Zu Benanavs Buch “Automation and the Future of Work” (1)

Aaron Benanav eröffnet sein Buch Automation and The Future of Work naheliegend mit einem Abschnitt über den Diskurs der Automation,. Wir sind in der Besprechung des neuen Buchs von Jason E. Smith schon auf diesen Diskurs eingegangen und werden uns deswegen an dieser Stelle kurz halten. Benanav macht vier Prinzipien dieses Diskurses aus: 1) Die Arbeiter sind durch neue Maschinen ersetzt worden, was zu einer steigenden technologisch bedingten Unterbeschäftigung führt, 2) ist dies ein Zeichen dafür, dass wir uns auf eine zunehmend automatisierte Ökonomie zubewegen, in der fast alle Arbeiten durch AI und lernende Maschinen bewältigt werden, c) kann dies für die freigestellten Arbeiter zu einem Albtraum werden, und schließlich 4) ist das einzige Mittel, um die Katastrophe der Massenarbeitslosigkeit zu verhindern, das universelle Grundeinkommen. Die Covid19 Pandemie könnte diese Entwicklung weiter triggern.

Für Benanav muss die Automation, welche die menschlichen Arbeiten voll substituiert, von solchen Technologie unterschieden werden, die die Kapazitäten eines Jobs, der bestehen bleibt, lediglich erweitern und produktiver machen, man denke an Maschinen, die die Arbeit am Fließband unterstützen, ohne dieses selbst abzuschaffen. Ob Veränderungen in der Innovation die Vernichtung von Jobs nach sich ziehen, hängt von der relativen Schnelligkeit des Wachstums der Produktivität und dem Wachstum des Outputs ab. Und Benanav kommt hier schon zu seiner ersten wichtigen These: Wenn der Output langsamer wächst als die Arbeitsproduktivität, dann wird die Anzahl der Jobs fallen.

Dabei ist die Unterscheidung zwischen Technologien, die die Arbeit ersetzen, und solchen, die deren Kapazität erweitern, recht schwierig. Eine Studie der OECD geht davon aus, dass derzeit 14% vom Risiko der Substitution durch Maschinen betroffen sein könnten, während 32% der Jobs sich durch den Einsatz von Innovationen stark verändern und damit eher produktiver werden könnten, was aber nicht sicher ist.

Die Frage, die sich für Benanav stellt, ist, ob sich durch den Einsatz von AI, selbst lernenden Maschinen und Robotern die Zerstörung von Jobs schon so weit vorangetrieben wurde, dass heute schon viele Arbeitskräfte keine Anstellung mehr finden können. Wenn die Automation auch ein die kapitalistische Ökonomie konstant begleitendes Feature ist, so wird laut Benanav doch keine voll automatisiert Ökonomie in der Zukunft auf uns zukommen.

Der Automations-Diskurs erhält seine Zugkraft auch deswegen, weil wir es schon länger mit einer geringen Nachfrage nach Arbeitsplätzen zu tun haben, die allerdings in den Statistiken nicht korrekt reflektiert wird. Die Pandemie wird diesen Trend noch verstärken. Ungeachtet der ansteigenden Qualifikationen und eines lebenslangen Lernens (Deleuze), ist der Anteil der Arbeiter am Einkommen in den G7 Staaten kontinuierlich gefallen. Die wachsende Ungleichheit in der Einkommensverteilung ist von einer wachsenden Kluft zwischen den durchschnittlichen Wachstumsraten der Arbeitsproduktivität und denen der Löhne begleitet, wobei letztere Kluft die erstere nach sich zieht. Sie wird zudem begleitet von einer Kluft zwischen den Wachstumsraten der durchschnittlichen Löhne und den Median Löhnen. Dies führt zum weiteren Absinken der Nachfrage nach Arbeit. Dies sind für Benanav Entwicklungen, die nicht allein durch die Automation erklärt werden können.

