Kommata und Flammen

Einem Freund, der ihm von der Bombardierung Shanghais durch die Japaner erzählte, antwortete Karl Kraus: „Ich weiß, dass dies keinen Sinn macht, wenn das Haus abbrennt. Aber solange es möglich ist, kümmere ich mich um die Kommata, denn wenn die Leute, die es tun mussten, darauf geachtet hätten, dass alle Kommata an der richtigen Stelle stehen, wäre Shanghai nicht abgebrannt“. Wie immer verbirgt sich hinter dem Witz eine Wahrheit, an die man sich erinnern sollte. Die Menschen finden ihre eigentliche Heimat in der Sprache, und wenn sie schlecht denken und handeln, dann liegt das daran, dass ihre Beziehung zu ihrer Sprache von vornherein beschädigt und fehlerhaft ist. 

Wir haben lange in einer verarmten und verwüsteten Sprache gelebt, alle Völker laufen heute, wie Scholem über Israel sagte, blind und taub über den Abgrund ihrer Sprache, und es ist möglich, dass diese verratene Sprache sich in gewisser Weise rächt, und dass ihre Rache umso unbarmherziger ist, je mehr die Menschen sie verdorben und vernachlässigt haben. Wir alle merken mehr oder weniger deutlich, dass unsere Sprache auf wenige Schlagworte reduziert ist, dass der Wortschatz noch nie so beschränkt und abgenutzt war, dass die Phraseologie der Medien überall ihre miserable Norm durchsetzt, dass in den Hörsälen der Universitäten Vorlesungen über Dante in schlechtem Englisch gehalten werden: Wie kann man unter solchen Bedingungen erwarten, einen richtigen Gedanken zu formulieren und mit Redlichkeit und Besonnenheit danach zu handeln? 

Es ist auch nicht verwunderlich, dass diejenigen, die eine solche Sprache gebrauchen, jegliches Bewusstsein für die Beziehung zwischen Sprache und Wahrheit verloren haben und daher glauben, dass sie Worte verwenden können, die keiner Realität mehr entsprechen, bis hin zu dem Punkt, dass sie nicht mehr merken, dass sie lügen. Die Wahrheit, von der wir hier sprechen, ist nicht nur die Entsprechung zwischen Diskurs und Tatsachen, sondern auch die Erinnerung an den Apostroph, den die Sprache an das Kind richtet, das seine ersten Worte mit Gefühl ausspricht. Menschen, die jede Erinnerung an diesen sanften, anspruchsvollen, liebevollen Zuruf verloren haben, sind, wie wir in den letzten Jahren gesehen haben, buchstäblich zu jeder Schlechtigkeit fähig.

Achten wir also weiterhin auf die Kommata, auch wenn das Haus abbrennt, sprechen wir behutsam und ohne Rhetorik miteinander, hören wir nicht nur auf das, was wir sagen, sondern auch auf das, was die Sprache uns sagt, auf jenen kleinen Hauch, den man einst Inspiration nannte und der das wertvollste Geschenk bleibt, das uns die Sprache – sei es der literarische Kanon oder der Dialekt – manchmal machen kann.

Veröffentlicht im italienischen Original am 19. Juni 2023, ins Deutsche übertragen von Bonustracks

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