Technik-Maschine-kapital

Die meisten marxistischen Diskurse verstehen sowohl die Technologie, den logischen Diskurs um die Teleologie vollendeter Naturbeherrschung, der sich als die entscheidende Orientierung für die westlichen Naturwissenschaften erweist, als auch das technische Objekt, den praktischen Gegenstand der theoretischen Wissenschaften, als Teil der Produktivkräfte und nicht der Produktionsverhältnisse. Wobei es jedoch nicht auszuschließen ist, dass im Kapitalismus die Produktionsverhältnisse selbst zu Produktivkräften mutieren können, worauf schon Adorno hingewiesen hat.[1]

Es war Hans-Dieter Bahr, der im Anschluss an die 1968er Studentenbewegung darauf hinweist, dass in den marxistischen Technologiedebatten bestimmte philosophische Mythen andauern: Es sei das Eigentümliche des prometheischen Mythos und jeder seiner bisherigen Fortschreibungen gewesen – zu denen eben auch die meisten Schulen des Marxismus gehören – , die Technik rein als Produktivkraft erfasst und zugleich die technische Innovation in einen linear verlaufenden und ordnungsbetonten Fortschrittsdiskurs eingebunden zu haben, um selbst noch die Technologie als explosiv vorzustellen. Dies zeigt sich auch in der Ultra-Modernität des Leninismus und seiner späteren fordistischen Biopolitik, mit der er – man denke an das Wiederkäuen der Formel »Kommunismus = Sowjetmacht und Elektrifizierung« (LW 31: 513) – eine kommunistisch-utopistisch-technizistische Menschheitsproduktion biokosmischen Ausmaßes in Gang setzen wollte. (Vgl. Balibar 2013: 136)

Obgleich Lenin in seiner erkenntnistheoretischen Konzeption noch ganz dem Realismus verpflichtet bleibt, i. e. der Anerkennung der unabhängigen Existenz der Außenwelt als der primären Referenz für das diskursive Wissen, findet man bei ihm auch eine politikdominierte, präskriptive Beschreibung der Naturwissenschaften, nach der es die Aufgabe der theoretischen Wissenschaften im Sozialismus sei, die Gesetze zur Manipulation von natürlichen Objekten ganz in den Dienst der Gesellschaft zu stellen (im Gegensatz zu einer rein deskriptiven Darstellung, nach der die Gesetze der Physik aussagen, wie sich Gegenstände verhalten. Siehe dazu Schlaudt 2014a: 123). Im Zuge der Affirmation der unglücklichen Formel »Produktivkraft = Fortschritt« hat der marxistisch-leninistische Fortschrittsdiskurs auch keinerlei Probleme damit, dass das Technische (insbesondere die Maschinendiskurse der Mechanik) bzw. die Syntax der technischen Objekte sich genau dann als rational erweist, wenn die Kräfte des Technischen sich als geordnete und ordnende Relationen anzeigen. Bahr schreibt: »Das Technische ist ein Ordnungshüter par exellence. Ihr interner Diskurs zeigt sie nicht als Produktivkraft, sondern als Ordnungssystem.« (Bahr 1983: 186) Dies gilt gleichermaßen für die theoretische Mechanik wie für die Maschinendiskursivität der Kybernetik. Und dies gilt nicht zuletzt auch für die Ökonomiewissenschaften und für den Neologismus »Politische Ökonomie«, einen Begriff, der im 19.Jahrhundert exakt darauf verweist, dass dem effizienten Wirtschaften ein Ordnungssystem immanent ist, welches das Maß des Politischen inhäriert. (Vgl. Vogl 2015: 40)

Im 19. Jahrhundert erforderte die Emanzipation der Naturwissenschaften von der Tyrannis der Endlichkeit die Neugestaltung der Physik, die nun in der Lage sein sollte, den Platz der Metaphysik einzunehmen, indem sie sich der Begriffe Kraft und Energie bemächtigte, um diese in ein je schon codiertes rationales Netz des Wissens einzubinden. So erst konnte man ausdrücklich ein Axiom niederschreiben, das Michel Serres als das erste und wichtigste Axiom des 19. Jahrhunderts bezeichnet hat: »Das Reale ist rational, das Rationale ist real« (Serres 1993: 77). Und dem korrespondiert in der westlichen Philosophie das Axiom: »Das Reale ist kommunizierbar, das Kommunzierbare ist real« (vgl. Laruelle 2010c: 22). Die Aussage Laruelles bezieht sich auf das klassische philosophische Modell des medialisierten Seins, das von der Antike ausgehend bis hin zur Gegenwart immer noch prävalent ist, und für das der Gott Hermes steht, der die Dinge aus fremden Plätzen und über diese transportiert. Mit ihrer hermeneutischen Megamaschine und ihrem Nebel der semantischen Transfers hat die westliche Philosophie die Begriffe Rationalität und Wahrheit in Beziehung zu dem gesetzt, was der Möglichkeit nach verborgen ist, aber doch aufgedeckt werden muss und auch kann.[2]

Es ist davon auszugehen, dass die neuzeitliche Naturwissenschaft ihrem eigenen Gegenstand – Natur – stets in der Form von Mathematik, Diskursen und materiellen Apparaten/Maschinen gegenübertritt. (Vgl. Schlaudt 2014a: 68) Von Technologie/Technik lässt sich somit erst dann sprechen, wenn die materiell-geistige Produktion selbst schon zur Technik gereift ist. Sollte man nun, wenn man an diese Problematik anschließt, Technik und Technologie weniger als durch die Ökonomie des Kapitals konstituierte Phänomene, sondern eher als Phänomene von Industriegesellschaften definieren, wie dies Oliver Schlaudt tut, sodass von Technologie als einem spezifischen Diskurs der Naturbeherrschung unter kapitalistischen Bedingungen gesprochen werden müsste? (Schlaudt 2014b: 160) Oder gilt es auf der Position zu beharren, die besagt, dass in den Begriff des Techno-Logischen je schon die logische Rationalität des monetären Kapitals bzw. der Kapital-Macht eingeschrieben sei? (Vgl. Bahr 1970: 34)

Für Simondon oder Laruelle ist die Kapital-Macht sowohl an den Aspekt der Individuation des Denkens als auch an Technologien gekoppelt, insofern letztere eine operationale Zirkulation des Wissens ermöglichen und zugleich eine spezifische Axiomatik der Signifikation strukturieren. Und es stellt sich immer die Frage, wie ein solches System der Signifikation die Produktion/Zirkulation des Kapitals qua der technischen Objekte effektivieren kann. Simondon liefert ein Schema, das die Relation zwischen Kapital und Technologie umfassend erläutern will, um schließlich die Kapital-Macht zu de-mystifizieren. (Vgl. Simondon 2012) Für Laruelle ist der »Sinn« der Kapital-Macht je schon mit einem bestimmte Modus des Denkens verlinkt, während für Simondon ein solcher »Sinn« durch technische Invention, die selbst ein Modus des Denkens ist, mobilisiert werden kann.

