Thomas Nails “Marx in Motion” (4)

Deshalb gilt auch darauf hinzuweisen, welche ko-primäre Rolle die primitive Akkumulation oder die direkte Aneignung als versteckter kinetischer Support für die interne und die externe Bewegung des Werts besitzen. Hierzu schreibt zum Beispiel Winfried Wolf: „Es gibt auch Versuche der Berechnung aller kolonialen Profite, die in Europa in den gesamten Kapitalstock am Beginn der industriellen Revolution flossen. Es geht dabei um die erwähnten Gewinne aus dem Raub und Import der Edelmetalle, um die Gewinne aus dem Sklavenhandel, um die Gewinne, die die Niederländer aus Indonesien herausholten und um den Gewinn, den England aus der Ausplünderung Indiens bezog. Dies summierend schreibt Ernest Mandel: „Wenn wir diese Summen addieren, erhalten wir mehr als eine Milliarde Goldpfund, das heißt, mehr als den Wert des gesamten Anlagekapitals in allen europäischen Industrienationen um das Jahr 1800. Das Hineinfließen dieser riesigen Kapitalmassen in die Handelsnationen Europas zwischen dem 16. und dem Ende des 18. Jahrhunderts schuf nicht nur eine günstige Atmosphäre für Kapitalinvestitionen und ´Unternehmergeist´, es finanzierte in vielen nachweisbaren Fällen direkt große Manufaktur und Fabrikgründungen, die mit den Anstoß zur industriellen Revolution gaben.“

Die Entwicklung der Wertformen bei Marx, von der einfachen über die erweiterte bis hin zur allgemeinen Wertform und zum Geld versucht Nail als eine kontinuierliche Bewegung nachzuzeichnen, die sich in vier zusammenhängenden Formen der Bewegung entfaltet. Zurecht verweist Nail hier auf den Term „Ausdruck“ bei Marx. Die einfach gefaltete Bewegung drückt dann den Wert durch das Entfalten aus (einfache Wertform). Da die Ware selbst zweifach gefaltet ist (Gebrauchswert und Tauschwert) kann sie mit anderen Waren in vierfacher Weise in Kontakt treten, als Qualität zu einer Qualität, als Qualität zu einer Quantität, als Quantität zu einer Qualität und als Quantität zu einer Quantität. Dies bezeichnet Nail als die vierfach gefaltete Wertform, die alle anderen Wertformen definiert. Die erste Wertform enthält zwei Waren, die aktiv aufeinander bezogen sind, wie etwa die relative Wertform und die Äquivalentform. Nail spricht hier nicht von der Interaktion der Waren, sondern von einer Intra-Aktion, die sie durch ihre kinetische Relation bekommen. Die Existenz der Waren hängt für Nail von der praktischen, sensuellen Orientierung im Raum und qua Bewegung ab, ansonsten funktioniert seine Analyse nicht.

Die Waren müssen, so Marx selbst, in Relation gebracht werden, wobei die erste Ware in der relativen Wertform die zweite Ware, die sich in der Äquivalentform befindet, so „behandelt“, als ob sie als einzige Qualität besäße, den Wert der ersten Ware auszudrücken, ja deren Wert zu sein. Und wenn dem so ist, dann wird die erste Ware so behandelt, als hätte sie keine anderen Qualitäten als eine Dauer von Arbeit zu sein, die der Dauer der Arbeit, die für die zweite Ware aufgebraucht wird, äquivalent ist. Nail kommt hier schnell auf das Dritte, das die Waren miteinander vergleicht zu sprechen: Arbeit/Arbeitszeit. Wir hatten oben schon angesprochen, dass darin das Problem eines infiniten Regresses versteckt liegt.

Der Wert wiederum ist seiner Bewegung durch den materiellen Austausch immanent, wobei die fluide Arbeit selbst keinen Wert besitzt, sondern die Bedingung für den Tausch von Waren ist (sie schafft Wert). Der Wert ist ein realer, materieller und kinetischer Prozess der Intra-Aktion und kann damit nicht dem diskreten Objekt zugeordnet werden. Es stellt sich hier dann wirklich die Frage: Ist der Wert eine reale Größe (Wertsubstanzmetaphysik) oder ist er vielmehr eine imaginäre Größe, das Unjekt der Ökonomie, nichtsdestotrotz unverzichtbar real. Bei Nail heißt das ja und nein – nein, insofern der Wert keine Größe, sondern ein kinetischer Prozess ist, ja, insofern in der letzten Instanz der Wert die materielle Produktion unter bestimmten Bedingungen ist.

