollarwert des investierten Kapitals):

Es gilt r = E/K. (Ebd.: 197)

Es ist leicht einzusehen, dass es hier um eine Gleichung, eine Unbekannte und eine Lösung handelt. Durch eine einfache Umstellung der Variablen der Gleichung erreicht man folgendes: Wird die Rentabilität auf der (bekannten) Basis der Gewinne und des originalen Investments kalkuliert, dann lässt sich das Investment als Relation von Gewinnen und Zinsrate berechnen, so dass man die folgende Formel erhält: K = E/r. (Ebd.)

Das Resultat erscheint als eine Formel, welche Bichler/Nitzan zufolge exakt diejenigen sozialen und ökonomischen Gepflogenheiten artikuliert und komprimiert, mit denen die Kapitalisten als Klasse den größten Teil ihrer Preisfixierungen seit dem 14. Jahrhundert vorgenommen haben und immer noch vornehmen. Mathematisch gesehen scheinen die beiden obigen Gleichungen identisch, wenn nicht gar zirkulär zu sein (siehe dazu die Cambridge-Kontroverse), aber in der ökonomischen Realität beinhalten sie doch eine beachtliche Differenz: Während die erste Gleichung eine ex post Darstellung enthält – sie führt zur Berechnung der Zinsrate, wobei das ursprüngliche Investment und die daraus folgenden Gewinne bekannt sind –, so impliziert die zweite Gleichung eine ex ante Bewertung: Mit ihr erscheint es möglich, den Wert des Geldkapitals hinsichtlich zukünftiger Gewinne zu kalkulieren; es handelt sich hier um unbekannte Gewinne, wie die Kapitalisten auch nichts von der Zinsrate wissen, die diese Gewinne eventuell repräsentiert. Daher sieht man sich an dieser Stelle auch mit der unmöglichen Aufgabe konfrontiert, eine Gleichung mit drei Unbekannten zu lösen, obwohl dieses Prozedere doch in der real-historischen Praxis für das Kapital kaum ein Problem gewesen zu sein scheint, weil die Kapitalisten als Klasse die Bekanntheit von zwei Größen geradezu heraufbeschworen haben (und dies immer noch tun), um schließlich eine dritte, eine unbekannte Größe zu berechnen. Aber es stellt sich natürlich sofort die Frage, wie dies eigentlich praktiziert wird und was dieser Prozess für die differenzielle Akkumulation des Kapitals bedeutet (ebd.: 196f., 383f.): Das grundlegende Problem besteht in der Vorhersage zukünftiger Gewinne, wobei sich Kalkulationen aufgrund von Ungewissheit per se als falsch erweisen, aber die damit implizierten Irrtümer zeigen sich Bichler/Nitzan zufolge auch nicht als grenzenlos falsch an, denn über einen hinreichend langen Zeitraum scheinen die Kalkulationen tatsächlich eng um die Kurven aktuell gegebener Werte und Zahlen zu oszillieren. Dies ergibt sich sowohl aus empirischen Analysen als auch aus der von der Chaostheorie übernommenen Einsicht, dass über längere Perioden hinweg die Ergebnisse bei Spielen wie etwa dem Roulette eine gewisse mathematische Beschreibbarkeit aufweisen. Auch bei der Zinsrate/Diskontrate (Rate, mit der fixiert wird, was ein Vermögen an Gewinnen in der Zukunft wirklich abwerfen soll) kann von einer gewissen Konstanz und Stabilität ausgegangen werden. Reflektiert die Zinsrate u. a. das Vertrauen, das die Kapitalisten in ihre eigenen Vorhersagen und Kalkulationen haben, so lässt sich damit leicht folgern: Je größer die Unsicherheit ist, desto höher muss die Zinsrate sein. (Ebd.: 196f.) Im Rahmen der innerbetrieblichen Rechnung wird von Ökonomen die grundlegende Differenz zwischen Eigenkapital und Schulden oft als eine Frage des Vertrauens ausgewiesen. Und in der ökonomischen Realität hängt der Vertrauensgrad zwischen den verschiedenen Eigentümern von Geldkapital weitgehend von der »Normalisierung« ihrer Macht ab. Was hinsichtlich des quantifizierbaren Kalküls der Macht ausdrücklich zählt, ist die in die Zukunft gerichtete Möglichkeit der Kapitalisierung von Geldkapital an den Geld- und Kapitalmärkten. Repräsentiert dabei die Vergangenheit die Realisierung eines erwarteten Gewinns, so die Zukunft das Versprechen auf einen Gewinn. Und in diesem Zusammenhang erscheinen Buchungen im Rahmen der doppelten Buchführung sozusagen als rückwärts blickend und daher als relativ belanglos, während sich dagegen die Kapitalisierung als eine symbolische Bewertung/Schätzung oder Kalkulation von Zukunft verstehen lässt, die zudem definitionsgemäß nicht zirkulieren kann, mehr noch, wenn man den risiko-bereinigten und diskontierten Wert von zukünftigen Gewinnen kalkuliert, gibt es keine und wenn überhaupt eine eher negative Relation zu den Kosten der derzeit zirkulierenden Assets.

