Zum tendenziellen Fall der Profitrate bei Marx

Viele der Überlegungen marxistischer Autoren zur Krise konzentrieren sich auf das von Marx dargestellte Gesetz des tendenziellen Falls der allgemeinen Profitrate. In der Geschichte des Marxismus wurde diesbezüglich aus dem Gesetz einer Tendenz zunehmend die Tendenz eines Gesetzes gemacht, i. e. die Profitrate muss dann laut Analysen unbedingt fallen. Das Gesetz impliziert eine Serie, die nicht mehr beliebig ist, aber die auch nicht immer nur in eine Richtung verlaufen muss. Wir wollen hier in aller gebotenen Kürze auf die Problematik um den tendenziellen Fall der Profitrate eingehen. Kapitalistische Unternehmen sind preis-setzend, und um in der Konkurrenz gegenüber anderen Unternehmen zu bestehen, müssen sie ihre Kosten senken, wobei eine der wichtigsten Methoden zur Kostensenkung darin besteht, die Produktivität qua technologischer Rationalisierung zu erhöhen. Rationalisierung bedeutet in einer gegebenen Zeit mehr oder qualitativ bessere Produkte durch den Einsatz von neuen Produktionsmitteln (Maschinen, Technologien, Rohstoffe etc.) zu erreichen. Gegenüber der Anzahl der eingesetzten Arbeitskräfte und der von ihnen aufgebrachten Arbeitszeit steigt die Anzahl der Produktionsgüter.

Die Profitrate ist das Verhältnis zwischen Mehrwert (m) und konstantem Kapital (c) zuzüglich variablem Kapital (v): p = m / c + v. Erweitert man die Marx’sche Formel um 1/v, so gelangt man zu folgender Formel:

Demzufolge wird die Profitrate von einer Relation zwischen absoluten Größen in eine Relation von Relationen transformiert, wobei die Profitrate stets auf die allgemeine durchschnittliche Profitrate bezogen bleibt. (Vgl. Heinrich 2006: 330)1 Marx identifiziert die beiden wesentlichen Bestimmungsfaktoren der Profitrate in der Mehrwertrate (m/v) und in der Wertzusammensetzung des Kapitals (c/v). (MEW 25: 221ff.) Marx’ Gesetz des tendenziellen Falls der allgemeinen Profitrate will besagen, dass den kapitalistischen Produktionsmethoden unter ganz spezifischen Bedingungen, die für Marx solche der klassischen industriellen Produktion sind, eine langfristige Tendenz zur Steigerung der Wertzusammensetzung bzw. der organischen Zusammensetzung des Kapitals2 korrespondiert, die prozentual höher ist als der Anstieg der Mehrwertrate, womit die allgemeine Profitrate, wenn wir sie als Verhältnis von Mehrwertrate und organischer Zusammensetzung des Kapitals verstehen, langfristig fallen muss. (Vgl. Stamatis 1977: 115ff.) Dies ist als eine Folge der durch die Konkurrenz induzierten relativen Mehrwertproduktion bzw. der übermäßig steigenden Kapitalintensität und Produktivität zu begreifen, die mit einer steigenden Sparquote der Kapitalisten einhergeht, über die die Investitionen realisiert werden. Wir haben es aber immer auch mit Gegentendenzen zu tun, die ein prozentual höheres Wachstum der Mehrwertrate gegenüber dem der organischen Zusammensetzung des Kapitals herbeiführen: 1) Starke Erhöhung der Mehrwertrate aufgrund einer Steigerung der Arbeitsintensität (und aufgrund der Erhöhung der wertschöpfenden Potenz der Arbeitskraft qua Bildung; ein Faktor, den Marx nicht einbezieht) 2) Senkung des Arbeitslohns und die Existenz einer industriellen Reservearmee; 3) Expansion des Kapitals ins Ausland; 4) Aktienkapital, Kredit und fiktives Kapital (MEW 25: 242ff.) 5) Eine eventuelle starke Verbilligung von Maschinerie und Technologie (konstantes Kapital), was zu einem Fall der organischen Zusammensetzung des Kapitals führt, womit die Profitrate wiederum ansteigen kann. Für Randy Martin lassen sich diese Gegentendenzen als Artikulation begreifen, das einzelne Risiko im Vergleich zum gesamten Markt zu managen, und dies innerhalb der extrem flexiblen Beziehung von Produktion und Zirkulation. (Lee/Martin 2016: Kindle-Edition; 3493) Es gibt immer ein Zusammenspiel von Tendenzen und Gegentendenzen, das heißt eine Form der Arbitrage, die eine Serie von Klüften, Bewegungen und Spreads eröffnet, um die jeweiligen Differenzen zu glätten. Man kann daher die Profitrate auch folgendermaßen anschreiben:

Y steht hier für das Nettoprodukt und das Verhältnis C/Y stellt die Quantität desjenigen konstanten Kapitals dar, das nötig ist, um eine Einheit des Nettoprodukts herzustellen. M/V definiert die Mehrwertrate. Marx unterscheidet drei Kategorien von Faktoren, die diese Verhältnisse und dadurch die Profitrate beeinflussen: a) Faktoren, die mit der Zeit und der Intensität der Anwendung der Produktionsmittel bei einem gegebenen Niveau der Technologie und der technischen Zusammensetzung des Kapitals zusammenhängen, b) Faktoren, die mit den Fähigkeiten und der Konzentration des Gesamtarbeiters oder mit der Möglichkeit der Erhöhung der Arbeitsproduktivität ohne irgendeine Änderung in der technischen Zusammensetzung des Kapitals – oder im technologischen Status des Produktionsprozesses – zusammenhängen, c) Faktoren, die mit einer Zunahme der Arbeitsproduktivität aufgrund technischer Innovationen verknüpft sind und die auch die technische Zusammensetzung des Kapitals erhöhen, und d) Faktoren, die die Preise der Bestandteile des konstanten Kapitals beeinflussen.3 Es ist im Rahmen der Marxschen Analyse offensichtlich, dass alle diese Faktoren im Endeffekt von den Bedingungen des Klassenkampfs abhängen.)

Für Marx’ Darstellung der langfristigen Entwicklungstendenzen der kapitalistischen Produktionsweise ist die Annahme einer steigenden technischen und, wenn auch in geringerem Maß, organischen bzw. Wertzusammensetzung des Kapitals (dies aufgrund der Produktivitätssteigerung, die fallende Preise für das konstante Kapital nach sich ziehen kann) entscheidend. Allerdings wird die effizientere Maschinerie und Technologie unter den von Marx vorgenommenen Voraussetzungen, die die logischen Rahmenbedingungen für das Gesetz des tendenziellen Falls der allgemeinen Profitrate darstellen, zum Zweck der Kostensenkung von einem Einzelkapital erst dann eingesetzt, wenn für eine kommende Produktionsperiode die Mehrausgaben an konstantem Kapital, also das in Maschinen und Rohstoffe investierte Geldkapital, geringer ausfallen als die Einsparungen von variablem Kapital. Die technologische Innovation wird dann angewandt, wenn zumindest für das Einzelkapital ∆ c1 < ∆v1 gilt, womit sich der bisherige Kostpreis der Waren vermindert. (Vgl. Heinrich 2003: 338) Dies führt zunächst zur Realisierung von Extraprofiten für technologisch dominante Unternehmen, solange bis das Produktionsniveau durch die Adaption der Technologien durch die Konkurrenten sich in einer Branche wieder verallgemeinert hat. Das dominante Unternehmen kann zudem durch die Erhöhung des stofflichen Outputs weitere Extraprofite realisieren. Dabei sollte man zwei Tendenzen berücksichtigen: Zum einen können die neuen Produktionsmethoden, die eine Erhöhung der Produktivität mit sich bringen, über die Einsparung von Arbeitskräften hinaus zu einer Verbilligung der Lebensmittel führen, die zur Reproduktion der Arbeitskraft notwendig sind (es verbilligen sich im Laufe der kapitalistischen Entwicklung sämtliche Waren, seien es Rohstoffe, Maschinen und Lebensmittel, weil in allen Bereichen bei gegebener Arbeitszeit mehr oder qualitativ hochwertigere Produkte hergestellt werden), was zu einer steigenden Wertzusammensetzung des Kapitals führt. Zum anderen können die neuen Technologien und Produktionsmethoden auch zu einer Verbilligung der Elemente des konstanten Kapitals führen, was sich dann in einer sinkenden Wertzusammensetzung des Kapitals ausdrückt, wobei allerdings die Verbilligung der Elemente des konstanten Kapitals auf der Ebene des Gesamtkapitals nur dann zu einer sinkenden Wertzusammensetzung führt, wenn die Steigerung der Produktivität in der Produktion von Produktionsmitteln (Abteilung I) auf Dauer höher ist als diejenige in der Produktion von Konsumgütern (Abteilung II). Um nun die Tendenz einer langfristig steigenden Wertzusammensetzung des Kapitals und damit den Fall der allgemeinen Profitrate zu begründen, muss gezeigt werden, dass die mit der Steigerung der Produktivität einhergehende Verbilligung der Elemente des konstanten Kapitals die anderen Aspekte, die im Gegentrend zu steigender Wertzusammensetzung des Kapitals führen – die technische Erhöhung des konstanten Kapitals relativ zum variablen Kapital, die Senkung des Werts der Arbeitskraft – nicht kompensieren kann. (Stamatis 1977: 221f.) Es gilt daher immer auch zu berücksichtigen, wie sich die Relation zwischen konstantem Kapital und variablem Kapital entwickelt.