Simondon lokalisiert den Ursprung der Technologie zumindest für den westlichen Okzident in der Begegnung zwischen der Technik (dem praktischen Gebrauch von verschiedenen Geräten/Maschinen) und dem Logos der theoretischen Wissenschaften. Gegenüber der Technik, die trotz ihrer engen Beziehung zum Humanen ein autonomer und automatischer Modus des Seins bleibt und damit unabhängig vom Humanen zu verstehen ist, begreift Simondon die Technologie oder Mechanik als eine durch und durch humane Konstruktion.(Ebd.) Technologie inauguriert einen generativen Code, der die Korrelation zwischen Mensch und Natur qua der »Gesetze« des Menschen strukturiert und der damit als die direkte Konsequenz der Entwicklung der menschlichen Sprache und der theoretischen Wissenschaften zu verstehen ist. Simondon behauptet weiter, dass die »Gesetze« des Menschen bisher ausschließlich der Domestizierung und der Regulierung der Natur dienten, insofern mit ihnen natürliche Phänomene beschrieben und antizipiert und die Exploitation der Arbeit vorangetrieben werden konnte; Strategien, die nur dann möglich erscheinen, wenn die Teleologie des mechanischen, linearen Fortschritts auf Dauer gestellt werden kann. Dieses Denken hat schließlich ein System hervorgebracht, das progressiv jedes Diskontinuum in das Kontinuum des Fortschritts integriert, und damit den kairos  – die aletorische Macht der Natur – verhindert, um stattdessen unentwegt die Antizipation und Effektivierung der Relationen zwischen Kapital und Technologie zu forcieren und zur gleichen Zeit die Freiheit der Technik zu reduzieren, solange bis eben eine neue technische Invention einen neuen Code erschafft. Mit Hilfe der Mathematik und der theoretischen Wissenschaften hat die menschliche Spezies den autonomen Logos der Technologie erschaffen, das heißt eine Kette von theoretischen Operationen, die es erlauben, dass ein technisches System eben effektiv funktioniert. Und dies impliziert, dass der transzendentale Nomos (Gesetz) den ökologischen Code der Korrelation (zwischen Natur und Logos) durch den ökonomischen Code (Logos und Ökonomie) ersetzt. Die Geburt der Technologie markiert für Simondon definitiv die Verschiebung der ökologischen hin zur ökonomischen Realität (inklusive des kulturellen Überbaus, der das Soziale konstituiert). Man muss das Band, das die politischen und die sozialen mit den ökonomischen Relationen verbindet, genauestens analysieren, um die (technologische) Evolution des Geldes und des Kapitals, die qua Kapitalisierung auch die Quantifizierung der menschlichen Beziehungen in Szene setzt, zu erfassen. (Ebd.) Allerdings lässt sich mit Gilbert Simondon auch eine alternative Ökologie denken, in der es zu einer beständigen Transformation von Verzweigungen und Modi der Vernetzung kommt. Und zwar als Einheit von geografischem und technischem Milieu, die Simondon kosmogeografische Vernetzung nennt.

Das Verhältnis der Spezies Mensch zur Welt ist grundlegend artifiziell und technisch, es enthält eine bestimmte Konfiguration aus ökonomischen und zusätzlich aus politischen, architektonischen, sozialen und erotischen Techniken, aus Landwirtschafts-, Informations-, Kriegstechniken etc. Weil es vielerlei Einzeltechniken gibt und jede Technik eine Mikro-Welt konfiguriert und zugleich eine bestimmte soziale Lebensform materialisiert, gibt es keine Essenz des Menschlichen zu vermelden, vielmehr bleiben die Techniken in gewisser Weise (Transindividuation bei Simondon) gegenüber dem Menschen autonom. Wie mit Simondon schon angedeutet wurde, ist es nicht in erster Linie die Technik, sondern die Technologie (in ihrem Verhältnis zum Kapital), die dem Kapital adäquat ist, ohne mit ihm vollkommen zu korrespondieren (adäquat-ohne-Korrespondenz). Und die Technologie ist keineswegs als die Vollendung der Technik zu verstehen, vielmehr forciert sie, indem sie in der letzten Instanz durch das Kapital determiniert wird, gewissermaßen auch die Enteignung des Menschen zumindest von verschiedenen alten Techniken. Technologie inhäriert die logische Systematisierung der für das Kapital effizienten Techniken und betreibt damit die Einebnung aller Welten der Alterität. Die Technologie inauguriert einen autoereferenziellen Diskurs über seinen Gegenstand, die Techniken. Genau in diesem Sinn ist das Kapital sui generis technologisch, insofern es die rentable Organisation und Operation der produktivsten Techniken forciert. Und Determination der Technologie durch das Kapital in letzter Instanz bedeutet, dass jene zur Steigerung der Produktivität, als schockartige Innovationsschübe zur Neuregulierung der Klassenkämpfe und als neue Machtechnologien eingesetzt wird. Gerade die Verbindung von neuen Informationstechnologien mit der Konstruktion neuer derivativer Finanzinstrumente zur Liquiditätsbeschaffung setzte in den USA  nach 2000 eine ökonomische Entwicklung in Gang, die dem Land wieder Wettbewerbsvorteile in der Kapitalakkumulation und -allokation gegenüber anderen frontkapitalistischen Ländern verschaffte. Dazu zitiert Detlef Hartmann den ehemaligen FED-Präsidenten Alan Greenspan: »Der Prozess der Kapital-Realallokation  wurde  durch die Geamtwirtschaft hindurch unterstützt von einer erheblichen Entfesselung (unbundling) von Risiken in Kapitalmärkten, die durch die Entwicklung innovativer Finanzprodukte ermöglicht wurden, von denen viele ihre Brauchbarkeit den Fortschritten auf dem IT-Sektor verdanken.« (Hartmann 2015: 69)