Allerdings muss man bei dieser Art der Identifizierung von quantifizierendem Kapital und Macht, und dies gerade auch hinsichtlich der von Bichler/Nitzan vorgenommenen Marx-Kritik (Marx hätte angeblich neben einer falschen Aufspaltung des Kapitals in Real- und finanzielles Kapital vor allem den Aspekt der Macht vernachlässigt) einige Vorsicht walten lassen, zumal, wenn die beiden Autoren jener Identität von Kapital und Macht, die sie ja selbst “figurative Identität” nennen, eine unglaubliche »scientific story« (ebd.: 313) zuschreiben. Um es an einem einfachen Beispiel zu erläutern: Wenn in einem Land die Marktkapitalisierung eines dominanten Unternehmens 1000 mal größer als die durchschnittliche Marktkapitalisierung der mittleren und kleinen Unternehmen ist, dann besitzen die Eigentümer des dominanten Unternehmens im Sinne der absentee ownership (Trennung zwischen Eigentum und Unternehmensmanagement) laut Bichler/Nitzan auch 1000 Mal mehr Macht als diejenigen der mittleren und kleinen Unternehmen. (Vgl. Kliman 2011b: 67) Warum, und das fragt sich nun auch der marxistische Ökonom Andrew Kliman in seiner Kritik am Konzept von Bichler/Nitzan, warum denn um Himmels willen 1000 Mal so machtvoll und nicht 100 oder 2000 Mal so machtvoll? (Ebd.) Für Kliman ist die Sache klar, Bichler/Nitzan entledigen sich des Problems, indem sie Macht ausschließlich mit den Kategorien und Modellen der Marktkapitalisierung (der dominanten Unternehmen) beschreiben: Die Marktkapitalisierung eines dominanten Unternehmens, die 1000 mal größer ist als die des Durchschnitts der Unternehmen, gibt aber, so wendet Kliman hier zu Recht ein, dessen Eigentümern oder Aktionären noch lange nicht 1000 Mal so viel Macht wie den Eigentümern der Unternehmen mit durchschnittlicher Marktkapitalisierung. Es besteht hier zudem die Gefahr, dass man das von Foucault herausgearbeitete relationale Verhältnis von Macht und dessen intrinsische Kräftebeziehungen in die Beschreibung eines Behälters, der die Macht repräsentiert, transformiert, den man gleichsam mit verschieden machtvollen Kapitalen auffüllt, um damit zu einer Beschreibung des Kapitals als Macht zu gelangen; dies wäre dann mit der Wiedereinführung eine althergebrachten Ontologie gleichzusetzen, die man wiederum dadurch verflüssigt, dass man einen Aussagesatz anführt, der da lautet: Die Macht der Macht ist die Macht bzw. das Kapital des Kapitals ist das Kapital. Kliman resümiert an dieser Stelle, dass die Identifikation von Kapital und Macht sicherlich nicht korrekt sei, aber wie Bichler/Nitzan ja selbst zugeben würden, handelt es sich hier doch nur um eine “figurative identity”. (Bichler/Nitzan 2013)

