Rückkehr der Dienstpflicht

Kommentar: Das Trommeln für mehr Militär und für eine pseudofreiwillige oder erzwungene allgemeine Dienstpflicht muss zusammengedacht werden

Das Werkstattgespräch der Union zur Dienstpflicht am vergangenen Donnerstag hatte keine großen Schlagzeilen ausgelöst. Dabei wurde hier über eine Lieblingsidee der CDU-Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer diskutiert. Bereits im letzten Jahr, bevor sie CDU-Generalsekretärin wurde, hatte sie sich für ein allgemeines Dienstjahr ausgesprochen und wollte als Beitrag zur Integration auch Migranten mit einbeziehen.

Die allgemeine Dienstpflicht wird als Beitrag für die Stärkung des Zusammenhalts der Gesellschaft angepriesen und oft werden Vergleiche mit der abgeschafften Wehrpflicht angestellt. So wird eine Mutter zitiert, die erklärte, ihr Sohn sei immer sehr vergesslich und unzuverlässig gewesen. Diese Eigenschaft sei nach der Ableistung der Wehrpflicht bei ihrem Sohn “ausgemerzt” gewesen.

Hier wird bis in die Wortwahl deutlich, dass es auch darum geht, mit der Dienstpflicht Staatsdiener zu produzieren. Individuelle Eigenschaften, die einer reibungslosen Vernutzung entgegenstehen, sollen ausgemerzt werden. Ist der Betroffene nun eigensinnig und besteht auf seine individuellen Macken könnten härtere Maßnahmen erfolgen. Der Begriff “Ausmerzen” jedenfalls lässt gruseln.

So werden auch Soldaten produziert

Es ist auch kein Zufall, dass die Befürworter einer allgemeinen Dienstpflicht die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht bedauern. Sie gilt in konservativer Tradition als Schule der Nation. Zudem ist es auch kein Zufall, dass Kramp Karrenbauer nicht nur bei der Dienstpflicht, sondern auch bei der Ausweitung der Kampfzone der Bundeswehr neue Akzente setzt. Die CDU-Politikerin plädiert für ein stärkeres Eingreifen der Bundeswehr auch im globalen Süden.

Gleichzeitig hat sich die Bundesregierung mit Merkel an der Spitze nach der Kritik von Macron bedingungslos hinter die Nato gestellt und steht dabei im Bündnis mit Erdogan, der den französischen Präsidenten wegen seiner “Hirntod-Diagnose” der Nato heftig persönlich angreift. Hier wird eben deutlich, dass die ganzen Phrasen von den westlichen Werten, die auch die Nato verteidigen muss, nur Propaganda für ganz Naive ist. Damit kann man vielleicht manche Grüne noch beeindrucken.

In der Realität ist die Nato, was sie immer war, ein aggressives Kriegsbündnis, das im Kalten Krieg mit Faschisten aller Couleur paktierte, wenn es um die Zerschlagung des Nominalsozialismus geht. Die Nato unterstützte den rechten Generalsputsch in Griechenland 1967, damit das Land nur fest im Bündnis gegen den Warschauer Pakt blieb.

Wenn nun die autoritäre Erdogan-Regierung sich zum Fürsprecher der Nato macht, ist das nur konsequent und sollte denen in der Linken zu denken geben, die plötzlich auch von der Notwendigkeit reden, die Nato zu verteidigen. Jetzt soll es gegen die neuen Feinde, China und Russland gehen.

Wer die Lager in China kritisiert, darf über Abu Ghraib und Guantánamo nicht schweigen

Die chinesischen Umerziehungslager gegen die vermeintlichen oder tatsächlichen islamistischen Bestrebungen werden mit Recht kritisiert. Doch sie taugen mitnichten zur Verteidigung der Nato oder irgendwelcher westlichen Werte. Erinnert sich niemand mehr, dass im Kampf gegen den Terror Folterlager wie Abu Ghraib und Guantánamo fester Bestandteil waren? Nicht genannt sind die vielen weniger bekannten Orte des Terrors, wo Menschen festgehalten und gefoltert wurden, die als Islamisten verdächtigt wurden.

Auch in verschiedenen osteuropäischen Ländern existierten solche Lager. In Italien aber auch in Deutschland wurden Menschen entführt und in solchen Lagern festgehalten. Wer heute nur auf China zeigt und über die Lager und die Entführung von Khaled El Masri schweigt, betreibt eine Politik der psychologischen Kriegsführung und will die Nato legitimieren. Das gilt auch im Verhältnis zu Russland.

Aktuell läuft in der Nato ein Machtkampf zwischen Deutschland und Frankreich. Das ist auch der Hintergrund für den aktuellen Streit zwischen Macron und dem von Deutschland geführten Bündnis, dem sich auch Erdogan angeschlossen hat.