Nail kommt dann auf die Spiegel Metapher zu sprechen, wenn es etwa heißt, dass die Ware B der Spiegel für die Ware A ist, was für ihn ein kinetischer Prozess ist, den er mit den Spiegelungen des Lichts (Reflexion) vergleicht. Die Äquivalentware operiert dabei als also als Spiegel und „agiert“ so, als ob sie bloß ein passives Objekt für die aktive relative Wertform wäre. Die Falscheit der Spiegel-Metapher liegt für Nail darin, dass nicht beachtet wird, dass die Äquivalentform auch durch Bewegung produziert wird, das heißt, der Transport des Lichts zwischen Spiegel und Objekt ist ein drittes Ding, das von der relativen Wertform und der Äquivalentform auch getrennt ist. Somit können nicht nur die beiden Waren, sondern auch die vierfach gefalteten Relationen zwischen den beiden Polen ständig ihre Plätze tauschen, weil Wert für Nail durch ein ständiges Falten und Entfalten entsteht. Nail schließt, wenn die Ware A auf die Ware B antwortet, als ob sie ein Spiegel sei, dann ist das, was reflektiert wird, nicht die Ware A, sondern ein Bild der Ware A, ergo abstrakte Arbeitszeit. Das geht ein bisschen schnell und es fehlen, selbst man man den Arbeitswerttheoretikern folgen wollte, noch einige Vermittlungsschritte. Wir haben die Unmöglichkeit der Spiegel-Metapher dagegen eher auf der Ebene der Semiosen/Matheme verortet.

Wir haben dazu in Kapitalisierung BD 1 Folgendes festgestellt: „Generell wirft der Wertausdruck ja die Frage auf, ob die begriffliche Konstruktion, die darin besteht, dass die Ware A aktiv ihren Wert in der Ware B ausdrückt und über den Umweg eines Äquivalents etwas an sich selbst setzt, mit der Metapher der Spiegelung oder dem Begriff der Reflexivform wirklich zu erfassen ist. Diese Gleichsetzung der Ware A mit der Ware B (mittels der Produktion von Selbstähnlichkeit) lässt vermuten, die Ware A würde ihren Wert in der Ware B spiegeln (womit die Naturalform der Ware B in eine Reflexivform versetzt wäre), wobei Marx mit der Formulierung »Ausdruck der Ware A im Körper der Ware B« tatsächlich darauf verweist, dass die Ware A im Wertausdruck etwas expliziert bzw. ihren Wert ausdrückt, sodass die Ware B mit ihrem sekundären Gebrauchswert als etwas gilt, nämlich als »Spiegel« des Werts der Ware A. (MEGA II/6: 89) Doch diese Spiegelung schließt ein Als-ob ein, denn die Ware A tritt mit ihrem Wertsein natürlich nicht vor einen Spiegel, sondern diese Art der Spiegelung ist allein das Resultat einer formalen Bestimmung, die sich aus der Gegenüberstellung der beiden Waren ergibt. Indem die Ware A auf die Ware B als Äquivalent bezogen ist, gilt die Ware B als Wertausdruck der Ware A, wobei die Geltung in der semiotischen Dimension als Symbol zu fassen ist. Die Ware B gerät damit zum Interpretant des Werts der Ware A, nicht jedoch des Objekts A. Je nachdem, welche Position Waren innerhalb des Wertausdrucks einnehmen, schreibt Marx ihnen entweder einen aktiven oder einen passiven Modus zu; er will zeigen, dass die Ware A, die sich in der relativen Wertform befindet, an der zweiten Ware B etwas bewirkt, was außerhalb dieser Relation niemals statthaben könnte, wobei Ware B in der Reflexivform das zunächst passive Element ist, hierin jedoch als Gebrauchsgegenstand, der als Ausdruck des Werts der Ware A gilt, die Form unmittelbarer Austauschbarkeit (und damit einen Aktivitätsstatus) erlangt. »Der Ausdruck des Leinwandwerths im Rocke prägt dem Rocke selbst eine neue Form auf. In der Tat, was besagt die Werthform der Leinwand? Daß der Rock mit ihr austauschbar ist. Wie er geht oder liegt, mit Haut und Haaren, in seiner Naturalform Rock besitzt er jetzt die Form unmittelbarer Austauschbarkeit mit andrer Ware, die Form eines austauschbaren Gebrauchswerths oder Aequivalents.« (MEGA II/5: 29) (Durch die potenzielle Umkehrung ihrer Position kann die Ware B über den Umweg Ware A auch den eigenen Wert an sich ausdrücken.)“

