Corona-Notstand Blaupause für die Bewältigung der Klimakrise?

In der Umweltbewegung wird eine Art Öko-Leninismus als Taktik empfohlen, der kritisch diskutiert werden sollte

Gleich zwei verunglückte Methapern fallen dem Leser der Kolumne des Neuen Deutschland, verfasst von den Politikwissenschaftlern Ulrich Brand und Heinz Högelsberger, auf. Die Überschrift “Die Krise als Aufbruch” wird ja ständig und immer verwendet.

Für das Kapital zumindest stimmt es. Denn eine kapitalistische Wirtschaftskrise bedeutet eben keinen Untergang, wie sie manche Linke immer noch missverstehen. Doch was soll die Unterüberschrift unter dem Text von Brand und Högelsberger bedeuten? “Die Corona-Pandemie kann ein Startschuss in eine neue Klimapolitik sein.”

Natürlich vertreten Brand/Högelsberger keinesfalls die Ansicht, dass die Viruskrankheit in irgendeiner Weise eine Lösung für die Umweltbewegung bedeutet. Schon im ersten Satz wird deutlich, dass sie nicht das Corona-Virus, sondern den Corona-Notstand zur Blaupause für die Bewältigung der Klimakrise sehen. Zudem blicken sie aus der Zukunft auf die aktuelle Situation.

“Wir schreiben das Jahr 2030. Vor zehn Jahren lernte die Gesellschaft, dass sie im Kampf gegen den Coronavirus tagtäglich neue drastische Einschnitte und “Zwangsmaßnahmen” akzeptieren muss. Die Bewegungsfreiheit und der Gestaltungsspielraum der Menschen wurden extrem eingeschränkt, der Alltag musste umorganisiert werden. Flüge wurden eingestellt, Grenzen geschlossen. Statt zu shoppen, befassten die Menschen sich mit anderen Dingen. Die Arbeitslosigkeit stieg stark an. All das passierte in einer funktionierenden Demokratie und wurde von gewählten Regierungen verfügt.

Ulrich Brand/Heinz Högelsberger

Illusionen über die EU

Immerhin räumt das Politologenduo ein, dass nicht alle Notstandsmaßnahmen optimal waren. Sie beschreiben die Gefahr der Etablierung eines autoritären Maßnahmenstaates und die Schwierigkeiten, die Einschränkungen der Freiheitsrechte wieder rückgängig zu machen. Kritisiert wird, dass die Maßnahmen nationalstaatlich und nicht europäisch geprägt waren, und dass die Geflüchteten nicht nur an der griechisch-türkischen Grenzen weiter in ihren Lagern eingesperrt geblieben sind.

Die Kritik ist natürlich berechtigt, aber sie bleibt weitgehend moralisch. Wie alle linken EU-Befürworter sehen auch Brand und Högelsberger nicht, dass die EU sich in der Coronakrise als ein Zweckbündnis, mal mit, mal gegeneinander kämpfender kapitalistischer Nationalstaaten erweist, die sie nun mal ist. Die ihr von Linken angedichteten progressiven und emanzipatorischen Zwecke werden dann immer wieder moralisch angemahnt.

Dabei bräuchte es transnationale Bewegungen, um sie durchzusetzen, was aktuelle Initiativen wie Seewatch versuchen. Auch Ulrich Brand war lange Jahre in sozialen Bewegungen aktiv, beispielsweise in der Bundeskoordination Internationalismus. In dem Text findet man Forderungen wie ein Grundeinkommen für alle Menschen. Demgegenüber ist es für staatskritische Politologen schon erstaunlich, dass sie im Corina-Notstand ein Modell für die Bewältigung der Klimakrise sehen.

Mit Corona wurde denkbar, dass auch eine ernstzunehmende Klimapolitik durchaus streng sein kann und angesichts der Krise Restriktionen aussprechen muss. Produktion und Konsum wurden klimaschutzkonform, bestimmte Produkte und Branchen deutlich reduziert. Die damals selbst von Regierungen forcierte Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien war klimapolitisch von großer Bedeutung, weil damit langfristige und auf gesellschaftliche Bedürfnisse abgestimmte Planung möglich wurde und der Profitdruck auf die Unternehmen zurückging.

