Wie das Ökonomische die Flucht ins Soziopathische beschleunigt (1)

1) Mit jeder zukünftigen Generation wird die Zahl der Überzähligen, also derjenigen, die für das Kapital gänzlich nutzlos sind, höher werden. Die zukünftigen Schockstrategien in der Automation und Vernetzung – vernetzte Roboter und robotisierte Vernetzung – werden die Zahlen der Beschäftigten zumindest in den Zentren des Kapitals, aber auch in den »emerging markets » höchstwahrscheinlich sinken lassen und gleichzeitig regrediert die Arbeit tendenziell zur bezahlten oder unbezahlten Beschäftigung oder Anwesenheit in der Zeit wenn nicht zur Beschäftigungstherapie, begleitet von einer Unmenge von kreativen und/oder Bullshitjobs, angefangen vom Supermarktaufseher bis hin zu gehobenen Tätigkeiten im Management, wo man seine Zeit mit Finanzierungsanträgen, Gutachten, Evaluierungen und Meetings vertrödelt. In Zukunft wird sich die Kapitalakkumulation sich noch weniger um die Reproduktion der Arbeitskräfte, sondern um die Reproduktion der kybernetischen Systeme drehen.

2) Dass trotz des Zurückdrängens der Lohnarbeit möglichst viele in den Metropolen in der Tretmühle der Arbeit verbleiben, dafür sorgt unter anderem die Sharing Economy, mit der es gelingt, noch aus einem Gästezimmer oder einem unbenutzten Raum in einer Wohnung eine Einkommensquelle zu machen. Möglichst alles, selbst noch der recycelbare Müll, soll fortan als Einkommensquelle dienen und dafür muss jeder Aspekt des Lebens messbar und insbesondere für das Kapital gewinnbringend sein, und dies bezieht sich gerade auch auf das, was von den Lebenden noch nicht produziert erzeugt worden ist. Oft genug zeigt sich darin der nekrophile Zug des Kapitals und seiner Kulturindustrie: Erst wenn eine Sache längst tot ist, kommt sie so richtig in Mode und wird dann als zeitgenössische Singularität verkauft, womit die Retro-Industrie zum Standard wird. Wenn aber alles retro wird, ist nichts mehr retro und die Zeit wird weiß. Gewöhnliche Industrieprodukte werden mit nach Lebendigkeit ringenden Gebrauchsspuren und historischen Details im Design aufpoliert, und selbst noch der industriell hergestellte Kuchen soll schmecken wie zu Omas Zeiten. Die Zirkulation dieser hybriden Waren läuft heute insofern immer wieder auf dasselbe hinaus, als die Erzählung von der Authentizität oder Singularität der Waren gerade das verschleiert, was sie in Wahrheit sind, nämlich seriell gefertigte Wegwerfprodukte, gerade einmal dazu da, nach dem Kauf sofort wieder auf Ebay weiterverkauft zu werden. Der Diamantring an der Hand einer superreichen Frau unterscheidet sich lediglich noch durch den Preis vom Ring aus dem Kaugummiautomaten.

3) Heute ist der Beschäftigte nicht nur der Eigentümer einer Arbeitskraft, das heißt der Vermögen einer Reihe von Fähigkeiten, Qualifikationen und Potenzialen, die er auf dem Markt anbieten und vermieten kann, um damit als Produzent aufzutreten, sondern er ist als Konsument oder Kunde von Arbeit mit einem Konglomerat aus verschiedenen kleinen Kapitalsorten identisch. Er ist das kleine Kapital x, das er, so die neoliberalen Imperative, gefälligst zu steigern hat. Und somit ist er Produzent, Produkt und Verkäufer in einem und zugleich Konsument von Arbeit, eingefroren in einem einzigen Prozess, den man Leben nennt. Dabei sind die Hochleistungssportler, Künstler und Promis derzeit die Vorzeigebilder solch eines zu kapitalisierenden Lebens, dessen Selfishness sie als Merkmal ihrer Auserwähltheit vor sich her tragen.

