Derisking und grüne Investitionen (in Schwellenländern)

Die Welt braucht dringend Finanzmittel für erneuerbare Energien, Infrastrukturen, öffentlichen Nahverkehr, Bodensanierung und vieles mehr, um der Klimakrise zu begegnen. Doch diese notwendigen Investitionen stoßen auf reale Hindernisse, wie etwa hohe Kapitalkosten oder fehlender Landerwerb. Die Pandemie, die Rohstoffpreisschocks und die Zinserhöhungen in den USA haben dazu geführt, dass die Länder des globalen Südens derzeit nur noch über einen begrenzten finanziellen Spielraum verfügen, um in die Reduzierung von CO2-Emissionen und den Aufbau von Infrastrukturen gegen den Klimawandel zu investieren. Die Elite der Entwicklungspolitiker ist der Meinung, dass die beste Möglichkeit, diese Lücke in der grünen Finanzierung zu schließen, darin besteht, Anreize für zahlungskräftige institutionelle Investoren zu schaffen, seien es Pensionsfonds, Investmentbanken, Vermögensverwalter, Versicherer oder auch Private-Equity-Fonds. Da man davon ausgeht, dass diese Unternehmen über Kapital verfügen, das die Regierungen nicht haben, seien sie geiegnet, grüne Infrastrukturen zu finanzieren und betreiben. Aus dieser Sicht enthalten die Billionen von Dollar, die in diesem Jahrzehnt für Investitionen in die Anpassung an den Klimawandel und den Klimaschutz benötigt werden, neue Vermögenswerte für Investoren bereit. Die Politik wirbt für die “Mobilisierung privater Finanzmittel” als eine Lösung, von der sowohl Bürger als auch Investoren profitieren könnten. Um dies wiederum zu erreichen, sollen die Staaten sowohl die Kosten als auch die Investitionsrisiken übernehmen; dies ist die Logik des finanziellen Deriskings, das vor allem durch Kreditbürgschaften, Blended-Finance-Fonds, Verbriefungsstrukturen und Projektvorbereitungsdienste funktionieren soll. Kritiker hingegen argumentieren, dass diese Formen des finanziellen Deriskings die Risiken der Investoren sozialisieren und ihnen gleichzeitig ermöglichen, schnelle und hohe Gewinne zu erzielen und zudem die Privatisierung öffentlicher Güter in den Schwellenländern zu beschleunigen.

Nun sind aber die institutionellen Anlegerletztlich daran interessiert, grüne Projekte und erneuerbare Energien in ihr Gesamtportfolio profitabel zu integrieren. Diese Einschränkungen – die eher auf der Portfolio- als auf der Projektebene zu sehen sind – stellen ein systemisches Hindernis dar. Infolgedessen sind institutionelle Investoren strukturell nicht in der Lage, den immensen Bedarf der Welt an grüner Infrastruktur zu finanzieren. Das Derisking-Paradigma konzentriert sich deshalb auf die Beseitigung der Hindernisse, die einer privaten Investition in ein einzelnes Infrastrukturprojekt entgegenstehen. Es gibt hier Länderrisiken, einschließlich Währungs-, politischen und Nachfragerisiken zu vermelden. Unsicherheit bei Wahlen, Wechselkursschwankungen bis hin zur unzureichenden Akzeptanz der Investitionen sind Faktoren, die ausländische Investoren von der Finanzierung öffentlicher Bauvorhaben und infrastrukturprojekte abhalten. Institutionelle Investoren haben deshalb die Entwicklungsbanken dazu gedrängt, ihre Global Emerging Markets-Datenbanken zu veröffentlichen, mit dem Argument, dass deren Daten über die länderspezifischen Ausfallrisiken von Infrastrukturinvestitionen dazu beitragen können, sich besser mit den Schwellenländern vertraut zu machen.