Benanav führt vier Argumente gegen den Automations-Diskurs an: Erstens ist die schwache Nachfrage nach Arbeitsplätzen in den letzten Jahrzehnten nicht das Ergebnis eines beispiellosen Sprungs in den technologischen Innovationen, sondern eines andauernden technologischen Wandels im Umfeld einer tiefen ökonomischen Stagnation. Zweitens hat die unterentwickelte Nachfrage nach Arbeit sich nicht in Massenarbeitslosigkeit artikuliert, sondern in einer persistierenden Unterbeschäftigung. Drittens wird die technologische Entwicklung nicht zwangsläufig zur Einführung eines universellen Grundeinkommens führen, vielmehr werden niedrig bezahlte Jobs weiterhin die Regel sein. Viertens gilt es eine Welt der Fülle zu entwerfen, die weniger das Resultat administrativer Interventionen ist, um die volle Automation durchzusetzen, sondern sie ist ein Resultat sozialer Kämpfe. Dem können wir soweit zustimmen.

Das nächste Kapitel behandelt die globale Deindustrialisierung. Inzwischen befinden sich mehr als 70% der Arbeiter in den hochentwickelten Ländern im Service-Sektor, dem, wenn es nach den Adepten des Automations-Diskurses geht, auch eine Welle der Automation und der Robotisierung bevorsteht, man denke an den Lebensmittelbereich, den Transport (selbstfahrende Autos), an Logistik und Verkauf. Im Bereich der industriellen Produktion sei diese Entwicklung schon lange im Gange, wobei Benanav darauf hinweist, das der Trend zu einer erhöhten Nachfrage nach Arbeit, die aus der steigenden Arbeitsproduktivität mit Kapazitätserweiterungen in der Industrie einhergeht, schon längst vorbei ist.

Benanav geht hier von einem Produktivitäts-Paradox aus. Die These der Deindustrialisierung in den entwickelten Ländern besagt, dass von einem Sinken des Anteils der industriellen Beschäftigung in Beziehung zur totalen Beschäftigung auszugehen ist, was durch alle Statistiken seit den 1970er Jahren auch belegt wird. Dabei hat sich aber der industrielle Output in absoluten Zahlen in diesen Ländern nicht verringert, sondern erhöht, was den oft vorgeführten Schluss nicht zulässt, dass die produktiven Kapazitäten der Industrie einfach in weniger entwickelte Länder ausgelagert worden sind. Für die Steigerung des Outputs wird gewöhnlich als Grund die steigende Arbeitsproduktivität angegeben und nicht etwa die Einfuhr von kostengünstigen Materialien und Arbeitskräften. An dieser Stelle führt Bananav wie Jason E. Smith den Ökonomen Robert Solow an, der davon spricht, dass man das Computerzeitalter überall sehe, nur nicht in den Statistiken zur Produktivitätsentwicklung in den letzten vierzig Jahren. Dennoch zeigen die Statistiken zur Produktivitätsentwicklung in den USA seit den 1950er Jahren einen stetigen Anstieg von circa 3% an, wobei im elektronischen Bereich eine Rate von 10% seit 1987 angenommen wird, was der Vorstellung entspricht, dass die Produktion von Computern mit höheren Prozessor-Geschwindigkeiten generell mit der Produktion von mehr Computern einhergeht. Aber seit dem Jahr 2010 kollabieren die Wachstumsraten der Produktivität in den Industrien der USA, was die USA in die Nähe solcher Staaten wie Deutschland und Japan bringt, die mit stagnierenden Raten schon länger zu tun haben, obwohl sie allerdings mehr Roboter in der Industrie einsetzen als die USA.

Um die These der Deindustrialisierung zu stützen, führt Benanav folgende Definitionen ein: Der Output wird als das Volumen der Produktion in den Terms eines real hinzugefügten Werts in einem gegebenen Sektor definiert. Ob es sich um preisliche oder physische Einheiten handelt, ist hier wichtig. Die Beschäftigung beinhaltet für Benanav die Anzahl der Arbeiter und nicht die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden. Und die Produktivität ist das Verhältnis zwischen Output und Beschäftigung. Je mehr Output pro Arbeiter produziert wird, desto höher ist die Arbeitsproduktivität. Für alle Sektoren ist dann die Wachstumsrate des Outputs minus der Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität gleich der Wachstumsrate der Beschäftigung. Wenn, so Benanav, der Output an Autos um 3% ansteigt und die Arbeitsproduktivität um 2% in der Automobilindustrie ansteigt, dann steigt die Beschäftigung um 1% an. Umgekehrt, umgekehrt. Benanav versucht dies anhand der Statistiken in Frankreich für die Jahre ab 1970 zu belegen.

