Ein überfälliger Ausbruchsversuch

Der Wahnsinn hat die Welt in Besitz genommen. Nun könnte man einwenden, dies sei keine Angelegenheit der Postmoderne, vielleicht erlebe man auch nur die Wiederkehr des Lykurgos, der für seine Untaten wahlweise dem Wahn verfiel und seinen eigenen Sohn und all seine Familie, ja seine ganzen Freundeskreis umbrachte, um sich dann selber zu richten, oder, da gehen die Überlieferungen auseinander, anschließend von den empörten Menschen gefangen genommen und dann gevierteilt worden sei. So oder der so, der Wahn greift um sich, greift nach den dir Nächsten, nach denen, an denen noch gestern dein Herz hing oder in die du Hoffnung gesetzt hast.

Neu und evident an dem Wahn, der nun durch die Welt eilt, ist die Geschwindigkeit, mit der er durch die Welt eilt, dabei alle Grenzen überwindend und dabei das Virus, dass ihn in die Welt gesetzt (oder das ihn wieder an die Oberfläche gebracht hat, die Meinungen gehen da auseinander) überflügelnd. Man könnte, nein muss sagen, dass die wirkliche Pandemie der Wahn ist, der von den Menschen Besitz ergriffen hat. Die dünne Tünche der Zivilisation bricht innerhalb weniger Tage zusammen, Direktive und Narrative, die scheinbar Diktatoren und Despoten vorbehalten waren, machen sich in den sogenannten westlichen Demokratien breit. Selektion von Kranken, Überwachung aller Bewegungen unter freiem Himmel, Drohnen stehen über den großen Städten, Lautsprecherwagen fahren durch die menschenleeren Straßen, fordern die Bewohner auf in den Häusern zu bleiben. Wer sich an die frische Luft wagt, soweit das überhaupt noch gestattet ist, blickt in panische Augenpartien, notdürftig verhüllte Gesichter, alle gehen gebückt und gehetzt. Wer jetzt noch aufrecht steht, dem werden sie das auch noch austreiben.

An die frische Luft soll der Mensch ja aber auch noch zum Beispiel in Berlin, in die Arbeit natürlich, aber auch um sich ein wenig zu ertüchtigen oder ein paar Runden im Kreis zu drehen. Genau die Privilegien, die einem in den Knast Geworfenen auch noch verbleiben. Und so dreht man zu zweit seine Runden durch den Knasthof und vergeht vor Rührung, wenn der Senat verkündet, er wolle nicht so sein, man könne sich ruhig in Zukunft ein bisschen auf die Bank setzen. Und alles klatscht und applaudiert dem Großmut der Lenker des Staates und wenn der demnächst sagt, alle sollen jetzt mit einer Maske vor dem Gesicht zum Knastgang erscheinen, die wissenschaftlichen Hypothesen über die Wirksamkeit solcher Maßnahmen hätten sich über Nacht um 180 Grad gedreht (man kennt das ja in der Wissenschaft, eben war die Welt noch eine Scheibe und man hat alle geviertelt, die was anders behauptet haben, aber schwups, sieht die Sache ganz anders aus), dann wird da auch gemacht. Punkt. Und wenn der Staat zu blöde ist, genug von diesen Pfennig Artikeln zu beschaffen oder sich die von den Amis wegschnappen lässt, dann wird halt Zuhause gebastelt was das Zeug hält, vorneweg die Linken, die natürlich ganz vorne dabei waren mit ihren DIY Anleitungen. Kommt ja so oder so aufs selbe raus. Ob man die Dinger nun im Hausarrest selber macht oder eben von den Knackis in den echten, alten Knästen produzieren lässt.

Und wo man es sich endlich so richtig gemütlich gemacht hat in der regressiven Hoffnung, die da oben werden schon für uns alle sorgen und es eigentlich überfällig ist, dass die Feuerzangenbowle in Dauerschleife versendet wird, kommen irgendwelche Störenfriede daher. Behaupten, dass das ganze Zahlenwerk, auf dem ja die Maßnahmen des Ausnahmezustandes begründet seien, rein hypothetischer Natur sein und dass man bestimmte Freiheitsrechte verteidigen müsse. Und zwar besonders, da es noch gar keine ausgemachte Sache sei, dass die ergriffenen Maßnahmen zielführend sein. Präsentieren eigene Hypothesen und Zahlen und haben auch noch die Unverschämtheit darauf hinzuweisen, dass sie selber vom Fach sein, sogar ein gewisses Renommee vorzuweisen hätten.

