Zur Frage der Immobilienspekulation (1)

Wir registrieren heute auf der einen Seite steigende Mieten und die berüchtigte Gentrification, den vertikalen Wohnungsbau und teure Eigentumswohnungen in den Zentren der Großstädte, zudem monströse Großprojekte und massive Urbanisierungsprozesse in den Schwellenländern und Peripherien, und auf der anderen Seite die Zunahme städtischer Armut, Leerstand von Wohnungen und Bauruinen als Zeichen von über die Kontinente wandernden Immobilienblasen. Zwischen der Urbanisierung und der krisenhaften Dynamik des Kapitalakkumulation besteht eine enge Relation, während gleichzeitig soziale Bewegungen, Riots und Revolten die dominierende Urbanisierung radikal in Frage stellen. Auf der Suche nach neuen Anlagemöglichkeiten und verstärkt noch durch die Niedrigzinspolitik flossen seit dem Finanzcrash des Jahres 2008 gigantische Summen Geldkapital in den Immobiliensektor. Schon allein weil dieser von der begrenzten Naturressource Boden abhängig bleibt, schlägt sich das Investitionsspektakel insbesondere in den Großstädten in stark ansteigenden Immobilienpreisen nieder, womit die Vermögen sprunghaft anwachsen, während größere Teile der lohnabhängigen Bevölkerung in die Außenbezirke der Städte gedrängt werden und im globalen Maßstab die Surplusbevölkerung in den Slums als akkumulierte Leichenhaftigkeit vor sich hin vegetiert.

David Harvey hat in seinem Buch „Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus“ das Problem um die Immobilienindustrie zunächst an der Relation zwischen dem Gebrauchswert und dem Tauschwert eines Hauses zu erklären versucht. Als Gebrauchswert bietet das Haus einen Ort zum Wohnen und damit zur alltäglichen Reproduktion, eine Art Territorium, das für die Bewohnenden Sicherheit und Privatheit ermöglicht. Darüber hinaus kann das Haus auch als Statussymbol dienen und besitzt unter Umständen eine architektonische oder touristische Bedeutung. Von der Tauschwertseite ist zu beachten, dass man ein Wohnhaus entweder pachten, mieten oder kaufen muss, um es nutzen zu können. Das Haus besitzt also einen Preis, der entweder als Miete oder als Kaufpreis zu entrichten ist, um dann eine spezifische Nutzung jeweils zu vollziehen.

Neben dem primitiven Bau von Blech- oder Holzhütten, die oft mit Nachbarschaftshilfen gebaut werden und deren Kosten (insbesondere Material) relativ niedrig sind, gibt es die Auftragsarbeiten, bei denen ein Landbesitzer einen Architekten, Bauunternehmer und Handwerker beauftragt, ein Wohnhaus nach einem bestimmten Plan zu bauen. Dabei wird der Preis/Tauschwert des Hauses durch die Kosten für das Rohmaterial, die Arbeitslöhne und die Dienstleistungen bestimmt.

Ein Wohnhaus ist meistens eine recht teure Anschaffung, wobei der Konsum des Hauses sich über viele Jahre erstreckt, ein Konsum, der, wenn man das Haus nicht bar bezahlen kann, durch Pacht oder Mieten, die an den Hauseigentümer zu zahlen sind, beglichen wird, oder man leiht sich Geld bzw. nimmt eine Hypothek bei einer Bank auf, um ein Haus zu kaufen. Während der Laufzeit der Hypothek ist der vollständige Preis des Hauses plus monatliche Zinsen zu zahlen. Erst nach einer Frist von einigen Jahren geht also das Hauseigentum an den Käufer über. Das Wohnhaus wird damit zu einem Vermögen transformiert, wobei der Käufer sich den Teil des Preises, den er durch seine monatlichen Zahlungen realisiert hat, auch ausbezahlen lassen kann (minus Instandhaltungskosten). Nun ist aber der Tauschwert/Preis des Hauses alles andere als eine feststehende Größe, insofern er von einer Reihe ökonomischer Faktoren beeinflusst wird, bspw. durch den Preis der Wohnhäuser in der Umgebung (welche soziale Klasse lebt im Umfeld des Hauses), die Community, die sich im Surrounding befindet, und einer Reihe anderer sogenannter Externalitäten.