Für Bichler/Nitzan beinhaltet der Term Gewinnvolatilität nicht automatisch die Aussicht auf die Pole Position an den Märkten. Man sollte nämlich nach Auffassung der beiden Autoren das Problem der Volatilität sofort mit dem der Machtproblematik verknüpfen. Dabei ist das Ziel sämtlicher Kapitalisierungsstrategien dominanter Kapitale nicht in erster Linie auf das höhere Einkommen an sich ausgerichtet, sondern fordert vor allem die Erlangung eines größeren Anteils an der Masse der Gesamtprofite einer Ökonomie ein. Laut Bichler/Nitzan sind heute viele der dominanten Eigentümer in ihren Portfolien nicht besonders breit diversifiziert, stattdessen betreiben sie eine hoch fokussierte Politik – und im Gegensatz zu den sog. passiven, reflexhaften Individuen, die die CAPM-Märkte der Finanzmathematiker bevölkern, sollte man sich diese Art von Eigentümern als hyperaktiv und Ressourcen aller Art ausbeutend vorstellen, denn sie nehmen Gewinnchancen niemals als nur gegebene an, sondern versuchen diese aktiv herzustellen, ja sie kämpfen geradezu wie besessen um höhere Gewinne im Rahmen einer differenziellen Akkumulation (beat-the-other) und infolgedessen versuchen sie Volatilität und deren extreme asymptotische Ausschläge zumindest für sich selbst stets auch zu bändigen.

Diese Prozesse finden inzwischen auch im Rahmen der sog. Market-States statt, die ganz auf ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt konzentriert andere Market-States als ihre Feinde zu befürchten haben und deswegen auch ständig darauf bedacht sind, ihre Konkurrenten zu schwächen. Und machtbesessene Geldkapitaleigentümer nehmen das Risiko nicht nur an, sondern sie designen und gestalten es aktiv, womit die imaginierte enge Beziehung zwischen Gewinnvolatilität und Gewinnwachstum zu relativieren wäre. Stattdessen würde, so zumindest Bichler/Nitzan, bei manch dominanten Kapitalfraktionen die Konzentration aller ökonomischen Prozesse auf das Problem des Gewinnwachstums im Kontext der Eliminierung von Konkurrenten zur reinen Obsession geraten und dies ganz im Sinne der machtorientierten Kontrolle, der Berechenbarkeit und der differenziellen Komputation der Geldkapitalströme. Bichler/Nitzan beschreiben folglich organisierte kapitalistische Macht als einen Versuch die aktive Gestaltung von ökonomischen Prozessen, die der Übersetzung von undefinierter Ungewissheit in quantifizierbare Risiken dienen, permanent voranzutreiben. Ungewissheit entsteht hier nicht nur aufgrund der von Esposito angesprochenen Paradoxien kapitalistischer Zukunftsbearbeitung, sondern gerade auch durch die konfliktuelle Logik der differenziellen Akkumulation hindurch, die von den großen Kapitalen dominiert wird. Zugleich würden, so Bichler/Nitzan, diese quantifizierbaren Machtspiele mit ihren entropischen Tendenzen immer auch Ordnung implizieren, sozusagen als dasjenige »Maß«, das definiere, inwieweit man die Unsicherheit in Grenzen halten könne. Bichler/Nitzan schreiben: “Partly objective, partly inter-subjective, this degree is captured inversely by the ›risk coefficient‹.”(Bichler/Nitzan 2009: 210)

