Als in Santiago vor einer Woche die U-Bahn-Gebühr auf den
stratosphärischen Preis von 830 Pesos [ca. 1,04 Euro, Anm. d. Ü.] stieg,
startete die unkontrollierbare studentisch-proletarische Jugend – deren
Tugend es ist, die Negation dieser Welt in der Praxis voranzutreiben
und jeden Dialog mit der Macht abzulehnen – eine Offensive zur
massenhaften Umgehung der Zugangsschranken der U-Bahn, indem sie eine
große und selbstorganisierte Bewegung des Ungehorsams entfesselte. Diese
stieß von Anfang an auf enorme Sympathie innerhalb unserer Klasse, da
die Fahrpreiserhöhungen viele Leute betreffen, zumal täglich mindestens 3
Millionen Leute die U-Bahn benutzen. Der Staat mobilisierte hunderte
von Spezialeinheiten zur Bewachung der U-Bahn-Stationen, was zu heftigen
Konfrontationen führte, bei denen hunderte Menschen verletzt und
verhaftet wurden. Am Freitag, dem 18. Oktober, kam es zu einem
einschneidenden Ereignis: Während dem Protesttag gegen die Tariferhöhung
wurden ab 15 Uhr nach und nach alle U-Bahn geschlossen, was zu einem
kompletten Stillstand führte, den man so im städtischen Nahverkehr noch
nie zuvor erlebt hatte. An jenem Tag entsprang ein Funke und die
proletarische Klasse demonstrierte ihre Macht, als sich tausende von
Menschen auf die Straße stürzten. Die Menschenmenge überrollte die
überforderten Repressionsorgane des Staates und es kam zu unerwartet
großen Unruhen im Zentrum der Stadt. Das Firmengebäude von ENEL [einem
in Chile tätigen Elektrizitätsunternehmen, Anm. d. Ü.] brannte nieder
und mehrere U-Bahn-Stationen erlitten das gleiche Schicksal. Der Staat
des Kapitals zeigte sein wahres Gesicht und erklärte den
«Ausnahmezustand». So patrouillierte das Militär zum ersten Mal seit dem
Ende der Diktatur in den Straßen. Von dieser Nacht an wird nichts mehr
so sein wie früher.
Ab Samstag Mittag kam es im Zuge einer Versammlung auf der Plaza
Italia schnell zu einer verallgemeinerten Revolte mit aufständischen
Tendenzen, die trotz der starken militärischen Präsenz auf den Straßen
jeden Winkel der Stadt erreichte. Der Aufstand verbreitete sich im
wahrsten Sinne des Wortes in jeder Stadt Chiles. Die
Topfschlag-Proteste, die Barrikaden, die Angriffe auf staatliche
Einrichtungen und die Sabotage strategischer Infrastrukturen für den
Kapitalverkehr (Mautstationen auf Autobahnen, 80 U-Bahn-Stationen wurden
teilweise zerstört und 11 vollständig zu Asche reduziert, dutzende von
abgefackelten Bussen usw.) verbreiteten sich wie ein Ölfleck. Hinzu
kamen Angriffe auf 130 Bankfilialen, 250 zerstörte Geldautomaten, die
Belagerung von Polizeiwachen und einer Militärkaserne in Iquique und –
was die herrschende Klasse am meisten irritiert hat – die Plünderung von
Supermärkten und großen Einkaufszentren.
Angesichts solch kämpferischen Szenen, die für uns ein Fest sind und
in denen sich das Proletariat selbst organisiert, um sich gegen seine
Prekarisierung zu wehren, wurde der «Ausnahmezustand» auf etwa zehn
Städte ausgedehnt, die sich dem Kampf angeschlossen haben. Zusätzlich
wurde auch auch eine «Ausgangssperre» verhängt, die mit vorgehaltener
Waffe von der Militär- und Polizeimeute durchgesetzt wird. Zurzeit sind
10.500 Mann auf den Straßen und sie haben freie Hand, um zu schießen.
Über die Plünderungen und die sofortige Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse
Das sakrosankte Privateigentum wurde von zehntausenden von
Proletarier*innen radikal in Frage gestellt, die sich in den zahlreichen
Supermärkten und großen Kaufhäusern mit allem, was sie konnten,
versorgten und die Regale leerräumten. In vielen Fällen wurden die
Filialen sogar in Brand gesteckt, was die Bourgeoisie unheimlich
verängstigte und ihre Repräsentant*innen dazu veranlasste, die Leute
aufzurufen die «kleine Gruppe von Gewalttätern und Vandalen» ohne
Vorbehalte «niederzutrampeln». Doch die Realität sieht anders aus.