4) Die Spekulation und Messung im ökonomischen Bereich vollziehen sich heute am effektivsten durch das Schreiben und Auspreisen von Derivaten. Die Standardauffassung der Finanzökonomie definiert den Derivatvertrag als ein Asset (Vermögenswert oder spekulatives »Investment«), dessen Wert von etwas anderem, das als Basiswert oder Underlying bezeichnet wird, abhängig ist, wobei mit dem möglichen zukünftigen Wert des Underlyings spekuliert wird. Das Derivat ist also kein Ding, das man wie ein Buch in den Händen hält. Es ist essenziell relational, ja es ist eine Relation von Relationen. Dabei ist es die Aufgabe des Spekulanten, die Volatilität des Derivats in Relation zur Volatilität des Underlyings im Lauf der zeit einzuschätzen. Bei einem Derivatvertrag »wetten« also zwei Kontrahenten darauf, was mit der Relation zwischen dem unterliegenden Asset und dem Derivat in der Zukunft passieren wird. In gewisser Weise wird auf die Relation gewettet und ein Tango mit der Zeit gespielt. Das ist aber nur insoweit wahr, als auch die Prinzipien der euklidischen Geometrie nicht immer falsch, aber eben nur manchmal wahr sind. Es wird nämlich auch mit dem zukünftigen Wert des Assets selbst spekuliert, das heißt es gibt einen Bezug des Derivats auf sich selbst, und nicht nur auf das Underlying. Das Entscheidende der Replikation des Derivats ist seine Größe und die Geschwindigkeit der Volatilität.

5) Die Kapitalisierung inhäriert den berechneten (diskontierten) gegenwärtigen Wert der in der Zukunft zu erwartenden, risikobereinigten Gewinne einer ökonomischen Einheit. Die Preise von Derivaten basieren auf den Marktkalkulationen zukünftiger monetärer und volatiler Gewinnströme, die aufgrund von Marktzinsraten und den Erwartungen der Marktakteure diskontiert werden. Oder, um es anders zu sagen, sie resultieren aus der Diskontierung der zukünftig erwarteten Gewinne mit dem aktuellen Marktzins und einem von der Qualität des Wertpapiers sowie der konjunkturellen Situation abhängigen Risikoaufschlag oder -abschlag (gewichteter Zins).

6)Auch die Finanzanlage ist eine Relation und besitzt einen materiellen Träger, in unserem Fall betrachten den Menschen. In Zukunft wird jedes Bedürfnis, jede Befriedigung und jeder Wunsch Anlass zu punktuellen und punktierten Bewertungen, Evaluationen und Rankings geben – aufgeteilt in Komponenten, die der Optimierung und der Effizienz der Vermehrung des eigenen kleinen Ich-Kapitals x unterstellt sind. Das monetarisierte Leben ist also eine Relation oder ein Spread, der ständig bewertet werden muss, oder, um es noch genauer zu sagen, es umfasst einen Basiswert, auf den ein Anlagevertrag im Hinblick auf das zukünftige Leben geschrieben und auf dessen Fluktuationen spekuliert wird. Und diese Spekulationswellen gilt es auszuhalten, mehr noch, man hat der Spekulation und ihren Vorgaben nicht nur zu folgen, man hat sie outzuperformen. Am besten wie jener Banker, der sehr zufrieden nach erfolgreichem Leerverkauf zur Toilette geht und in das ultraflache, nierenförmige Waschbecken aus Edelstahl onaniert, das kunsttechnologisch der Outperformer der Luxus-Penthouse-Kabine im 33. Stockwerk der Bank ist. Die Deutsche Bank hatte vor einigen Jahren einen Lebensversicherungsfonds im Angebot, mit dem auf die Lebenserwartung verschiedener Personen spekuliert werden konnte. Es war sogar möglich, Wetten auf den Tod anderer Menschen abzuschließen und damit Rendite einzufahren. Das Zertifikat dürfte als gegen jede Ethik verstoßend heute als überholt gelten.