Der französische Präsident ist ja nicht plötzlich Antimilitarist geworden, wenn er die Nato als hirntod kritisiert und für begrenzte Verständigung mit Russland eintritt, was ihm gleich die heftige Kritik von Kommentatoren des Deutschlandfunk einbrachte, er verletze westliche Werte.

Der gebührenfinanzierte Sender wird bei der politischen militär- und europapolitischen Berichterstattung tatsächlich immer unverhohlener zum unkritischen Sprachrohr der Interessen der hegemonialen Kapitalfraktion in Deutschland.

Auch so werden die Menschen darauf eingeschworen, dass in schwierigen Zeiten die Bevölkerung auch kriegsbereit sein und Opfer bringen muss. In diesen Kontext gehört auch die seit mehreren Jahren ventilierte Debatte über Dienstpflichten. Hier sollen nicht nur treue deutsche Staatsbürger, sondern auch Soldaten und neudeutsch auch Soldatinnen produziert werden.

So ist es nicht etwa ein besonderer Spleen der CDU-Vorsitzenden, sich für eine Dienstpflicht einzusetzen. Die Diskussion würde auch ohne sie weitergehen. Nur hat es Kramp-Karrenbauer eben fertiggebracht, ein Plädoyer für eine Stärkung des Militärischen mit der Dienstpflicht zu verbinden. So hat Kramp-Karrenbauer durch die Propagierung der öffentlichen Gelöbnisse das Militärische wieder in der Öffentlichkeit verankert. Gleichzeitig hat sie gleich für mehrere Orten in aller Welt die Bereitschaft zur Intervention angemeldet.

Es ist wie vor dem ersten Weltkrieg. Der deutsche Imperialismus sucht in einen Platz für die Verwertung des Kapitals. Die Subalternen sollen mit Dienstpflichten dazu konditioniert werden, klaglos in die nächsten Kriege zu folgen. Individuelle Macken wie Unpünktlichkeit, Eigensinn etc., die vorher durch die Wehrpflicht ausgemerzt werden, sollen nun durch diese vermeintlich zivile Form der Volksgemeinschaft vernichtet werden.

Gefragt ist ein Untertan, der für “seinen Staat” Dienst tut. So erzeugt man Staatsdiener, die möglichst nicht streiken und sich jedem noch so schlechten Arbeitsverhältnis unterordnen und im Fall der Fälle auch Soldaten.

Kaum linker Widerstand; Konflikte auf Kapitalseite

Gegen diese Zurichtung zum Untertanen gibt es kaum linken Widerstand. Dass trotzdem die Zwangsdienste nicht so schnell eingeführt werden dürften, liegt an Interessenkonflikten im Kapital und unter den ihnen nahestehenden Politiker. Viele FDP– und manche Unionspolitiker bezweifeln, dass ein Zwangsdienst wirklich effektiv ist.

Denn dann könnten die so Verpflichteten sich auch möglichst den damit verbundenen Zumutungen aktiv oder passiv entziehen. Zudem verweisen viele FDP-Politiker auf das Interesse kleiner Handwerksbetriebe, die händeringend nach Auszubildenden suchen. Das Problem würde sich durch eine obligatorische Dienstpflicht vielleicht verschärfen. Darüber hinaus zeigen die Kritiker der Zwangsdienste auf verfassungsrechtliche und europarechtliche Probleme bei der Einführung.

Sie setzen wie der langjährige Unionsabgeordnete Wolfgang Bosbach auf die Freiwilligkeit. Dann sind die Menschen auch motivierter und arbeiten dann für die vermeintlich gute Sache auch gerne ohne Lohn. Die Publizistin Claudia Pinl hat schon vor mehreren Jahren in ihrem Buch “Freiwillig zu Diensten” am Beispiel der Propaganda um das Ehrenamt diese Art der Pseudofreiwilligkeit gut analysiert und auch skizziert, wie sich hier der Staat aus einer Sozialpolitik verabschiedet und die “Freiwilligen” in die Pflicht nimmt.

So sind es bei der Abwesenheit einer wahrnehmbaren sozialen Bewegung erst einmal die Wiedersprüche unter den Kapitalisten und ihren Politikern, die einer schnellen Einführung eines Zwangsdienstes wohl noch entgegenstehen. Sollten allerdings die außenpolitischen Konflikte sich zuspitzen und die Bundeswehr nicht nur in Planspielen im Nahen Osten oder in Afrika noch stärker eingreifen, dann könnte auch eine Wiedereinführung der Wehrpflicht, dieses Mal wohl für alle Geschlechter, auf der Tagesordnung stehen.

Dagegen hätten wohl auch die Unternehmen nichts, die jetzt noch nach Auszubildenden rufen. Denn lange Zeit wurden Bewerber, die gedient hatten und denen also ihr Eigensinn schon ausgemerzt wurde, bei Bewerbungen bevorzugt.

taken from here

Nach oben scrollen