Tanz den Tanz (Ultrablack of Music 7)

»Eine Politik der Prekarität […] wird sich vom Zentrum weg bewegen müssen, niedrig fliegen und alle ihre Kräfte lateral sammeln müssen, um die zusammenfallenden Rhythmen von Tanz und Finanz zu animieren« (Martin 2015: 212). Vermutlich gibt es, wie Randy Martin ausgeführt hat, einige paradoxe Analogien von Tanz und Finanz aufzuzählen; man vergleiche das Falten und Auseinanderfalten des Körpers, seine Unvollkommenheit und Unabgeschlossenheit, mit den Teilungen und Bündelungen der Risiken des Derivats. (Derivate sind dynamisch komponierte Un-Ordnungen, die verschiedene ökonomische Eigenschaften wie Fristigkeit, Wert, Preis, Risiko, Cashflow etc. besitzen. Gerade die Effekte der Bündelung und der Tranchierung der Risiken zeigt, dass der differenzielle Handel mit Risiken dem Verhalten deterministisch chaotischer Systeme folgt, was zum Phänomen der sich verstärkenden Euphorien, Epidemien oder kumulierender Panikreaktionen führen kann, zu extrem hohen Fluktuationen oder gar Brüchen.) Tanz wie Derivat sind Momente einer verstreuten Form von Eigentum und mobilisieren eine »dezentrale soziale Kinästhetik« (ebd.). Der Tanz kann über alle Linearitäten hinaus fließen, um tanzender Überfluss und Überschuss zu werden, wie eben auch das Derivat keine abgeschlossene Entität ist, sondern in seiner Multiplizierung den Topologien gekrümmter Oberflächen ähnelt. Aber macht dies Derivat und Tanz schon gefährlich, monströs, ja zur potenziellen Kippstelle des maschinellen Kapitals?

Die Kinästhetik des Krieges, wie sie von Underground Resistance entwickelt wurde, ist hier darker, zielt direkt auf das Nervenzentrum des Kapitals und seiner Akteure, zielt auf eine neue sensorische Verfasstheit – man denke aber auch an Drum&Bass, der den ultrahektischen und stolpernden, aber dennoch präzisen Tanzschritt betont, bei dem andere Körperteile nicht ausgeschlossen sind. Überhitzte Nervensysteme und Muskelsysteme, die die Natur der Aufmerksamkeit veränderten, führten ungesunde spasmodische Verdichtungen herbei. Einzig von der Betonung ihrer dunklen, negativen Seite her wird die Musik wieder verführerisch, indem sie zugleich den Kopf seekrank macht.

Tanz wird immer mit Bewegung in Verbindung gebracht. Aber man sollte hier auch den Affekt beachten, der mit der Bewegung im Tanz nicht zusammenfällt, womit eine Unterscheidung zwischen dem Material des Körpers und seinen Expressionen getroffen werden muss. Im Tanz ist der Affekt von der Bewegung begleitet, ohne dass diese primär ist. Der Affekt ist sogar unabhängig von der Bewegung des Körpers, bleibt aber im Körper lokalisiert. Er wird interiorisiert, ja er ist innen und dies vollzieht sich im Prozess des Tanzes selbst. Entgegen der Ansicht von Eshun kann jedoch der Affekt von der Musik nicht so ohne Weiteres eingefangen werden – womit die Immersion des Publikums in den Sound prekär bleibt -, weil man im Prozess des Tanzens selbst ständig neue Relationen und Assoziationen entdeckt. Die Kinästhetik impliziert Bewegung, aber diese Bewegung ist die externe Manifestation eines internen Systems, das sensorische Kapazitäten besitzt. Die Bewegung der Körper im Landscape des Tanzes ist diejenige zwischen Interiorität und Relationalität. Und die internen Vibrationen von Körpern und Objekten gilt es in Beziehung zu den relationalen Kräften zwischen diesen Entitäten zu setzen. Es gilt den Affekt, der nicht mit Bewegung gleichzusetzen ist, im Inneren und zwischen den Entitäten zu lokalisieren. Tanzmusik ist Kinästhetik, aber sie ist auch Kopfmusik. Durch bestimmte Regeln – die Melodie ist wichtiger als die Harmonien, die Beats sind wichtiger als der Rhythmus – werden sowohl der Körper und seine Bewegung als auch die Kognition hierarchisiert. Breakbeatwissenschaft, wie sie Eshun konzipiert, soll hingegen auf schizoide Versinnlichung abzielen, auf einen intensivierten Rhythmus und die Sensation. Schon der kosmische Jazz von Sun Ra zielt auf Verstörtheit; die monströse Superfluidität seines Mischpults, die den derealisierten Sound wie den von »Hornissenschwärmen und Quasaren, von inkompatiblen Soundblöcken und Timbres, die sich aneinander aufrauen, erzeugt« (Eshun 1999: ), soll die Mustererkennungs-Kompetenzen kollabieren lassen. Dazu gehören Empfindung, Affekt und Kognition. Allerdings besitzt die Körperpolitik von Eshun einen zu starken Zug zum Techno-Naturalismus.

Fünfter Einspruch: Die Kinästhetik ist immer auch ein Gebiet, in das der militärisch-industrielle Komplex eindringt: »Vom Internet bis zu den Simulationsspielen in den Spielhallen ist die Zivilgesellschaft nichts anderes ein riesiger Forschungs- und Entwicklungszweig des Militärs« (ebd.: 101). Der militärisch-unterhaltungs-technische Komplex erzeugt sowohl Tanzräume als auch öffentliche Räume der Unsicherheit und der Katastrophen, wobei beide Räume kollektive Paranoia ausspucken. Paranoia ist die klassische Basis neofaschistischer Bewegungen. Kulturindustrie ist das Netzwerk und der Spielplatz, auf dem minderwertige Technologien freigelassen werden, um minderwertige Ideologien zu verbreiten. Das Kontinuum zwischen Fiktion und Faktum ist zu einer katastrophischen Zeitfalte implodiert (ebd.: 146).

Foto: Stefan Paulus

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