Der kosmische Laruelle: Tetralogos

Laruelle setzt in seinem Buch Tetralogos das Dual (des Universums) als Zwei-Eins an die Stelle einer Reihe von benachbarten philosophisch geprägten Auffassungen, die im Gegensatz zur Nicht-Philosophie die Eins lediglich umspielen. Das Dual als Zwei-Eins muss das Eine als den ersten und dominanten Begriff genau dann ausschließen, wenn damit das Eine als das neuplatonische Prinzip der Emergenz oder das metaphysisch transzendente Eine gemeint ist, da alle diese Modi des Einen beanspruchen, in der Reihenfolge der Entstehung zuerst anwesend zu sein. Selbst die hegelianisch-marxsche Formel des Einen, das sich in Zwei teilt, und umgekehrt die Zwei, die sich in der Eins vereinigt, müssen als Thesen einer fortgesetzten Reziprozität ernsthaft angegriffen werden. Laruelle will aber auch die Drei in der Philosophie ausschließen. Dies könnte ein folgenreicher Fehler sein, weil sich Sozialordnungen zumindest ohne das Driite heute kaum verstehen lassen. (Es geht hier nicht nur um die arithmetischen Zahlen, die dazu bestimmt sind, die Ordnungen der Realität zu symbolisieren, wie es in der platonischen Philosophie immer geschehen ist.)

Mit dem Dual wählt Laruelle nun eine Art des Beginnens, die die Philosophie ebenso ausschließt wie die Mathematik, die Leere ebenso wie die Null. Laruelle hofft bezüglich des Duals nun endlich mit dem Universum beginnen zu können. Er konstruiert eine Matrix des Dualen, die der transzendentalen Faktizität ihre ganze Macht und Universalität verleiht und die insbesondere das transzendentale Eine der Faktizität in das Universum anstatt in die Philosophie verschiebt, das heißt die Richtung umkehrt, die nun vom Universum zum Allgemeinen durch die Vermittlung des transzendentalen Einen führt.

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Duplizität bedeutet, dass die Zwei oder die Offenheit in der Form einer Verschränkung, deren Modell quantenmechanisch und nicht makroskopisch ist, zuerst da ist, und aber zugleich das Eine das ist, was diese Zwei »erzwingt«, ohne sie zu schließen oder zu verdecken. Die Zwei ist die Verschränkung, die durch eine Naht, die in diesem Fall als Begrenzung der Zwei fungiert, zu einer starken Eins wird, wobei die Gesamtheit dieser Operationen nicht wieder eine Drei herstellen kann. Das wäre zu überdenken, wenn man als wesentliches des Kosmos die bedeutungsfreie Information begreift, abgelöst von Systemen oder Interaktionen, in denen Information Bedeutung gewinnt. Laruelle verweist an dieser Stelle auf die beiden Antipoden der Philosophie, einerseits auf diejenige, die mit der Eins beginnt, und andererseits auf diejenige, die die Vielheit durch eine von der Mengenlehre abgeleitete Dialektik einführt.

Es wurde oft versucht, die physikalische Struktur als eine mathematische Untermenge zu denken, und damit wurde ihre Besonderheit verleugnet. Das Dual-Universum fordert die Wiederherstellung einer quasi physikalischen Ordnung, in der die Zwei die Eins als ihren Rand oder die Schließung als Horizont enthält. Es gibt eine »Struktur-Eins«, die dieser Matrix eigen ist, und es besteht zugleich die große Ordnung des Zwei>Eins, die die umgekehrte kleine philosophische Ordnung des Eins>Zwei ersetzt. Die Philosophie besteht in der Vermischung der beiden Ordnungen zugunsten der kleinen Ordnung, die die große Ordnung umkehrt, währen die Nicht-Philosophie die Umkehrung zugunsten der großen Ordnung betreibt, die sich auf die Eins und die Zwei als wissenschaftliche Ordnungen stützt, ohne sich jedoch auf sie zu reduzieren. Die Struktur-Eins ist heterogen zur Zwei der Verschränkung, sodass sie diese gleichzeitig stärkt und schwächt. Sie kehrt nicht als Kreis in sich selbst zurück, weil man es im Dual nicht mit einem Anfangskreis zu tun hat. Das Universum und das Dual, das sie strukturiert, dekonstruieren die philosophische Ordnung. 

