Thomas Nails Magnum Opus “Being and Motion” – eine Sensation in materialistischer Philosophie (4)

Das Feld

Das Sein fließt und faltet sich, aber es wird auch durch ein Feld verteilt. Flows verbinden sich zu stabilen Falten, diese verknüpfen sich zu Dingen und diese werden durch ein Feld der Zirkulation arrangiert und geordnet, wobei dieses auch die flows und Falten in einem kontinuierlichen Feedback-Loop organisiert.

Das Feld der Zirkulation ist selbst ein singulärer und kontinuierlicher flow, der für jede Periode auf seiner Oberfläche einen kinetischen Vektor besitzt, i.e. einen Pfad der Zirkulation zur Verfügung stellt, der Falten zusammenfügt und ihre regionale Distribution organisiert. Während die Konjunktion mehrere Falten verbindet, fügt das Feld schon verbundene Falten zusammen, ist aber selbst keine Falte, vielmehr ist das Feld ein ordnender und verbindender flow, der durch alle Falten fließt und sich ständig wiederholt. Während die Falten Persistenz ermöglichen, erlauben die Felder den Konjunktionen der Falten, dass sie verteilt werden.

Somit ist das Feld der Zirkulation eine kinetische Bedingung für geordnete Verteilung von Bewegung. Die Bewegung der Zirkulation durch das Feld sichert die Bedingungen, mit denen eine Relation oder Ordnung zwischen zwei oder mehreren Falten durch Wiederholung persistieren kann. Unabhängig von den flows, die sie konstituieren, haben die Felder keine transzendente Realität. Deshalb ist das Feld der Zirkulation immanent und kontinuierlich zu den Falten, die es auch konstituieren, i.e. die kinetische Bedingung ist immanent zu dem, was sie bedingt.

Ein Feld ist kein Ding und hat damit unabhängig von den sensiblen Falten, die es komponieren, selbst keine sensiblen Qualitäten. Das Feld der Zirkulation ist der kontinuierliche Flow, der die Dinge durchquert, sie zusammen fügt, sie ordnet und in Relation bringt, sie im Verhältnis zueinander ordnet. Somit sind flow, Falte und Feld immer in einer kontinuierlichen Bewegung. Und dies nennt Nail die „Inkapazität des Feldes“. Dies im zweifachen Sinne, einerseits hat die Zirkulation keine eigenen affektiven Kapazitäten oder Qualitäten, andererseits besitzt es seine Kapazitäten nur in und durch seine konstituierenden Falten. Das Feld ist ein positives und immanentes Erzeugen von Ordnung, das vollkommen kontinuierlich ist, mit dem was es ordnet, i.e. eine kinetische Relation zwischen Dingen, dass diese ordnet, aber selbst kein Ding ist, das heißt, es ist die kollektive Kapazität der Dinge, die selbst keine Kapazität oder ein Ding ist, womit das Feld eine Inkapazität oder ein Nicht-Ding ist.

Alles bewegt sich, aber nicht als Totalität, sondern als unendliche Summe. Somit gibt es auch eine Unendlichkeit der Punkte, durch die die relative und reale Bewegung gemessen werden kann. Dabei bewegen sich die Falten in ihrem Feld der Zirkulation differenziell. Ein Differenzial ist der Grad der Bewegung relativ zu der Bewegung des Feldes, in dem etwas sich bewegt, das heißt, relativ zu dem Differenzial bewegt sich auch eine Falte mehr oder weniger zu den benachbarten Falten. Ein Differenzial ist somit die relative kinetische Differenz zwischen Falten, wobei das Feld der Background-Flow oder eine kontinuierliche Funktion ist, in der die Differenziale relationiert sind. Die Bewegung relativiert Raum und Zeit und das wusste schon Einstein. Das Differenzial ist somit eine Differenz des Grades der Bewegung in Relation zu einem gegebenen Feld. Und dieses wiederum ist der relativ immobile Background oder die Oberfläche, von der aus die verschiedenen Differenziale gemessen werden können. Das Feld ist damit eine Null-Bewegung relativ zu dem Rest der Bewegungen auf ihm. Ein Feld der Zirkulation benötigt zumindest zwei Falten sowie eine Relation zwischen ihnen, sodass der flow der einen kinetisch relativ zum flow der anderen ist. Dies ermöglicht die Messung ihres Differenzials auf der Basis eine singulären kontinuierlichen flows, der sie zusammenfügt, dem des Feldes.

Wenn jede Falte und jeder Kreislauf einen Grad der Bewegung hat, dann steht jedes Auftreten einer Falte in Relation zu anderen Falten und es besteht eine Ko-Erscheinung von Falten in einem Feld der Zirkulation, was Nail „Kinomena“ nennt. Diese unterscheidet sich von einem Phänomen, insofern letzteres das ist, was als Bewusstsein erscheint, wobei Phänomene nur in Relation zum Bewusstsein sind. Sie sind lediglich statische Repräsentationen der Bewegung, immobil, eingefroren und fixiert. Nail resümiert an dieser Stelle: Solange die Bewegung etwas für das Bewusstsein bleibt und nicht das Feature eines materiellen Bewusstseins, bliebt die Phänomenologie immer das Grab für immobile Formen.