Zwar waren die Wachstumsraten der Produktivität im Vergleich zu denen des Outputs relativ hoch (was zu einem Absinken im Beschäftigungswachstum führt), aber nicht weil erstere schneller angewachsen sind als zuvor (was das Zeichen für eine sich beschleunigende Automation sein könnte), sondern weil der Output viel langsamer als zuvor angewachsen war. Für Benanav lässt sich dieser Rückgang der Wachstumsraten im Output als Zeichen der Deindustrialisierung nicht allein durch technologische Terms erklären. Seit Ende des 20. Jahrhunderts könne man sogar von einer globalen Welle der Deindustríalisierung sprechen, so Benanav. Mit Ausnahme von China, das allerdings von der Deindustrialisierung auch nicht ganz verschont bleibt, stieg die weltweite Beschäftigung zwischen 1991 und 2016 nur um 0,4% an, während allerdings die weltweite Anzahl der Arbeitskräfte, die zu einem großen Teil nicht beschäftigt sind, stark anstieg. Immer weniger Arbeiter produzieren weltweit immer mehr, aber nicht wie die Automationstheoretiker annehmen aufgrund des technologischen Fortschritts, sondern weil die Wachstumsraten des Outputs gegenüber den Wachstumsraten der Produktivität gesunken sind.

An dieser Stelle folgt Benanav dem Theorieansatz von Robert Brenner, der davon ausgeht, dass die globalen Wellen der Deindustrialisierung nicht auf technologische Veränderungen, sondern auf die Überakkumulation in den Industrien auf den Weltmärkten zurückzuführen sind. In den 1980er Jahren waren auf den überfüllten Weltmärkten hohe Raten des industriellen Wachstums schon nicht mehr zu erreichen, was zu fallenden Preisen für industrielle Produkte führte. Die entwickelten Länder exportierten dann angeblich die Deindustrialisierung in die weniger entwickelten Länder. Sinkende Preise für Industriegüter zogen fallende Kapitalraten (Einkommen pro Einheit) und damit auch fallende Kapitalproduktivitäten nach sich, was zu einem verstärkten Wettbewerb zwischen den Unternehmen führte, die sich an den Märkten nicht mittels technologischer Innovationen, sondern durch den Diebstahl von Marktanteilen anderer Firmen durchsetzen mussten. Es waren, so Brenner, die Überkapazitäten, die seit den 1970er Jahren dazu führten, dass die Wachstumsraten der Produktivität weniger stark als die des Outputs sanken. Für Benanav erklärt das Phänomen der Überkapazitäten, dass man nicht Versuche unternahm, arbeitssparende Technologien einzusetzen, sondern stattdessen mächtige arbeitsintensive Lieferketten weltweit aufbaute. Hier gilt es aber Folgendes zu berücksichtigen: Es gibt zwar eine globalen Prozess der Überschussakkumulation, bei dem der Großteil des Überschusses aber nicht am Ort der Produktion angeeignet wird. Und wir haben unzählige Beispiele für transnationale Konzerne, die einen Großteil des Profits abschöpfen, ohne überhaupt materielle Güter zu produziere. Man nehme Apples iPhones, iPads und Macs als Beispiel. Es gibt viele weitere Beispiele für transnationale Konzerne, die selbst nichts produzieren un durch die Auslagerung der Produktion in den globalen Süden Superprofite erzielen. Im Jahr 1996 kostete ein Paar Nike-Basketballschuhe, das in den USA 149,50 Dollar kostete, etwa 1 Dollar in der Herstellung, wobei 50 Teile in fünf Ländern (China, Indonesien, Südkorea, Thailand und Vietnam) hergestellt wurden. Transnationale Konzerne eigen sich in einem ungleichen Austausch Überschussgewinne von ihren Subunternehmern an; und dass dies ein dominantes Merkmal des modernen Kapitalismus ist. Dami kann die Aneignung des Mehrwerts nicht auf der Ebene der einzelnen Fabrik verstanden werden kann; sie muss auf der Ebene der globalen Kapitalkreisläufe analysiert werden.