Ulrich Brand/Heinz Högelsberger

Auch der in globalisierungskritischen Bewegung politisch sozialisierte Referent für Umweltfragen bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Tadzio Müller spricht in seiner Kolumne vom Corona-Notstand als Präzedenzfall für die Klimadebatte. Er formuliert einige Gedanken, was die Klimabewegung daraus lernen kann und kommt zu dem Schluss:

In zukünftigen Debatten müssen wir eines klarmachen: Wer radikal Emissionen reduzieren will, muss die Produktion in diesen und anderen dreckigen Industrien einschränken.

Tadzio Müller

Der Corona-Notstand hätte gezeigt, dass man auch großen Teilen der Bevölkerung in kurzer Zeit etwas verbieten kann.

Forderungen nach einem Produktionsdeckel in dreckigen Sektoren oder nach radikalen Verboten solcher Aktivitäten wären bisher gescheitert. Die Deutschen hätten genörgelt, dass sie sich nichts verbieten ließen in diesem Land mit seinem bekanntermaßen antiautoritären Charakter. Jetzt sehen wir, dass sich so ziemlich alles Spaßige durchaus verbieten lässt und das mit bis zu 95 Prozent Zustimmung der Bevölkerung. Noch wichtiger: Der Grund dafür ist ein solidarischer, denn es geht ja darum, Risiko umzuverteilen, weg von den Alten und Schwächeren auf alle Schultern. Wer in Zukunft argumentiert, Verbote seien nicht durchsetzbar oder illegitim, macht sich lächerlich und sollte fürderhin behandelt werden wie der intellektuell nicht satisfaktionsfähige Clown, der man sein muss, um so etwas zu artikulieren.

Tadzio Müller, Neues Deutschland

Es fällt auf, dass Müller den Grund der Einschränkungen und Verbote gar nicht hinterfragt. Dann müsste er zumindest erwähnen, dass es keine empirischen Belege dafür gibt, dass der intendierte solidarische Zweck durch die Verbote überhaupt erreicht wird.

Müller, Brand und Högelsberger sind nur drei von vielen Stimmen, die den Corona-Notstand als Blaupause für die von ihnen favorisierte ökologische Umgestaltung nehmen wollen. Jetzt habe sich gezeigt, dass man all die Dinge, die der Umwelt massiv schaden, eben doch ganz schnell beseitigen kann.

Wieso kann man wegen des Corona-Virus den internationalen Flugverkehr lahmlegen und nicht auch zur Reduzierung des CO2-Gehaltes?, lautet die natürlich nicht unberechtigte Frage.

Kommt Umwelt-Leninismus in Mode?

Diese Herangehensweise, eine Notstandssituation zur Blaupause für das Erreichen eigener Ziele zu nehmen, könnte man als Umwelt-Leninismus bezeichnen, obwohl Brand, Högelsberger und Müller als antiautoritär sozialisierte Linke mit diesem Stichwortgeber sicher nicht einverstanden wären.

Der Mathematiker Helmut Dunkhase steht in Politiktraditionen, die weniger Probleme mit der Bezugnahme auf Lenin haben. Er nimmt daher in einer junge-Welt-Kolumne auch auf ihn Bezug: Er erinnert daran, dass Lenin in seinen Schriften den sogenannten deutschen “Kriegssozialismus” als Blaupause für auch für eine sozialistische Wirtschaftspolitik bezeichnet hat.

Als “Kriegssozialismus” wurde eine mit Beginn des 1. Weltkriegs einsetzende Umwandlung der Wirtschaft in Deutschland auf die Kriegsbedingungen bezeichnet. Auf Initiative und unter Leitung des AEG-Direktors Walther Rathenau wurde am 13. August 1914 im Preußischen Kriegsministerium eine Kriegsrohstoffabteilung gegründet. Sie organisierte die Erfassung und Verteilung von kriegswichtigen Rohstoffen und die Produktion von Ersatzstoffen wie künstlichen Salpeter nach dem Haber-Bosch-Verfahren und wurde so zur Keimzelle für den Ausbau der deutschen Rüstungswirtschaft.

