Die Schwäche der EU und des europäischen Bankensystems

Die EU ist Teil einer politischen Ökonomie, in denen Staats- und Kapitalinteressen, Elitenpolitik und das Funktionieren des Kapitalismus untrennbar miteinander verwoben sind. Die erste und tiefgreifendste Krise der Eurozone wurde durch eine Krise der europäischen Banken ausgelöst. In den frühen 2000er Jahr standen die europäischen Banken an der Spitze eines riesigen nordatlantischen Kreditbooms. Europa war eine der zentralen Schaltstellen der finanziellen Globalisierung.

Der nordatlantische Kreditboom konzentrierte sich auf die Wall Street und die City of London (damals Teil der EU), Frankfurt und Paris. Die europäischen Megabanken waren wichtige Akteure an der Wall Street. Auf beiden Seiten des Atlantiks gab es regionale Brennpunkte der Kreditinflation, in Spanien ebenso wie in Florida. Es ist bezeichnend, dass der Beginn der “amerikanischen” Subprime-Krise auf den Zusammenbruch eines von der französischen Megabank Paribas verwalteten Fonds am 9. August 2007 datiert wird. Was den Euroraum betrifft, so wurden die Immobilienblasen, die zwischen 2009 und 2012 in Irland und Spanien Verwüstung anrichteten, durch private Kreditaufnahme und -vergabe und nicht durch öffentliche Schulden verursacht. Und auch in Griechenland und Italien war es die Verflechtung der Bankbilanzen mit der Staatsverschuldung, durch die sich Staats- und Finanzsektor gegenseitig destabilisierten.

Die erste Phase der Geschichte der Eurozone wurde also nicht von der institutionellen Politik beherrscht, sondern von einem ausufernden nordatlantischen Finanzboom, der zwischen 2007 und 2012 in einer epischen Pleite endete. Dies war keine Besonderheit der Eurozone. Die institutionelle Struktur Europas – oder das Fehlen einer solchen – hat den Schock und die Art und Weise, wie Europa schließlich auf die Krise reagierte, beeinflusst. Aber die Finanzkrise selbst war der Auslöser, nicht die institutionellen Geburtsfehler der Eurozone.

In Südeuropa herrschte eine Depression wie in den 1930er Jahren. Eine Generation junger Menschen wurde durch Entscheidungen, die durch schwache Institutionen noch verstärkt wurden, zu Prekarität und Arbeitslosigkeit verdammt. Im Gegensatz dazu waren die Finanzeliten gut geschützt. Die Banken wurden über Wasser gehalten, und Verluste wurden, wenn überhaupt, nur mit äußerster Sorgfalt verteilt. In Bezug auf die Verteilung war die Ungleichheit sehr groß. Die politischen Entscheidungsträger des Euroraums haben die Krise aber auch nicht so gehandhabt, dass sie eine starke Plattform für die Erholung oder das langfristige Wachstum des europäischen Finanzkapitals bieten. Alles deutet auf das Gegenteil hin. In diesem Sinne war die Krise im Euroraum ein Fall von keynesianischem Politikversagen.

Nach der Finanzkrise von 2008 hat sich das amerikanische Finanzsystem – der Ausgangspunkt der Krise – schnell und stark erholt. Mit Hilfe staatlicher Interventionen durch das Finanzministerium und der Fed sowie einer expansiven Geldpolitik wurde JP Morgan zum Finanztitan der westlichen Welt und Blackrock zum weltweit führenden Fondsmanager. Im Gegensatz dazu erlitten die europäischen Finanzinstitutionen einen Schock, von dem sie sich bis heute nicht erholt haben.

Die Schrumpfung der europäischen Banken nach 2008 war dramatisch. Nach einer Analyse der BIZ war das, was man für eine allgemeine Deglobalisierung des Finanzwesens nach 2008 halten könnte, in Wirklichkeit ein spezifischer Schock. Es waren die Europäer, die sich deglobalisierten. Weder amerikanische noch asiatische Banken zogen sich zurück. Infolgedessen überragen die größten Banken der Schwellenländer, vor allem die in China und Indien, heute ihre europäischen Konkurrenten.

