Ein stiller Abschied mit Tony Negri

Vor zwei Jahren, glaube ich, rief Tony an. Er war auf der Durchreise nach Rom und bat mich, ihn zu treffen. Eine Stunde zusammen mit Judith[1] in einem leeren Haus in der Nähe des Campo de’ Fiori (ein verlassenes Versteck, würde ein alter PCI-Gauner denken). Wir sprachen über nichts oder fast nichts, nur über Phrasen, die einen Vorwand boten, um wieder zum Schweigen gebracht zu werden, ohne Unbehagen.

In diesem Haus in Rom fand ein klarer und einfacher Abschied statt, der sich nicht hinter rituellen Klageliedern versteckte. Nach Jahren des homerischen Gezänks[2] und des enthusiastischen Lobes für jeden Versuch, die schmale Tür zu finden, durch die der Kampf gegen die Lohnarbeit im Zeitalter eines endgültig ausgereiften Kapitalismus gehen könnte, schadet ein wenig fassungsloses Schweigen nicht. Im Gegenteil, es versöhnt.

Ich erinnere mich an Tony, einen Bewohner der Zelle 7 des Hochsicherheitstrakts im Gefängnis von Rebibia, der unkontrolliert weinte, weil die Wärter seine Kameraden mitten in der Nacht in einer “Blitzaktion” auf dieses ehrenvolle Abenteuer mitnahmen. Und ich erinnere mich, wie er ironisch und temperamentvoll im Hof des Gefängnisses von Palmy stand, mit einer Anklageschrift auf dem Rücken, die ihn operativ als führenden Rot-Taxarchisten darstellte und aufgrund derer er Gefahr lief, mit verschiedenen späteren “Transmigranten”, die damals noch kämpferisch und unnachgiebig waren, auf eine Seite gestellt zu werden.

Tony war ein unbeholfener, naiver Gefangener, der die Tricks (und den Zynismus) nicht kannte, die seine Rolle erforderte. Er wurde verleumdet und gehasst wie kaum ein anderer im Italien des 20. Jahrhunderts. Als Marxist und Kommunist wurde er von der gesamten Linken, von Reformern und Progressiven aller Richtungen verleumdet und gehasst.

Als er 1983 ins Parlament gewählt wird, bittet er seine Abgeordnetenkollegen in einer bewegenden Rede, der Fortsetzung des Prozesses gegen ihn zuzustimmen: Er wolle die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen der Berlinguer Richter nicht umgehen, sondern widerlegen. Er bat aber auch darum, freihändig vor Gericht zu erscheinen, da die Sicherungsverwahrung durch die in den vergangenen Jahren erlassenen Sondergesetze ungerechte und skandalöse Ausmaße angenommen hatte.

Natürlich stimmte das Parlament mit Zustimmung der reformistischen Linken für die Rückführung des Angeklagten Negri ins Gefängnis. Gibt es noch jemanden, der den Wunsch hat, diese Linke wieder zu etablieren?

Tony hat sich nie gescheut, zu weit zu gehen. Nicht einmal, als er sich auf einen Nahkampf mit der materialistischen Philosophie einließ, in dem er mehr Dinge einbezog, als es zwischen Himmel und Erde zu geben scheint, vom hypothetischen Diskurs des Unwirklichen (“wenn du das gewollt hättest, wäre es anders gelaufen”) bis zur geheimen Allianz zwischen Freude und Melancholie. Auch nicht, als er (Mitte der 1970er Jahre) glaubte, der Raum der Autonomie müsse sich beeilen, um die postfordistische Arbeit zu organisieren, die sich in Wissen und Sprache artikuliert, hartnäckig lässig und flexibel ist.

Tony war nie misstrauisch oder zurückhaltend. Er kam oft aus dem Rhythmus, genau wie diejenigen, die das Tempo des Liedes, das sie gerade gesungen haben, wahnsinnig beschleunigen und es mit dem Tempo vieler anderer Lieder, die sie gerade gehört haben, weiter vermischen. Seine gewohnte Position erschien vielen, selbst denen, die ihm am nächsten standen, als fehl am Platz und aus der Zeit gefallen – für ihn war die “richtige Zeit” (die Zeit der alten Griechen), sofern sie nicht etwas Unvorhersehbares und Überraschendes enthielt, nie wirklich richtig.

Man sollte jedoch nicht annehmen, dass Negri ein Bohemien der Ideen, ein Improvisator von Handlungen und Gedanken war. Strenge und Methodik sind in seinem Werk und in seinen Tagen reichlich vorhanden. Aber der Punkt ist die Strenge, mit der die Ausnahme abgewogen werden muss – der Punkt ist die Methode, die zu dem passt, was ist, aber nicht sein könnte, und umgekehrt, was nicht ist, aber sein könnte.

Vor allem, Tony, lieber Freund, habe ich nicht viel von deiner Reise mitbekommen. Aber ich kann mir unsere Zeit, ihre Ontologie oder ihr Wesen, wie Foucault sagen würde, nicht vorstellen ohne diese Reise, ohne die Umwege und Umkehrungen, die sie geprägt haben. Nun ein wenig wohltuendes Schweigen, frei von jeder Verlegenheit, wie in jenem Haus in Rom, wo ein nüchterner Abschied stattfand.

[1] Judith Revel, französische Schriftstellerin und Übersetzerin, Negris Begleiterin.

[2] Im Original wird hier der Ausdruck insulti pantagruelici verwendet, d. h. Beleidigungen, die Pantagruel, dem fiktiven Helden von Rabelais, würdig sind.

Erstmals veröffentlicht in Un congedo silenzioso, Il Manifesto 17/12/23. Übersetzungen und Anmerkungen: A.G.

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