Die Übersetzung der folgenden Zeilen über den jüngsten Aufstand im Iran macht aus meiner Sicht in vielerlei Hinsicht Sinn.
Erstens weil sie nicht von einem gänzlich Außenstehenden stammt, ergo im weitesten Sinne als oral history begriffen werden kann.
Zweitens, weil Berichte über das Geschehen im Iran weitgehend Mangelware sind. Die Berichterstattung in den bürgerlichen Medien fällt im Vergleich zu den Berichten über die „Grüne Revolution“ von 2009 weitaus bescheidener aus. Hypothetisch dürfte dies sowohl etwas mit den unterschiedlichen Trägern der Revolte als auch mit der veränderten Strategie der EU Mitgliedstaaten gegenüber dem Iran zu tun haben.
Drittens, weil der Artikel zwei wesentliche Dinge anspricht, die aus meiner Sicht in der Berichterstattung über die Unruhen im Iran nicht wirklich heraus gearbeitet wurden: Zu einem ist da die Abhängigkeit der Verbreitung und der Aufrechterhaltung des Aufstandes in seiner Abhängigkeit von den sozialen Netzwerken.
Schon die Aufstände 2010ff in Nahost und Nordafrika bedienten sich dieser Kommunikationsformen in einer zuvor nicht dagewesenen Art und Weise. Die jüngsten Unruhen in HongKong wären ohne soziale Netzwerke in dieser Form wahrscheinlich gar nicht denkbar. Kleinere Staaten können sich eine längere Abschaltung des Internets aufgrund ihrer starken Abhängigkeit vom internationalen Markt gar nicht leisten, Mubaraks Ägypten z.B. gab schon nach wenigen Tagen sein Vorhaben auf, die Revolte über das Lahmlegen des Internets zu stoppen. Länder wie Iran oder auch gerade China arbeiten jedoch mit Hochdruck daran, auf das Land begrenzte Netzwerke aufzubauen, die bei Bedarf (vorübergehend) vom Rest der Welt abgekoppelt werden und somit unter der völligen Verfügungsgewalt des Staates stehen.
Ein weiteres nicht unwichtiges Detail ist die Beschreibung der taktischen Verhaltens der PKK, bzw. ihre Repräsentanten in Syrien und Iran. Ein machtpolitisches Pokern und Kollaborieren, dass schon zu Beginn des syrischen Aufstandes zu beobachten war und z. B. von der deutschen Linken völlig unkritisch nicht hinterfragt wird.
Nicht
zuletzt aber geschieht diese Übersetzung aus der Hoffnung und der
Notwendigkeit,
dass die aufständischen Strömungen sich austauschen und voneinander
lernen, jenseits linker Avantgardeansprüche
und paternalistischer
Belehrungen über die richtige Art und
Weise SICH ZU ERHEBEN.
– Ein Rückblick auf
einen Monat des Aufstands im Iran –
veröffentlicht am 9. Dezember 2019 auf Lundi Matin
In den letzten Wochen hat eine massenhafte Aufstandsbewegung den Iran in Brand gesetzt. Ihr Mangel an politischer Struktur scheint sowohl ihre Stärke als auch ihre Schwäche gewesen zu sein. Ihre Stärke, da keine Organisation den Aufstand kontrollieren und domestizieren konnte, und es den Machthabenden nicht möglich war, die Bewegung zu schwächen, indem sie ihre Führer festsetzte, so wie sie es während der ‚Grünen Revolution‘ 2009 getan hatte. Aber auch ihre Schwäche, da die Bewegung angesichts einer schnellen und heftigen Repression unkoordiniert zu bleiben schien, ohne zu diesem Zeitpunkt ihre Aktivitäten nach außen und untereinander kommunizieren zu können und nach der Unterbrechung des Internets eine koordinierte Reaktion im Iran und in der iranischen Diaspora nicht zustande kam. Ein französisch-iranischer Freund empfahl uns diesen Text und reflektiert diese Ereignisse.