Die Krisen- und Zyklentheorie von Brenner fußt auf folgenden Annahmen: Der Output kann nicht absorbiert und die Profits können damit nicht realisiert werden, wobei die schlechte Profitabilität zu stagnierendem und zu überschüssigem Kapital führt, da es nur mit abnehmenden Raten in die Produktion geleitet werden kann. In Ermangelung anderer keynesianischer Lösungen zur Ankurbelung der Nachfrage kann das Finanzrecycling zu einem entscheidenden Mittel werden, um die Anhäufung von Überschusskapital abzubauen. Brenner verbindet eine niedrige Profitabilität und die mangelnde Absorption des Outputs weniger mit niedrigen Lohneinkommen (Nachfrage), sondern in erster Linie mit dem hohen Wert des bereits investierten konstanten Kapitals (Überkapazitäten). In diesem Sinne bleibt die Nachfrage immer hinter der produktiven Kapazität zurück. Auch wenn der Profit sinkt, muss immer noch investiert werden, wodurch die Gesamtmenge des Kapitals und seine produktive Kapazität die Nachfrage weiter übersteigt. Diese Art der Argumentation betont die Überinvestition von Kapital relativ zur realisierten Profitabilität. In Bezug auf die Profitrate heißt dies Folgendes: Es zählt nicht nur der Zähler (Rückgang des realisierten Profits) der Kennzahl, sondern auch der Nenner (die Zunahme der Menge an konstantem Kapital).

Exkurs:

In der Auseinandersetzung mit dem Theorieansatz Brenners folgen wir der Argumentation von Alan Freeman. Die Profitrate ist definiert als S/K (1), wobei Y den Output pro Jahr, K den akkumulierten Kapitalstock und S die jährlichen Profite bedeutet. Dividiert man Zähler und Nenner durch Y, so erhält man S/Y x Y/K (2)

Der erste Term ist der Profitanteil. Der zweite Term ist die größtmögliche Profitrate. Wenn die Löhne gleich null wären, wäre der Profitrate gleich Y/K

Daraus ergibt sich Profitrate = Profitanteil × maximale Profitrate

Brenner übernimmt eine andere Terminologie als die meisten marxistischen Ökonomen. In dieser Terminologie ist die Profitrate= Profitanteil × Output-Kapital-Verhältnis.

In der Diskussion mit seinen Kritikern unterläuft Brenner ein Fehler, der es ihm erlaubt, die Y/K Rate mit der Produktivität des Kapitals zu identifizieren. Tatsächlich hat die Produktivität keine notwendige Beziehung zum Verhältnis von Output und Kapital. Mit dem Begriff “Kapitalproduktivität” ist das Verhältnis zwischen Output und verbrauchtem Kapital (Rohstoffe plus Abschreibungen) gemeint. Der Begriff wird nicht nur so gut wie nie auf das investierte Kapital angewandt, sondern es ist höchst umstritten, dass er so angewandt werden kann, wie eine lange und berühmte Debatte in den Wirtschaftswissenschaften beweist. Es ist durchaus möglich, dass die Produktivität des verbrauchten Kapitals sinkt, während das Verhältnis von Output zu investiertem Kapital systematisch steigt. Dies geschieht z. B., wenn Unternehmer in Maschinen investieren, die Rohstoffe einsparen, oder wenn sich die Maschinen selbst immer langsamer abnutzen. Im ultimativen Fall einer Maschine, die sich nie abnutzt und keine Rohstoffe verbraucht (z. B. ein perfekter Computer), wäre die physische Produktivität des verbrauchten Kapitals unendlich, weil nichts verbraucht wird, aber das Verhältnis von Output zu investiertem Kapital könnte unbegrenzt fallen.

