Lützerath und “Krieg gegen Russland” – keine Opposition bei den Grünen

Baerbocks “Versprecher” hat Tradition. Mehr Ärger gibt es in ihrer Partei, weil sie klimapolitisch nicht hält, was sie im Wahlkampf versprach. Manche, die damit hadern, sehen die Grünen dennoch als “Familie”.

Ende Januar hat Bundesaußenministerin Baerbock weltweit für Schlagzeilen gesorgt, weil sie bei einer Konferenz des EU-Ministerrats erklärte: “Wir führen einen Krieg mit Russland”. Ihr Ministerium will das nicht als Kriegserklärung verstanden wissen, eine Sicherheitsexpertin bezeichnet es im ZDF als “extrem unglücklichen Versprecher”.

Problematisiert wird in öffentlich-rechtlichen deutschen Medien nur, dass Baerbock damit Russland “Stoff für neue Vorwürfe” geliefert habe – nicht etwa, dass sie selbst nicht mehr auseinanderhalten kann, ob Deutschland und die Nato nun direkt oder indirekt am Krieg beteiligt sind.

Die deutsche Botschaft in Moskau hat dazu erklärt: “Das Völkerrecht ist eindeutig: Die Ukraine dabei, mit Material zu unterstützen, ihr in der UNO-Charta verbrieftes individuelles Selbstverteidigungsrecht gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auszuüben, macht Deutschland nicht zu einer Konfliktpartei.”

Hat es also rein gar nichts zu bedeuten, wenn Baerbock spricht, als wäre sie zumindest mental im Krieg gegen Russland?

Nun steht diese Aussage durchaus in der Tradition des grünen Militarismus der letzten Jahre. Doch dass eine deutsche Außenministerin, die 80 Jahre nach der Schlacht von Stalingrad so unbefangen von einem neuen Krieg mit Russland redet, das hätten sich selbst die deutschlandkritische Linke nicht ausdenken können, die Anfang der 1990er-Jahre vor der Wiederkehr eines Großdeutschlands warnte, das sich zwar von Nazideutschland distanzierte, aber an die Politik des deutschen Imperialismus anknüpfen würde.

Damals beteiligten sich auch führende Mitglieder und Funktionäre der Grünen Partei an der Kampagne “Nie wieder Deutschland”. Insgesamt war in deutschlandkritischen Bewegung allerdings die Distanz zur grünen Partei groß, da viele der linken Grünen, die damals wie Thomas Ebermann oder Jutta Ditfurth die Partei verließen, auf den Weg zur Grünen FDP sahen.

Dass allerdings 2023 alle Welt über eine rausgerutschte Kriegserklärung einer deutschen Außenministerin mit grünem Parteibuch reden würde, hätten sich auch die größten Pessimisten der “Nie wieder Deutschland”-Bewegung vor 30 Jahren nicht ausmalen können.

Wo bleibt die Kritik innerhalb der Grünen?

Noch auffälliger ist, dass es bisher keine relevante Kritik an Baerbocks Aussage in der Grünen Partei zu hören ist, die immerhin noch immer ihren pazifistischen und gewaltfreien Gründungsmythos betont. Wer genauer hinschaut, wird merken, dass schon in den 1980er-Jahren sich dort viele Exmaoisten tummelten, die von ihren ehemaligen K-Gruppen den Antisowjetismus mitgebracht hatten.

Die Partei zog auch verschiedene sogenannte Linksnationalisten an, die die deutsche Frage wieder auf die Agenda setzen, die erst geklärt sein werde, wenn das System von Jalta, also die Nachkriegsordnung der Anti-Hitler-Koalition, wo verständlicherweise das besiegte Deutschland nichts zu sagen hatte, zertrümmert ist. Damals wurde schon in diesen neurechten Zirkeln, wie die Zeitung “Wir selbst” davon gesprochen, dass die Sowjetunion geschält werden müsse wie eine Zwiebel, heute nennt man das Entkolonisierung Russlands.

Also ist der angebliche “Versprecher” vom Krieg gegen Russland längst nicht so weit weg von der Geschichte der Grünen, wie manche, die die frühen Jahre der Partei verklären, glauben machen wollen. Nur werden sich die wenigsten, die Baerbock unterstützen, heute noch daran erinnern. Auf sie trifft eher die Analyse des sozialrevolutionären Theoretikers Detlef Hartmann zu, der den Zusammenhang von Krieg und ökonomischer Innovation betont.

Die Grünen seien als Vertreter der modernen innovativen Kapitalfraktionen daher die besonders aggressive Formation des deutschen Imperialismus, so Detlef Hartmann. In der Grünen Partei gibt es dagegen keinen wahrnehmbaren Widerstand mehr. Es melden sich hier und da noch kleine Initiativen zu Wort, die aus einer Zeit stammen, in der über die Beteiligung am deutschen Militarismus in der Partei noch leidenschaftlich gestritten wurde.