Kinomena werden durch ihre Relationen definiert, die immer konstitutiv sind, und das bedeutet, dass Falten, die durch ein kontinuierliches Feld verbunden sind, nichts als Falten in diesem Feld sind. Dabei sind die kinetischen Relationen wieder extensiv oder intensiv. Die Theorie der kinetischen Relation verbietet essenzielle Relationen, bei denn die Relata den Relationen vorausgehen. Kinomena werden aber nicht nur durch ihre Relationen im Feld der Zirkulation, in dem sie als Differenziale erscheinen, definiert, sondern auch in ihrem Verhältnis zu anderen Kinomena.

In einem Feld gibt es limitierte und nicht-limitierte Kreuzungen, erstere erscheinen dann, wenn flows in einem Feld auseinanderdriften oder in ein anderes Feld eindringen. Deshalb gibt es Eingangs- und Ausgangs-Kreuzungen. Jede limitierte Kreuzung oder Grenze wird durch drei Operationen definiert: Eine Expansion nach Außen, eine Befestigung nach Innen und eine Re-Zirkulation. In diesem Sinne ist die Zirkulation sowohl Innen als auch Außen, sie ist eine Mannigfaltigkeit bzw. ein komplizierter Prozess, der ein gefaltetes System von relativen Innen und Außen kreiert, ohne dass es absolute Inklusionen und Exklusionen gäbe. Die Zirkulation ist zudem der Versuch, den Ab-Fall zu recyclen und neu in ein relativ stabiles Feld von Ordnung zu verteilen, was die Entropie keineswegs ausschließt, aber die Dinge mehr oder weniger re-arrangiert. Ein soziales, ökologisches oder ökonomisches System ist damit eine Zirkulation von flows durch multiple Falten in einem Netzwerk, eine dynamische Stabilität oder ein kollektiver Trajektor, so etwas wie eine Überfaltung, die verbundene Serien von Falten zu sich selbst in einer bestimmten Ordnung zurück bindet.

Dabei können sich Felder wiederum auf Grundlage ihrer geteilten flows und Falten zu kleineren oder größeren Ordnungen von Knoten verbinden, womit ein Knoten nichts weiter als der Schnittpunkt von zwei oder mehreren Feldern bei zwei oder mehreren selben Falten oder Verbindungen ist. Das Verknoten ermöglicht den kontinuierlichen Schnittpunkt der komponierten Felder der Zirkulation. In jedem kinetischen Knoten bleibt das Feld distinkt, aber wird auch in und mit anderen Feldern verbunden, sodass eine Serie von kollektiven Quantitäten und Qualitäten möglich wird.

Das Verknoten enthält die Emergenz eines dritten Feldes zwischen zwei sich überlappenden Feldern, eines dritte Distribution von Falten, die von zwei verschiedenen Feldern geteilt werden, aber eben distinkt von diesen sind. Womit Knoten der praktische Effekt eines kinetischen Überfaltens sind. Knoten sind damit keine Interaktion zwischen zwei individuell verschiedenen Feldern, sondern ihre gegenseitige Transformation, wobei der Knoten ein singuläres Feld mit zwei oder mehreren Dimensionen wird. Nail veranschaulicht dies wieder an der Bewegung des Zapatismo.

Im Gegensatz zur mathematischen Topologie ist der Knoten kein geschlossener Loop, sondern ein offener Loop, der in der Mitte eines flows, der keinen Anfang und kein Ende besitzt, erscheint. Durch ihre Schnittpunkte und Bifurkationen werden die Knoten definiert. Dabei können sich Knoten auch entknoten, und zwar destruktiv, expandierend, von Fall zu Fall und konstruktiv.

Ganz im Rahmen seiner Theorie macht dann Nail zuletzt vier historische kinotopologische Typen von Feldern aus, nämlich zentripetale, zentrifugale, tensionale und elastische Felder. Das erste Feld wird durch seine zentripetale Bewegung definiert, die von der Peripherie hin zum Zentrum verläuft, ohne dass dabei notwendigerweise auch ein Zentrum entsteht. Umgekehrt bewegen sich zentrifugale Felder vom Zentrum zur Peripherie, die eine Rotation von Bewegung um das Zentrum herum ermöglicht. Tensionale Felder verknüpfen ihre Falten und Kreisläufe durch ein rigides System von links, die die Falten verbinden und auseinander halten. Im Gegensatz zu tensionalen Feldern sind die elastischen Verknüpfungen flexibel und erlauben es dem Feld zu oszillieren, zu expandieren und sich zusammen zu ziehen, ohne sich aufzulösen.

Im nächsten Teil kommen wir zum zweiten Buch, in dem Nail vier historische Regime der Bewegung ausmacht, denen vier Konstruktionen einer ontologischen Praxis korrespondieren.

Foto: Sylvia John

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