Des Weiteren kommt es zur Schaffung von Wohnraum durch Spekulation, indem das Haus in eine Ware transformiert wird, die am Markt von jedem gemietet/gekauft werden kann, der sich das Haus leisten kann – dabei ist der Tauschwert nicht allein durch die Grundkosten des Hausbaus bestimmt (Rohmaterial und Arbeit), sondern es kommen weitere Kosten hinzu: zum ersten der Gewinn des Investors, der das Startkapital aufbringt und dafür möglicherweise Zinsen für aufgenommene Kredite zahlt, und zum zweiten die Kosten für den Kauf oder die Pacht des Baulandes; der Preis des Hauses wird also festgelegt durch die tatsächlichen Baukosten, plus dem Gewinn des Investoren, plus Zinsen auf Kredite und schließlich durch den Grundstückpreis. Of course spekuliert der Investor bei der Bewirtschaftung des Hauses auf den Tauschwert und interessiert sich weniger für den Gebrauchswert, wobei es ihm, um es genauer zu sagen, um den potenziellen, das heißt um den zukünftigen Tauschwert des Hauses geht. (In den Kämpfen um bezahlbaren Wohnraum und soziale Wohnbauprojekte wurde in der Geschichte hingegen viel stärker der Gebrauchswertaspekt für die Arbeiter bzw. die unteren Klassen in den Fokus gerückt.)

Auch am Immobilienmarkt ist der Kapitalisierung die Spekulation immanent. Die Wohnraumerzeugung ist nun definitiv mit ökonomischen Risiken verbunden, insofern in der Zukunft für den Investor auch keinerlei Gewinn (der als Grundrente zu verstehen ist, falls er sich auf den Boden bezieht)1 anfallen könnte. Dabei wird hinsichtlich der Grundrente unterschieden zwischen der realen Grundrente, die sich aus den gegenwärtigen Mietzahlungen speist, und der zukünftigen/potenziellen Grundrente, die durch die antizipierte profitable Verwertung eines Grundstückes bzw. durch möglichst hohe Mietsteigerungen bestimmt ist. So wird ein Stadtviertel als Objekt der Gentrifizierung für Immobilieninvestoren genau dann interessant, wenn die Differenz zwischen gegenwärtiger und potenziell realisierbarer Grundrente so ansteigt, dass sich Investitionen angesichts der hohen Renditeerwartungen in diesem Stadtteil im Vergleich zu anderen Anlagesphären lohnen. Ganze Wohnkomplexe werden damit in Finanzanlagen bzw. Assets transformiert.

Heute zirkulieren die großen physikalische Massen an fixem Kapital, die im bebauten Raum anwesend sind, vor allem auch als zinstragendes Kapital, das sich Renten aneignet. Die Erzielung von Renten und die damit verbundene Zirkulation des zinstragenden Kapitals zeigt sich in der Existenz eines riesigen globalen Hypothekenmarktes. David Harvey subsumiert unter den Begriff „gebaute Umwelt“ alle produzierten, physischen und unbeweglichen Elemente im Raum (Fabrik- und Bürogebäude, Wohnhäuser, Straßen, Eisenbahnlinien oder Häfen). Die insbesondere in Städten gebaute Umwelt bedarf eines kapital-, arbeits- und zeitintensiven Produktionsprozesses, wobei das verausgabte Kapital über lange Zeiträume gebunden ist und nur langsam in die verschiedenen wirtschaftlichen Kreisläufe zurückfließt. Die Investitionen in die gebaute Umwelt der Städte ermöglichen die Absorption von Arbeitskräften und überschüssigem Kapital, dessen zeitliche Transformation in die Zukunft hier von Bedeutung ist. Dabei können die Geschäftsbanken sowohl den Bauunternehmen Geld für den Bau von Wohnkomplexen als auch den Konsumenten Geld für den Kauf dieser Häuser durch Hypothekarkredite ermöglichen. Diese Vergabe von Zahlungsmitteln verläuft durchaus nicht synchron, wobei in Zeiten billiger Kredite und großer Liquiditätsüberschüsse der Banken sowohl das Angebot als auch die Nachfrage nach Häusern zu einer Investitionsblase führen können.