„Von Teheran nach Beirut, eine einzige Revolution, die nicht ausgelöscht werden kann“ (1)
Fast zehn Jahre nach der ‚Grünen Bewegung‘ gegen den damaligen Präsidenten Ahmadinedschad erheben sich im Iran wieder einmal große Teile der Bevölkerung gegen die Regierungsmethoden des seit 40 Jahren regierenden Regimes.
Am Freitag, den 15. November 2019, nahmen nach dem willkürlichen und dramatischen Anstieg der Kraftstoffpreise mehrere hunderttausend Menschen an den Demonstrationen in rund 100 Städten teil, die Proteste erschreckten sich vom Norden bis in den Süden des Landes. Die meisten Demonstranten stammten aus der Arbeiterklasse, brennende Zapfsäulen an den Tankstellen, Hunderte von Banken, die angegriffen wurden, genauso wie die ideologischen Zentren des islamischen Regimes (religiöse Schulen und Schulungszentren für den Nachwuchs der Ayatollahs), Blockaden auf den wichtigsten Überlandstraßen, die Bewegung setzte das Land in rasender Geschwindigkeit in Brand.
Diese neue Maßnahme gegen das iranische Volk, die angeblich den am stärksten benachteiligten Haushalten zugute kommen soll, geschieht in einer Phase, in der sich die Wirtschaftskrise, die sich seit dem Embargo und der Wiedereinführung der internationalen Sanktionen durch Donald Trump noch weiter verschärft hat, immer weiter durchschlägt.. Die angebliche Umverteilung der Erlöse aus der Erhöhung der Treibstoffsteuer würde, anders als vom Regime versprochen, in Wirklichkeit nur eine sehr kleine Minderheit von Iranern betreffen. Sie würde insbesondere die ärmsten Alleinstehenden ausschließen, obwohl diese im Iran einen hohen Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmachen, und dies obwohl fast 30% der jungen Bevölkerung von der Arbeitslosigkeit betroffen sind.
Aber neben den erheblichen und unmittelbaren Auswirkungen dieser Reform auf die Lebensqualität der Iraner ist es vor allem die zunehmende Verschärfung der gesellschaftlichen Repression des islamischen Regimes seit der Revolution von 1979, die den wahren Beweggrund für den Aufstand bildet. Korruption, Entrechtung und Enteignung (2) sind im Iran alltäglich und verschärfen nur die tiefe Kluft zwischen den verschiedenen sozialen Schichten, in einem Land, in dem die Inanspruchnahme der Justiz nur den Einflussreichsten zugute kommt und in dem die Gesetzgebung selbst Kritik an der Regierung und dem Obersten Führer verbietet.
Die grausame
Unterdrückung des Aufstands erfolgte mit Unterstützung von
Ayatollah Khamenei sowohl ganz physisch durch die Armee der
Revolutionsgarden Pasdaran und die Basij-Milizen, aber
auch ganz praktisch mit einer vollständigen Blockade des
Internet-Netzwerks, die 36 Stunden nach Beginn der Revolte einsetzte,
was jede Form der Kommunikation (intern oder extern) und damit jede
Anprangerung der Gewalt der Repressionsorgane unmöglich machte.
Das die
Anwendung von Gewalt unter Einsatz von Schusswaffen, Heckenschützen,
Hubschraubern, Wasserwerfern sowie Schlagstöcken und Tränengas von
Anfang an von der Regierung genehmigt und gefördert wurde, belegen
die jüngsten Berichte von Amnesty International, die von mindestens
208 getöteten Demonstranten und 7000 Festnahmen ausgehen, während
es auf der Seite der Sicherheitskräfte nur 5 Tote gab.
Währenddessen tischen die staatlich kontrollierten Medien die Lüge
von nur insgesamt zehn Todesfällen auf.