Es stimmt zwar, dass weder die Technik noch die Technologie aus der Diskursivität des monetären Kapitals unmittelbar abgeleitet werden können, und es stimmt auch, dass technische Objekte oder Maschinen als Mittel bis zu einem gewissen Maß disponibel sind, aber wenn man von der Neutralität der Techniken oder der Maschinen spricht, dann lässt sich dies doch nur auf eine spezifische Unbestimmtheit beziehen. Man kann nun fragen, in welchem Funktionsmodus die Techniken im Kontext der materiell-diskursiven Praxen  des Kapitals fungieren. (Vgl. Bahr 1983: 14) Maschinen/Techniken inhärieren in dieser Sichtweise bestimmte Zwecke. Ganz provokant kann man sagen: Technische Tatsachen sind versteinerte Zwecke, und als Mittel sind die Techniken materialisierte Zwecke des Kapitals (in der letzten Instanz). (Vgl. Schlaudt 2014a: 41) Dringend bleibt es aber geboten, gerade nicht von einer primären Rationalität der Technik auszugehen, die auf der reinen Mittel-Zweck-Relation basiert, denn zumindest sind die Zwecke auch auf die Kohärenz und Wirkungsmächtigkeit der Mittel und ihrer Produktionen hin zu befragen. Die Techniken und die Wissenschaften inhärieren je schon ganz spezifische Mittel, die wiederum von ganz spezifischen Zwecken nicht zu trennen sind; dieser Komplex wird vom Kapital (als einem sozialen Verhältnis) und seinen Imperativen (u. a. Steigerung der Produktivität) in der letzten Instanz determiniert, sodass ihm bestimmte Technologien adäquat sind (ohne dass eine direkte Korrespondenz zwischen Technologie und Kapital erforderlich ist, und diese Konstellation der Adäquanz-ohne-Korrespondenz bedarf des Axioms der Nicht-Kausalität bzw. der unilateralen Dualität).

Damit ist das Problem der disponiblen Anwendbarkeit der Technik im Rahmen einer sozio-ökonomischen-historischen Praxis, in der Schlaudt den positiven Anwendungsbereich des theoretischen Pragmatismus im Vergleich zum Realismus vermutet (ebd.: 139), längst nicht aus der Welt geschafft. Zumindest aber lässt sich damit zwei scheinbar diametral gegenüberstehenden Positionen ausweichen, wobei die erste Postion die Technik und Maschinen unter der rein instrumentellen Perspektive eines neutralen Gebrauchsgegenstandes auffasst, der vom Kapital – oder alternativ auch vom Proletariat – angeeignet werden kann, während die zweite Position die Maschinen ausschließlich als reell subsumiertes, formbestimmtes Kapital analysiert. Bahr spricht in seiner Schrift Über den Umgang mit Maschinen hingegen von der differenziellen Neutralität oder der nicht-neutralen Indifferenz der Maschinen. (Bahr 1983: 14) Geht man davon aus, dass die Techniken und/oder Maschinen heute zumeist vergegenständlichte Relationen der Rationalität des Kapitals (spezifische Gebrauchsmittelstruktur der Maschinerie) inhärieren, so ist ihre Neutralität, in die differenzielle a-signifikante Semiotiken und materielle Diskurse (des Kapitals) je schon eingeschrieben sind – und darauf ist zu insistieren – von der Determiniertheit durch das Kapital (in der letzten Instanz) nicht zu trennen.

Warum ist das so? Aus der Sicht des (marxistischen) Ökonomen bevorzugt man es, die Welt rein aus der Sicht des Kapitals zu sehen. Aus der Sicht des Technologen bevorzugt man es, die Ökonomie rein als eine Extension der Maschinerie zu begreifen. Marx hatte für dieses Dilemma anscheinend eine elegante dialektische Lösung parat: Danach würden die aktuellen Maschinen immer eine frühere und primitivere Form der Arbeitsteilung ersetzen und somit die Akkumulation des Kapitals verbessern. In dieser einfachen Art und Weise sagen uns die Maschinen immer etwas über das Kapital aus. Philip Mirowski (Mirowski 1986) hat gezeigt, wie Marx aus den zu seiner Zeit hegemonialen wissenschaftlichen Modellen gewisse Teile herausgezogen hat, um die Entstehung des Werts zu erklären, nämlich Teile aus der Thermodynamik und aus Newtons Physik. Somit habe Marx eine doppelte Messung des Werts ins Spiel gebracht; die erste basiert auf den Arbeitsstunden pro Tag, die zweite auf der im Durchschnitt sozial notwendigen, gesellschaftlich-abstrakten Arbeit. Es gibt bei Marx also eine thermodynamische (Carnot) und eine gravitationale Messung (Newton), eine metrische und eine topologische, eine, die auf der Pferdekraft, und eine, die auf einem Feld von Kräften basierte, eine eher substanzielle und eine eher relationale Messung.[3] Aber diese Parallelisierung der beiden Physiken und der zugehörigen Messungen, die schließlich über das Geld und das Kapital »synthetisiert« werden,  bleibt in ihrer spezifischen Reduktion noch ganz ungenügend.[4]