Gewettet werden darf stattdessen auf die im Leben gnadenlos Erfolgreichen, die imstande sind, ihr finanzielles at-risk-Sein ohne Rücksicht auf Verluste als kleines Kapital  x zu vermehren, ökonomisch, kosmetisch, sportlich und als Emotion. Die Eliten sind es, die die Grenzen zwischen niederem und gehobenem Geschmack, zwischen U- und E-Kultur zerschlagen haben, um eine wahre Differenzmaschine der mittelmäßigen Lifestyle-Geschmacks in Gang zu setzen, der von ihren Theoretikern mit dem Modewort«Singularität« bedacht wird, als würde sich das Free-Climber-Event in seiner Authenzitätsposse tatsächlich von der Helene-Fischer-Schnulze unterscheiden, wobei es doch keinerlei Stil mehr gibt, der die Obszönität des Reichtums auch nur halbwegs verdecken oder garnieren könnte. Entstanden ist eine Authentizitätskonformität, die man durch immer neue Anstrengungen durchbrechen muss, um sie auf höherer Ebene zu etablieren, indem man ein übungstechnisch ein kompaktes Bündel von Wahnaggregaten herstellt, das an den Singularitätsmärkten gehandelt werden will ähnlich wie synthetische Derivate, die gepackt und gebündelt und daraufhin wieder geteilt werden, nur um die Rendite zu steigern. Es schlägt jetzt die Stunde des funktionalen Psychopathen, der aus dem Korsett des bisher dominanten Sozialcharakters, dem narzisstischen Infantilen, der noch die kindliche Abhängigkeit liebt, um sie mit seinem Egoismus ohne Ego zu kontern, ausbrechen will. Er ist einer, dem das System wie ein Hugo-Boss Anzug passt und wenn er dann manchmal ausflippen will, dann nur, um das System auf die Spitze zu treiben. Er ist einer, der gegenüber dem System überaffirmativ ist, aber es auch einmal auszutricksen versucht, indem er unwahrscheinlich kreativ und brutal egoman seine Exzentrität auslebt, aber letztendlich doch so leise, dass seine Übertretung der Regeln zwar dem Nächsten, aber auf keinen Fall dem System schaden darf. Das Subjekt kondoliert nun eindeutig seiner psychotischen Struktur, wie sie von Deleuze/Guattari beschrieben wird. Der funktionale Psychopath oder Soziopath deliriert in einem Stream aus bunten Mosaiksteinen, Wahnaggregaten, die mit Freiheitsdiskursen, dem Einsatz von Energie und der Erzielung von Proiten belebt werden wollen. Sein Wahn gleicht einer Fernsprechanlage mit dreizehn Smartphones. Damit kaschiert er nur die unbestreitbare Wahrheit, dass die Kapitalisierung heute jede Form der kulturellen Wertschätzung okkupiert hat, sodass noch mit der verrücktesten kulturellen Wert-Geste ein Mangel an Kapitalisierung nicht ausgeglichen werden kann. »Der Geschmack ist freilich auch in der Mittelschicht insofern befreit, als der ökonomische den kulturellen Wert so weit überflügelt hat, dass mit einer kulturellen Wert-Geste kein sozio-ökonomischer Mangel mehr ausgeglichen werden kann. Das gilt im Übrigen auch für den avancierten Teil der Pop-Kultur; durch Musik, Filme, Kleidung oder Lektüre kann niemand mehr seinen Status erhöhen.« (Metz/Seeßlen 2018: 176) Esbleibt dem funktionelle Psychopath nicht anderes übrig als sich einerseits aus Patchwork-Welten zusammensetzen, indem man die auf den hauseigenen Events ausgestellten Waren und die eigene Performance halbwegs konsistent zusammenbringt, während letztendlich doch nur die stromlinienförmige Jagd nach dem kleinen Kapital x, nach Aufstieg und Erfolg die wirkliche Aussicht auf Konsistenz gewährleistet, die aber ständig in Bewegung ist, und deshalb erst immer neu verhandelt werden muss. Die Harte Schule der Kapitalisierung setzt dem funktionalen Psychopathen unaufhörlich den Imperativ, dass er auf keinen Fall performativ verarmen darf, und sei es, dass er sich auch immer höher verschuldet, um Objekte, Zeichen und Erzählungen ähnlich wie im Kunstbetrieb als Zeichen seiner Exklusivität vor sich her zu tragen. Und die Auserwähltheit muss sich optisch auch am eigenen Körper zeigen, der mit Patchworks von nichts als teuren Accesoires behängt wird, die im Zusammenspiel mit den Operationen der plastischen Chirurgie einen neuen Lifestyle-Zombie erschaffen, der sich von den Influencern auf Instagram oder den Siegern der ubiquitären Castingshows kaum noch unterscheidet, eine Art gespenstische investive Puppe. Die Ästhetik ist jetzt auf die Performanz der Verwandlungen reduziert oder auf reine Flexibilität, bei der man durchaus auch einmal Objekte tragen darf, die trashig und hochpreisig zugleich sind (verwaschene und mit Trash aufgepeppte Jeans, die von einem bekannten Designer als Unikate geschaffen werden); das Ding muss sich lediglich an das scheinbar polyfunktionale Ich anpassen, dass in seiner Vielfältigkeit und Diversität aber eine erstaunliche Eindimensionalität und Hartnäckigkeit zu Tage treten lässt, die der Kapitalisierung des kleinen Kapitals x geschuldet ist. Dann kommt der berüchtigte homo oeconomicus doch wieder zum Vorschein und das Spielerische der Wahnaggregate erleidet unter Umständen Schiffbruch. Dann mutiert die Yacht vom Spielort diverser Party-Happenings, die sich aus einer Mischung von Kindergeburtstag, Smalltalk, Luxuspornographie und verblödete Angeberei zusammensetzen, zum militärisch-logistischen Zentrum, und nicht selten mischen sich dabei Kriminalität und Kapitalisierung niemand mehr wissen, woher das ganze Geld stammt, mit dem die Obszönität des Reichtums vorgeführt werden kann, ohne dass es wie gesagt noch ansatzweise einen Stil gibt, der diese Obszönität übertünchen könnte, und nur die sophiscated Kunst kann noch mit etwas Mühe verdecken, dass der Reichtum der Superreichen so vulgär ist wie die Ein-Euro-Ware bei Kick. Und an diese Stelle sind die Luxuswaren nicht nur Ab-fall, sondern ihr Design ver-fällt oder wird beliebig, allenfalls kann das Produkt der eigenen Subjektivierung genügen, die durchaus nicht diffus ist, sondern dem ökonomischen Preis und Aufstieg mittels medialer Produkt-Inszenierung irgendwie Sinn beimischt. Und die Sprachstile legen ein beredtes Zeugnis davon ab, während die Public-Relation-Leute ihre Bullshitjobs mit Ausdauer und Bravour meistern. Wörter und Floskeln werden als klingende Münze in Umlauf gebracht, um irgendetwas zu bedeuten oder die Dinge gar zu verdrehen. Der größte Schmutz heißt dann rein, der Kapitalist, von vornherein Arbeitgeber, bietet Jobs an, Kriege werden nur für den Frieden geführt, Videoüberwachung dient der Entlassung in die Freiheit und der Polizeistaat ist ein synonym für den Rechtsstaat.