Zudem gilt es zu bedenken, dass die Sicherung von Landtiteln und Projektgenehmigungen durch die lokalen Behörden Zeit in Anspruch nimmt, wobei der Bau die risikoreichste Phase bei den meisten Infrastrukturprojekten ist. Wechselnd Steuerbelastungen, Preiskontrollen, Zölle und Arbeitsschutz können sich auch auf die Renditen auswirken. Das Investor Leadership Network der Pensionsfonds bezeichnet insbesondere die Besteuerung als “schwer zu versicherndes Risiko” für die Investitionen seiner Mitglieder in Schwellenländern. Des Weiteren sind die Kapitalkosten einer Investition – die Kosten für die Finanzierung eines bestimmten Projekts – für diese Projekte entscheidend. Während die Kapitalkosten für ein Solar-PV-Projekt in den USA vielleicht nur 3 Prozent betragen, kann ein ähnliches Projekt in Brasilien Kapitalkosten von etwa 12,5 Prozent aufweisen. Der Einsatz von Garantien und gemischten Finanzierungsvereinbarungen zur Beseitigung dieser Hindernisse auf Projektebene trägt dazu bei, die Kapitalkosten eines Projekts zu senken, wodurch das Projekt “kreditfähiger” wird.

Treuhänderische Verpflichtungen gegenüber den Anteilseignern halten jedoch Fondsmanager davon ab, Investitionen zu tätigen, wenn sie nicht bestimmte Rentabilitätsschwellen erreichen, die es ihnen ermöglichen, angemessene Dividenden auszuzahlen. Die Investoren legen diese Schwellenwerte – die so genannten “Hurdle Rates” – eher willkürlich fest, das heißt unabhängig von den Kapitalkosten. Dies hat zur Folge, dass viele Projekte mit ansonsten guten Renditen und niedrigen Kapitalkosten möglicherweise nie eine Investitionszusage erhalten. Der Druck, Dividenden an die Aktionäre zu zahlen, ist ein Problem für die hochgradig fremdfinanzierten und wenig transparenten Finanzierungsstrategien der auf Infrastrukturprojekte spezialisierten Private-Equity-Firmen. Zudem weigern sich viele institutionelle Anleger, Vermögenswerte mit niedrigeren Kreditratings zu halten. Wenn die drei führenden Rating-Agenturen (Moody’s, S&P und Fitch) die Schwellenländer herabstufen, erhöhen sie nicht nur die Kapitalkosten für Investitionen in diesen Ländern über das hinaus, was die makroökonomischen Fundamentaldaten vermuten lassen, sondern bedrohen auch die Beteiligung institutioneller Anleger in diesen Ländern.

Darüberhinaus verwandeln die Strategien zur Verwaltung von Verbindlichkeiten von Pensionsfonds und anderen institutionellen Anlegern notwendige öffentliche Dienstleistungen und Infrastrukturen in Schwellenländern in Vehikel für Spekulationen. Die meisten Infrastrukturanlagen in Schwellenländern lauten auf lokale Währungen, die gegenüber der Heimatwährung eines ausländischen Anlegers an Wert verlieren können, was häufig dazu führt, dass sie in die risikoreicheren “Wachstumsportfolios” der Anleger aufgenommen werden. Diese “Wachstums”-Kategorie ist jedoch traditionell dazu gedacht, schnelle Renditen zu erzielen, anstatt sie zusammen mit Vermögenswerten wie Staatsanleihen bis zur Fälligkeit zu halten. Institutionelle Anleger setzen auf Kurzfristigkeit. Brett Christophers zeigt in seinem neuen Buch, wie institutionelle Anleger Infrastrukturen über kurzfristig gegründete Fonds verwalten: Sie kaufen eine Anlage, senken die Kosten, verzögern unter Umständen die Instandhaltung und verkaufen sie innerhalb eines Jahrzehnts und realisieren einen Gewinn.