Marx stellt den Prozess, der zum Fall der allgemeinen Profitrate führt, folgendermaßen dar: Wenn man unterstellt, dass bei gegebener Produktion der Umfang der Waren, die zur Reproduktion der Arbeitskraft notwendig sind, gleich bleibt, wie auch die Länge des Arbeitstages, die Intensität der Arbeit und zudem das von der Arbeitskraft pro Arbeitstag geschaffene Wertprodukt konstant bleiben, dann folgt daraus, dass mit steigender Produktivität wegen der Verbilligung von Waren, die in den Warenkorb der Arbeiter eingehen, die Mehrwertrate m/v steigt, jedoch bedeutet diese Steigerung weiterhin, dass die einzelne Arbeitskraft in der gegebenen Zeitspanne eine größere Menge von Produktionsmitteln (Rohstoffe und Maschinerie) einsetzt als in früheren Produktionsperioden. Die Einsparung von Arbeitskräften durch den Einsatz von Maschinerie führt demnach unmittelbar zu einem Anwachsen des konstanten Kapitals im Verhältnis zum variablen Kapital, das heißt zu einer steigenden technischen und, in einem geringerem Maße (aufgrund der Verbilligung der Maschinerie), zu einer steigenden Wertzusammensetzung des Kapitals. Marx unterstellt, dass der größeren Menge an Produktionsmitteln je Arbeitskraft auch ein größerer Wert dieser Produktionsmittel entspricht, was, wie wir gesehen haben, problematisch ist, da sich durch die Steigerung der Produktivität alle Waren verbilligen – schließlich auch die Produktionsmittel. (Ebd.: 249f.)

Für Marx sind es die klassischen Produktionsmethoden des Industriekapitals sowie die damit verbundene spezifische Form der Produktivitätssteigerung (vor allem in den thermodynamischen und chemischen Industrien), die zur Erhöhung der technischen Zusammensetzung, in geringerem Maße auch der Wertzusammensetzung des Kapitals und gleichzeitig zu einem, allerdings geringeren, Anstieg der Mehrwertrate gegenüber demjenigen der Wertzusammensetzung des Kapitals führen. Und somit entscheidet letztendlich das Verhältnis zwischen der relativen Zunahme der Mehrwertrate und der relativen Zunahme der Wertzusammensetzung des Kapitals darüber, ob die Profitrate im Rahmen der allgemeinen Bedingungen, Parameter und Variablen, die Marx mit der Konstruktion des Gesetzes des tendenziellen Falls der allgemeinen Profitrate vorgibt, steigt oder fällt. (Vgl. Heinrich 2013) Im Falle einer fallenden Profitrate muss dann aber sui generis gelten, dass die Mehrwertrate prozentual langsamer ansteigt als die Wertzusammensetzung des Kapitals. Es muss also gezeigt werden, dass die Wertzusammensetzung des Kapitals schneller steigt als die Mehrwertrate, oder dass das Gesamtkapital schneller wächst als die absolute Mehrwertmasse. (Vgl. Stamatis 1977: 249f.) Die Elastizität der Mehrwertrate in Bezug auf die Wertzusammensetzung des Kapitals, die angibt, um wieviel Prozent die Mehrwertrate steigt, wenn die Wertzusammensetzung um ein Prozent zunimmt, muss eine bestimmte Größe annehmen, damit die Profitrate fällt, und dies ist exakt dann der Fall, wenn die prozentuale Zunahme der Mehrwertrate im Vergleich zur prozentualen Zunahme der Wertzusammensetzung niedriger ist als das Verhältnis des konstanten zum gesamten Kapital. (Ebd.: 143ff.) Marx glaubt nun zu wissen, dass tendenziell, das heißt über einen längeren historischen Zeitraum hinweg, die Mehrwertrate langsamer wächst als die Wertzusammensetzung des Kapitals, die Elastizität der Mehrwertrate also kleiner als ihr kritischer Wert ist. (Ebd.: 282f.) Man sieht hier, dass es nicht ausreicht, zu konstatieren, dass das konstante Kapital im Verhältnis zum variablen Kapital steigt, sondern das konstante Kapital muss immer in einer bestimmten Dimension steigen (und zwar umso mehr, je größer die Produktivitätssteigerung ist). Schließlich sieht man, dass sich zwar die Bewegungsrichtung der einzelnen Größen angeben lassen, die letztendlich die Profitrate bestimmen, dass aber auch immer die relative Bewegungsgeschwindigkeit der Größen zur Debatte steht. Und es lässt sich resümieren, dass sich bei Marx zwar unter formallogischen Gesichtspunkten durchaus so etwas wie eine Konsistenz des Gesetzes vom tendenziellen Fall der allgemeinen Profitrate feststellen lässt, wie dies Stamatis mit mathematischer Präzisionsarbeit auch vorgeführt hat, dies aber noch lange nichts über die historische Gültigkeit des Gesetzes aussagt. Unter ganz bestimmten Bedingungen, die gegeben sein müssen, führt nach Marx die Produktivkraftsteigerung zu einer fallenden Profitrate, wobei dann aber empirische Analysen zu folgen haben, die wiederum Gründe für die empirische festgestellte Entwicklung benennen müssen.4

