Die Verpuppung der Welt / Raupenbahnen

Ego cogito ergo sum … um dieses cartesianische Idee des Seins herum, beginnt das Projekt der Selbstumdeutung – in der Mensch-Maschine zerfällt die Einheit von Körper und Geist. Indem das Denken mit dem ihm eigenen Solipsismus, von nun an seinen angehängten Körper als Environment zu betrachten sucht, wird dem Cogitatio sein Körper zum Gegenstand. Dieser, mit zunehmendem Alter ohnehin eher Ort der Leiden und mit allerlei Zumutungen verbundenes Ding, sollte sich von nun an in Maschinen beschreiben lassen. Es steht zunächst zur Disposition, was am Horizont zunehmend in der Mechanik von Hebeln, Ketten, Gelenken, Rädern, Federn usw. aufgeht, mit denen das Cogitatio seine Einrichtung, hinsichtlich einer nicht mehr fernen Moderne vorantreibt: „For the spirit is ready, but the flesh is sick,“(Wycliff / Mat. 26:41)

In der folgenden, industriellen Revolution, ist bereits das zweite Projekt dieser Selbstumdeutung angelegt, das sich – nach und nach – auf das Exo cogito ausdehnt, nachdem man ergo, nach wie vor am Sein der Körper scheitert. In diesen blähen sich die „Leichname“ und „Gliedermaschinen“, wie Descartes die menschlichen Körper in Traité de l’ homme* nennt, zu Luftschiffen auf, die eher im Ausnahmefall mit Major Tom in der Schwerelosigkeit verschwinden, häufiger jedoch wie der Yefim im Prolog zu Tarkovskys Andrei Rublev, mit ihrem Ballon gleich hinter dem nächsten Kirchturm landen. Seine Ergriffenheit angesichts des neu gewonnenen Überblicks, befördert den Absturz noch ehe der Film richtig begonnen hat. Bedarf es also einer weiteren Wendung im Hinblick auf die ausser Kontrolle geratenen Geister? Wo bleibt der Deus Ex Machina? Noch unsichtbar, wartet er in den Schnürböden unter der Bühne. Denn auch das Denken ist sich selbst längst Gegenstand geworden.  AI AI Sir – yes; even so. 

Eher vorsichtig kommen die bewegten Nocken, Exzenter und Hebel in ihren Anfängen bei Vaucanson zunächst noch versteckt unter Menschen- oder Tiergestalt daher. Er, der studierte Ingenieur, Anatom und Musikwissenschaftler, verkleidet gut 100 Jahre nach Descartes sein Engineering des Flötenspiels und der Trommel, als anthropomorphe Puppe – Android – der akkurat funktionierende, künstliche Mensch. Noch mehr entzückt das aus mehr als 400 Einzelteilen bestehende, kackende Entlein die Zeitgenossen. Le Canard / die Ente – Synonym des Fake: Vendre un canard à (la) moitié – die halbe Ente zum Preis der ganzen verkaufen, warseit dem 16. Jahrhundert eine gebräuchliche Redewendung in Frankreich. Vaucanson dürfte davon gewusst haben. Die mechanische Subtilität solcher Geschöpfe, wird durch den Mathematiker d’Alambert in der Encyclopédie dokumentiert. Diderot wiederum, verweist auf die Genauigkeit und Abgestimmtheiten der Mechanismen, im durchdachten Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Handwerke

Das fällt einem Flöte spielenden und französisch parlierenden Regenten am Hof in Potsdam auf, der den genialen Erfinder und seine Humanoiden gerne zu sich holen würde. Eilig empfiehlt Fleury, damals für die Politik Ludwig XV zuständig, Vaucanson und überträgt ihm die Leitung der französischen Seidenmanufaktur. So kommt es zur Übersetzung des Wunderbaren seiner Schöpfungen, in das implizit Nützliche jenseits der Unterhaltung und Bespaßung.  Vaucanson macht Ernst und nutzt die Königsdisziplin textiler Manufaktur, um seine Idee eines Maschinenorganismus auf Fabrik und „fabric“ zu übertragen. Produktion und Produkt so verwoben, fallen in Eines. 

