Kanrod

sie warfen mit brust sich zu brüsten
und herzten und küssten nach lüsten
göthe

Funkelnder Witz, woran er rührt, es ist gleich von Leichtigkeit. Von der Art ist Konrad Bayer. Doch wer aufmerksam liest, bemerkt:

Vitus Behring: wo nicht verkatert, also in einem Stil wie gute e-mail, gequält, durch die Collage vertuschte Anstrengung. Sechster Sinn: wenn nicht (wieder) verkatert geschrieben, also leicht, dann eher auch qualvoll, durch Weglassungen, Ausbesserungen und ebenfalls Collage mit einer Art Jazz in den Fingerspitzen aufgeschrieben. Unter den vielen kleineren Stücken auch vieles fad. Die erfrischende Wirkung des spontanen Einfalls mit Humor und Leichtigkeit ist fühlbares Text-Über-Ich.

Es gibt in unserem 3-D-Dasein eine Seite, sage ich so heiter (nach Tee und Kuchen), die erschreckt. Man streift sie mit Blicken, das lässt sich nicht vermeiden. Aber anstarren? Zu dieser Seite gewandt steht mit starren, ausdruckslosen Augen Kanrod Beyar.

Zwischen dem Wurf der Idee und ihrer Ausführung herrscht eine Kluft. Diese erzeugt die Strapazen der Feile. Die Aussage H. C. Artmanns, dass Konrad Bayer sehr unter diesen Strapazen oder Kalkül an der Feile gelitten hätte, bestätigen wie gut er, der eine den andern, Konrad Kanrod kannte. Sie gingen sich nicht aus dem Weg, nur, während der eine tatenlos ins Ende starrte, hegte der andere noch Ambitionen und schrieb. Der Kerl zwischen (Mittelkerl aus) den beiden dürfte jener berüchtigte Privatmensch gewesen sein, auf den ich diese unverschämten Spekulationen aber nicht ausdehnen will. Worüber nun also schreiben?


Auf einem Tisch gleich neben den Schubladen mit dem KB-Nachlass liegt, als ich mich dort befinde, ein Buch (Der schwierige Tod) von René Crevel, der hinging seinen Tod zu sterben – seinen schwierigen Tod (wie Klaus Mann über ihn sagt). Das hat Kanrod wohl gern gelesen. Wenn Kanrod Bayer idiotisch drein starrend zittert (und dasteht), kommt Konrad Bayer zu dem Freund, sich anzustecken, (dieser Wiener Stawrogin). Von dem jazzartigen Gefühl der Berührungen durchdrungen geht er dann wieder, und verwandelt damit den Rest seines Daseins. Kanrod hat etwas Unausdrückbares, während Bayer alles sagt. Ihre Berührung dringt in die Sprache, verwandelt sie, indem diese sich von der Klugheit des Seins ein bisschen löst, ohne vollends in die Idiotie des Nichts überzugehen. Plötzlich entstehen Schatten auf dem Schriftbild, Übergänge, oder Flecken, die ansonsten unsichtbar bleiben, jetzt aber Abdrücke sind von Gefühlen, so abstoßend und maudit wie Kanrod der Урод. (von wegen der russ asoziationen: Urod – russisch: Missgeburt). Bayer muss sich immer wieder sehr anstrengen, um die Form zu wahren, ohne dabei das Unförmige zu sehr zu beschädigen, dass es Kanrod- und Konrad nur zu wünschen wäre, – siehe Artmann – sich zu vereinigen.

Was unterdessen wäre denn die Wissenschaft? Gescheites Sein, Doktor Freud? Aufgehobenes Unbewusstes mit Namen Bewusstsein? Ein Dunkel, das sich im Licht wälzt? Ein Kot, dem der Hund kommt? Ein Ideal? Sie wäre, wenn sie wäre, und doch ist sie Erlangtes, das wir gleich wieder fahren lassen. Sie strebt, wir streben mit ihr. Solange Haut und Sinneswahrnehmungen im Spiel sind, schwebt sie in der Chirurgenluft, solange gehört sie uns noch. Was wird übrig bleiben? Ob Haut und Sinneswahrnehmungen zu guter Letzt übrig geblieben sein werden, wird sie nicht mehr erkennen, wenn übrig bleibt, was noch übrigbleibt, wo nichts mehr übrigbleibt. Wenn ihr Haut und Sinneswahrnehmungen abhanden gekommen. Wo dahinübergegangen wird, wo herübergegangen worden ist, da muss die Stelle sein, wo die Wissenschaft ist. Eine Stelle also, wenn ich das so sagen darf, ohne Stelle.