Seit der Finanzialiserung, die etwa ab dem Jahr 1970 begann, sind Häuser und Wohnkomplexe zunehmend zu Spekulationsobjekten geworden. Der Wohnraum gilt jetzt quasi als ein Geldautomat für die Eigentümer, wobei er zudem noch die Gesamtnachfrage steigert, eben auch die nach Wohnimmobilien. Das kann zu Spekulationswellen führen, die bis hin zum Ponzi-Schema laufen: Man kauft ein Haus auf Kredit, wenn eben die Hauspreise steigen, wobei steigende Immobilienpreise immer mehr Investoren anlocken, die Häuser kaufen wollen. Sie leihen sich im Boom relativ leicht Geld, da die Banken liquide sind, und investieren in Immobilien, wobei deren Preise weiter steigen, sodass noch mehr Investoren und Institutionen in das Spiel einsteigen, bis es zu einer Blase kommt, die irgendwann natürlich auch platzen kann. Beim Immobiliencrash in den USA im Jahr 2008 verloren daraufhin circa 4 Millionen Menschen ihre Häuser durch Zwangsvollstreckungen Als nämlich auf dem Peakpoint die Häuserpreise so weit gestiegen waren, dass viele Menschen für ihr Haus hohe Kredite aufnehmen mussten, erwies sich in der Krise, als die Häuserpreise wieder fielen, dass die Kredite sich als nicht zurückzahlbar erwiesen.

Der Grundstücks- und Immobilienmarkt, wobei insbesondere an die Spekulation mit dem Boden und an die Grundrente zu denken ist, impliziert ein ähnliches spekulatives Potenzial wie das des fiktiven und spekulativen Kapitals. Solange alle an den Immobilienmärkten involvierten Akteure daran glauben, dass sich mit der Vermietung bzw. dem Verkauf von Immobilien in Zukunft hohe Einnahmen erzielen lassen, steigen die Grundstücks- und Immobilienpreise und damit auch die Renditen weiter an. Diese Tendenz wird dadurch verstärkt, dass Investitionen in die gebaute Umwelt aufgrund ihrer Kapazität und der langen Laufzeit auf Krediten, fiktivem und spekulativem Kapital basieren (Hypotheken, CDOs etc.). Die aus der Transformation von Immobilien und Grundstücken in Assets/ Finanzanlagen resultierende enge Anbindung an die Finanzmärkte beschleunigt die rasante Entwicklung. Sind die Profitraten für das industrielle und kommerzielle Kapitalkreislauf niedrig, so kann durch das in den Immobiliensektor einströmende Geldkapital eine Preisspirale in Gang gesetzt werden, welche die Entstehung eines kreditfinanzierten Immobilienbooms wahrscheinlich macht, wobei aber aufgrund der langen Investitionsperioden und der Immobilität der gebauten Umwelt, dem technologischen Niveau, des geographischen Environments und der damit verbundenen Art der Bebauung auch eine raumzeitliche Fixierung von Kapital stattfindet. Trotz der rasanten ökonomischen Dynamik verwandeln sich die Faktoren gebauter Umwelt daher regelmäßig von einer Voraussetzung auch zu einer Grenze der Kapitalakkumulation. Dies gilt umso mehr, als die Verlagerung von überschüssigem Kapital in den Immobiliensektor und die ihm inhärente spekulative Dynamik vor allem bei großen Infrastrukturprojekten sowie en städtischen Immobilienmärkten die Gefahr einer Überproduktion gebauter Umwelt bzw. der Bildung einer Immobilienblase erzeugt. Erweisen sich die getätigten Investitionen als ökonomisch nicht profitabel oder stehen Angebot und Nachfrage in einem disproportionalen Verhältnis, so droht die gebaute Umwelt massiv an Wert zu verlieren.

Auch an den Mietmärkten treten dann Probleme der Finanzierung auf. In den Metropolen kaufen Pensions- , Aktien- und Investmentfonds heute ganze Wohnkomplexe auf, um durch Mieterhöhungen Rendite erzielen zu können, wobei man oft die aktuellen Gebrauchswerte zerfallen lässt, um geplante Reinvestitionen vorzunehmen. Das ist natürlich ein Risikogeschäft, bei dem die Fonds selbst insolvent gehen können oder zumindest Verluste einfahre

Gegenwärtig steigen die Immobilienpreise in den deutschen Großstädten massiv an; wir haben es mit einer Inflation am Immobilienmarkt, insbesondere bei den Grundstückspreisen zu tun. Je mehr Grundstücks- und Immobilienpreise ansteigen, umso leichter ist es im Moment für große Investoren, weitere Kredite zum Immobilienkauf von den Banken zu bekommen, weil höhere Vermögenspreise auch höhere Sicherheiten bedeuten, die man wiederum zum Erwerb von Krediten benutzen kann. Steigende Vermögenswerte ermöglichen so weitere Kreditschöpfungen, was wiederum zu steigenden Vermögenswerten und weiterer Kreditvergabe führt. Es kommt zum massiven Kauf von Wertpapieren, Immobilien und Derivaten und demgemäß meistens zur Vermögensinflation an den Finanzmärkten.

Unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten sind Hypothekarkredite nur teilweise produktiv: Nämlich beim Bau von Immobilien, während beim Erwerb bestehender Immobilien keine produktive Verwendung stattfindet. Es ist davon auszugehen, dass seit dem Jahr 1990 ungefähr drei Viertel des von den Geschäftsbanken erzeugten Giralgeldes für den Kauf verschiedener Finanzanlagen verwendet wurden, was einen selbstverstärkenden Effekt nach sich zieht, denn je mehr die Preise der Wertpapiere (und Immobilien) am Markt steigen, desto leichter vergeben Banken neue Kredite, die für den Kauf von Wertpapieren eingesetzt werden. Damit initiieren sie eine weitere Steigerung der Wertpapierpreise, was wiederum zum Schöpfen von neuen Krediten führt. Somit kommt es zu ständig steigenden Kursen und steigenden Immobilienpreisen, anhaltende Preissteigerungen an den Finanzmärkten führen zur Blasenbildung. Im Jahr 2016 haben die Kredite, die für den Kauf von Wertpapieren verwendet werden, an der Wall Street mit 551 Milliarden US-Dollar einen neuen Höchststand erreicht.

Gegenwärtig vergeben die privaten Banken einen großen Anteil ihrer Kredite als Hypothekarkredite. Laut dem Ökonomen Mathias Binswanger kann dieser Anteil, so eine von ihm zitierte Hypothekarstudie, die über die Kreditvergabe in 17 Industrienationen (England, USA, Schweiz etc.) seit 1990 angefertigt wurde, im Durchschnitt bis zu 60% des Kreditvolumens der Banken ausmachen. Dies hängt einerseits mit der gestiegenen Anzahl der Eigentümer von Eigenheimen, andererseits mit der steigenden Nachfrage nach immer teurer werdenden Wohnungen vor allem in den urbanen Ballungszentren der Metropolen zusammen. Die großen industriellen und kommerziellen Unternehmen sind heute hingegen auf die Vergabe von Bankkrediten oder selbst auf die Emission von Unternehmensanleihen nicht mehr unbedingt angewiesen, um finanzielle Fonds für ihre eigenen Investments zu erhalten, sie geben eher neue Aktien aus oder finanzieren sich aus den Rückflüssen ihrer Investitionen. Die langfristig vergebenen Kredite für Unternehmen bleiben aber dennoch strukturell wichtig, obgleich eben nur ein kleiner Teil der Assets der privaten Banken in der Vergabe von Krediten für produktive Investments besteht.


1) Marx geht davon aus, dass das Eigentum eines Grundstücks zu einer Rente führt, obgleich es als Naturkraft keinen Wert besitzt, weil in ihm keine menschliche Arbeitskraft enthalten ist. Die absolute Rente ist die Voraussetzung für die Differentialrente, die unter der Voraussetzung der Existenz von unterschiedlichen Renten, die unterschiedliche Erträge abwerfen, bestimmt werden kann. Die Differentialrente enthält den über die Mechanismen der Konkurrenz erzielten Extraprofit. Bei der Realisierung erhält der Verkäufer/Vermieter mehr an Wert zurück als an toter und lebendiger Arbeit im Produkt enthalten ist. Der Surplusprofit fließt dem Grundbesitzer als Rente zu, wenn der Boden verpachtet oder vermietet wird. Bei der Analyse des Immobilienkapitals kann es ausreichen, die Kosten des Bodenpreises aus seinem Marktpreis und seiner Verzinsung herzuleiten. Schließlich kommt bei der Bildung des Marktpreises eines Grundstücks noch hinzu, dass er nicht allein aus dem Grundstückspreis berechnet wird, sondern zusätzlich durch den Wert toter und lebendiger Arbeit, die verausgabt wird, damit das Grundstück für die urbane Bebauung genutzt werden kann.

Foto: Stefan Paulus

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