„Was wäre ein Webstuhl der Seidenmanufaktur aus Lyon, wenn der Arbeiter und das Schiffchen mit dem Schussfaden, dem Kettfaden, dem Schleifbaum und dem Kettenbaum ein empfindliches Ganzes bildeten?“ fragt Denis Diderot  Arachne, die ihm antwortet : „Es wäre gleichsam ein Lebewesen, eine Art Spinne, die denkt, wünscht, sich ernährt, sich fortpflanzt und ihr Gewebe anfertigt.“  

Es zeichnet sich in der Folge bereits 1746 in Aubenas nahe Lyon, die komplette Anlage moderner Fertigung ab, in denen Mensch, wenn nicht Schöpfer oder Besitzer, im besten Fall noch die Aufsicht führt und hier und da den gesponnenen Faden aufnimmt und ins Schiffchen lädt, während die Fabrik über drei Etagen von der Verarbeitung der Rohseide über Spinnerei und Färbung, bis hin zum automatisierten Webstuhl und von zentraler Antriebsquelle des darunter befindlichen Flusses angetrieben, die so gewebte Textilbahn am Ende auf die Rolle wickelt. Aus der Puppe war nach ein paar Jahren der Schmetterling industrialisierter Fertigung geschlüpft. Mit Ergebnissen, die in Frankreich Adel wie Aristokratie gleichermassen beglücken und im späteren Verlauf den Arbeiterfamilien sowohl die Existenzgrundlage als Familienbetrieb, als auch die Würde nahmen. Die Maschine schafft von nun an schneller, zuverlässiger, billiger und präziser, was Denken ins Sein setzen will. Man baucht für die unter einem Dach stattfindende Produktion, wohltemperierte und feuchte Luft in gut beleuchteten Sälen. Die Weberfamilien samt ihrer Handwebstühle und Holzhütten, braucht man nicht. Auch versteht man es nicht, die Arbeiter und Familien mit einzukleiden, da das feine Gewebe sich nicht für`s Grobe der Leute eignet. Das katholische Frankreich vergisst stattdessen, was über den Ufern der Ardeche geschah und gibt es Lethe anheim. Fabriqué En France implodiert.

