Werke Band 5.1 Zeitgeist, Geisterzeit – Texte (1985-1986)

Auch diesmal hat die angebliche Liebe zur Heimat, zur Tradition, zum Brauchtum und zu den (anderen) kleinen Leuten nicht dazu geführt, daß man nun gemeinsam seine Flitterwochen an langen Holztischen in großen Festzelten feiert, um dort zu schunkeln, aus Leibeskräften »Am Brunnen vor dem Tore« zu singen, Sauerkraut zu essen, viel Bier zu trinken und dabei friedlich und fröhlich zu sein, was zwar sehr lästig, aber ebenso harmlos wäre. Auch diesmal war der erklärte Vorsatz, seine Landsleute von ganzem Herzen zu mögen – also das zu tun, woran niemand als nur man selber sich gehindert hatte – nicht als Liebeserklärung an die Landsleute gemeint, sondern als Kriegserklärung an jene zu lesen, die man als nicht zur Heimat gehörige identifizieren würde.

Im Unterschied zu früher freilich, wo man in Deutschland die Macht besaß, dem bösen Willen auch die Tat folgen zu lassen, muß man das Unglück, welches man anrichtet, nun auch selber ausbaden. Als aktionsgehemmte schlägt die von der Heimattümelei freigesetzte destruktive Energie gewissermaßen auf ihren Urheber zurück wie ein Magengeschwür, und das Resultat ist jene fortschreitende Gehirnerweichung bei den hiesigen Kulturträgern, die durch zwei beispielhafte Episoden aus dem bundesdeutschen Geistesleben illustriert werden soll.

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