Selbst wenn die Herrschenden es nicht wahrhaben wollen, handelt es sich
bei den Plünderungen nicht um eine Aktion von Minderheiten, sondern um
ein Massenphänomen, das sich mit ungeheurer Kraft verbreitet hat.
Diejenigen von uns, denen alles genommen wurde und die ständig
versuchen, irgendwie zu überleben, verschuldet, ohne die Möglichkeit
finanziell über die Runden zu kommen, haben in der Praxis erkannt, dass
wir für den Zugang du dem, was wir zur Befriedigung unserer Bedürfnisse
benötigen, nicht bezahlen müssen. Die Reproduktion des täglichen
Überlebens, die uns in der heutigen kommodifizierten Lebensweise
auferlegt wird, ist konstant der Kapitalakkumulation der Bourgeoisie
untergeordnet. All dies auf Kosten von uns Lohnarbeiter*innen, die
dieses elende Leben Tag für Tag ertragen müssen. Wir haben nichts
anderes getan, als uns das zu nehmen, was uns gehört. Wir haben uns das
zurückgeholt, was uns seit jeher das Leben raubt, und das können die
Herrschenden nicht ertragen. Kurz gesagt, die verallgemeinerte Revolte
bedeutet, unser Menschsein zu bejahen, indem wir unsere Existenz als
bloße Waren verneinen.
Die Presse: Wortführer*in und Apologet*in der Warenwelt
Die Presse hat eine grundlegende Rolle bei der Verteidigung des
«gesunden Menschenverstands» und der Kanalisierung der so genannten
«öffentlichen Meinung» gespielt. D. h. der herrschenden Logik des
kapitalistischen Systems, wo materielle Dinge im Vordergrund stehen,
denn die Produktion von Gütern zählt mehr als Menschenleben. Die Presse
inszeniert sich als die Verteidigerin der «öffentlichen Ordnung», der
«Menschenrechte», des Privateigentums und des «sozialen Friedens», um
das Massaker zu rechtfertigen, das von der Wirtschaft und den
reaktionärsten Kräften der Gesellschaft gefördert wird. Durch die
Verzerrung und/oder Verheimlichung von Informationen, die Verbreitung
von Lügen und falschen Geschichten und die Kriminalisierung der sozialen
Subversion, ist die gesamte Presse zu einer Kollaborateurin des
Staatsterrorismus geworden. Dafür müssen sie die Konsequenzen tragen. Es
folgen einige Beispiele, um dies zu erläutern:
– Die Presse verschleiert die Zahl der Mordfälle, die die
repressiven Kräfte des Staates zu verantworten haben. Zudem schweigen
sie über die zahlreichen Berichte über den «unverhältnismäßigen Einsatz
von Gewalt bei Verhaftungen, die Misshandlung von Kindern, Schläge gegen
Gesichter und Oberschenkel, Folter, das Entkleiden von Frauen und
Männern und sexuelle Erniedrigungen», die vom Nationalen Institut für
Menschenrechte veröffentlicht wurden.
– Verbreitung von Falschinformationen. Z. B., dass in einigen
Gemeinden wie La Pintana und Puente Alto kleine Bauernmärkte geplündert
wurden, was völlig falsch ist. Die Bewohner*innen dieser Gemeinden haben
in den sozialen Netzwerken und in den unabhängigen/autonomen Medien
beteuert, dass infiltrierte Polizist*innen versuchen Falschinformationen
zu verbreiten, um einen internen Konflikt innerhalb unserer Klasse zu
fördern.