Die Output-Kapital-Relation fällt in den USA tatsächlich seit den 1970er Jahren, aber in Preisen, wobei das Output-Kapital-Verhältnis in Preisen von dem Output-Kapital-Verhältnis in physischen Begriffen abweichen kann. Die Profitrate ist aber ein Verhältnis zwischen Preisen, und nicht zwischen physikalischen, Größen. Wenn also im Preisverhältnis Y/K der Faktor K preislich schneller als Y ansteigt, obwohl K physikalisch gesehen langsamer steigt, dann kann die preisbezogene maximale Profitrate fallen und wird unter den entsprechenden Umständen auch fallen, auch wenn sie als physikalische Profitrate nicht fällt. Was aber wenn der Preis von Investitionsgütern (K) schneller fällt als der von aktuell produzierten Gütern(Y)? Wenn der Preis der investierten Güter fällt, verlieren die Kapitalisten Geld. Dies reduziert die Produktion. Und der Fall der Preise von K reduziert sowohl den Zähler als auch den Nenner von Y/K. Die Profitrate ist zunächst pY/pK, wobei es sich um die Preise des Outputs und des Kapitalstocks handelt. Aber es gilt im Zähler den Verlust des Geldes zu berücksichtigen, der sich im Fall des Werts ihres investierten Kapitals ausdrückt. Die Erkenntnis in Brenners Analyse der Auswirkungen des Wettbewerbs ist, dass die sinkenden Preise des investierten Kapitals, die er eben auf den verstärkten Wettbewerb zurückführt, für die aber sicherlich die technische Innovation die allgemeinste zugrundeliegende Ursache ist, Auswirkungen auf die Profitrate haben.

Während die beteiligten physischen Mengen von Preisänderungen unberührt bleiben, bleiben es die Profite in Geld nicht. Es ist daher falsch, den physischen Überschuss mit Profiten, die in Geld realisiert werden, zu identifizieren. Sobald sich die Preise ändern, sind monetäre Profite und physischer Überschuss nicht mehr identisch. Und sobald die Produktion stattgefunden hat, wird es durch Produktivitätsfortschritte möglich sein, neue Inputs in der Zukunft zu niedrigeren Preisen zu kaufen. Aber der Kapitalist hat ja die Inputs nicht in der Zukunft gekauft, er hat sie in der Vergangenheit gekauft. Und er muss sich das zurückholen, was er bezahlt hat.

Der Wertverfall des investierten Kapitals, der sich aus den sinkenden Preisen der investierten Kapitalgüter ergibt, stellt einen Abzug von der Produktion dar, sodass die ausgepreiste Profitrate systematisch von der physischen Rate abweicht. Dabei spielen bei der fallenden Profitrate zeitliche Faktoren wie Preisbewegungen eine Rolle.

Wie kommt es nun, dass sich die Profitrate in Preisform von der Profitrate in physikalischer Form unterscheiden kann? Brenner gibt darauf keine Antwort. Nachdem er richtig festgestellt hat, dass die Profitrate in Profitananteil und das Kapital-Output-Verhältnis zerlegt werden kann, unternimmt er keine Untersuchung der tatsächlichen Bewegung dieser beiden Größen. In der Tat ist seine empirische Diskussion der tatsächlichen Bewegung des Output-Kapital-Verhältnisses bemerkenswert schwach. Die Tatsache, dass er ein physikalisches Maß berechnen kann und feststellt, dass dieses physikalische Maß sich von der Preisform unterscheidet, unterstreicht nur, dass die Preisform selbst nicht durch eine rein physikalische Analyse erklärt werden kann. Brenner möchte zwar die Auswirkungen von Preisbewegungen in seine Analyse integrieren, und dies wird auch aus seiner Diskussion der Auswirkungen von Preisänderungen auf Kapitalisten deutlich, die bereits massiv in fixes Kapital investiert haben. Wenn dies als Erklärung aber Bestand haben soll, dann muss gezeigt werden, dass Preisbewegungen Auswirkungen auf die Profitrate haben können. Brenner hat aber, indem er den Ansatz von Okishio unterstützt, einen theoretischen Rahmen gebilligt, innerhalb dessen Preisveränderungen keinen Einfluss auf die Profitrate haben.