Während man als Risikoprämie die designierte Rendite hinsichtlich der aktuellen Volatilitätdefiniert, geht es beim Risikokoeffizienten um das Vertrauen, das die Kapitalisten und ihre diversen Fraktionen in ihre eigenen Vorhersagen haben. Natürlich besteht nun zwischen Volatilität und Vertrauen eine Relation, aber die Korrespondenz ist keineswegs als einfach zu verstehen: Volatilität an sich generiert nämlich keine Ungewissheit, vielmehr sind es ganz spezifisch machtorientiert gestrickte temporale Muster der Volatilität, die beständig Unsicherheit produzieren. Bichler/Nitzan fügen in ihren ökonomisch fundierten Machtanalysen noch einen weiteren Aspekt hinzu: Während man in der Finanztheorie glaubt, dass die Affirmation eines höheren Risikos stets mit einer höheren Risikoprämie belohnt wird, was anscheinend auch eine hohe Volatilität der Gewinne impliziert, zeigen die empirischen Analysen, dass in bestimmten temporalen Intervallen z. B. die Gewinne von General Electric zehnmal stärker gestiegen sind als die von General Motors, aber die Volatilität des Gewinnwachstums bei GE tatsächlich geringer als die bei GM war (Ebd.: 260f.) Es scheint, dass die empirische Analyse in diesem Fall die Hypothese einer idealistisch angelegten Theorie schlägt, weil sich der Faktor Volatilität gegenüber dem des Gewinnes in diesem Fall als sekundär erweist. Und in diesem Kontext wäre dann auch zu fragen, wie man solche ökonomische Konglomerate wie z. B. BMW, General Electric, DaimlerChrysler oder Philip Morris überhaupt noch zu klassifizieren vermag, denn diese Konzerne operieren heute in den verschiedensten Sektoren des gesamten Business-Spektrums, angefangen von finanziellen Vermittlungsgeschäften über den Handel mit Rohstoffen und deren Bearbeitung bis hin zu Unterhaltung, Marketing und Distribution. Die Diversifikation dieser Konzerne erscheint dermaßen weitläufig, dass wir es hier mit einem allgemeinen ökonomischen Problem zu tun haben. Produktion impliziert Bichler/Nitzan zufolge immer eine Art »socio-hologramic activity«, und sie wird durch einen integrierten Bereich der Industrie getragen, während im Gegensatz dazu die großen Kapitalgesellschaften finanzialisierte Konstruktionen/Entitäten darstellen – BMW bräuchte z. B. überhaupt keine Automobile zu produzieren, das Unternehmen müsste nur die Produktion der Automobile kontrollieren. Ähnlich verhält es sich mit Konzernen wie Mitsubishi Trading oder der Deutschen Bank, die mit ihrer Potenz, verschiedene Formen der Macht zu integrieren, Schlüsselaspekte der Produktion von Automobilen kontrollieren und erst diese Kontrolle erlaubt es ihnen »undifferentiated parts of the total societal profit« einzufordern. Diese Art und Weise Unternehmen zu klassifizieren, basiert also nicht allein darauf, eine Relation zur Produktion herzustellen, sondern eine Analyse entlang der umfassenderen Linie der monetär quantifizierten Macht vorzunehmen, von der die Produktion eben nur einen Aspekt darstellt (Ebd.: 262) Mit ihrer an Thorstein Veblen angelehnten Unterscheidung zwischen Industrie – der Produktion von Gebrauchsgegenständen für menschliche Bedürfnisse – und dem sog. Business, dem Handel von monetären Werten mit dem ausschließlichen Ziel, diese monetären Werte auch zu vermehren, funktioniert für Bichler/Nitzan das Business nicht nur unabhängig von der Industrie, sondern behindert teilweise sogar deren Produktionsprozesse. Wenn Bichler/Nitzan argumentieren, dass es heute nicht die Industrie im Veblen’schen Sinne, sondern gerade das Business sei, das die Essenz des postmodernen Kapitals darstelle, und dies ganz im Widerspruch zu den Annahmen der neoklassischen und der marxistischen Theorie, dann mögen sie einerseits mit ihrer Kritik an bestimmten Theorieansätzen (Neoklassik und dogmatischer Marxismus) recht haben, andererseits schreiben die Autoren mit ihrer Konzentration auf machttheoretische Aspekte selbst nur diejenige Dualität von Real- und nominaler Ökonomie nach, die sie bspw. Marx vorwerfen.