– Gezielte Angstmacherei, indem sie berichten, dass Plünderungen
auch Privathaushalte und kleine Unternehmen betreffen werden. Auch wenn
es vereinzelt zu solchen Ereignissen kam, handelt es sich um Einzelfälle
die unsere Klasse entschlossen ablehnen muss.
– Unterscheidung zwischen «Bürgern» und «Kriminellen», zwischen
«friedlichen» und «gewalttätigen» Demonstranten. Solch eine Einteilung
zielt auf Spaltung ab und versucht die radikalsten Elemente der
Bewegung, also der Teil der Bewegung, der der Revolte versucht eine
antikapitalistische Richtung zu geben, zu isolieren.
– Die Presse schweigt über die Unterbrechung der Wasserversorgung,
die mehrere Gemeinden in südlichen Peripherie Santiagos direkt betrifft
und macht sich dadurch mitschuldig. «Zufälligerweise» findet die
Unterbrechung an denjenigen Orten statt, an denen die Kämpfe gegen den
Staat des Kapitals und seinen Institutionen am stärksten waren und wo
seine Autorität am stärksten verachtet wird.
Die Regierung spricht bisher von 8 Toten, aber wir wissen, dass es
viel mehr sind. Während Präsident Sebastián Piñera bekräftigt, dass «wir
gegen einen mächtigen Feind kämpfen, der nichts und niemanden
respektiert», beteuerte der verabscheuungswürdige Innenminister Andrés
Chadwick in einer kurzen Erklärung im Fernsehen, dass 7 Menschen
«gestorben» seien – und nicht durch den Staat ermordet wurden. Wir, die
Teil dieses Kampfes sind und mit Genoss*innen in verschiedenen Teilen
des Landes in Kontakt sind, wissen, dass die Toten viele mehr sind. In
den Sozialen Netzwerken und in den Gegeninformationsmedien kursieren
Videos und Fotos von Menschen, die an unterschiedlichen Orten vom
Militär und der Polizei ermordet wurden. Diese Informationen werden
mittlerweile systematisch aus dem Internet entfernt.
Laut unserer Zählung – die aufgrund der bewussten Kampagne der
Verschleierung und der Desinformation des Staats des Kapitals immer noch
nicht bestätigt wurde – gab es bis jetzt 16 Tote: 1 Person in Quinta
Normal, 2 in San Bernardo, 5 in Renca und 2 in der Gemeinde La Pintana,
getötet durch Brände inmitten von Plünderungen, 1 Person in Lampa durch
einen vorsätzlichen Angriff der Polizei, 1 Person durch Schüsse des
Militärs in Colina, 3 in der Stadt La Serena und 1 Person in der
Gemeinde Pedro Aguirre Cerda, die von der Polizei ermordet wurde. Diese
vorübergehende Zählung könnte zunehmen, denn während wir diesen Text
schreiben, gibt es, trotz der Ausgangssperre, heftige
Auseinandersetzungen mit dem Militär, den Bullen und der Zivilpolizei.
Der Generalstreik vom Montag, den 21. Oktober, und dessen Perspektiven
Morgen, Montag den 21. Oktober, hat ein vielfältiger Zusammenschluss
von Massenorganisationen zu einem Generalstreik aufgerufen, einem
ersten Generalstreik, der sehr effektiv sein könnte, weil er sich,
aufgrund des Zusammenbruchs des Verkehrssystems zumindest in der Stadt
Santiago direkt auf die Produktion auswirken kann. Der Staat tut alles,
damit die Menschen arbeiten gehen können: Die U-Bahn Linie 1 ist
teilweise in Betrieb, der Busverkehr soll ebenfalls wieder in Gang
gesetzt werden und die Bevölkerung wurde aufgefordert, sich
«solidarisch» zu zeigen, damit die Leute ihren Arbeitsplatz erreichen
können. Die Kapitalistenklasse ist nur daran interessiert, dass wir für
sie produzieren. Wir dienen lediglich der Warenproduktion und
Zirkulation und sollen die Kapitalakkumulation erhöhen. Aus diesem Grund
rufen wir dazu auf, der Arbeit fern zu bleiben und sich aktiv am Streik
zu beteiligen, so wie es die Gewerkschaft der U-Bahn-Arbeiter*innen
aufgrund der polizeilichen und militärischen Repression tut. Darüber
hinaus halten wir es für wichtig, rund um folgende Punkte zu agitieren:
– Wir dürfen nicht in gegenseitige Streitereien wegen Nahrung,
Wasser oder sonstiger Bedürfnisse verfallen. denn Teil der Strategie des
Staates, ist es uns zu spalten, um überhand zu gewinnen. Um unsere
Probleme zu lösen, müssen wir uns als Gemeinschaft organisieren. Es gibt
keinen anderen Ausweg.