Alan Freeman argumentiert, dass weder die maximale Profitrate noch die Output-Kapital-Ratio empirisch als dominante Ursachen für die Bewegung der Profitraten in den USA im 20. Jahrhundert gelten können. Er kommt zu dem Schluss, dass die Aufteilung der Ursachen in zwei große und scheinbar gegensätzliche Lager, die in Gleichung (2) zum Ausdruck kommt, zwar theoretisch interessant, aber analytisch unzureichend ist, um brauchbare Erklärungen zu liefern.

In einem dritten Fall ist der Weg offen, um verschiedene Analysen zu betrachten, die in einer gemischten Art und Weise operieren, indem sie sowohl den Profitananteil als auch die Output-Kapital-Relation in irgendeiner miteinander verknüpften Weise modifizieren. Es wäre dann sinnvoll, eine Vielzahl von alternativen Ursachen zu untersuchen – Wettbewerbsverhalten, Marktregime, Unternehmerpsychologie, mikroökonomisches Verhalten etc. – um festzustellen, ob sie für sich genommen die Variation der Profitrate erklären können. Wenn jedoch der eine oder andere Term in Gleichung (2) den größten Teil der Variation der Profitrate erklärt, dann muss eine solche dritte Ursache mit dem relevanten Term verknüpft werden, denn wenn sie eine gültige Ursache ist, dann müsste sie und der relevante Term kollinear sein, d.h. sie müssten gemeinsam variieren. In diesem Fall können zwar immer noch einige interessante Mechanismen zur Erklärung der Variation der Profitrate herangezogen werden, aber die “letzten Ursachen” müssen durch ihre Auswirkungen auf die eine oder andere dieser beiden Variablen wirken. Das Problem besteht also nicht darin, diese komplexen Mechanismen als Alternative zu den Bewegungen der Gewinnquote oder des Produktions-Kapital-Verhältnisses anzuführen, sondern zu zeigen, wie sie selbst die Bewegungen der Gewinnquote oder des Output-Kapital-Verhältnisses verursachen. Wenn aber die Output-Kapital-Quote eine dominante Ursache ist, dann müssen alle anderen Ursachen durch die Veränderung der Output-Kapital-Quote wirken. Wie bereits erwähnt, ist das Output-Kapital-Verhältnis in der Tat dasselbe wie die maximale Profitrate.

Dabei gibt es laut Freeman drei Beobachtungen, die hier von Bedeutung sind: (1) Der technische Fortschritt reduziert die monetäre Größenordnung der Profite durch seine Auswirkungen auf frühere Investitionen. (2) Dieser “moralische Verschleiss”, wie Marx das nannte, wird nicht durch physische Verschlechterung oder “materielle Entwertung” verursacht, sondern sie ist ausschließlich eine Folge der niedrigeren Preise, die wiederum eine Folge des technischen Fortschritts sind. (3) Je größer der technische Fortschritt ist, desto größer ist der Rückgang der Profite, die auf den jetzigen Kapitalstock bezogen sind.

Der Einfluss des Wettbewerbs als solcher – insbesondere des internationalen Wettbewerbs – führt zwar nicht letztlich zum Rückgang des Output-Kapital-Verhältnisses und damit der Profitrate, aber an bestimmten historischen Punkten spielte er eindeutig eine wichtige Rolle. Brenner hat Recht, wenn er dies als besondere historische Ursache in den 1960er Jahren hervorhebt. Schwierigkeiten ergeben sich jedoch, wenn er den Wettbewerb zur primären Ursache machen möchte, die jeden einzelnen Kondratieff-Abschwung erklärt. Je größer aber der akkumulierte Kapitalstock ist, desto größer ist der zeitliche Effekt. Die Verringerung der Profitrate aufgrund dieses Phänomens ist absolut ausreichend, um die positiven Auswirkungen des ursprünglichen Preisrückgangs des investierten Kapitalstocks auf die Profitrate aufzuheben oder sogar umzukehren.