Abstraktheit, Wiederholung, Wiederholbarkeit, breiteste Anwendbarkeit und plurale Verfahren sind Charakteristisken einer Technik oder Technologie, die von vornherein in Relation zur monetären Kapitalisierung und zu den entsprechenden Produktivitäts- und Wachstumsimperativen des Kapitals stehen, die wiederum über die Mechanismen der relativen Mehrwertproduktion prozessieren. Bahr hat in seiner frühen Schreibphase schon angemerkt, dass das Einzelkapital durch den durch Konkurrenz und ihre Korrekturmechanismen vermittelten Zwang, den die relative Mehrwertproduktion im Kontext der Gesetze des Gesamtkapitals setzt, permanent zur technologischen Innovation und Investition aufgefordert wird. Das impliziert u. a. die Erfordernis, eine breit gestreute Verfahrenspluralität der Maschinen in die Produktion zu integrieren, das heißt, die Austauschbarkeit von Maschinenteilen und technologischen Konstruktionsleistungen herzustellen, wobei zu beachten ist, dass dieselben technischen Verfahren von den Unternehmen durchaus verschieden eingesetzt werden können, um differenzielle monetäre Profite zu generieren. (Bahr 1970: 79) [5]  Heute lassen sich diese Prozesse gerade auch an den technologisch-ökonomischen Entwicklungen in der Finanzindustrie nachvollziehen. Die Anwendung der Informationstechnologien führt hier zur Verwischung von Handel und Bankwesen und damit zu einem weiten Spektrum von spezialisierten Finanzdienstleistern und ihren vielfältig auf die Kunden zugeschnittenen Produkten. Die Senkung der Kosten durch jene Technologien erweitert die Größenordnung  für die Bereitstellung von  Unternehmens- und Konsumentenkrediten enorm. Neue Techniken der Kreditberechnung und der Securization vermitteln schneller denn je die Zugänge für  Haushalte und Unternehmen zu den nationalen und internationalen Kreditmärkten. (Vgl. Hartmann 2015: 79)

Es liegt nun aber auch der Verdacht nahe, dass die spezifische Konstellation – die uni-laterale Relation von Kapital und Technologie/Technik – von der ungleichzeitigen historischen Phylogenese der Maschinen nicht zu trennen ist, i. e. die historischen Datierungen der Maschinen sind nicht als synchronistisch, sondern eher als heterochronistisch zu verstehen. (Vgl. Guattari 2014: 56) So ist selbst noch das neoliberale finanzielle Kapitalregime durch bemerkenswert ungleichzeitige Patterns des Einsatzes von Techniken und selbst noch der wissenschaftlich-technologischen Entwicklung und Forschung gekennzeichnet: Auf der einen Seite haben sich die Innovationen in den Techniken der Überwachung und des digitalen Mappings, des Transports, der Logistik und der Kommunikation, der Datenerfassung und der Datenkalkulation rapide beschleunigt.[6]  Auf der anderen Seite gibt es Techniken, die in der Warenproduktion, der Landwirtschaft und der Industrie eingesetzt werden (Gentechnologie etc.) und doch über mehrere Perioden hinweg das Wachstum der Produktivität, das bisher die langen Zyklen in der kapitalistischen Wirtschaftsgeschichte ausgezeichnet hat, kaum gesteigert haben. Dies anzumerken ist durchaus wichtig, insofern die Produktivität nach wie vor ein wichtiges Maß für das Wachstum der Volkswirtschaften darstellt. Bezüglich der hier zuletzt genannten Techniken könnte man fast schon von einer technologischen Erschöpfung des Kapitals sprechen, der Erschöpfung von Relationen, die bisher die großen Sprünge im Kapitalismus gerade auch bezüglich des sozio-ökologischen Surplus ermöglicht haben. Unter zeitlichen Gesichtspunkten gilt es schließlich anzumerken, dass die dominante Temporalität des Kapitals nicht unbedingt mit der der höchsten technologischen Entwicklung koinzidieren muss; die revolutionären Politiken können sogar durch scheinbar archaische Abschnitte der Zeit passieren.

Die ungleichzeitige Entwicklung bleibt virulent, gerade wenn die anthropologisch motivierte Begriffsbestimmung der Maschinen als Instrumente, also der teleologisch und zielgerichtete Gebrauch der Produktionsmittel für fixierte menschliche Zwecke, vollkommen fragwürdig wird. Schließlich darf ein Technikdiskurs, der die Maschinen als Projektion oder Spiegelung des Leibes oder der menschlichen Kognition vorstellt, heute endgültig als erledigt gelten.[7] Weil andererseits die sozio-ökonomische Logik des Kapitals nicht unmittelbar in der Maschine, und selbst nicht in der Techno-Logie, gespiegelt wird, entsteht das Schwebende eines Diskurses, der einerseits ahnt, dass das Kapital als  soziales und zugleich logisches Verhältnis irgendwie in der Maschine anwesend ist, der aber andererseits weiterhin von der transparenten Neutralität der Maschinen oder ihrer bloßen Instrumentalität ausgeht. Vor diesem diffusen Hintergrund argumentieren selbst noch solche Marxisten, für die Politik einen zwiespältigen Charakter besitzt – virtuell und aktuell zugleich – , dass letztendlich zumindest die Technologien und Maschinen von solchen Virulenzen befreit sein sollten. So wuchert der prometheische Mythos untergründig weiter, wenn aktuell linke Akzelerationisten unter dem Rubrum »postkapitalistische Komplexitätssteigerung und Normativität« angeblich neutrale Techniken und Technologien sich zu eigen machen, indem sie sie einer gesellschaftlich emanzipatorischen Anwendung zuführen wollen. Aus dem Imperativ »Vorwärts« machen  die Akzelerationisten zugleich ein teleologisches »Hinauf«. Peter Sloterdijk hat darauf hingewiesen, dass eine Theorie, die auf einem solchen Strom des Progressivismus treibt (den die Akzelerationisten allerdings als eine eher hausbackene theoretische Leistung anbieten), mit einem Paradoxon zu kämpfen habe: Die Geschichte der technologischen Entwicklung lasse sich einfach nicht als diejenige eines (linearen) Fortschritts anschreiben, der notwendigerweise auch noch zur Emanzipation, was immer das auch sei, dränge. (Sloterdijk  2009: 588)