Dies war insofern begrüßenswert, als dass es die europäischen Banken sicherer machte. Ihre Kapitalisierung verbesserte sich.  Als 2023 eine große europäische Bank zusammenbrach, handelte es sich um eine Schweizer Bank und nicht um eine global-systemrelevante Bank des Euroraums. Die Deutsche Bank, die weithin als die schwächste Megabank im Euroraum galt, hat überlebt.

Angesichts der Erschütterungen durch den Ukraine-Krieg und die Inflation haben die europäischen Banken in den letzten Monaten ihre Kreditvergabe stark eingeschränkt und sich gegen steigende Kreditverluste abgesichert. Nach Angaben der EZB haben die europäischen Banken seit dem vierten Quartal 2022 de facto keine Kredite mehr an die nichtfinanzielle Wirtschaft vergeben. Wir befinden uns auf einem Stand, der zuletzt in der Krise des Euroraums zu beobachten war.Dies sind schlechte Nachrichten für die europäische Wirtschaft.

Es bleiben zugleich weiterhin ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Finanzstabilität bestehen. Die europäischen Banken sind stark von gewerblichen Immobilienkrediten betroffen, die auf beiden Seiten des Atlantiks in Konkurs gehen. Sorgen bereiten auch die Verbindungen der Banken zu Finanzakteuren außerhalb des Bankensektors – Geldmarktfonds auf beiden Seiten des Atlantiks, die kurzfristige Finanzmittel bereitstellen, die in einer Krise abgezogen werden könnten. All dies wird bis zu einem gewissen Grad durch den jüngsten Anstieg der Rentabilität und die solide Kapitalausstattung der Banken kurzfristig ausgeglichen.

73 Prozent der europäischen Banken notieren jedoch heute unter ihrem Buchwert. Die überwiegende Mehrheit von ihnen tut dies schon seit mehr als einem Jahrzehnt. Man befindet sich dann doch im Reich der Zombie-Banken in Europa. Die europäischen Banken sind allerdings nicht die einzigen, die mit unvorteilhaften Börsenbewertungen konfrontiert sind. Wie eine aktuelle Studie von Boston Consulting zeigt, sind ostasiatische Banken sogar noch stärker unterbewertet als die in Europa. Aber im Vergleich zu ihren US-amerikanischen Pendants sind die europäischen Banken enorm abgewertet. Ein Blick auf die historische Entwicklung zeigt, dass der Einbruch der Bewertungen europäischer Bankaktien nach 2008 erfolgte. Dies entsprach zunächst den Erfahrungen der US-Banken, doch seit der Krise im Euroraum hat sich die Entwicklung zunehmend auseinanderentwickelt.

Die EZB steht dieser Situation nicht gleichgültig gegenüber. Man könnte meinen, dass es nicht die legitime Aufgabe einer vom Steuerzahler finanzierten öffentlichen Institution ist, die Rentabilität der Banken zu beurteilen. Schließlich befinden sich die europäischen Banken in Privatbesitz. Ihre Aktionäre sind oft nicht einmal Europäer.  Die europäische Wirtschaft braucht Kredite, und es werden keine Kredite fließen, wenn die europäischen Banken nicht rentabel sind. Und die Stabilität der Banken hängt von ihren Reserven ab, und diese hängen vom Gewinn ab. Es stellt sich die Frage, warum die europäischen Banken weniger erfolgreich Gewinne erzielen als ihre amerikanischen Pendants. Gemessen an den Gesamteinnahmen im Investmentbanking sind die fünf führenden Unternehmen in Europa, dem Nahen Osten und Afrika JPMorgan, Goldman Sachs, Bank of America, Citi und Morgan Stanley.