– Wir müssen verhindern, dass die Parteien und die Sozialdemokratie
sich zu «Repräsentanten» der Bewegung hochstilisieren, sich den Kampf
aneignen und einen Dialog mit dem Staat führen, um das Feuer der Revolte
zu löschen und um eine Lösung des Konflikts auszuhandeln, der auf
oberflächlichen Reformen basiert, die nicht darauf abzielen, die Wurzel
unserer Probleme zu beseitigen, die uns als Klasse plagen.
– Die Bildungsinstitutionen müssen besetzen werden, um sie zu Orten
des Widerstands, der Debatte, der Begegnung und der Selbstorganisation
zu machen, Nahrung und Medizin zu sammeln und Räume für die Betreuung
unserer Verwundeten zu schaffen.
– In allen Gebieten, wo der soziale Kampf tobt, müssen
Basisversammlungen organisiert werden, um gemeinsam die Richtung der
laufenden Revolte zu bestimmen.
– Wir müssen die Freiheit der etwa 1700 Verhafteten fordern, die im Zuge der Revolte strafrechtlich verfolgt werden.
AUF ZUM GENERALSTREIK! ES GEHT UM ALLES!
LASST UNS EIN WIRKLICHES LEBEN ERKÄMPFEN!
Einige kommunistisch/anarchistische Proletarier*innen, die Teil der Revolte sind.
[Aus dem Spanischen übersetzt von eiszeit]
Zitat von achim szepanski <acs@edition-mille-plateaux.com>:
nochmals danke.
https://non.copyriot.com/trotz-brutaler-staatlicher-repression-breitet-sich-die-revolte-aus-auf-zum-generalstreik–
Am 21.10.2019 um 14:30 schrieb pepe@immerda.ch:
Als in Santiago vor einer Woche die U-Bahn Gebühr auf den stratosphärischen Preis von 830 Pesos (ca. 1,04 Euro) stieg, startete die unkontrollierbare studentisch-proletarische Jugend – deren Tugend es ist, die Negation dieser Welt praktisch voranzutreiben und jeden Dialog mit der Macht abzulehnen – eine Offensive zur massenhaften Umgehung der Zugangsschranken der U-Bahn, indem sie eine große und selbstorganisierte Bewegung des Ungehorsams entfesselte. Diese stieß von Anfang an auf enorme Sympathie innerhalb unserer Klasse, da die Fahrpreiserhöhungen viele Leute betreffen zumal täglich mindestens 3 Millionen Leute die U-Bahn benutzen. Der Staat mobilisierte hunderte von Spezialeinheiten zur Bewachung der U-Bahn Stationen, was zu heftigen Konfrontationen im U-Bahn-System führte, bei denen hunderte Menschen verletzt und verhaftet wurden. Am Freitag, den 18. Oktober, kam es zu einem einschneidenden Ereignis: Während dem Protesttag gegen die Tariferhöhung wurden ab 15:00 Uhr nach und nach alle U-Bahn geschlossen, was zu einem kompletten Stillstand führte, den man so im städtischen Nahverkehr noch nie zuvor erlebt hatte. An jenem Tag entsprang ein Funke und die proletarische Klasse demonstrierte ihre Macht, als sich tausende von Menschen auf die Straße stürzten. Die Menschenmenge überrollte die überforderten Repressionsorgane des Staates und es kam zu unerwartet großen Unruhen im Zentrum der Stadt. Das Firmengebäude von ENEL (einem in Chile tätigen Elektrizitätsunternehmen) brannte nieder, und mehrere U-Bahn-Stationen erlitten das gleiche Schicksal. Der Staat des Kapitals zeigte sein wahres Gesicht und erklärte den “Ausnahmezustand”. So patrouillierte das Militär – aufgrund eines sozialen Konflikts – zum ersten Mal seit dem Ende der Diktatur auf den Straßen. Von dieser Nacht an wird nichts mehr so sein wie früher.