Die Mehrheit der
Opfer stammen aus den arabischen und kurdischen Provinzen, den
ärmsten Bevölkerungsgruppen im Iran, die seit langem diskriminiert
werden, aber nicht überraschend an der vordersten Front des
Aufstands stehen. Diese Unterdrückung der iranischen Kurden wird
international selten angeprangert, wobei die PKK, die in der
kurdischen Diaspora sehr einflussreich ist, ihren Diskurs auf die
Anklage des türkischen Staates und die Notwendigkeit der
Verteidigung von Rojava (syrisches Kurdistan) konzentriert. Aufgrund
der verschiedenen Verhandlungen zwischen der PKK und dem syrischen
Regime über die Zukunft von Rojava verurteilt die PKK nicht das
Vorgehen des iranischen Verbündeten von Bashar Al-Assad, und der
PJAK, der iranische Zweig der PKK, hat seit 2012 alle offiziellen
Aktivitäten eingestellt. Da andere kurdische Organisationen keine
gleichwertigen diplomatischen Netzwerke haben, ist die Repression
gegen die Kurden im Iran sehr schlecht dokumentiert.
Der Aufstand
des iranischen Volkes, obwohl vom Regime unterdrückt, fand
Unterstützung in den von der iranischen Einmischung betroffenen
Nachbarländern, insbesondere im Libanon und im Irak, wo auf den
Demonstrationen Transparente und Slogans den Aufstand im Iran
unterstützten. Nicht zuletzt deshalb verschärfte sich der Ton des
Polizeisprechers Ahmad Nourian, als er sagte, dass die Armee
(!!) „nicht zögern würde, sich mit denen zu befassen, die
Frieden und Sicherheit stören“.
Auf der anderen
Seite gab es international wenig Medienberichterstattung über das
Ereignis oder lediglich eine formelle Verurteilung der Repressionen.
Das Weiße Haus, das davon ausgeht, dass das iranische Regime „sein
Volk im Stich gelassen “ habe, förderte natürlich die
iranische Rebellion gegen die Armut, die teilweise auch durch die
Folgen der US – Amerikanische Sanktionen ausgelöst wurde. Trumps
wirtschaftliches Interesse an der Bildung einer iranischen Regierung,
die den Vereinigten Staaten näher stehen würde als das jetzige
Regime, entlarvt sein Mitgefühl als bestenfalls heuchlerisch, ebenso
wie die Note des französische Außenministerium, die lediglich „an
das französische Engagement für die Achtung der Meinungsfreiheit
und das Recht auf friedliche Demonstration erinnert“.
Die
allmähliche Aufhebung der Blockade des Internets seit dem 23.
November wird von Demonstrationen von Anhängern des Regimes
begleitet, die von den den iranischen Behörden ausdrücklich
aufgefordert wurden, „die Plünderung von öffentlichem und
privatem Eigentum“ und „Einmischung von außen“ zu
verurteilen, was im völligen Widerspruch zur zunehmenden
Veröffentlichung von Videos und Zeugenaussagen von Zivilisten über
die Gewalt der Behörden sowie zur Offenlegung von Namen und
Portraits von Opfern aller Herkunft steht: Studenten, Passanten,
Demonstranten, Arbeiter…..
Bislang scheint der Aufstand
im Wesentlichen durch die bewaffnete Repression niedergeschlagen
worden zu sein, aufgrund der mangelnden Koordinierung zwischen den
verschiedenen sozialen Gruppen und weil jede politischen oder
gewerkschaftlichen Organisierungsansätze auf große Schwierigkeiten
stoßen, da selbige vom Regime systematisch verfolgt werden. Die
Abschaltung des Internets zu Beginn der Bewegung, das die
verschiedenen Gruppen, sowohl intern als auch extern, hätte
verbinden können, war die größte Schwächung der Bewegung.
Aber dieser
neue Wind des Protestes, der auch von der libanesischen und
irakischen Bevölkerung unterstützt wird, auch und gerade in der
Form der allgemeinen Revolte, gibt neue Hoffnung auf Veränderungen
in den Herzen einer Bevölkerung, die zu lange unter allgemeiner
Gleichgültigkeit gelitten hat.
(1) Eine Parole auf den Demonstrationen im Libanon
(2) Enteignungen im
Dienste privilegierter Funktionsträger des Regimes, so ist üblich,
dass Verwandte des Regimes ihre Beziehungen nutzen, um die Enteignung
des Bewohners eines Hauses, das ihnen die freie Sicht versperrt, zu
erreichen