Von vornherein lässt sich eine, gerade auch im Marxismus oft favorisierte, technokratische Position nicht affirmieren, gemäß derer die an sich neutrale Maschinerie mit ihrer Funktion im Verwertungsprozess des Kapitals zu konfrontieren sei, wobei man von der Superfötation der verwertungsbedingten Formbestimmungen des Kapitals auszugehen habe, das heißt, dass die Verwertung des Kapitals die Struktur der Produktionmittel eben nur überforme (und den Inhalt letztendlich unberührt lasse). Damit wäre in der Tat die Logik der monetären Verwertung des Kapitals für die Gestaltung von maschinisierten Produktionsprozessen nicht zwingend konstitutiv und deshalb könnten die entsprechenden Maschinensysteme auch ohne irgendeine strukturelle Veränderung von der monetären Verwertung bzw. Kapitalisierung befreit und in einen »postindustriellen Kapitalismus« überführt werden. Diese Position übernimmt bestimmte theoretische Aspekte der leninistischen Politik der Industrialisierung in der Sowjetunion weitgehend unhinterfragt. Die diametral gegen diese Diskurse gerichtete Position der Kritischen Theorie, gegen die sich konsequenterweise auch die Angriffe des Akzelerationismus hauptsächlich richten, soll hier nicht verschwiegen werden. Im Kontext der Kritischen Theorie begreift man den Komplex theoretische Wissenschaft, Technologie und Technik häufig als vollständig durch das Kapital absorbiert, indem er selbst die Form des Kapitals reell annimmt. So hat Stefan Breuer, in der Nachfolge der Kritischen Theorie Adornos, zum Verhältnis von Ökonomie und Technik angemerkt, dass heute beide Bereiche als Momente einer Totalität zu verstehen seien, wobei diese Totalität seit dem Aufkommen der transklassischen Maschine von der Abstraktion vom Realen zur Realisierung des Abstrakten vorangeschritten sei und damit die Kluft zwischen Kapital und Technik endgültig geschlossen habe.[8] (Breuer 1992: 98ff.)

Mit all diesen noch sehr vagen Formulierungen kann sich schließlich andeuten, dass an dieser Stelle wieder die kantianische Heuristik des Als-ob ins Spiel zu bringen wäre, wenn man von den Maschinen als Materialisierung des Kapitals sprechen möchte, i. e. Maschinen würden begrifflich so konzipiert, als ob sie unmittelbarer kausaler Ausdruck der Ökonomie wären. Für den Produzenten wiederum heißt dies, dass er seine Arbeit so zu beurteilen hätte, als ob er tatsächlich die Zweckmäßigkeit seiner Produkte selbst erschaffte, während er realiter nur die Funktionen des Kapitals exekutiert. (Vgl. Bahr 1970: 66) Auch der ontologische Technikdiskurs, die theoretischen Wissenschaften und die Technologie, sofern sie glauben, die Erkenntnisinteressen des Kapitals nicht berücksichtigen zu müssen, bleiben von den von Als-ob-Bestimmungen nicht verschont, insofern hier die Bewertung der Technologie so vorgenommen wird, als ob sie keiner Kausalität oder Determination durch das Kapitals unterworfen sei. Allein mit der Einführung der Heuristik des »Als ob« in die Analyse des Technischen/Technologischen dürfte man allerdings nicht sehr viel weiterkommen, insofern hier Determination (Geltung) und Kausalität (Genesis) nicht konsistent aufeinander bezogen werden, um zu wirklich neuen Hypothesen, Deduktionen, Schlussfolgerungen und Tests auch in der Technologiedebatte zu gelangen. (Vgl. Schlaudt 2014a: 281) Es ist weiterhin davon auszugehen, dass die technischen Objekte/Technologie durch spezifische materiell-diskursive Praxen konstituiert werden, wobei diese Praxen immer auch sozio-ökonomische Praxen sind, das heißt, dass sie in der historisch heterogenen Formation »Kapitalismus« vom monetären Kapital in der letzten Instanz determiniert werden. Die materiell-diskursiven Praxen verdichten sich in Apparaten, in denen gerade heute die Verkopplung von Arbeit und Technik zu überwältigenden inhumanen Konstellationen führt, man denke etwa an die Klimawissenschaften, die aus einer Matrix von Satelliten, Computern, terrestrischen Wetterstationen, Formen der internationalen Kooperation innerhalb der Wissenschaften, vereinbarten Standards etc. besteht.

Im Postscriptum der Kontrollgesellschaften stellt Deleuze fest, dass die vielfältigen Resonanzen zwischen den sozio-ökonomischen Strukturen und den (technologischen) Maschinen, und zwar im Zwischenraum von technologischer Akzeleration und sozio-ökonomischer Transformation, heute so intensiv geworden seien, dass jeder Versuch, entweder eine unmittelbare Einheit oder eine krude Opposition von Technologie und Ökonomie begrifflich herzustellen, sich massiv in der Krise befinde. Die Relation zwischen der Ökonomie (ihren sozialen Relationen) und den maschinellen Komplexen versucht Deleuze mit der Metapher der »Dramatisierung« zu umschreiben. Die Frage, die sich hier sofort stellt, ist die, was sich mit dieser Metapher überhaupt anfangen lässt. Vielleicht lässt sich Dramatisierung in Richtung einer asymmetrischen Bestimmung der Technologie durch die Ökonomie denken (und nicht umgekehrt), unter Umständen eben im Sinne der laruelleschen Determination in der letzten Instanz und im Gegensatz etwa zu einer symmetrischen Erklärung der beiden Bereiche durch ein Drittes.

Bezüglich letzterer Position ist auf Bruno Latour zu verweisen, der mit seiner Theorie der Koproduktion von Natur,Technik und Gesellschaft einen symmetrischen Ansatz wählt, wobei er, in Anlehnung an Michel Serres, zunächst ganz allgemein von einem »schnellen Wirbel« der wechselseitigen Konstitution von Subjekt und Objekt spricht. (Vgl. Latour 1990:  163)  (Subjekt und Objekt sind durch diskursiv-materielle Praktiken konstituiert zu denken.) Wenn Latour den Begriff der Technik (Substantiv) durch das Verb »technisieren« ersetzt, wobei er anmerkt, dass »Techniken als solche nicht existieren, daß es nichts gibt, was sich philosophisch oder soziologisch als ein Objekt, ein Artefakt oder ein Stück Technik bestimmen läßt« (Latour 2002: 233), dann versucht er zunächst, Techniken als Medien und Mittler zu erfassen. Der Begriff »Mittler« bezieht sich darauf, dass sozio-ökonomische Verhältnisse sich gerade nicht eins zu eins in die Technik einschreiben können, als wäre die Technik etwa ein leeres weißes Blatt, das durch die Beschriftung seine einzig kennzeichnende Beschreibung erhalten würde. Vielmehr sieht Latour in der Technik non-humane Akteure als Mittler am Werk, »die mit der Fähigkeit begabt sind, das von ihnen Übermittelte zu übersetzen, umzudefinieren, neu zu entfalten oder aber zu verraten.« (Latour 2008: 109)  Wenn man den Begriff des Mediums in den Vordergrund stellt, dann sind Maschinen als Quasi-Objekte, wie Latour sie nennt, zu konzipieren, disponible Mittel, welche die »circumstances« genau dann vermehren, wenn man ihre Vielfältigkeit als komplexe Botschaften interpretiert. Dabei mögen die als Quasi-Objekte definierten Dinge die Eigenschaft besitzen, Medium potenzieller Ereignisse zu sein, welche nicht unbedingt von den menschlichen Akteuren abhängen, aber deren Handeln durchaus beeinflussen, sodass die Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt sich letztendlich auflöst.