Ab Samstag Mittag kam es im Zuge einer Versammlung auf der Plaza Italia schnell zu einer verallgemeinerten Revolte mit aufständischen Tendenzen, die, trotz der starken militärischen Präsenz auf den Straßen, jeden Winkel der Stadt erreichte. Der Aufstand verbreitete sich im wahren Sinne des Wortes in jeder Stadt der chilenischen Region. Die Topfschlag-Proteste, die Barrikaden, die Angriffe auf staatliche Einrichtungen und die Sabotage strategischer Infrastrukturen für den Kapitalverkehr (Mautstationen auf Autobahnen, 80 U-Bahn-Stationen wurden teilweise zerstört und 11 vollständig zu Asche reduziert, dutzende von abgefackelten Bussen usw.) verbreiteten sich wie ein Ölfleck. Hinzu kam der Angriff auf 130 Bankfilialen, 250 zerstörte Geldautomaten, die Belagerung von Polizeiwachen und einer Militärkaserne in Iquique und, was die herrschende Klasse am meisten irritiert hat, die Plünderung von Supermärkten und großen Einkaufszentren.
Angesichts solch kämpferischen Szenen, die für uns ein Fest sind und in denen sich das Proletariat selbst organisiert, um sich gegen seine Prekarisierung zu wehren, wurde der “Ausnahmezustand” auf etwa zehn Städte ausgedehnt, die sich dem Kampf angeschlossen haben. Zusätzlich wurde auch auch eine “Ausgangssperre” verhängt, die mit vorgehaltener Waffe von der Militär- und Polizeimeute durchgesetzt wird. Zurzeit sind 10.500 Mann auf den Straßen und sie haben freie Hand, um zu schießen.
Über die Plünderungen und die sofortige Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse
Das sakrosankte Privateigentum wurde von zehntausenden von Proletarier*innen radikal in Frage gestellt, die sich in den zahlreichen Supermärkten und großen Kaufhäusern mit allem, was sie konnten, versorgten und die Regale leerräumten. In vielen Fällen wurden die Filialen sogar in Brand gesteckt, was die Bourgeoisie unheimlich verängstigte und ihre Repräsentant*innen dazu veranlasste, die Leute aufzurufen die “kleine Gruppe von Gewalttätern und Vandalen” ohne Vorbehalte niederzutrampeln. Doch die Realität sieht anders aus, denn selbst wenn die Herrschenden es nicht wahrhaben wollen, handelt es sich bei den Plünderungen nicht um eine Aktion von Minderheiten, sondern um ein Massenphänomen, das sich mit ungeheurer Kraft verbreitet hat.
Diejenigen von uns, denen alles genommen wurde und die ständig versuchen irgendwie zu überleben, verschuldet, ohne die Möglichkeit finanziell über die Runden zu kommen, haben in der Praxis erkannt, dass wir für den Zugang du dem, was wir zur Befriedigung unserer Bedürfnisse benötigen, nicht bezahlen müssen. Die Reproduktion des täglichen Überlebens, das uns in der heutigen kommodifizierten Lebensweise auferlegt wird, ist konstant der Kapitalakkumulation der Bourgeoisie untergeordnet. All dies auf Kosten von uns Lohnarbeiter*innen, die dieses elende Leben Tag für Tag ertragen müssen. Wir haben nichts anderes getan, als uns das zu nehmen, was uns gehört, wir haben uns das zurückgeholt, was uns seit jeher das Leben raubt, und das können die Herrschenden nicht ertragen. Kurz gesagt, die verallgemeinerte Revolte bedeutet, unser Menschsein zu bejahen indem wir unsere Existenz als bloße Waren negieren.