Fassen wir die grundlegenden Bestimmungen der kapitalistischen Form der Produktivitätssteigerung, die zum tendenziellen Fall der allgemeinen Profitrate führen, noch einmal zusammen: Jede Steigerung der Produktivität führt zu einer prozentualen Erhöhung der technischen Zusammensetzung und damit auch der Wertzusammensetzung des Kapitals, wobei gleichzeitig im Lohngütersektor eine Senkung der Reproduktionskosten, und, wenn die Wachstumsrate der Produktivität höher als die des Reallohns ist, eine Abnahme des Werts der Arbeitskraft feststellbar ist. Allerdings reicht die daraus resultierende Erhöhung der relativen Mehrwertrate längst nicht aus, um die Erhöhung der Wertzusammensetzung des Kapitals zu kompensieren, so dass letztlich die allgemeine Profitrate fallen muss. Nun gibt es aber durchaus »neue« kapitalistische Produktionsmethoden (die Stamatis erörtert, siehe dazu Stamatis 1977: 305ff.), auf die Marx selbst schon in den Grundrissen im Zusammenhang mit der Darstellung der Problematik um die Grundrente kurz hinweist; Methoden, die aufgrund spezifischer Produktivitätssteigerungen die relative Mehrwertrate erhöhen, wobei die Wertzusammensetzung des Kapitals gleich bleibt oder gar fällt (u. a. aufgrund der Verbilligung der Maschinerie, was heute in den digitalisierten Industrien durchaus auch der Fall sein kann). Per definitionem steigt damit die allgemeine Profitrate. Selbst bei steigender technischer Zusammensetzung des Kapitals und, in geringerem Maße, der Wertzusammensetzung kann die Profitrate steigen, wenn die Produktivität prozentual stärker als die Wertzusammensetzung des Kapitals wächst.

Insofern die kybernetischen Systeme die Geschwindigkeit der Maschinen erhöhen und zugleich zur Reduktion des technischen Verschleißes führen können, ist der Wert von solchen Innovationen niedriger zu bewerten als der, den sie ersetzen (Verbilligung des konstanten Kapitals). Es kann zwar sein, dass in einer bestimmten Branche eine geringfügige Erhöhung der Produktivität einen hohen Bedarf an zusätzlichem konstanten Kapital erfordert, wie dies in den traditionellen kapitalistischen Industrien wie der Stahlindustrie oder der chemischen Industrie früher auch der Fall war, andererseits lässt sich in manchen Branchen, wie etwa heute in der Computerindustrie, wo die neuen Computer kaum teurer sind als die alten Modelle, anscheinend eine hohe Steigerung der Produktivität mit relativ wenig zusätzlichem konstanten Kapital erreichen.

