Was ist Ökosophie ?

E.V.: Ernst Häckel definierte die Ökologie als „die Wissenschaft der Beziehungen der Organismen mit der äußeren Welt und ihren Existenzbedingungen“. Was nennst du „Ökosophie“?

F.G.: Der Begriff der Ökologie ist eklektisch. Er umfasst sehr heterogene Realitäten, was übrigens seinen Reichtum ausmacht. Zunächst ist es eine Wissenschaft, die Wissenschaft der Ökosysteme jeder Natur. Sie hat keine streng begrenzten Konturen, da sie sowohl den sozialen, urbanen und familiären Ökosystemen Rechnung trägt, wie jenen der Biosphäre. Außerdem ist die Ökologie ein Meinungsphänomen geworden, wobei sie sehr unterschiedliche Sensibilitäten abdeckt: von Konservativen, sogar Reaktionären, die eine Rückkehr zu den Werten der Ahnen preisen, bis hin zu jenen, die eine Wiedererrichtung einer progressiven Polarität anstreben, die an die Stelle der alten Rechts-Links-Polarität tritt. Ich strebe eine konzeptuelle Verbindung zwischen all diesen Dimensionen an. So wurde die Idee der Ökosophie geboren, die diese drei Ökologien zu Wort bringt: umweltbezogene, soziale und mentale Ökologie. Außerdem versuche ich in meinem eigenen Modellisationssystem den Begriff eines ökosophischen Objekts voranzubringen, der weiter reicht als das öko-systemische Objekt. Ich begreife das ökosophische Objekt entlang von vier Linien artikuliert: derjenigen des Flusses, der Maschine, des Werts und des existentiellen Bereichs.
1. Die des Flusses ist evident; denn gerade in den Ökosystemen gibt es immer Artikulation von Flüssen, der einen in Bezug zu den anderen, genaugenommen von heterogenen Flüssen.
2. Die der Maschine findet sich hier, um eine Dimension kybernetischer Retroaktion, der Autopoesis zu geben, d.h. der ontologischen Auto-Affirmation, ohne in den animistischen oder vitalistischen Mythos zu fallen wie z.B. die Gaia-Hypothese von J. Lovelock und L. Margulis; denn es handelt sich doch darum, die Verbindung zwischen den Maschinen der Ökosysteme materieller Flüsse und den Ökosystemen semiotischer Flüsse herzustellen. Ich versuche also den Begriff der Autopoesis zu erweitern ohne ihn wie Varela nur dem lebenden System zu reservieren und ich denke, es gibt Proto-Autopoesis in allen anderen Systemen: in ethnologischen, sozialen, usw.
3. Dieses ökosophische Objekt ist nicht nur autopoetisch, sondern auch Träger von Werten, von Einschreibungen und Perspektiven der Inwertsetzung. Dies ist wichtig, um die Problematik des Werts neu zu denken, den ökonomischen Wert eingeschlossen, und um den kapitalistischen Wert, den Tauschwert im marxistischen Sinn zusammen mit den anderen Systemen der Inwertsetzung zu vermitteln, die von den autopoetischen Systemen abgesondert werden: sozialen Systemen, Gruppen, Individuen, individuelle, artistische, religiöse Sensibilitäten; um sie untereinander zu vermitteln, ohne dass der ökonomische Wert sie wie mit Blei überzieht und alle auslöscht.
4. Die vierte Dimension ist die der existentiellen Endlichkeit, die das ökosophische Objekt am Genauesten definiert: das was ich auch existentielle Bereiche nenne und was keine ewige Entität darstellt, sondern in Koordinaten extrinsischer, unabhängiger Determination gründet. In seinem Wertesystem hat das ökosophische Objekt eine Geburt und ein Ende; es ist in Beziehung zu einer maschinellen Andersheit, einem maschinistischen Phylum. Tatsächlich besitzt egal welches System eine systemische Ursache und Zukunft. Ohne universelle Reichweite ist es in Prozesse der Historizität gebunden. Diese Endlichkeit stellt so auch eine Dimension der Entfremdung und der „Inkarnation“ dar und gleichzeitig einer prozessualen Bereicherung; denn dank ihrer gibt es immer die Möglichkeit eines vom Chaos ausgehenden Wiederaufladens und einer Wiederbegründung einer Komplexität. Weil es den Schnitt der ökosystemischen Individuation als Endlichkeit gibt, besteht die Möglichkeit, dass sich die Systeme in Beziehung zueinander verketten und ein großes evolutives Phylum entwickeln.

E.V.: Du sprichst vom ökosophischen Objekt als einem „Modellisationssystem“. Richtest du dich auf konkrete Objekte oder auf ein Beschreibungssystem?

F.G.: Für mich drängt sich die Unterscheidung nicht auf: alle Objekte sind Objekte der Modellbildung. Der Begriff – in seinem schöpferischen Charakter der Verdichtung heterogener Bestandteile und gleichzeitig autopoetischer Einheiten – ist das Objekt. Das ökosophische Objekt ist ein Objekt der Metamodellisation, in dem Sinn, dass es beansprucht, die verschiedenen Modellbildungen, die uns vorgeschlagen werden, zu umfassen: marxistischer, animistischer, ästhetischer Art. So kann man eher sehen, wie die Wertsysteme sich verbinden, anstatt sie auf manicheistische Weise einander gegenüber zu stellen.

J.-Y.S.: Welche Konsequenzen sind aus dieser Art der Analyse für die Ökologiebewegung zu ziehen?