Die Presse: Wortführer*in und Apologet*in der Warenwelt
Die Presse hat eine grundlegende Rolle bei der Verteidigung des “gesunden Menschenverstands” und der Kanalisierung der so genannten “öffentlichen Meinung” gespielt, d. h. der herrschenden Logik des kapitalistischen Systems, wo materielle Dinge im Vordergrund stehen, denn die Produktion von Gütern zählt mehr als Menschenleben. Die Presse inszeniert sich als die Verteidiger*in der “öffentlichen Ordnung”, der “Menschenrechte”, des Privateigentums und des “sozialen Friedens”, um das Massaker zu rechtfertigen, das von der Wirtschaft und den reaktionärsten Bereichen der Gesellschaft gefördert wird. Durch die Verzerrung und/oder Verheimlichung von Informationen, die Verbreitung von Lügen und falschen Geschichten und die Kriminalisierung der sozialen Subversion, ist die gesamte Presse zu einer Kollaborateur*in des Staatsterrorismus geworden. Dafür müssen sie die Konsequenzen tragen. Es folgen einige Beispiele, um dies zu erläutern:
– Die Presse verschleiert die Zahl der Mordfälle, die die repressiven Kräfte des Staates zu verantworten haben. Zudem schweigen sie über die zahlreichen Berichte über den “unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt bei Verhaftungen, die Misshandlung von Kindern, Schläge gegen Gesichter und Oberschenkel, Folter, das Entkleiden von Frauen und Männern und sexuelle Erniedrigungen”, wie vom Nationalen Institut für Menschenrechte betont.
– Verbreitung von Falschinformationen. Z. B., dass in einigen Gemeinden wie La Pintana und Puente Alto kleine Bauernmärkte geplündert wurden, was völlig falsch ist. Die Bewohner*innen dieser Gemeinden haben in den sozialen Netzwerken und in den unabhängigen/autonomen Medien beteuert, dass infiltrierte Polizist*innen versuchen Falschinformationen zu verbreiten, um einen internen Kampf innerhalb unserer Klasse zu fördern.
– Gezielte Angstmacherei, indem sie berichten, dass Plünderungen auch Privathaushalte und kleine Unternehmen betreffen werden. Auch wenn es vereinzelt zu solchen Ereignissen kam, handelt es sich um Einzelfälle die unsere Klasse entschlossen ablehnen muss.
– Unterscheidung zwischen “Bürgern” und “Kriminellen”, zwischen “friedlichen” und “gewalttätigen” Demonstranten. Solch eine Einteilung zielt auf Spaltung ab und versucht die radikalsten Elemente der Bewegung d. h. der Teil der Bewegung, der der Revolte versucht eine antikapitalistische Richtung zu geben, zu isolieren.
– Die Presse schweigt über die Unterbrechung der Wasserversorgung, die mehrere Gemeinden im südlichen Sektor Santiagos direkt betrifft und macht sich dadurch mitschuldig. „Zufälligerweise“ findet die Unterbrechung an denjenigen Orten statt, an denen die Kämpfe gegen den Staat des Kapitals und seinen Institutionen am stärksten waren und wo seine Autorität am stärksten verachtet wird.