Zurück zu Nail. Da nun jede Qualität in einer gewissen Quantität (Ware) vorkommt, muss auch die Quantität der Arbeit im Allgemeinen in einer gewissen Quantität vorkommen. Hier gilt es zunächst zu bemerken, dass Marx zwischen abstrakter Arbeit im Kapitalzusammenhang und Arbeit im Allgemeinen durchaus unterscheidet. Und Marx hat die Lehre von der Arbeitszeit als der unmittelbaren Maßeinheit des Geldes gründlich kritisiert.

Wenn das quantitative Moment der notwendig abstrakten Arbeitszeit (hier verwendet Nail nun diesen Term) konstitutiv ist, dann gilt es wieder zu bedenken, dass der Wert niemals nur von menschlicher Arbeit (die gemessen werden kann?) herrührt, sondern der Erde, der Sklaven und der Kolonien bedarf. Diese Prozesse der materiellen Produktion tauchen bei der Existenz von Waren nicht auf und haben daher keinen Wert, aber dieser untergründige metabolische Flux verändert die jeweilige Ratio von bezahlter Arbeit, die in die Waren eingeht. Das ist richtig, aber Nail müsste zudem beachten, dass lediglich die konkrete Arbeitszeit mit der Uhr gemessen werden kann und es sich dabei nicht um die gesellschaftlich notwendige abstrakte Arbeitszeit handelt, die nicht gemessen werden kann.

Für die Äquivalenz der Waren A und B müssen die jeweils eingesetzten Arbeitszeiten übereinstimmen. Für das Problem des Warenfetischs ist dann wichtig, dass der Wert hier so verhandelt wird, als ob die Qualität und Quantität der Waren A und B, die Menge der eingesetzten Arbeit sowie die metabolischen Bedingungen, die zu ihrer Produktion notwendig sind, nichts mit ihm zu tun hätten.

Wenn man nun die Äquivalenzrelation bei Marx ernst nimmt, dann handelt man sich das Problem der Begründung des ökonomischen Surplus ein, insofern der Mehrwert für Marx einer seiner zentralen Begriffe ist. Dies hat Hans-Dieter Bahr dazu motiviert, im Anschluss an die Benennung der logischen Form der Warengleichung, die dem Axiom der Äquivalenz gerecht wird, vom Mehrwert als einem Gleichnis zu sprechen, eine Metapher, die den Begriff der Gleichung sprengt, insofern wir es beim Mehrwert mit der Begegnung verschiedener Größen zu tun haben. Nail gesteht an mehreren Stellen selbst ein, dass seine kinetische Analyse bei der Explikation der Wertformen stehen bleibt und eine kinetische Analyse des Mehrwerts/Surplus noch ausstünde.

Schon bei der allgemeinen oder dritten Wertform muss es zu einer Inversion in der Bewegung des Werts kommen, insofern die Ware, in der alle anderen Waren ihren Wert darstellen (Nail spricht hier von einer einzigen habituellen Äquivalentform). als das erscheint, was den Prozess selbst, der in dem Wertformen enthalten ist, produziert. Wenn es nur einen Spiegel gibt, dann kann die gesamte Warenwelt sich selbst als Ganzes sehen, eine geteilte Welt der abstrakten Arbeit. Nail fasst zusammen: Die erste Wertform bringt eine Ware in ein Äquivalent, die zweite Wertform prägt viele Äquivalente ein und die dritte Wertform lässt ein einziges Äquivalent die gesamte Warenwelt reflektieren. Darin seien die drei kinetischen Prozesse der Teilung, Hierarchie und Reorganisation entfaltet. Und es gilt hinzuzufügen, die materielle Produktion produziert ein Produkt, das dann ein eigenes Leben gegenüber dem Produktionsprozess führt. Nail zitiert Marx, der hinsichtlich der Bewegung des Werts von einem magnetischen Feld spricht, wobei jede Seite des magnetischen Felds eine Kontinuität der anderen ist, bis schließlich die eine Ware/Geld eine Festigkeit in einem Feld des Fluxes annimmt (nicht die eines Atoms).