Erst in England, dem Mutterland der industriellen Revolution, werden die Grundlagen für den Durchbruch der neuen Techniken im Nützlichen geschaffen. Edmond Cartwright betreibt seinen Power Loom für breite und grobe Gewebe aus Baumwolle bereits 1784 mit dem heißen Dampf der Kraft-Wärme-Kopplungsmaschinen. Aus dem Schiffchen, dass eben noch gemächlich durch die Fächer geworfen wurde, sind (Schnell)Schützen geworden, die von nun an den Faden per Schuss durch die Kette befördern. 24 Stunden / 60 BPM sind nun möglich. Die Automatisierung ist endgültig in der textilen Fertigung angekommen. Ebenso angekommen ist die Angst, dass diese Automatisierung die Arbeitsplätze breiter Gesellschaftsschichten und insbesondere die der Spinner und Weber, überflüssig macht. 60 BPM sind unmöglich. In Frankreich dagegen, liegt die Zukunft derweil unbeachtet im Depot des gerade gegründeten Musée Art et Metiers, wo ein gewisser Josef-Marie Jacquard 1804 diese Zukunft aus Trümmern neu zusammen setzt: Er sitzt dort vor Vaucansons altem Webstuhl, dessen Zylinder er nun öffnet, um eigene Kaninchen aus den Löchern zu zaubern. So aufgeschnitten, verwandelt sich dieser Zylinder in eine Lochkarte. Das hatte ein Mitarbeiter Basile Bouchons bereits zuvor erkannt. Indem Bouchon den aufwändigen Metallzylinder, der ihm aus dem Orgelbau seiner Familie bekannt war, durch ein Papierband ersetzte. Das Layout für den Metallzylinder wurde zunächst in Papier ausgeführt. Warum also nicht die Steuerung eines Webstuhls über Papier organisieren? Die Muster die man so herstellen konnte, waren allerdings sehr beschränkt. Auch mangelte es dem Papier an Qualität. Riss etwas, musste die Rolle getauscht werden. Schon hier lag das Problem weniger im Loch, als in dessen Abwesenheit. Jean-Baptiste Falcon verfeinerte 1728 das geschlossene System, indem er es öffnete und in einzelne, stabile Karten zerlegte. Das Prinzip dahinter liess es zu, daß die Nadeln an denen die Schnüre zur Öffnung der Fächer hingen, entweder durch die Löcher drangen, oder abgehalten wurden. Ein Fach war durch eine Karte definiert. Daraus folgten die Muster. Das System war beliebig erweiterbar und als Semi-Automat der erste Schritt in die Vollautomatisierung. Die „Semi-Software“, bzw. Lochkarte konnte einmal hergestellt sowohl Muster reproduzieren, als auch selbst reproduziert werden. Die Logic dahinter war nun beliebig skalierbar. Mit dem Papier tat man sich schwerer.** Sigfrid Gideon beschreibt in seinem Buch „Mechanization takes command“***, am Beispiel Vaucansons den Übergang vom Wunderbaren zum Nützlichen. Wo eben noch dem französischen Adel durch Maschinen und deren Produktion, Taedium und Ennui des Daseins erträglich gemacht wurde, verschiebt sich andernorts der Fokus auf das Einträgliche und das damit verbundene Unerträgliche, das entfesseltes Kapital den Arbeitern zuweilen bereitet. Etymologisch und vom aufgeklärten Standpunkt nicht ganz korrekt erfasst, denn dem unergründlich Verworrenem des Wunderbaren, steht das Genüssliche im Nützlichen gegenüber. 

Der Soundtrack der Sequencer, der Sampler, Samples und Pattern des ausgehenden 20ten Jahrhundert, hat seine Vorläufer in denen der Textilproduktion. Im Sinne McLuhans kommt er getarnt in einem anderen Medium daher. Denn folgt man McLuhan, ist der Inhalt eines Mediums immer ein anderes Medium, das dessen Wirkungsweise verschleiere. Tatsächlich sind hier aber weitaus mehr Medien beteiligt und es erweist sich als veritable Matrjoschka, was da in immer weiteren Medien, auf den Zeitachsen von Vergangenheit und Zukunft vermittelt und gegenwärtig wird. Kommunikationssysteme vom Dekalog der Bundeslade bis zum Imageboard von 8kun / Infintechan – vom Anfang des Wortes bis zum Hintergrundrauschen elektrischer Schaltkreise – von der 3 löchrigen Hirtenflöte zum infiniten MPEG (MP3) endloser Channel. 
Kling Klang (Mintropstraße 16 , La Düsseldorf)

Im Trommler und Flötisten erscheinen Wolfgang und Florian als Duo, das später durch Kraftwerk und deren neuerlichem Vorschlag einer Mensch-Maschine ersetzt wird. Ja tvoi sluga, (Ich bin dein Sklave) ja tvoi Rabotnik (Ich bin dein Arbeiter.) What`s new? Nothing in particular – nothing much.**** Die Maschinenhämmer, die als Werkzeugmaschinen die Webstühle herstellen, sowie überall in der Umgebung mit den wesentlichen Merkmalen der TB 303 / TR 606, später auch 808 oder 909 aufspielen, sind in den Beats Sheffields anwesend. Man hört sie in den selben inzwischen leeren Fabrikhallen, die nun von den Kids der arbeitslos gewordenen Eltern, für ihre Crazy Daizy Disco oder Warehouse Partys genutzt werden. Das Album zum Computer ? Computerwelt° – dessen Singleauskoppelung Computerliebe, schafft es am 11.07.1981 auf Platz Eins der englischen Charts. Bald darauf folgt Human League°°. 1982 kommt der Computer zum Album – C64. Don`t you want me°° ? ElektroPop : Am Heimcomputer sitz ich hier und programmier die Zukunft mir…° Atari Teenage Riot / Digital Hardcore / offene Schaltkreise / Hit Hat im Off
Die Taktgeber der Industrialisierung sind / 