7) Die Logik der Kapitalisierung fällt heute bezüglich des Menschen mit einer scheinbar unsichtbar regelnden Instanz, die das Leben organisiert, kontrolliert und optimiert, zusammen. Jede Äußerung, jede Transaktion, jeder Sex, jeder Austausch, jeder Chat hat monetäre Folgen, die in ein sich sich ständig veränderndes Risikoprofil eingespeist werden können, welches wiederum von komplexen Algorithmen und Datenanalysen berechnet wird. Die zunehmende Begeisterung für Rankings, Rating und das Scoring, die Quantifizierungen des Derivativen sind, betrifft heute alle Lebensbereiche.

8) Dabei verschwenden die Gebrauchswerte (als Dinge) keineswegs, sondern sie werden als Branding rund um die Welt geschickt und in Echtzeit monetarisiert. Bezogen auf das Leben heißt das, dass sein Tauschwert sich tendenziell nicht mehr von seiner materiellen Existenz unterscheidet und zugleich in eine Relation und schließlich in eine Finanzanlage transformiert, das die Zukunft des materiellen Dings Leben kapitalisiert. Dies gilt zumindest für die eher privilegierten Bevölkerungsteile in den Wohlfühloasen des Kapitals, die es gewohnt sind den Globus zu bewohnen, während große Teile eines vegtierenden Proletariats in den Peripherien, aber auch zum Teil auch schon in den Kernzonen des Kapitals gnadenlos an ihren Plätzen, Wohnungen ausgestattet mit digitalen Konsolen, welche am Flachbildschirm einen Blick auf die Welt ermöglichen, gefesselt sind. Tag und Nacht sucht ein Heer von Spürhunden, das heißt die Analysten der Versicherungen, Banken und anderen privaten Unternehmen weltweit nach verborgenen Quellen, die auf die zukünftige Vermehrung von Aspekten des Lebens verweisen und monetarisiert werden können, und bisher in dem Derivatwert einer Person noch nicht reflektiert sind. Der Lebenswert schmiegt an den Logos des Derivats, das man auf die Umgebung der Person und auf diese selbst bezieht. Dabei wird der Unterschied zwischen kleinem Kapital x und der Person zunehmend ausgelöscht, insofern das Leben insgesamt auf die Monetarisierung ausgerichtet wird, auf die Transformation einer sozialen Angelegenheit in eine Maschine zur Verwertung des kleinen Kapitals x. Der Lebensprofit wird nun direkt an die derivative Profitlogik des Kapitals gebunden. Dabei muss, um die Differenzen im sozialen Feld zu visualisieren, eine mediale Verachtungsmaschine in Gang gesetzt werden, die auf die Verarmten, die Prolls, die Migranten und Flüchtlinge abzielt, sie als Ungeziefer und Abgehängte konstruiert. Der funktionale Psychopath, der noch von sozial Abgehängten bewundert wird, weil über deren Leichen geht, benötigt diese als Opfer, die keinen Widerstand leisten, sondern ihr Unwohlsein als eine Art Gekränktsein pflegen, um eine Form der Paranoia zu entwickeln, die der Affektmodulation des funktionalen Psychopathen durchaus entspricht, insofern der in der Paranoia angelegte Deutungswahn, der nach Gründen für den Abstieg sucht, den luxoiden Lifestylewahn in seinem Hang zum Mehr kopiert, ohne allerdings die Spuren des Abgehängt-Seins je verwischen zu können.