Aber mit Mutti und dem treuen RKI ist da nicht zu spaßen. Besonders nicht mit dem Robert Koch Institut und dessen Leitung, das hatte noch Anfang März erklärt “die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung wird in Deutschland aktuell als mäßig eingeschätzt” und weiterhin das Influenzavirus als bedrohlicher eingeschätzt. Aber das mit der 180 Grad Wende hatten wir ja schon oben. Und wenn man sich erstmal um 180 gewendet hat, muss man umso bestimmter auftreten, sonst erinnern sich die Leute vielleicht noch an den Blödsinn, den man davor verzapft hat.

Streng die Stirne in Falten gelegt werden die Bedenkenträger also in die Schranken gewiesen und das gesunde Volksempfinden ruft: “Mörder, Mörder”, so als ob die abtrünnigen Wissenschaftler mit Koffern voller Viren durch die Alters-und Pflegeheime tingeln würden, um die armen wehrlosen Menschen dort zu infizieren. Und vorneweg die Linken und ihre Medien, von taz bis ND, Unterordnung und die Reihen fest geschlossen predigend. Und die Szeneblase mittenmang. Eh alles schon nur noch Alibi und nutzlose Diskursdiskussion, da kann man gleich auf Kurvendiskussion umstellen.

Wie aber nun raus aus dem Schlamassel, und wird es eine Welt nach dem Wahn geben und möchte man in ihr überhaupt noch leben? Die Genossen vom Wu Ming Kollektiv, die ja schon seit etlichen Wochen in völligem Hausarrest festsitzen fragten neulich : “Und was ist mit der nächsten Epidemie, was werden wir tun?” Denn diese wird kommen. Wenn die grundsätzlichen Bedingungen, die diese Pandemie möglich gemacht haben, nicht radikal beseitigt werden. Doch dieser Kampf ist nicht zu führen, wenn wir, die wir resistent gegen den Wahn (geworden, vielleicht waren wir ihm ja auch eins verfallen) sind, uns nicht treffen und organisieren können. Vielleicht wird es dazu nötig sein, zuerst kleine taktische Erfolge zu erzielen. Die Aktionen in den französischen Vorstädten gegen die Ausgangssperre war so ein Beispiel. Einen Konflikt (mit den Bullen) auf kleiner Flamme am köcheln halten, sodass der Gegner entweder die totale Konfrontation sucht (mit der Gefahr, dass sich für ihn die Dinge zuspitzen), oder sich eben teilweise zurückzieht (wie es auf Anweisung von ganz Oben geschehen ist).

Das Vorgehen der Bullen am Kotti gegen die Aktion von 100 Leute am 28.3. hat auch gezeigt, dass sich unser Gegner seiner Sache auch nicht sicher ist, sonst wären sie viel härter vorgegangen. Bisher haben die Bullen und sonstigen Repressionsorgane die Lage gut im Griff, aber auch für sie ist die Überwachung und Kontrolle einer 3 Millionen Stadt im Ausnahmezustand ein völlig neues Szenario. Sie werden immer schauen, wie sich die Stimmung entwickelt und vielleicht auch mal eher als sonst zurückziehen, um im Gegensatz zu sonst eine Eskalation zu vermeiden. Noch regiert der Wahn und die Unterwerfung die Stadt (und natürlich grosse Teile der Welt), aber wenn die Angst nachlässt ( und dies ist ein Naturgesetz einer kollektiven Panikreaktion) werden Spielräume entstehen. Die zahllosen ersten Zusammenstöße in den Ländern des Trikonts künden davon. Vielleicht wird der 1. Mai (erstmalig nach vielen, vielen Jahren) ein Ort sein, um Terrain zu besetzen, sich mit denen zu verbünden, die auch Resilienz gegen den Wahn gebildet haben. Einen Versuch wird es wert ein. Es scheint, dass die erste Schockstarre überwunden ist, sich erste Bezüge finden, die versuchen die Situation zu analysieren und daraus erste Schritte abzuleiten.

In diesem Zusammenhang eine Übersetzung aus Italien, in der dazu aufgerufen wird, den Hausarrest am Gedenktag der Befreiung vom Faschismus, also am 25. April, massenhaft zu brechen.