So wird den technischen Objekten, die Latour keineswegs als passive Dinge begreift, ein jeweils zu bestimmendes Handlungspotenzial zugeschrieben, wobei eine Gesellschaft je schon Subjekte, Objekte und Quasi-Objekte benötigt, um eine gewisse Stabilität zu erlangen. (Ebd.: 141). Latour will mit dieser symmetrischen Position die Dualismen von Natur und Gesellschaft, Subjekt und Objekt, Technologie und Ökonomie etc. überwinden, indem er Natur und Gesellschaft in ihrer gemeinsamen historischen Dimension erschließt. Und dazu dient auch der Begriff des Kollektivs, wobei es das Kollektiv eigentlich nur im Plural gibt, und zwar in der Gestalt unvorhersehbarer Dynamiken und Verfahrensweisen, die dazu dienen, technologische Erkenntnisse zwischen Menschen und Quasi-Objekten zu versammeln. Das Verb »Versammeln« verweist in diesem Kontext nicht nur auf die praktische Tätigkeit (Technik als praktischer Gebrauch von Geräten), sondern vor allem auf die Re-Interpretation der Welt (Technologie). Im naturwissenschaftlichen Kontext entsteht jedes Faktum als ein theoretisches Artefakt im Labor und bleibt zugleich in den Zusammenhang integriert, in dem es entdeckt wurde. Latour geht hier weniger von Prozessen im sozialdeterministischen Sinn aus (Technik als geronnenes soziales Handeln oder als verdichtete Machtverhältnisse), sondern er sieht in der Technik selbst den Motor, in dem soziale Konstellationen durch die Ordnung von Akteuren und Beobachtern eine gewisse Stabilität erhalten. Technische Objekte seien deshalb immer schon mit Subjekten und Kollektiven zu konjugieren. (Ebd.: 89) Allerdings muss Latour sich ernsthaft fragen lassen, ob es die von ihm behauptete Symmetrie zwischen technischen Objekten und sozialen Akteuren so überhaupt gibt. Technische Objekte oder Dinge können gegenüber den humanen Akteuren und den sozialen Verhältnissen nicht ohne weiteres Geltungsansprüche einbringen, sind also von den Akteuren und den materiell-diskursiven Praktiken auch zu unterscheiden. Auch Forschungsgegenstände und Forschungsmittel gehören nicht derselben Kategorie der Dinge an. Forschungsmittel sind angeeignete Natur, Forschungsgegenstände nicht. (Schlaudt 2014a: 89) Schlaudt sieht in Latours ANT-Theorie den Versuch, über die Hintertür doch wieder die Positionen des erkenntnistheoretischen Realismus einzuführen, insofern Latour vergesse, dass technische Artefakte sich nur aufgrund von historisch spezifischen, materiell-diskursiven Praxen auf Fakten bezögen.[9]

Es sollte klar sein, dass in ihrer Funktion des Anzeigens von ökonomischen Verhältnissen die Maschinen keineswegs als ein direkter Ausdruck der Ökonomie zu verstehen sind, wobei gleichzeitig aber auch über jeden rein instrumentell orientierten Begriff der Maschinen als neutralen Mitteln zur Produktion hinausgedacht werden muss. Wenn Marx schreibt, dass die Maschinerie nicht identisch mit ihrem Bestehen als Kapital sei (siehe Terranova 2014: 130), dann scheint er selbst der Maschinerie gegenüber dem Kapital eine gewisse Neutralität zuzusprechen, was auch dann anklingt, wenn er von der Anwendung der Maschinerie durch das Kapital spricht, um darüber hinaus noch ihre weltgeschichtliche Potenzialität einzufordern (dem Proletariat kommt dann die welthistorische Aufgabe zu, die Kapitalisten von den Produktivkräften zu trennen). Solchermaßen würde das Verhältnis von Ökonomie und Maschinerie aber zugunsten der Autonomie der letzteren wieder simplifiziert.

Man kann zunächst festhalten, dass sich das Wesen der Technik weder in ein linear evolutionistisches (Steigerung der Potenzialitäten) noch in ein digital-dialektisches Schema (Explosion der Widersprüche des Kapitals im Kontext der Entfesselung der Produktivkräfte), noch in eines der reellen Subsumtion der Technik unter das Kapital einfügen lässt, vielmehr deuten die technischen Objekte bzw. die Maschinen zumindest eine gewisse Verstellungskunst an, wenn sie über die stumpfe Zweck-Mittel-Beziehung hinaus treiben, wobei allerdings die Maschinen durch die Technologien und die theoretischen Wissenschaften überdeterminiert sind und in der letzten Instanz durch das Kapital determiniert werden. Die technischen Maschinen sind also nicht vollkommen offen, vielmehr ist ihnen eine bestimmte technologische Strukturierung durch das Kapital als Gesamtkomplexion in der letzten Instanz eingeschrieben. Weil die Maschinen aber eben keine rein passiven Objekte darstellen, geht es um das »Einschreiben« des monetären Kapital-Verhältnisses in Relationen, die als spezifische Verkettungen von Mensch-Maschinen- und Maschinen-Maschinen-Konstellationen insistieren. So zielt die Einschrift – Einfaltung oder Einschnitt des Kapitals – von vornherein nicht auf die Maschine als Ding ab, vielmehr zeigt sie monetäre Methoden, Messungen, Algorithmen, Diagrammatiken und materiell-diskursive Praktiken inklusive ihrer Vergegenständlichung in Apparaten an – Strategien, Methoden und Apparaturen, die Einzelkapitale aufgrund der immanenten »Gesetze« des Gesamtkapitals zur Steigerung des relativen Mehrwerts notwendigerweise einsetzen müssen, um in der differenziellen Kapitalakkumulation (Konkurrenz) überhaupt bestehen zu können. Damit deutet sich zumindest an, dass ein differenzierter Technik- und Technologiebegriff zu entwickeln ist, und zwar auch in Hinsicht der komplexen Zusammensetzung und Verkettung des Maschinischen und des Technologischen selbst. Von vornherein existiert die Maschine nur in Gefügen.