Obwohl Bichler/Nitzan ständig darauf verweisen, dass der Marxismus und Marx selbst eine prinzipielle und nicht nur eine analytische Trennung von Realkapital und nominalem Kapital vorgenommen hätten, nehmen sie doch im Vorfeld ihrer Analysen selbst eine genuine Aufteilung vor: Zum ersten erwähnen sie das sog. kreative/produktive Kapital, das der amerikanische Ökonom Thorstein Veblen, auf den sie sich beziehen, »industry« genannt hat; zum zweiten führen sie einen Bereich der ökonomisierten Macht ein, der in der gegenwärtigen kapitalistischen Epoche durch die nackte Form des Business und der Sabotage gekennzeichnet sei, der sog. strategic sabotage, der ganz bewussten Abwehr von gesellschaftlichen Innovationen und Inventionen rein aus Gründen der Machterhaltung. Für Veblen wie für Bichler/Nitzan gilt, dass man unter Industrie das kollektive Wissen zu verstehen hat, das im Marx’schen Sinne in etwa dem General Intellect entspricht, der hochgradig kooperativ, integriert und synchronisiert zugleich die Produktionsprozesse mit gestaltet, während im Gegensatz dazu das sog. Business keinesfalls kollektiv und gemeinschaftlich funktioniere, so sagen es jedenfalls Bichler/Nitzan, sondern dieses arbeite unter der Dominanz der großen Kapitale mit systemischer Prävention und juristischer Restriktion qua Privateigentum, operiere mit strategischer Sabotage, die permanent gesellschaftliche Demokratisierung, innovative Resonanzen und soziale Verhältnisse erschüttere oder stauche, indem als Macht der dominanten Kapitale Dissonanzen installiert und damit Prozesse der Oligopolisierung vorangetrieben würden, was in den meisten Fällen zu nicht-linearen Relationen zwischen industriellem Kapital und dem sog. Finanzbusiness führe. Eine weitere Dualisierung nehmen Bichler/Nitzan mit Mumfords Unterscheidung zwischen demokratischen Technologien und Macht-Technologien vor, wobei sie hinsichtlich der Letzteren von einer durch den Kapitalisierungs-Modus gesteuerten Megamaschine des Kapitals sprechen. Dabei konzentrieren sich die beiden Autoren mit ihrem Ansatz vor allem auf Aspekte der Kapitalmacht über … (transitive Macht, der Einflussnahme des Akteurs A auf das Handeln des Akteurs B): über die Beschäftigten, über andere Kapitale bzw. Unternehmen etc., während Formen der intransitiven selbstbezüglichen Macht oder der Foucaultschen Biomacht kaum zur Sprache kommen, die erst den sozialen Zeitraum und die jeweiligen Bezugspunkte für Handlungen, Kämpfe und gegenseitige Einflussnahmen erzeugen.

 

Literatur:
Bichler, Shimshon/Nitzan, Jonathan (2009): Capital as Power. A Study of order and creoder. Florence.
– (2013): Differenzial Accumulation. In: http://bnarchives.yorku.ca/323/03/20121200_bn_da_ft_lexicon_web.htm
Kliman, Andrew (2006): Reclaiming Marx’s »Capital«: A Refutation of the Myth of Inconsistency. Lanham.
– (2011a): The Failure of Capitalist production: Underlying Causes of the Great Recession. London.
– (2011b): Value and Crisis: Bichler & Nitzan versus Marx. In: Journal of Critical Globalisation Studie. In:
http://www.marxisthumanistinitiative.org/wp-content/uploads/2011/07/Value-and-Crisis-BN-vs.-Mx-WSS.pdf
Rosa, Hartmut (2005): Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Frankfurt/M.

 

Foto: Bernhard Weber

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