Marx entwickelt seine Analyse sowohl des kommerziellen Kapitals als auch des Grundeigentums durch eine Diskussion dessen, was er die “fertige Form des Durchschnittssatzes” nennt. Das entscheidende Merkmal dieser fertigen Form ist, dass die nicht-industriellen Kapitale innerhalb dieser Form um einen Anteil am gesamten Mehrwert konkurrieren, der in der Produktion entsteht. Sie schließt also eindeutig die nicht-industriellen Kapitalien ein; unklar bleibt nur, ob und inwieweit die Rendite des Geldkapitals dem kommerziellen Profit und der absoluten Rente gleichgestellt werden soll. Es gibt viele Formen von Geldkapital, und eine spezifische Form des Geldkapital ist der Kredit. Und es gibt viele stichhaltige theoretische Gründe für die Gleichstellung des Kreditkapitals mit dem kommerziellen und dem Grundkapital, von denen der stärkste die einfache Tatsache ist, dass jeder Titel, sobald er veräußerbar ist und auf dem Markt gekauft werden kann, de facto eine alternative Verwendung des Geldes darstellt. Es gibt eventuelle, endgültige Grenzen für die Expansion des Kredits, die bei großen Crashs erreicht wird, aber es können viel größere Geldmengen in die Zirkulation hineingeschüttet werden und viel längere Blasen aufrechterhalten werden, bevor der Moment der Abrechnung kommt. Zudem hängt die Rendite des Kredits, anders als die Rendite des Handels oder in geringerem Maße des Bodens, von keinem zugrunde liegenden Wert ab. Der Gläubiger tauscht die Nutzung seines Geldes nicht gegen irgendetwas ein, ja er gibt es nicht einmal ab, sondern bietet lediglich die vorübergehende Nutzung an.

Sobald der Kredit zu einem marktfähigen Instrument wird, konkurriert er mit allen anderen Kapitalverwendungen um einen Anteil am Mehrwert und drückt daher genauso auf die Profitrate wie der Handel, der Grundbesitz oder die industrielle Produktion. Der zentrale Punkt ist folgender: Der vom Kapitalisten vorgeschossene Wert ist in allen Phasen seines Kreislaufs gebunden: nicht nur in Maschinen, Gebäuden, Rohstoffen und Vorräten, sondern auch in Geldguthaben, Horten und Finanzanlagen. Das gilt selbst dann, wenn das betreffende Kapital ungenutzt ist; Geld unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von Vorräten oder Beständen an unverkauften Waren. Gerade in den letzten Jahrzehnten wurde Geld in Form von marktfähigen Vermögenswerten gehalten, und die Bestände dieser Vermögenswerte in den kapitalistischen Unternehmen sind massiv gewachsen. Was passiert mit der Profitrate, wenn diese marktfähigen Vermögenswerte in das gesamte vorgeschossene Kapital einbezogen werden? Die sich daraus ergebende Korrektur, so zeigt Freeman, korrespondiert dem anhaltenden Rückgang der Wirtschaftsleistung in den USA und Großbritannien nach 1970. Wir werden sehen, ob die Anmerkungen in diesem Exkurs für die Diskussion um Benanavs Stagnationsthesen Relevanz besitzen.

Und um dem noch hinzuzufügen: Ende des Jahre 2008 würde die Größe des Weltaktienmarktes auf etwa 37 Billionen Dollar geschätzt, während der gesamte Weltderivatemarkt auf 791 Billionen Dollar angewachsen war – das Elffache der gesamten Weltwirtschaft. Die Finanzialisierung nimmt drei Hauptformen an: Finanzkonzerne und die Finanzdienstleistungsindustrie haben inzwischen einen viel größeren Anteil an den gesamten Kapitalinvestitionen und Profiten, während Industriekonzerne ihre Beteiligung an Finanzinvestitionenen massiv erhöht haben. Und Finanzkonzerne und “finanzialisierte” Industriekonzerne sind viel stärker am Eigentum und an der Kontrolle von produktiven Anlagen beteiligt. In den USA beispielsweise hat sich der Anteil des Finanzsektors am nationalen BIP zwischen 1950 und 2010 schätzungsweise verdreifacht, und sein Anteil an den gesamten Unternehmensgewinnen ist von 15 % auf rund 50 % gestiegen.

Fortsetzung f

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