Und weiter insistiert die differenzielle bzw. nicht-indifferente Neutralität oder die nicht-neutrale Indifferenz der Maschinen, von der Hans-Dieter Bahr einst sprach. (Bahr 1983:14) Hierauf rekurriert in gewisser Weise auch Bernhard Stiegler, der die Technologie als ein Pharmakon (Gift und Kur zugleich) bezeichnet, dem vergiftende (repressive) und zugleich heilsame (Möglichkeiten eröffnende) Momente zu eigen seien. (Stiegler 2012) Solch eine Qualifizierung bezieht sich bei Stiegler auf technische Kategorien, die sich per se dem Politischen öffnen, insofern die Transindividuation der technischen Anordnungen und Objekte (Simondon) dem Ökonomischen sich immer auch schon entzogen hat. Mit dem Begriff der Transindividuation, wie ihn Simondon verwendet, ist angesichts unserer postindustriellen Situation zunächst von technischen Objekten zu sprechen, deren jeweilige Elemente stets Rekursionen bilden und innere Resonanzen zueinander unterhalten, während die technischen Objekte zugleich in äußeren Resonanzen zu anderen technischen Objekten stehen, um möglicherweise als offene Maschinen die ihnen eigene Technizität in den maschinellen Ensembles ausspielen zu können. (Simondon 2012) Und wenn Hans-Joachim Lenger konstatiert, dass die medialen Technologien einen anderen Text als den des Kapitals schrieben, dann sind daran ansetzend erneut die Wechselwirkungen zwischen Ökonomie, Technik und Technik-Wissenschaft (Technologie) zu untersuchen. Es ist davon auszugehen, dass diese Relationen mit dem Begriff der Superposition (Überlagerung) erfasst werden können, insofern die Kapital-Ökonomie nach wie vor in der letzten Instanz determiniert und mittels der Strukturen des Techno-Logos die Techniken/Maschinen per se infiziert.[10] Insofern kommt das Kapital allerdings ohne den Einsatz  von  Philosophien, denen Laruelle eine onto-techno-logische Disposition zuschreibt, nicht aus.


[1] Vgl. dazu die von Hans-Georg Backhaus in einer Seminarmitschrift festgehaltenen Bemerkungen Adornos zum durchaus zwiespältigen Technikbegriff bei Marx: »Der Begriff der Technik bei Marx nicht klar. Dieser Begriff ist von Saint-Simon übernommen, ohne daß dieser seine Stellung zu den Produktionsverhältnissen durchdacht hätte. Diese sind einerseits das Fesselnde, andererseits wandeln sie sich ständig, und sie werden auch Produktivkräfte. Das ist die Problematik dieses Begriffs.« (Backhaus 1997: 512) Produktivkräfte wiederum sind Werkzeuge, Maschinen und Technologien, aber sie umfassen eben auch die Anwendung und Entwicklung eines spezifischen sozialen Wissens.

[2] An dieser Stelle ist vor allem die Totalisierung der eigenen Erklärungsansprüche der Naturwissenschaften zurückzuweisen. Hält man die Naturwissenschaften nämlich für fähig, die absolute Wahrheit auto-positional zu erlangen, so bleibt jene jeder Frage der Legitimation und Erklärbarkeit enthoben. (Vgl. Schlaudt 2014a: 14) Im primitiven Realismus greift man häufig auf die Korrespondenztheorie der Wahrheit zurück, nach der es immer zu einer Übereinstimmung von Gegenstand und Erkenntnis kommt, wobei dies voraussetzt, dass beide Bereiche als solche gegeben sind. Jedoch ist der Gegenstand, der hier vorausgesetzt wird, durch materiell-diskursive Praxen gegeben, insoweit man ihn erkennt, sodass sich schlussendlich Erkenntnis immer auch an Erkenntnis anlegen lassen muss. (Ebd.: 46) Allerdings darf dies wiederum nicht zu Etablierung eines philosophischen Korrelationismus führen, der die Welt ausschließlich für perzeptive Empfänger oder menschliche Beobachter (individuell/kollektiv) als real gegeben sieht. Zwar sind beispielsweise strittige Thesen über das Elektron im Kontext von physikalischen Experimenten per se von den sozio-ökonomischen Umständen und materiell-diskursiven Praxen und Technologien abhängig, in und mit denen diese Thesen entwickelt werden, und dennoch setzt man das Elektron n ja auch als unabhängig von der sozialen Konstruktion voraus. Es gilt damit zumindest die Ansprüche des philosophischen Kulturalismus zurückzuweisen, der die Technik in Form des ideell-funktionellen Diskurses rein normativ thematisiert, gleichwohl dieser Diskurs sich doch immer auf vorgefundene Techniken, die von den ökonomisch-historischen Gegebenheiten gar nicht zu trennen sind, beziehen muss.(Ebd: 26)

[3] Bei Deleuze/Guattari findet man Maschinen der ersten Synthesis (Wunschmaschinen) und der zweiten Synthesis (Aufzeichungsmaschinen). Diese schneiden den Strom der Wunschmaschinen und schreiben Zahlen und  Codes ein, um einen Mehrwert an Strömen zu erzielen. Immer wenn Deleuze/Guattari Maschinen der Produktion beschreiben, haben sie auch die Maschinen der Registration, der Vereinnahmung und der Regulation im Blick.