Allerdings war Marx sich schon darüber klar, dass durch die technologische Innovation zwar die einzelne Maschine billiger wird, aber zugleich neue größere und damit kostenintensivere Systeme von Maschinen entwickelt werden müssen. In diese Richtung verlief dann letztendlich auch die Computerisierung – angefangen vom Einsatz weniger Roboter in der Produktion über die Vollcomputerisierung der Fabriken und Büros bis hin zur satellitenvernetzten Produktion, Logistik und verschiedenen Point-of-Sale-Plattformen innerhalb der globalen Wertschöpfungsketten. Damit steigen für die Unternehmen die Kosten für den Einsatz neuer Technologien immens. Die Realisierung eines neuen produktiven Systems bedeutet nicht einfach, dass Unternehmen dieselbe Anzahl an Maschinen einsetzen, die nun billiger geworden sind, sondern dass sie in neue, stark expandierende Systeme von Maschinen investieren müssen. Jede einzelne Maschineneinheit mag weniger kosten, aber ein einzelner Arbeiter bewegt nun wesentlich mehr an neuer Maschinerie. Dies bezieht sich insbesondere auf die signifikanten Innovationen der Telekommunikationsindustrie, der Transportsysteme und Containerschiffe und in neue Computertechnologien. Sie können zunächst zur Erhöhung der Profitrate führen, aber der Effekt wird über die Zeit auch wieder aufgebraucht sein, und zudem sind hohe Forschungsausgaben für neue Innovationen, falls sie der Staat nicht übernimmt (vgl. Mazzucato 2014), in Rechnung zu stellen. Über längere Zeit wird die Profitrate wahrscheinlich dahin tendieren, zu fallen. Und selbst wenn die Profitrate weiter steigt, mag die Profitmasse nicht ausreichen, um weiter in neue Technologien zu investieren.

1 Fast alle Marxisten benutzen zur Bestimmung der Profitrate im Zähler den Unternehmensgewinn und im Nenner den fixen Kapitalstock, und zwar als eine Annäherung an den Mehrwert und das eingesetzte Kapital. Fred Moseley behauptet, dass hier der Unternehmensgewinn im nicht-finanziellen Sektor die entscheidende Kennziffer sei, wobei er vom Unternehmensgewinn die Gewinne des sogenannten unproduktiven finanziellen Sektors und der Sektoren des Handelskapitals abzieht. Anwar Shaikh wiederum argumentiert, dass der Unternehmensprofit (die Gewinnrate des industriellen Investments nach Abzug aller anderen Forderungen auf Profit) diejenige Größe sei, die für die Investmententscheidungen relevant sei. Es gibt eine Reihe von Auseinandersetzungen darüber, ob die Netto- oder Bruttoprofitraten für die Messungen der allgemeinen Profitrate bzw. die Profite vor oder nach Abzug der Steuern relevant sind.

Andrew Kliman fordert die Messung der fixierten Assets im Nenner nach historischen und nicht nach aktuellen Kosten. Alan Freeman fordert, das nur die fixed Assets im Nenner der allgemeinen Profitrate berücksichtigt werden sollten (womit auch finanzielle Instrumente berücksichtigt werden; hier geht Freeman mit Piketty konform). Der Wert des verausgabten Kapitals sei, so Freeman, in den verschiedenen Phasen des Kapitalkreislaufs nicht nur in Maschinen, Rohstoffen, Energien und Anlagen gebunden, sondern eben auch in Geldbeständen und in finanziellen Investitionen. Geld unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von unverkauften Waren, dem Inventar und dem Kapitalstock. Was passiert nun mit der Profitrate, wenn die handelbaren finanziellen Instrumente im vorgeschossenen Kapital bzw. im Nenner der Profitrate enthalten sind? (Natürlich sind auch die Gewinne auf finanzielle Assets im Zähler der Profitrate anzuführen.) In den USA und Großbritannien haben wir es dann laut Freemans eigenen empirischen Analysen – entgegen der Annahmen Shaikhs – schon seit den 1980er Jahren mit einem Fall der Durchschnittsprofitrate zu tun.

2 Die technische Zusammensetzung des Kapitals, ausgedrückt in Werten, bezeichnet Marx als Wertzusammensetzung bzw. organische Zusammensetzung des Kapitals (c/v). Während die Wertzusammensetzung des Kapitals auch die indirekten Wirkungen und Variationen der sie bestimmenden Parameter berücksichtigt, bezieht sich die organische Zusammensetzung des Kapitals rein auf die direkten Veränderungen von (c) und (v). Organische Zusammensetzung des Kapitals bezieht sich auf den Fall, dass technische Zusammensetzung und Wertzusammensetzung ansteigen.