Es wird die wissenschaftliche Ansicht vertreten, Sprache sei etabliert, würde jedoch nicht alles umfassen, woraus folgt, dass es noch andere Möglichkeiten geben muss als die angebotenen. Durch dieses Einglas betrachtet man KB wie eine Möglichkeit, Alternative zu sein, und erblickt in ihm die erwünschten Abweichungen. Das hängt freilich damit zusammen, dass unsere Ansichten, die aus Sprache gemacht sind, unser Leben mitbedingt haben, folglich auch dort, wo es in der Sackgasse steckt. Bayer sagt ungefähr selbst, dass die Sprache vor uns da war, notdürftig gemacht wurde, Ausdruck von Angst sei. Nennen=Bannen. Und wir bannen einigermaßen blind, weil wir diese Sprache nicht aus eigener Angst selbst gemacht haben, sondern benennen, weil wir die Namen schon vorfinden, und zwar so, dass es oft nicht stimmt. Wir sind dank der Sprache nicht ganz bei uns, sprechen aber ausgerechnet so, als wären wir es, mit allen Konsequenzen und sehr zum Ärger von KB. Das Außersprachliche am Konrad Bayer ist Kanrod, der Idiot, der ins Ende glotzt, der Урод das böse Genie.

Und die Wissenschaft hofft auf Ergebnisse? Hoffnung ruht bekanntlich auf blindem Glauben, das verwickelt sie wieder in das Problem von eben. Dieser Glaube an ein Ergebnis verneint notwendig den Kanrod, und Kanrod verneint notwendig diesen Glauben, denn er ist ein Idiot. Aber dem Idioten Kanrod entspringt der sechste Sinn, den Bayer in das Werk zwängt, welches wiederum der Wissenschaft Anlass zu dem Glauben ist. Verkennt das nicht die Wissenschaft? Und die hübschen Versuche, aus seiner (Bayers) Literatur die Ansätze für Ergebnisse zu holen, die bei anderen Fragen weiterhelfen, das heißt natürlich weiterhelfen das Leben oder die Sprache solcher Fragen, die sie stocken machen, zu entledigen, beruhen auf Missverständnis. Wo in der Analyse sind das Analysierte oder ich wirklich anzutreffen? Daher die Frage, ob derjenige, der sie trotzdem verlangt, selbst wenn er die Wissenschaft ist, an das je heranzukommen vermöchte, wohin Kanrod stiert? Bayer kürzt ab.

Seine Leistung ist ein Trug. Eine mit technischen Mitteln angefertigte Dunkelheit. Abgewichen, als er sich zeigt, das heißt, verschwunden erscheint er, ehe man ihn wiedersah.

Wo der Autor diesen Trug in Erscheinung treten lässt, gibt ihm die Wissenschaft (z.B. Germanistik) willkürlich Namen. KB ist unter den Bedingungen von Wissenschaft gar nicht lesbar. Das ist ja was er selber sagt, und Sprache nennt, und es ist dies auch der Grund, warum der stumme, weise-unsinnige, schirch-schlimme Kanrod in einer Entfernung von Konrad nach dem Ende starrt.

Nicht, dass die Wissenschaft hierfür wirklich der Grund sei, sie ist aber Ausdruck, ein Ausdruck unter anderen, und Kanrod, der nichts ausdrückt, steckt Konrad an. Womit? Dies entzieht sich der Wissenschaft, denn die Begriffe sind in ihrem Anfang positiv gesinnt, das bedeutet sie sind zu Gunsten der Resultate voreingenommen. Konrad Bayer aber nicht, kraft Kanrod.

Es ließen sich Referenzen herholen, die auf die gekonnte Mehrsinnigkeit in Bayers Texten anspielen, man könnte seine Mosaiktechnik anschauen. Bekannt ist, dass Sprache durch die unendliche Kombination ihrer Mittel nur den Anschein von Unendlichkeit erweckt, womit man das Mosaik und die Mehrdeutigkeit in Verbindung bringen könnte, was seit den Tagen, in denen Konrad Bayer schrieb, auch Sitte ist. Ein Blick nach Frankreich! Es ist unschwer feststellbar, dass ein Stil durch die Verdichtung sprachlicher Mittel entsteht, an die sich sofort ein Schatten heftet, der Schatten von jedem möglichen anderen Stil. Vor diesem Hintergrund erscheint der Stil, ist zugleich aber schon bedroht, in einen Schatten überzugehen, und verschwindet. Wir wissen ja, dass die Differenzierung eine Arbeit ist, die ohne uns gemacht wird. Wir können in ihre Verwandlungen kaum eingreifen, sind ihnen zu allem Übel noch selbst preisgegeben. Wir wehren uns mit Sprache, das ist unsere Natur. Und wir haben ja auch das Vergnügen, immer wieder durch ein Sprach-Jenseits in einem neuen Diesseits begrüßt zu werden. Uns mit Hilfe von Worten in eine Gefahr zu verschieben, um uns an ihren schrecklichen Folgen zu erfrischen. Etwa so wie, um mit KB zu sprechen:

“…die sucht sich an den grenzen seiner physis zu bewegen. Wie nett ist doch der zusammenbruch und die anschließende erholung…“.

Kanrod ist kein Name, sondern Referenz. Die Dinge nach der Seite ihres Gehens, Verschwindens betrachtet, indem wir uns selbst hinterherschauen, haften wir also dem als ein Schatten an, den wir wohin begleiten?

Foto: Sylvia John

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