Ein Aufruf aus Italien

Italien, 3. April 2020. Seit einigen Wochen sind fast drei Milliarden Menschen in einen Hausarrest gezwungen worden. In Italien, wie auch in anderen Teilen der Welt, wurden die ersten Menschen, die sich gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen aufgelehnt haben, die Menschen im Gefängnis, brutal unterdrückt, wobei es Tote und Verletzte gab.

Während die Wissenschaft widersprüchliche Hypothesen aufstellt, behauptet ein Teil der Wissenschaftsgemeinde, dass die Quarantäne-Zeit, wenn auch in wechselnden Phasen, mindestens bis zum nächsten Jahr andauern wird. Der Staat hat jedoch bereits entschieden, welche Wahrheit bekannt gemacht werden soll, um die getroffenen Maßnahmen zu rechtfertigen. Die erzwungene Isolation zu Hause wird verlängert, der einzige Vorschlag, der der Bevölkerung gemacht wird, ist, zu gehorchen und durch Überwachung und Selbstüberwachung abzuwarten… aber wie lange?

Vorläufig wurde das Ende der Maßnahmen auf den 13. April vertagt, aber es wird höchstwahrscheinlich weitere Verlängerungen geben…

Der 25. April ist der Tag der Befreiung. Befreiung nicht nur vom Faschismus, sondern von allen Formen der Unterdrückung.

Die Unterdrückung des Lebens in einer Welt, in der alle Bewegungen ständig kontrolliert und überwacht werden, mit Kontrollpunkten, allgegenwärtigen Soldaten, Drohnen, Kameras, elektronischen Fußfesseln. Die Repression, die man individuell als Salbung der Kranken verkauft, wenn jemand das Gesetz nicht respektiert und denkt, dass Sozialität und die Möglichkeit des Ausstiegs nicht Verhandlungsmasse sind im Austausch für die Sicherheit des Überlebens.

Die Unterdrückung des Lebens in Angst vor dem Unsichtbaren, denn das Problem ist nicht das Virus, sondern die ökologischen und sozialen Bedingungen, unter denen es sich ausbreitet.

Das Problem ist der Klimawandel, der die natürlichen Zyklen verändert, es ist die Überbevölkerung der Städte, es ist die Standardisierung von Nahrung und Immunreaktionen, es ist die Geschwindigkeit der Mobilität auf der gesamten Erdoberfläche. Man sagte uns, dass wir diese Probleme akzeptieren und unseren Gehorsam gegen eine gewisse Sicherheit eintauschen müssten.

Diese Gewissheiten haben versagt…

Dieser Virus ist nach der Wirtschafts- und Umweltkatastrophe die letzte – bis heute – auferlegte Katastrophe einer Gesellschaft, die auf Beherrschung, quantitativer Anhäufung und Ausbeutung des Planeten, der Tiere, der Menschen und anderer beruht.

Aus diesem Grund schlagen wir – in der Hoffnung, die Ereignisse zu überwinden – vor, dass wir am 25. April an möglichst vielen Orten auf die Straße zurückkehren, um uns erneut zu treffen, uns der Angst zu stellen, gegen die weit verbreitete Überwachung zu kämpfen und die unverantwortliche Rhetorik anzugreifen, die uns alle als ansteckend ansieht. Mit der Intention, dass es kein isolierter Tag sein wird, wollen wir aus der Quarantäne entkommen, indem wir die Konsequenzen unserer Handlungen akzeptieren, unsere Gesichter bedecken, weil wir die freie Wahl haben, uns selbst und andere zu schützen, und auch, weil Dinge mit der Freiheit der Anonymität geschehen könnten, die normalerweise undenkbar wären…

Wenn man passiver Zuschauer der Katastrophe bleibt, indem man die Inhaftierung akzeptiert, wird man das Auftreten neuer Katastrophen nicht verhindern, wenn überhaupt, wird es die Qualen, die wir bereits erleben, noch verlängern. Wir können zuversichtlich bleiben und gehorchen, während die Welt weiterhin ein Ort ist, an dem das Leben zwischen totaler Kontrolle, zerstörter Sozialität und ökologischer Katastrophe verleugnet wird. Oder die Ursachen für diese Katastrophe identifizieren, aufhören zu gehorchen und handeln, um zu verhindern, dass die Dystopie weitergeht.

Und um endlich die Möglichkeit der Befreiung zu erfahren…

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