Die Regierung spricht bisher von 8 Toten, aber wir wissen, dass es viel mehr sind. Während Präsident Sebastián Piñera bekräftigt, dass “wir gegen einen mächtigen Feind kämpfen, der nichts und niemanden respektiert”, beteuerte der verabscheuungswürdige Andrés Chadwick, Innenminister, in einer kurzen Erklärung im Fernsehen, dass 7 Menschen “gestorben” seien – und nicht durch den Staat ermordet wurden. Wir, die Teil dieses Kampfes sind und mit Genoss*innen in verschiedenen Teilen des Landes in Kontakt sind, wissen, dass die Toten viele mehr sind. In den Sozialen Netzwerken und in den Gegeninformationsmedien kursieren Videos und Fotos von Menschen, an unterschiedlichen Orten des Konflikts, die vom Militär und der Polizei ermordet wurden. Dieser Informationen werden mittlerweile systematisch aus dem Internet entfernt.Laut unserer Zählung – die aufgrund der bewussten Kampagne der Verschleierung und der Desinformation des Staats des Kapitals immer noch nicht bestätigt wurde – gab es bis jetzt 16 Tote: 1 Person in Quinta Normal, 2 in San Bernardo, 5 in Renca und 2 in der Gemeinde La Pintana, getötet durch Brände inmitten von Plünderungen, 1 Person in Lampa durch einen vorsätzlichen Angriff der Polizei, 1 Person durch Schüsse des Militärs in Colina, 3 in der Stadt La Serena und 1 Person in der Gemeinde Pedro Aguirre Cerda, die von der Polizei ermordet wurde. Diese vorübergehende Zählung könnte zunehmen, denn während wir diesen Text schreiben, gibt es, trotz der Ausgangssperre, heftige Auseinandersetzungen mit dem Militär, den Bullen und der Zivilpolizei.
Der Generalstreik vom Montag, den 21. Oktober, und dessen Perspektiven
Morgen, Montag den 21. Oktober, hat ein vielfältiger Zusammenschluss von Massenorganisationen zu einem Generalstreik aufgerufen, der ersten Generalstreik, der sehr effektiv sein könnte, weil er sich, aufgrund des Zusammenbruchs des Verkehrssystems, zumindest in der Stadt Santiago, direkt auf die Produktion auswirken kann. Der Staat tut alles, damit die Menschen arbeiten gehen können: Die U-Bahn Linie 1 ist teilweise in Betrieb, der Busverkehr soll ebenfalls wieder in Gang gesetzt werden und die Bevölkerung wurde aufgefordert, sich “solidarisch” zu zeigen, damit die Leute ihren Arbeitsplatz erreichen können. Die Kapitalistenklasse ist nur daran interessiert, dass wir für sie produzieren, wir dienen lediglich der Warenproduktion und Zirkulation und sollen die Kapitalakkumulation erhöhen. Aus diesem Grund rufen wir dazu auf, der Arbeit fern zu bleiben und sich aktiv am Streik zu beteiligen, so wie es die Gewerkschaft der U-Bahn Arbeiter*innen aufgrund der “polizeilicher und militärischer Repression” tut. Darüber hinaus halten wir es für wichtig, rund um folgende Punkte zu agitieren:
– Wir dürfen nicht in gegenseitige Streitereien aufgrund von Nahrung, Wasser oder sonstiger Bedürfnisse fallen, denn Teil der Strategie des Staates, ist es uns zu spalten, um die überhand zu gewinnen. Um unsere Probleme zu lösen, müssen wir uns als Gemeinschaft organisieren, es gibt keinen anderen Ausweg.– Wir müssen verhindern, dass die Parteien und die Sozialdemokratie sich zu “Repräsentanten” der Bewegung hochstilisieren, sich den Kampf aneignen und einen Dialog mit dem Staat führen, um das Feuer der Revolte zu löschen, und um eine Lösung des Konflikts auszuhandeln, der auf oberflächlichen Reformen basiert, die nicht darauf abzielen, die Wurzel unserer Probleme zu beseitigen, die uns als Klasse plagen.
– Die Bildungsinstitutionen müssen besetzen werden, um sie zu Orte des Widerstands, der Debatte, der Begegnung und der Selbstorganisation zu machen, Nahrung und Medizin zu sammeln und Räume für die Betreuung unserer Verwundeten zu schaffen.
– In allen Gebieten, wo der soziale Kampf tobt, müssen Basisversammlungen organisiert werden, um gemeinsam die Richtung der laufenden Revolte zu bestimmen.
– Wir müssen die Freiheit der etwa 1700 Verhafteten fordern, die im Zuge der Revolte strafrechtlich verfolgt werden.
AUF ZUM GENERALSTREIK! ES GEHT UM ALLES!
LASST UNS EIN WIRKLICHES LEBEN ERKÄMPFEN!
Einige kommunistisch/anarchistische Proletarier*innen, die Teil der Revolte sind.
Aus dem Spanischen übersetzt von Mariana Lautréamont