Die Utopie des Kapitals

In gewissem Sinne sind nach Marx alle Kategorien der politischen Ökonomie (also alle Gedanken, mit denen der Kapitalismus sich selbst denkt) utopisch. Es handelt sich jedoch um eine “Utopie”, die fest in der Welt verankert ist und sie tatsächlich so belässt, wie sie ist.

Nehmen wir drei Schlüsselbegriffe der “traurigen Wissenschaft”: Lohn, Preis, Profit. Was könnte erdiger, verdammt konkreter sein? Und doch sind es gerade diese Begriffe, die so banal sind, dass sie unhinterfragbar erscheinen, in denen Romitis “Stadt der Sonne” nistet. Denn trotz des Hyperrealismus, mit dem sie sich brüsten (und der sie wie Posten in einer Unternehmensbilanz erscheinen lässt), enthalten sie auch einen Hauch von ungezügelter Utopie: die kapitalistische Akkumulation darzustellen, indem man sie von jeder Spur des materiellen Arbeitsprozesses befreit.

Aber evoziert der Lohn, könnte man sagen, nicht die Produktion? Keineswegs, er berührt sie, ohne sie zu kompromittieren, er bleibt an ihrer Schwelle stehen. Der Lohn stellt sich in der Tat als Belohnung für die vom Arbeiter bereits geleistete Arbeit dar: Er ist ein bloßer Austausch von Äquivalenten, einer von vielen, die das Kapital auf seinem Weg durch den Dschungel der modernen Zivilgesellschaft unternimmt. Alles unter dem Himmel hat seinen Preis: die Rohstoffe, die Maschinen und somit auch die Arbeit.

Der Profit seinerseits ist die Kategorie, die es erlaubt, den tatsächlichen Ursprung des “Überschusses” im Arbeitsprozess zu verschleiern. Während die überschüssige Arbeit der Arbeiter im Nebel verschwindet, scheint im Vordergrund ein geheimnisvoller Ertrag (eben der Profit) auf, der dazu bestimmt ist, die Managementtätigkeit der Kapitalisten zu entlohnen. Eine Art “Meisterlohn”, so scheint es. Auch hier befinden wir uns im verzauberten Reich der verhältnismäßigen Gegenleistung. Der Lärm der Werkstätten ist nicht mehr zu hören.

Die Stummschaltung wird dann mit dem Konzept des “Produktionspreises” perfektioniert. Dort wird jeglicher Nachhall der Schaffung neuen Werts durch lebendige Arbeit ausgelöscht. Der “Produktionspreis” wird berechnet, indem die Kosten der verbrauchten Produktionsmittel, der Rohstoffe und der Löhne addiert werden; dazu kommt natürlich noch das Einkommen, das dem Kapitalisten für die Mühe, die er auf sich genommen hat, um die Elemente des Arbeitsprozesses zweckmäßig zu kombinieren, zu erwachsen scheint.

Lohn, Preis, Gewinn, aber auch Kapitalumschlag, Kredit, Aktiengesellschaften: das ganze kapitalistische Universum schwebt “in der Luft”, in einem delikaten Spiel von Symmetrien, Harmonien, Gleichgewichten, gerechten Austauschen. Reiner “Geist” oder makelloses Tauschverhältnis: So stellt sich das Kapital gerne vor. Denn die Zirkulationssphäre, auf die der gesamte Prozess durch ökonomische Kategorien zurückgeführt wird, scheint auf Gleichheit und Freiheit gegründet zu sein. Marx schreibt sarkastisch: “Nicht nur, dass dann im Tausch, der auf Tauschwerten beruht, Gleichheit und Freiheit geachtet werden, vielmehr ist der Tausch von Tauschwerten die eigentliche produktive Grundlage aller Gleichheit und Freiheit”.

Die kapitalistische Utopie füllt die Oberfläche der Phänomene, den Alltag, die Zeitungen, die Köpfe mit sich selbst. Die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse bleiben dagegen in der Tiefe verborgen. Mit seinem Lohnpaketgeld, so wiederholt Marx unablässig, eignet sich der Kapitalist nicht die Arbeitskraft des Arbeiters an, sondern seine Arbeitskraft, d.h. seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Die Arbeitskraft ist eine Ware wie jede andere, deren Wert historisch durch die zu ihrer Reproduktion erforderlichen Subsistenzmittel bestimmt wird. Doch wie jede andere Ware hat auch die Arbeitskraft einen spezifischen Gebrauchswert, über den der Kapitalist, der sie erworben hat, unbegrenzt verfügen kann. Dieser Gebrauchswert, so Marx, ist die “Quelle allen Werts”, der Ursprung allen gesellschaftlichen Reichtums. Nachdem er den Lohn gezahlt hat, kann der Kapitalist ihn nach Belieben “konsumieren”, wobei er die Uhr hält, die den Umfang und die Intensität des Arbeitstages bestimmt.

Wir wiederholen. Die konkrete Utopie der Kapitalisten (ihr “singendes Morgen”) wäre es, die Akkumulation ein für alle Mal von der lebendigen Arbeit zu emanzipieren. Tauschwert ohne Gebrauchswert, Verwertungsprozess ohne Arbeitsprozess, Zirkulation ohne Produktion zu denken. Damit würde der “Doppelcharakter” von Ware und Arbeit, aus dem Ungleichgewichte und Konflikte entstehen, geleugnet. Aber diese Utopie ist in der Tat unrealisierbar. In der “Sonnenstadt” des Äquivalententauschs tauchen periodisch Wiederholungen von Gebrauchswert und Arbeitsprozess auf.

Der Widerspruch zwischen der abstrakten ökonomischen Form und dem konkreten Inhalt des Produktionsprozesses ist systematisch, die Versöhnung vorläufig, die Krise oft unausweichlich. Was ist schließlich der berühmte “Fall der Profitrate”, wenn nicht eine Manifestation des Antagonismus zwischen Tauschwert und Gebrauchswert? Mit der Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, die “immer die Produktivkraft der nützlichen, konkreten Arbeit” ist, liefert dieselbe Menge an Arbeit eine wachsende Masse an Gebrauchsgütern, an materiellem Reichtum, aber gleichzeitig verringert sich ihr Wertumfang. Und hier liegt der “Fall”.

Paolo Virno 1990

Original hier: https://www.machina-deriveapprodi.com/post/le-utopie-del-capitale

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