[4] Derrida hat in seiner kurzen Schrift Über das »Preislose« oder The Price is Right in der Transaktion darauf hingewiesen, dass das Verhältnis zwischen Geld und Technologie ein intrinsisches sei, und hat in diesem Zusammenhang den Begriff der Indifferenz ins Spiel gebracht. (Derrida 1999: 18f.) Indem das Geld sein Prinzip an die Stelle des Tauschs setze, beschleunige es nicht nur die Zirkulation, sondern eröffne auch einen technologischen »Raum der Indifferenz«, der sich durch Wiederholung, Wiederholbarkeit und Substitution auszeichne. Damit sei die Quantifizierung und Mathematisierung der Ökonomie und schließlich die Neutralisierung der Zeit möglich. Zeitgewinn, den die neuen Kommunikationstechnologien an den Finanzmärkten zwar ermöglichten, sei aber vor allem der Essenz des Geldes selbst als Zeit (Geld ist Zeit) zu verdanken, und deshalb seien die Bewegungsgesetze des Geldes als Kapital und die der Technologie untrennbar miteinander verbunden. Als Kapitalbewegung und mehr noch als Bewegung eines über die Ökonomie hinausschießenden Begehrens (allgemeine Ökonomie) sei das Geld eine Ökonomie der Zeit, ja ein Uhrwerk, dass die Technologien, insbesondere die Kommunikationstechnologien, präge oder forme, als seine eigene Bewegung mitreiße. In der Geformtheit der Technologie durch das Kapital liegt wohl deren Nicht-Neutralität, was allein deswegen möglich ist, weil Technologie und Technik durch dieselbe Indifferenz wie das Geld gekennzeichnet sind. Technische Objekte sind wie das Geld indifferent, wobei ihre Zeichen (Industrienormen) ähnlich sein müssen, i. e. sie zeichnen sich durch Wiederholung, Wiederholbarkeit und Ersetzbarkeit aus.

[5] Welche Problematiken sich in diesem Feld auftun können, zeigt der ökonomische Diskurs  Sraffas, der das Beispiel der Kuppelproduktion anführt, bei der in einem Produktionsprozess mehr als nur ein Produkt erzeugt wird, sodass dem Einsatz einer gegebenen Arbeitsmenge mehrere Profitraten entsprechen können, womit es immer schwieriger zu entscheiden wird, welche Technik zu einem bestimmten Zeitpunkt gerade für ein Unternehmen die kostengünstigste ist. (Vgl. Strauß 2013: 268) Die Frage der jeweiligen Technikwahl lässt sich dann über die Bestimmung eines objektiv-allgemeinen Innovationsbegriffs hinaus, der sich je schon auf die differenzielle Kapitalakkumulation und die relative Mehrwertproduktion bezieht, nur noch mit empirischen Studien beantworten.

[6] Wir haben es bezüglich der Daten mit Mappings und nicht mit Maps zu tun, weil die Kartographie nicht auf statische Maps limitiert ist, die auf Papier gedruckt oder am Computerbildschirm zu sehen sind. In den neuen Mapping-Systemen ist die Visualisierung der Daten gegenüber den räumlichen Daten-Systemen, die etwa Fakten über die sozialen Lebensverhältnisse der Bevölkerung sammeln und integrieren, in den Hintergrund getreten. Solche Innovationen samt ihren Algorithmen sind natürlich auch wichtig für die Finanzialisierung, die just-in-time Produktionssysteme und für die präventive Ausspähung jeder Art von zukünftiger Opposition.

[7] Gehlen, Habermas etc. begreifen die Technik als Organverstärkung, -ersatz und -entlastung. Dabei wird übersehen, dass die Multiplizierung der Organleistungen (von der Faust zum Stein, vom Auge zum Mikroskop) auf instrumentell unzulängliche Organe rekurrieren muss, die nur durch die Arbeit weiter ausgebildet werden können. Unzulängliche Werkzeugfunktionen der Organe, die in der Arbeitsteilung erst entstanden sind, werden in den Produkten von Arbeit aufgehoben, womit die Werkzeuge quasi subjektlos geworden sind.

[8] Im übrigen wird das Freund-Feind-Schema, das für die Apologeten des technischen Fortschritts stets dafür herhalten musste, um in der Maschine einen Verbündeten sehen zu können, anders herum auch von Ludditen benutzt, die umgekehrt die Maschine als ihren natürlichen Feind darstellen, also im selben Diskurs verbleiben, auch wenn sie nicht das Gleiche sagen. Hinsichtlich der Bestimmung des Begriffs der differenziellen Neutralität des Technischen liefert jenes Schema genau so wenig Anhaltspunkte wie das »Herr-Knecht-Schema«, in dem die Maschine zum Mittel, Ding oder Sklaven degradiert wird.

[9] Darüber hinaus ist nach den Voraussetzungen und Setzungen des Subjekt-Objekt-Verhältnisses in den Diskursen über die Maschinen selbst zu fragen. Wenn, wie Nietzsche gezeigt hat, der Subjekt-Prädikat-Struktur der Sprache ein bestimmtes Weltverständnis inhäriert, nämlich das der Ontologie von Substanz und Attribut, so kommt es mit der Prädikatisierung des Objekts »Maschine« zu einer Pseudosubjektivierung der Maschine, womit sie eine Grammatik besitzt, die letztendlich nur vom menschlichen Subjekt her gelesen werden kann. Die transzendentale Subjektivität kehrt die Maschine als das Uneigentliche hervor, und dort, wo die Maschinensysteme anfangen zu lernen und sich fortzupflanzen, muss der Kampf gegen ihre Verselbständigung mit aller Entschiedenheit geführt werden. Diese anthropologische Maschinenpolitik versucht über bestimmte Analyse- und Messverfahren wiederum auch die Kontrolle über die Menschen zu er- und behalten und bringt damit aber nur neue maschinelle Effekte hervor. (Vgl. Bahr 1983: 271) Insofern wäre Latour zumindest darin Recht zu geben, dass die Anwendung des asymmetrischen Herr-Knecht- oder Freund-Feind-Schemas, egal an welche Stelle man nun die technischen Objekte setzt, das Problem des Technischen nicht lösen kann, bringt doch gerade der Diskurs der Anthropozentrik, indem er verbissen an der Dominanz des menschlichen Subjekts festhält, seine  eigene Auflösung mit sich.

[10] Dabei hat die marxistische Technikkritik gerade diese Position kaum berührt, kurzfristig vielleicht bei Herbert Marcuse (vgl. Marcuse 1970: 127), der von der Technik als der gegenständlichen Herrschaft des Kapitals sprach, um dann doch wieder zur Definition der Maschine als einem neutralen Instrument zurückzukehren, das man politisch so oder so einsetzen könne. Bahr hingegen bestand früh darauf, dass die technische Rationalität als eine spezifische Vergegenständlichung der kapitalistischen Arbeitsteilung gedacht werden müsse. (Vgl. Bahr 1970: 75)  

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