Nail kommt dann nur kurz auf die Geldform zu sprechen, wobei er darauf hinweist, dass das Gold den Status des Geldes schon vor dem Kapitalismus als soziale Gewohnheit erlangt hat. Für den Kapitalismus gilt allerdings: Der Wert des Geldes kommt nicht vom Gold – umgekehrt: der Wert des Goldes kommt von Geld. Nail spricht von der einfachen Wertform noch einmal als Keimform der Geldform. Wir haben dagegen unter Berücksichtigung einer vierten Wertform, die in der Endfassung des „Kapitals“ nicht mehr auftaucht, in Kapitalisierung Bd 1 geschrieben: „Die vierte Wertform verbleibt damit begrifflich ebenso unterbestimmt (sie »löst« keine Problematik) wie die einfache, die entfaltete und die allgemeine Wertform, weil es bei ihr schließlich möglich ist, dass innerhalb dieser spezifischen Syntax der Warenverkettungen prinzipiell jede Ware die Stelle des allgemeinen Äquivalents besetzt, womit alle Waren alle von der allgemeinen Äquivalentform ausschließen. Es zeigt sich nun, dass die Darstellung einer (logischen) Genese der Wertformen, die schließlich zur Geldform führen soll, wobei die Geldform in der marxistischen Diskussion häufig missverständlich mit der allgemeinen Äquivalentform gleichgesetzt wird, dieses Ziel offensichtlich nicht erreicht.“

Nail wendet sich daraufhin dem Warenfetischismus zu, den er damit erklärt, dass ein Teil der Kreation von Wert den ganzen Prozess so dominiert, als ob das einzelne Produkt/Ware der Grund des gesamten Prozesses sei, der es produziert hat. Wir überspringen das Kapitel und kommen direkt zum letzten Kapitel des Buchs, das den Titel “Kinetischer Kommunismus“ hat. Dabei ist der Kommunismus für Nail die materielle soziale Bedingung, mit der die Produktion aber nicht so behandelt wird, als ob sie von dem herrührt, was produziert wurde, sondern sie ist als ein dreifach gefalteter metabolischer Prozess zu verstehen, den der natürlichen, menschlichen und sozialen Produktion als einen Prozess der Produktion. Kommunismus sei die vollkommen transparente Kontrolle über das, was als gemessene Arbeitszeit zählt. Es kommt also auch im Kommunismus zur Messung von Arbeitszeit, aber nur insofern hier Quantitäten solche der sensuellen sozialen-natürlichen Quantitäten sind (Gebrauchswerte), Diese Messungen sind kollektiv und richten sich an den Bedürfnissen der freien Assoziation von Produzenten aus.

Abschließend lässt sich bemerken, dass Nail durch die luzide Analyse der Dissertation von Marx im Anschluss an sein eigenes Buch „Being and Motion“ das durchaus zeitgemäße Materialismus Konzept von Marx um einiges erhellt hat. Auch die Diskussion um den Begriff des Metabolismus ist weiterführend. Nun haben wir es aber gerade auch mit einem sozialen Metabolismus zu tun, bei dem die Analogiebildungen, die Nail vornimmt, wenn er die Begriffe flow, Falte und Zirkulation beispielsweise auf die Kritik der Politischen Ökonomie übertragt, nicht so recht passen wollen. Das Kapital lässt sich ausschließlich mit diesen Figuren nicht erfassen.

Marx hatte ja zumindest in Ansätzen eine Diskursivität entwickelt, die gerade nicht durch das Hinabsteigen vom Abstrakten zum Konkreten „voranschreitet“, wie dies in der marxistischen Literatur oft angenommen wird, sondern die auf begrifflichen Ebene vorangegangene Begriffskonstellationen dekonstruiert und destruiert (und neue Begriffe und deren Konstellationen erfindet). Damit zeigt der Diskurs an, dass es keine Übergange ohne Brüche und Übertragung gibt. Letztere verweist weniger auf ein tragendes Fundament, sondern darauf, dass Begriffskonstellationen anderen Begriffskonstellationen als Träger vorausgehen. Dabei sind die in den Konstellationen zirkulierenden Probleme nicht einfach als Gegenstände für das Denken vorgegeben, sie sind auch nicht das, was es zu erkennen gilt, sondern sie infiltrieren das Denken permanent und stellen es dauerhaft vor neue Probleme.

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