Da sollte nur an den Sonderparteitag der Grünen 1999 in Bielefeld erinnert werden, wo sich der erste grüne Außenminister Joschka Fischer und Co. mit der Kriegsbeteiligung gegen Jugoslawien durchsetzten. Damals gab es noch eine wahrnehmbare Opposition in – und außerhalb der Partei. Davon ist 24 Jahre später keine Rede mehr. Der Wurf eines Farbeis durch eine parteiunabhängige Antimilitaristin ist heute weitgehend vergessen, auch in linken Kreisen.

Lützerath, die Grünen und falsche Untergangsszenarien

Mehr innerparteiliche Diskussionen löste die Räumung des Dorfes Lützerath in NRW bei den Grünen aus. Schließlich ist die Partei Teil der Regierung in NRW, der Verantwortliche bei der Polizei ist Mitglied der Partei. Hier konnte man in Ansätzen noch Stimmen und Stimmungen wiedererkennen, wie sie in den späten 1990er-Jahren während der Debatte um die Kriegsbeteiligung an Jugoslawien laut wurden.

Da flossen Tränen und einige Grüne bekundeten ihre Zerrissenheit, aber am Ende blieben sie loyal zur Parteiführung. Damals aber hatte der linke Parteiflügel der 1980er-Jahre die Partei schon weitgehend verlassen. Im Zuge der Debatte um den Jugoslawien-Krieg wechselten noch einige zur PDS, einer der Quellparteien der heutigen Linkspartei. Doch alle Prognosen, die die Grünen wie Stefan Hebel in der Wochenzeitung Freitag als “Partei am Abgrund” wähnen, liegen falsch.

Schon der konkret-Herausgeber musste sich korrigieren, nachdem er vor vielen Jahren das Ende der Grünen prophezeit hatte. Doch er hatte damals in einem Punkt Recht: Das Ende der Grünen als Bewegungspartei war spätestens mit dem Kriegsparteitag 1999 in Bielefeld besiegelt. Nun waren die Grünen Teil des Staatsapparates, eine Partei, die mit fast allen anderen Parteien koalieren kann und die auch alle schmutzigen Aufgaben erledigen kann, die zum “Staat machen” dazu gehören.

Dazu gehören auch die Räumungen von Dörfern für den Bau von Autobahnen oder das Abbaggern von Kohle. Voraussetzung ist nur, dass die Räumung rechtsstaatlich verlaufen, d.h. der im Sinne der Prozedere, die der Staat des Kapitals dafür zur Verfügung hat.

Diesen Staat des Kapitals in Frage zu stellen, wie es der taz-Journalist Gereon Asmuth mit seinem utopisichen Szenario tat, indem er fragte, warum die Polizei nicht die RWE-Zentrale wegen Umweltbelastungen durchsucht, daran denken bei den Grünen heute nicht mal jüngere Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die frisch aus den Bewegungen kommen.

“Ich bin grün”

Dazu gehört die ehemalige Sprecherin des klimapolitischen Bündnisses Ende Gelände Kathrin Henneberger. Sie gehörte zu den entschiedenen Kritikerinnen der Räumung von Lützerath bei den Grünen. Ein Parteiaustritt oder gar ein Übertritt zur Linken, die sich in all ihren Strömungen klar gegen die Räumung ausgesprochen hat, kam für sie nicht infrage, wie sie auf Nachfrage gegenüber Telepolis betonte:

Ich bin als Jugendliche zur Grünen Jugend gekommen und habe hier meine Familie gefunden, wo ich als queere junge Frau sein konnte, wie ich bin. Das ist immer noch so. Im Bundestag kann ich neben den Themen meiner Region besonders auch zu internationale Klimapolitik arbeiten, mit realen Erfolgen wie dem Erfolg des Ausstiegs Deutschland aus dem ECT (Energiecharta-Vertrag, Anm. d. Red.)

Ich denke ich würde gar nicht in die Linkspartei von meiner Person passen, ich bin grün. Das ist aber kein Diss gegen die Linkspartei. Wichtig ist es das alle Menschen und Akteure die für Klimagerechtigkeit streiten zusammen arbeiten. Der Gegner ist die fossile Industrie.
Kathrin Henneberger, MdB

Es ist auffallend, dass Henneberger in der Partei weiterhin ihre grüne Familie sieht, auch wenn die Familienvorstände Umweltinitiativen räumen lassen und Kriege erklären. Eine solche Partei wird heute vom Staat des Kapitals gebraucht und steht eben nicht am Abgrund, wie manche kurzschlüssig äußern, die immer noch die Bewegungspartei der 1980er-Jahre beziehungsweise den Mythos davon im Auge haben. Da ist Peter Unfried näher an der Realität, wenn er in der taz die Aufgabe der Grünen im Staat des Kapitals so beschreibt:

Die Partei regiert, um möglichst viel möglich zu machen. Sie kann das aber nicht in Vertretung eines linken Ökomilieus schaffen. Sie muss es im Namen unserer Wirtschaft und einer Mehrheit aus diversen Schichten, Milieus und Gruppen der Gesellschaft hinkriegen, über Märkte, Produktion und so weiter.
Peter Unfried, taz

“Möglichst viel möglich machen” muss wohl heute im Zusammenhang mit den militaristischen Prioritäten der “Zeitenwende” gelesen werden. 

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