Ausgehend von der Metall- und Chemieindustrie wurden unter ihrer Anleitung immer mehr Wirtschaftsbereiche zu sogenannten Kriegsrohstoffgesellschaften zusammengeschlossen, in denen im Zusammenspiel von wirtschaftlicher Selbstverwaltung und militärbehördlicher Aufsicht die Verteilung von kriegswichtigen Rohstoffen organisiert wurde.

Der Kriegssozialismus hatte nichts mit einem Sozialismus zu tun, für den damals große Teile der Arbeiterbewegung kämpften. Das Kapital wurde in Deutschland nicht angetastet, wenn auch manche Einzelkapitalisten schon mal Restriktionen erfahren mussten – wie aktuell in der Corona-Krise die Trump-Administration den Konzern GM anweist, Beatmungsgeräte zu produzieren.

Nun ist es aber gerade die vornehmste Aufgabe des Staates als ideeller Gesamtkapitalist, auch mal einem Einzelkapitalisten Grenzen zu zeigen. Daher gab es von Linken viel Kritik am sogenannten deutschen Kriegssozialismus während des Weltkriegs. Verwirrung gab es, als Lenin die Maßnahmen zum Vorbild für den Aufbau des Staatskapitalismus in der frühen Sowjetunion erklärte.

Dass es genau darum ging, war Lenin und den Bolschewiki der ersten Stunde noch klar. Sie sprachen von einer notwendigen Phase um von einem wirtschaftlich wenig erschlossenen Land wie der Sowjetunion zum Sozialismus zu kommen. Erst später wurde diese staatskapitalistische Phase zur Einführung des Sozialismus verklärt.

Dunkhase erinnert in der jW-Kolumne daran, dass Lenin sich positiv auf die deutsche Kriegswirtschaft bezogen hat:

Die auch “Kriegssozialismus” genannte Wirtschaftspolitik während des Ersten Weltkriegs beeindruckte insbesondere Lenin, und der zog seine Schlüsse daraus: “Nun versuche man einmal, an Stelle des junkerlich-kapitalistischen (…) den revolutionär-demokratischen Staat zu setzen, der sich nicht davor fürchtet, auf revolutionärem Wege den Demokratismus voll und ganz zu verwirklichen. Man wird sehen, dass der staatsmonopolistische Kapitalismus in einem wirklich revolutionär demokratischen Staate unweigerlich, unvermeidlich einen Schritt, ja mehrere Schritte zum Sozialismus hin bedeutet!” (“Die drohende Katastrophe und wie man sie bekämpfen soll”)

Helmut Dunkhase, junge Welt

Dunkhase verschweigt auch nicht, dass er in dieser Variante des Leninismus auch Lehren für die Gegenwart ziehen will.

Auch wenn wir in der BRD heutzutage nicht die Situation vom September 1917 in Russland haben, sollte doch diese Dialektik mit bedacht werden, statt … zu bekräftigen, dass die bei uns gedachten Verstaatlichungen rein gar nichts mit Sozialismus zu tun haben. Auch scheint mir zu kurz gegriffen zu sein, wenn in der gegenwärtigen Krise nur vom Kollateralnutzen der Herrschenden für die autoritäre Umgestaltung des Landes gesprochen bzw. der Kollateralnutzen der Linken auf Illusionsverlust beschränkt wird.

Helmut Dunkhase, junge Welt

Hier wird deutlich, dass der Corona-Notstand manche Linke motiviert, den Staat als ein Mittel zu betrachten, um eine Gesellschaft zu verändern. Die ausführliche Kritik daran, die es bereits zu Lenins Zeiten von vielen Linken gab, wird da gerne ausgeblendet.

Die Kritiker haben argumentiert, dass autoritäre Elemente in den sowjetischen Staatsaufbau auch dadurch eingeflossen sind, dass Lenin den deutschen Maßnahmenstaat im 1. Weltkrieg zum Vorbild genommen hat. Ein Staat ist eben nicht ein Vehikel, dass man einfach unterschiedlich verwenden kann wie ein Auto, so die Einwände.

Dieser Kritik müssen sich auch linke Wissenschaftler und Aktivisten stellen, wenn sie heute mit oder ohne expliziten Bezug auf Lenin der Klimabewegung seine Taktik anraten und den Corina-Notstand zur Blaupause für eine radikale ökologische Umgestaltung empfehlen.

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