9) Der Lebensprofit könnte beschönigend auch die Nutzenmaximierung eines Lebensproduzenten genannt werden, der in seiner Unersättlichkeit nicht nur alles haben, sondern es auch sofort haben will. Er lebt ganz in der Kaugummizeit des Jetzt und zukünftige Einkommen können ihn nur halbwegs für entgangenes Genießen im Jetzt entschädigen. Er verlässt sich ganz auf die Diskontierung, mit der zukünftig erwartete Einkommen durch Abzinsung auf ihren heutigen Wert herunter gerechnet werden. Der zukünftige zu realisierende Wert des Lebens ist daher auch immer sein Gegenwartswert.

10) In Zukunft wird schon dem Säugling ein auf die Zukunft bezogener Ertragswert zugeschrieben werden, ein Einkommensstrom, den er im Laufe eines Lebens herzustellen hat; man wird diesen erwarteten Einkommensstrom diskontieren und den Ausgangspreis des Säuglings erhalten. Es ist deshalb kein Zufall, wenn der französische Unternehmensverband vorschlägt, jedem Franzosen von Geburt an eine Umsatzsteuernummer zuzuteilen. Dabei ist der Wert des Menschen nicht nur das Konglomerat aus seiner Gesundheit, Effizienz, Wissen, Beziehungen, Kreativität, Wünsche, Arbeitsfähigkeit etc., sondern er hat diese individuellen Merkmale ständig in die in Zukunft hinein zu bewerten und zu effektivieren. Gleichzeitig wird der monetarisierte Lebenswert durch statistisch erzeugte Informationen, die man jeder Person zuschreibt, ornamentalisiert. Diese Informationen fluktuieren wie Derivate, die aber noch wie vor in Geld realisiert werden müssen. Klossowkis lebendes Geld hat sich nun realisiert

Ein großer Teil der Menschheit, die man als Surplusbevölkerung klassifiziert und die man mit Günther Anders auch »Vegetier-Proletarier« nennen könnte, wird von dieser Art der Verwertung ausgeschlossen bleiben. Es gibt hier eine »Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen«, oder eine »Glokalität« der Globalisierung zu vermelden. Die Surplusbevölkerung ist ganz und gar unfähig, die Beschränkungen des Raums zu annullieren und bleibt damit auf die Müllhalden geworfen oder in Schattenzonen abgestellt, sie ist zeitlich zwangsentschleunigt, und hinkt den dynamischen Hipster.-Subjekten, welche meistens die Wohlfühloasen des Westens bearbeiten und bewohnen, nur noch hinterher, um im stagnierenden »Zeitbrei« der eigenen Überflüssigkeit auf den Tod zu warten. »Einige bewohnen den Globus, andere sind an ihren Platz gefesselt« heißt es entsprechend bei Zygmunt Bauman. Dabei definieren die Ersteren ihre Wohlfühl-Subjektivität durch die wuchtige Verfügung über Kaufkraft, während schon die Säuglinge des Surplus von vornherein als Menschenmüll gelten. Durch die größtenteils irreversible Verschmutzung von Oberflächengewässern und Grundwasservorräten ist für sie das natürliche Trinkwasserangebot insbesondere in Afrika und Asien, aber auch in den USA und in Europa gefährdet. Man wird in Zukunft den armen Produzenten von Säuglingen vorschlagen, diese in Zukunft besser nicht mehr zu produzieren. Das nennt man dann Geburtenkontrolle.

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