3 Vgl. Milios: Zur Darstellung von Marx’ Krisentheorie im dritten Band des Kapital. In: Beitrage zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1998, 47–60.

4 Die Wahl der Techniken ist zumindest kurzfristig als stochastisch und nicht als deterministisch zu begreifen. (Shaikh 2016: Kindle-Edition, 1543) Der technische Wandel lässt aber langfristig die durchschnittlichen Profitraten erodieren, wobei in der neoliberalen Phase ein verringerter Lohnanteil den Fall der Profitrate lange Zeit aufgehalten hat. (Die durchschnittlichen und die inkrementellen Profitraten sind immer als Kombinationen aus Profit- und Zinsraten zu verstehen.) Dies ist für Anwar Shaikh das Geheimnis des Booms nach den 1980er Jahren. Die Niedrigzinspolitik führte zu einem dramatisch ansteigenden Schuldensektor, man denke hier auch wieder an die Konsumentenkredite und Hypotheken, die zur Kompensation der sinkenden Reallöhne dienten. Shaikh begreift die Krise von 2007 als die erste große Rezession im 21.Jahrhundert, die sich wie alle großen Krisen durch einen finanziellen Kollaps und, im Fall der USA, speziell durch die Subprime-Krise angezeigt hat. Aber das war für Shaikh nicht der eigentliche Grund der Krise. (Ebd.: 19757f.)

Shaikh untersucht zur Krisenbestimmung zunächst die langen Wellen; dabei geht er von drei- bis fünfjährigen Zyklen aus, die auf das Inventar abgestimmt sind, von sieben- bis zehnjährigen Zyklen, die auf das fixe Kapital bezogen sind, und von längeren strukturellen Zyklen. (Ebd.:2505 ff., 19332f.) Alle diese Zyklen sind von beschleunigten und entschleunigten Prozessen der Kapitalakkumulation durchzogen. Die große Depression der 1930er Jahre zeichnete sich durch hohe Arbeitslosigkeit und hohe Preise aus, und bei der Stagflationskrise in den 1970er Jahren gab es als Resultat der keynesianischen Politik eine gegenüber der großen Depression zumindest eine halbierte Arbeitslosigkeit und hohe Inflationsraten zu vermelden. Ab den 1980er Jahren haben wir es mit einer neuen Form des Booms zu tun; permanent niedrige Zinsraten erhöhen die Nettogewinnraten auf das Kapital (die Netto-Differenz zwischen Zinsrate und Profitrate) und führen zu einer weit gestreuten Verteilung des Geldkapitals über den Globus, zu einem Anstieg der Konsumentenkredite und schließlich zu sich verstärkenden Finanzkrisen und Bubbles. Gleichzeitig gibt es die neoliberalen Attacken auf die Reallöhne, die im Verhältnis zur Produktivität sinken. Der Anteil der Arbeitseinkommen am Volkseinkommen nimmt in den letzten Jahrzehnten in den zentralen Ökonomien ab. Der Fall der Zinsraten und der Reallöhne führt zu einem Anstieg der Nettoprofitraten. Normalerweise hätte dies zu einer Stagnation der Konsumnachfrage führen müssen, aber durch den Fall der Zinsrate können in enormen Ausmaß Konsumentenkredite vergeben werden, und so steigt die Konsumnachfrage aufgrund der Verschuldung bis zur großen Krise weiter an. Aber dieser Boom ist für Shaikh inhärent inkonsistent. Die Ausweitung einer billigen Finance führt zu hohen Verschuldungen in allen Sektoren der Wirtschaft, insbesondere kompensieren die Haushalte das Sinken der Reallöhne eben mit der Aufnahme von Konsumentenkrediten.

Empirisch untersucht Shaikh die großen Kondratjeff-Wellen von 1790 bis 2010 in den USA und Großbritannien (das Preislevel wird auf Gold bezogen). (Ebd.: 19337f.) Fast immer beginnt eine Krise in der Mitte der Abwärtsbewegung, und für Shaikh macht die Rezession von 2007 hier keine Ausnahme. Generell hat die technologische Innovation einen negativen Einfluss auf die durchschnittliche Profitrate, was aber in der neoliberalen Periode durch fallende Reallöhne so weit kompensiert wurde, dass zumindest der Fall der maximalen normalen Profitrate aufgehalten werden konnte. Die durchschnittlichen Nettoprofitraten und die marginalen Profitraten sind strukturell auf die Kombinationen der Pfade der Profitraten und der Zinsraten bezogen.

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