Die Wirklichkeit ist als eine erzwungene Faktizität unteilbar oder a posteriori “eins“ und muss in beiden Aspekten verstanden werden, zum einen als das Modell des Universums oder der Quantenmechanik, zum anderen aber auch als das transzendentale oder philosophische Modell der Bedeutung. Eine absteigende »Dialektik«, die vom Universum ausgeht, ist für Laruelle nun die einzig wahre Konstruktion und leitet zunächst die Eins aus der Zwei (aus der Verschränkung) ab. (Ebd.) Das »Erste« im Realen ist die Zwei der Öffnung, die Eins kommt erst als Zweites als eine Tendenz zur Schließung, indem sie die Verflechtung der Zwei verstärkt, ohne sie zu erschaffen. Die Zwei-als-Eins-Struktur ist für Laruelle sozusagen ursprünglich, und zwar unter der Bedingung, dass man zeigt, dass vom Universum absteigend und nicht philosophisch von der Eins aufsteigend ausgegangen wird

Das Dual stellt virtuell »uni-separierte« Begriffe auf. Die Uni-Lateralitäten hängen in der Leere, aber sie sind nicht selbst leer. Es gibt für Laruelle nur das Eine und die Zwei, i.e. keinen dritten Begriff, nur das Aktuelle und das Virtuelle, und damit ist keine Synthese oder dritte Möglichkeit notwendig. Eine erste Zwei besitzt nun den Status einer antiphilosophischen Öffnung des Universums und das transzendentale Eine der Nicht-Philosophie ist als die Naht der Zwei-als-physikalische Verschränkung und Nicht-Zusammenhang zu verstehen, wobei die Schließung des Ganzen durch die Naht ersetzt wird, die die Verschränkung verstärkt, ohne dass die Zwei eben durch die Eins vollständig geschlossen wird. Laruelle spricht von einem Dual-ohne-Dualität ohne die drei, aber nicht von einem Multiplen. Die Zwei ist der Eins hier nicht entgegengesetzt, die wiederum eine Ergänzung zur Zwei ist. Das Eine verdoppelt oder teilt sich in der Tat, bleibt aber das Eine, das nicht absolut verschwindet und im virtuellen Zustand erhalten bleibt. Das Eine der Metaphysik wird also nie zerstört, es sei denn, es wird missbräuchlich mit dem Einen der Repräsentation verwechselt. Die duale Verschränkung ist die genetische Form des Universums, aber es ist das transzendental gesetzte Reale/Eine, das die Zwei als seinen realen inneren und äußeren Inhalt beherbergt. Die Duplizität als Zwei in-Eins und Unter-Eins, ist das Eine, das die Zwei enthält, eine Zwei, die sich unter dem Schleier des Einen unterpräsentiert.

Wenn man, und nun findet der späte Laruelle zum frühen zurück, die erste Eins ausschließt und sofort die Zwei bejaht, dann verwechselt man die Philosophie mit dem Universum. Man sollte sich Laruelle zu Folge an zwei Triplizitäten halten, nämlich an die Eins-Zwei-Eins und an die Zwei-Eins-Zwei. Die Zwei des Realen ist nun zuerst da (Universum), sie verweigert sich der mathematischen und philosophischen Erzeugung, während die anfängliche Eins, von der angenommen wird, dass sie sowohl real als auch philosophisch ist, zunächst ausgeschlossen bleibt. Es ist nun grundlegend, mit der Zwei in der Triade des Universums als schon-offen-ohne-offen zu beginnen und nicht mit der Schließung des theologischen Einen. Das Offene wird nicht Gegenstand einer Öffnung gewesen sein, nicht einmal ein Gott hätte das Universum, unser ultimatives Bezugssystem, so öffnen können. Im Gegensatz dazu beginnt die Triade der Philosophie mit der Schließung des Einen und kehrt nach dem Umweg über die Öffnung der Zwei wieder zu ihr zurück. Zu fragen wäre hier wieder, ob nicht der Kosmos oder das System eine Immanenz des Dritten eröffnen, die in der Ablösung von der Eins und Zwei neue Dimensione freisetzen.

Es ist bekannt, dass ein einflussreicher Teil der zeitgenössischen Philosophie behauptet, dass das metaphysische Eine zu eliminieren und durch das mathematische Wesen des Seins als Vielheit als dem einzigen Fundament des philosophischen Gebäudes zu ersetzen sei. Laruelle widerspricht dem, indem er das Eine und die Zwei in einer einseitigen Dualität verbindet, wobei das Eine nicht das Gegenteil der Vielheit ist und stattdessen mit der Zwei eine Koppelung oder ein Gespann bildet. Laruelle lehnt die Vorherrschaft des Seins als Vielheit ab.  Er versucht zum einen diejenige Dialektik, die sagt, dass die Zwei in Wirklichkeit eine Drei oder eine Triade ist, zu eliminieren, und zum anderen diejenige, die sagt, dass alle Begriffe entweder aktuell oder virtuell sind. Für Laruelle besteht die Alternative darin, nur das Eine und die Zwei und keinen dritten Begriff anzunehmen, nur das Aktuelle und das Virtuelle, aber keine Synthese oder dritte Möglichkeit zuzulassen. Um es noch einmal zu wiederholen: Laruelle setzt die erste Zwei als die antiphilosophische Öffnung des Universums an und bestimmt das transzendentale Eine als Naht der Zwei-als-Verschränkung, wobei jedoch die Schließung des Ganzen durch die Naht ersetzt wird, die die Verschränkung verstärkt, ohne dass eben die Zwei durch das Eins vollständig oder absolut geschlossen werden kann. Das Eine verdoppelt oder teilt sich in der Tat, bleibt aber das Eine, das nicht absolut verschwindet.

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