Die IT ist der Schlüssel zur Zukunft des Bankwesens im 21. Jahrhundert. Nach Angaben der EZB-Analysten übersteigen die IT-Investitionen der acht größten amerikanischen Megabanken die ihrer acht größten europäischen Pendantsim Verhältnis von 46,7 Mrd. EUR zu 22,5 Mrd. EUR. Die Größe ist für diesen Unterschied ausschlaggebend. Aber auch die Geschäftsstrategie spielt eine Rolle, die wiederum von der Rentabilität und der Verfügbarkeit von Mitteln für Investitionen abhängt. Es ist nicht nur so, dass ihre Bilanzen größer sind. Im Verhältnis zu den Vermögenswerten belaufen sich die IT-Ausgaben der US-Banken auf 0,36 % der Gesamtaktiva, verglichen mit einem vergleichbaren Wert von 0,19 % im Euroraum.

Da die europäischen Banken ins Hintertreffen geraten sind und unterbewertet wurden, setzt eine sich selbst verstärkende Schleife ein. Würde die Deutsche Bank beispielsweise ihren letzten verbliebenen deutschen Rivalen, die Commerzbank, oder ABN Amro in den Niederlanden übernehmen wollen, müsste sie sich Mittel beschaffen. Zu diesem Zweck müsste sie Aktien ausgeben. Die Aktien werden jedoch mit einem Abschlag von 40 Prozent auf den Buchwert der Sachanlagen verkauft. Das macht es unerschwinglich, das notwendige Kapital aufzubringen. Anstatt zu expandieren, konzentriert sich die Deutsche darauf, die Kosten durch den Abbau von Arbeitsplätzen zu senken.

Die Eigenkapitalrendite (ROE) der Banken schwankte in den letzten Jahren im Euroraum um 5 %, in den USA jedoch um 10 %, was auf eine Rentabilitätslücke von etwa 5 Prozentpunkten hinweist. Die höheren Einnahmen aus Gebühren und Provisionen sowie aus dem Derivatehandel erklären den größten Teil des Unterschieds in der Eigenkapitalrendite. Die höhere Rentabilität der US-amerikanische im Vergleich zu ihren Konkurrenten aus dem Euroraum kann größtenteils durch ihre unterschiedlichen Geschäftsstrategien erklärt werden, die eng mit den unterschiedlichen makroökonomischen Umfeldern und Finanzsystemen verbunden sind, in denen diese Banken tätig sind.

Wenn Europa einen Banken-Champion hat, der es mit den großen US-Banken aufnehmen kann, dann ist es BNP Paribas. Sie ist die einzige EU-Bank, die bei den Erträgen aus dem Investmentbanking unter den Top 10 rangiert. Aber BNP ist nicht nur europäisch, sondern auch typisch französisch und verfügt über ein außerordentlich dichtes Netzwerk im französischen öffentlichen Dienst und in der Wirtschaft. BNP Paribas stand im Jahr 2008 im Zentrum eines Netzwerks politischer und wirtschaftlicher Einflussnahme, das in etwa dem ähnelte, das in den USA die Krisenbewältigung zwischen Wall Street und Washington organisierte.

Unter Wirtschaftshistorikern besteht kaum ein Zweifel daran, dass sich im Laufe der letzten 25 Jahre die italienische und französische Sichtweise des Zentralbankwesens in der Leitung der EZB gegenüber der konservativen Orthodoxie der Bundesbank durchgesetzt hat. Was weniger oft erwähnt wird, ist, dass es auch das französische Finanzkapital ist, das sich im letzten Vierteljahrhundert weit besser entwickelt hat als sein deutsches Pendant. Ob die Achse Paris-Frankfurt nach 25 Jahren eine Plattform für die erfolgreiche Entwicklung Europas als Eliteprojekt im harten globalen Wettbewerb bieten kann, ist eine offene Frage.

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