Im Pop unterwegs  

Was Turingmaschinen in Form potentieller Unendlichkeit zu Grunde liegt, ist der Zylinder in seiner aufgeschnittenen Form. Schon 500 Jahre zuvor waren auf ihnen Tonhöhen und ihre zeitliche Abfolge wie auf mechanischen Notenblättern festgehalten. Löcher oder Stifte repräsentierten die Ordnung – abgewickelte Klaviatur – Keyboard – Schlüsselbrett. Enthalten sind bereits wesentliche Merkmale des Papierstreifens, den Turing für seine universelle Maschine vorschlägt. Das Zeichen 1, bzw. dessen Abwesenheit 0 – Loch oder keins – bestimmen auf dem nächsten Feld den weiteren Verlauf der Operation. One by one, eines zum Einen. Eine Maschine treibt eine Maschine treibt eine Maschine. Die Universelle Turingmaschine erreicht ihre Mächtigkeit als universelle Metaphern- und Tautologiemaschine. Der vom Gegenstand abgelöste Binär Code ist Grundlage der Operation. Zeichenketten werden durch Maschinen, die ihrerseits Zeichenketten sind, generiert, interpretiert und ggf. akzeptiert. Grundlage ist die Bi-direktionalität und potentielle Unendlichkeit des geöffneten Loops. Ein Zeichen treibt ein Zeichen treibt ein Zeichen. Zeichen und Bezeichnetes nicht identisch. 

Der in seinen Daten erlöste Mensch, als vom Körper abgelöster Code, denkt weder, noch ist er. Denn auch dort, wo die AI ein Liedchen summt und das Cogito übernimmt, ist er fungibel – ein Exemplar und als Individuum ist er das absolut ersetzbare, das reines Nichts, wie es Adorno/Horkheimer um 1940***** formulieren. „Ich will eine Maschine sein, Arme zu greifen, Beine zu gehen, kein Schmerz kein Gedanke.“ vermeldet Hamlet ****** 
Sein oder nicht Sein? Im Futur II ziehen sich die Zeiten noch einmal zusammen – Der Ballon atmet sich aus. Ein Pferd streckt die Hufe gen Himmel. Ich werde gewesen sein. Der Rest ist Schweigen.


*        Traité de l`Homme wird erst nach Descartes Tod  unter dem Titel De Homine veröffentlicht. Descartes fürchtet mit der Schrift die Inquistion der Kirche auf sich zu ziehen.**       Zur Herstellung eines 50-seitigen Lyoner Gebetbuches im Jahr 1886 (J.A. Henry), finden eine halbe Million Lochkarten Verwendung, in denen ca. 40MB Information abgelegt ist.           Nimmt man nur eine Materialstärke von einem Millimeter an, beanspruchen die Lochkarten mindestens 500 Längenmeter im Raum.   ***      Sigfrid Gideon : Das Wunderbare und das Nützliche – S.55 / Die Herrschaft der Mechanisierung / Titel der Originalausgabe: Mechanization takes command  –1948 bei Oxford University Press****    AKUFEN / Thomas Brinkmann RMX / Psychometry 1.1-3.2 *****   Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug******  Heiner Müller nach Andy Warhol / I want to be a machine / Hamletmaschine

Ursprünglich für Beyond Visible / Veranstaltungsreihe im K21 in Düsseldorf / Mareike Föcking /// Mind Map von Thomas Brinkmann für „RAUPENBAHNEN“ EMEGO 2019

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