Infrastrukturanlagen sind heterogen; im Gegensatz zu Hypotheken oder US-Staatsanleihen lassen sie sich nicht so leicht auf den Kapitalmärkten bewerten oder handeln. Auch die Nachfrage der Anleger ist nicht konstant. Infrastrukturen sind zudem oft illiquide, was dazu führt, dass ihr Wert in einer Krise zuerst und am stärksten sinkt. Selbst in Situationen, in denen das Halten illiquider Vermögenswerte bis zur Fälligkeit rentabel sein kann, hängen die Gewinne vieler institutioneller Anleger von den Handelsgebühren ab. Der Standard, der sowohl die Präferenzen der institutionellen Anleger als auch den Wert von Infrastrukturinvestitionen beeinflusst, ist der Preis einer US-Staatsanleihe, der die globalen Kapitalkosten nach unten begrenzt. Höhere Dollar-Zinssätze und andere globale Liquiditätserschütterungen, die diesen Preis in die Höhe treiben, können eine Flucht in die Sicherheit von Anlagen in Schwellenländern hin zu liquideren und vergleichsweise ertragreicheren Dollar-Anlagen auslösen. All diese Beschränkungen bleiben auch dann bestehen, wenn die Regierungen die Kapitalkosten eines Projekts senken oder regulatorische Hindernisse für dessen Bau beseitigen. Diese Beschränkungen auf Portfolioebene zeigen die Grenzen der Fähigkeit institutioneller Anleger auf, grüne Infrastrukturen innerhalb des bestehenden globalen Finanzsystems zu finanzieren. Unabhängig davon, wie viel Derisking auf Projektebene ein institutioneller Investor sicherstellen kann, wird er immer der vermeintlichen Sicherheit seines Portfolios den Vorrang vor der Notwendigkeit einer bestimmten Investition in die Infrastruktur oder in öffentliche Dienstleistungen geben; eine angemessene Projektvorbereitung kann den Zinserhöhungen der Federal Reserve oft nicht standhalten.

anAngesichts dieser Hindernisse können die Regierungen immer noch Maßnahmen ergreifen, um einige Hindernisse auf Portfolioebene zu beseitigen. Sie könnten beispielsweise Liquiditätsreserven bereitstellen, um der Abneigung der Anleger gegenüber illiquiden Vermögenswerten entgegenzuwirken, oder Kreditgarantien und Bonitätsverbesserungen einsetzen, um die Urteile der Ratingagenturen zu umgehen. Mit beiden Instrumenten würde der Staat den Wert von ansonsten riskanten privaten Vermögenswerten absichern. Die europäische und die chinesische Zentralbank bieten bereits eine Liquiditätsgarantie für grüne Anleihen, indem sie diesebesser besicherbare Vermögenswerte behandeln als fossile Schuldtitel. Dennoch liegen viele Beschränkungen außerhalb des Zuständigkeitsbereichs eines Staates oder einer Zentralbank, die beide die Strategien der Fondsmanager nicht ändern können. Auch die Weltbank kann die Zinserhöhungen der Federal Reserve nicht aufhalten oder die Liquiditätsschwankungen an den US-Schatzanleihemärkten beruhigen. Die Unfähigkeit institutioneller Anleger, einen globalen Liquiditätsschock zu überstehen, trug im März 2020 zu Abflüssen aus Schwellenländern in Höhe von 78 Mrd. USD und von Januar bis Oktober 2022 zu weiteren Abflüssen in Höhe von 69 Mrd. USD bei, als die Dollar-Zinsen in die Höhe schnellten.

Regierungen, die sich am Derisking beteiligen, bezahlen den privaten Sektor für den Aufbau und die Erbringung von Dienstleistungen, die die Regierungen – aus welchen Gründen auch immer – nicht selbst erbringen wollen oder können. Wenn das Derisking nicht genügend private Finanzmittel mobilisieren können, liegt das an den strukturellen Beschränkungen von privaten Unternehmen wie etwa denen, die im neuen Private Sector Investment Lab der Weltbank vertreten sind. Selbst wenn Staaten sich einig sind, dass grüne Investitionen Billionen von Dollar pro Jahr erfordern, haben sie offensichtlich kein wirtschaftlich kohärentes Programm gefunden, mit dem sie diese Mittel mobilisieren können .Sich auf das Derisking zu verlassen – ohne kohärentere öffentliche Investitionsprogramme und Finanzreformen – bedeutet, die Schwächsten der Welt der eskalierenden Gewalt der Klimakrise auszuliefern.

Foto. Stefan Paulus

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