F.G.: Dass es in meinem Sinn keine Opposition zwischen den Ökologien gibt: politische, umweltbezogene und mentale Ökologie. Jedes ängstliche Gewahrwerden eines Umweltproblems postuliert die Entwicklung von Wertuniversen und folglich eines ethisch-politischen Engagements. Sie ruft auch zur Inkarnation eines Modellisationssystems auf, um diese Wertuniversen zu unterstützen, d.h. zu sozialen Praktiken, vor Ort, analytische Praktiken, wenn es um die Produktion von Subjektivität geht.

E.V.: Es geht also nicht um totalisierende Wertsysteme?

F.G.: Das ist wahr. In der Tat besteht die große Gefahr darin, an die Stelle des Mythos der werktätigen Klassen als Träger der Zukunft der Werte jenen einer Verteidigung der Umwelt zu setzen, eines Schutzes der Biosphäre, der ganz genauso einen völlig totalisierenden, totalitären Charakter annehmen kann. Es hat mehr Wert Prozesse der Selbstaffirmation zu entwerfen, die ihre Heterogenität und Singularität respektieren. Ich lehne transzendente Urteile ab.

Zwei Beispiele: Im Schoß der Ökologiebewegten weist die linke Bewegung diejenigen zurück, die man „grüne Khmer“ nennt. Aber diese stellen etwas absolut Authentisches in der ökologiebewegten Subjektivität und in den Kräftebeziehungen dar. Auch weil sie existieren, erklären sich 15-20% der Wählerschaft bereit ökologiebezogen zu wählen. Lasst uns mit ihnen eine dissensuelle Beziehung haben; polemisieren wir, aber respektieren wir sie, sonst fallen wir in einen ideologischen Grabenkampf ohne Ende. Die selbe Sache mit dem LePenismus: verstehen wir, warum bedeutende Massen der Bevölkerung, gerade der werktätigen, in diese Ideologie abgleiten. Betrachten wir sie von innen, ohne die Werte zu verdinglichen, indem wir sagen: das ist reaktionär, fascho, rechtsextrem, usw. Sonst verliert man jede Möglichkeit der pragmatischen Artikulation, um diesen Teil zu beeinflussen, zu „rhizomatisieren“.

E.V.: Was verstehst du unter pragmatischer Axiomatisierung? Für die „grünen Khmer“ beschwört man im ideologischen Feld Maurras, Pétain; etikettiert man sie?

F.G.: Auf diese Weise lässt man sie zum Baum erstarren, will man sie verrückt machen. Für mich geht es nicht darum in eine Polemik einzutreten, z.B. mit einem delirenden Kranken. Er kann psychotische Krisen haben, die manchmal von rassistischen Delirien, von Hass auf Differenz, auf Fremdheit begleitet werden. Man muss zu verstehen suchen, wie diese subjektive Verkettung zu einer von der meinen völlig verschiedenen Modellbildung führt, und in Beziehungen semiotischer Produktion treten, damit für diese Art Sackgasse ein evolutiver, prozessualer Ausgang entsteht. Verlassen wir die konsensuellen Politiken, akzeptieren wir die Andersheit des Anderen, seine Differenz; von dieser ethischen Bewegung der Wiederannahme des Anderen ausgehend kann etwas entstehen.

E.V.: Welche Übersetzung soll man der ökosophischen Ausrichtung im Fall möglicher Regierungsverantwortung der Ökologiebewegten geben?

F.G.: Die Frage betrifft auch die lokalen, regionalen Verantwortlichkeiten. Es geht darum, Praktiken sozialer, einschließlich politischer, gouvernementaler Intervention zu entwerfen, die mit sozialen Praktiken vor Ort kohärent sind, mit dissensuellen, kulturellen, analytischen, individuellen und kollektiven sowie ästhetischen Praktiken, und hierfür eine Politik und Mittel, Dispositive, zu entwickeln, die diesen dissensuellen Charakter erlauben. Ich denke, dass man unsere traditionellen Positionen zwischen Bewegungen, Parteien und Verbänden komplett hinter sich lassen und eine neue Form finden muss, die es erlaubt übereinander zu legen, eine polymorphe Beziehung zwischen den verschiedenen pragmatischen Zielen zu etablieren. Ich stehe einer politischen Armatur, einschließlich medienwirksamer Führungsfiguren und Minister, nicht feindlich gegenüber – warum denn auch nicht – wenn es nicht nur Phänomene der „Basiskontrolle“ gibt, sondern auch Subjektivierungsphänomene, so dass dies eine völlig relative Stellung bekäme; die delegierten Individuen, oder diejenigen, die sich diesem politischen Dienst widmen, seien akzeptiert, insoweit es das Ziel wert ist, d.h. wichtig, aber nicht fundamental. Sie mögen politische Führungspersonen sein, aber dass sie ja keine affektiven Führer, keine imaginären Führer werden! Dies bedeutet konkret, dass es in der Ökologiebewegung genauso wichtig, gleichwertig und legitim erscheint, sich mit Gruppen des Stadtviertels, des Lebens usw. zu befassen, wie in den politischen und organisatorischen Kräftebeziehungen zu „mauscheln“. Es gibt eine ganze soziale Ökologie der Bewegung selbst, die ihre Regulierung finden muss.

E.V.: Abgesehen vom Bereich der Umwelt scheint die Ökologiebewegung in Frankreich v.a. eine Bewegung der Meinung, der Subjektivität zu sein, viel mehr als sozialer Praktiken.

F.G.: Erstens ist das französische Phänomen exzeptionell. In den anderen Ländern gibt es keine dem ähnliche Anhängerschaft der Ökologiebewegung; man spricht von 15-20%, aber in Wirklichkeit gibt es eine beachtlichere Masse günstiger Einstellungen.
Man könnte genau das selbe von der LePen-Bewegung sagen, die jedoch eine noch breitere Meinungsbewegung gären lässt. Dies ist eine prekäre Situation. Die Ökologiebewegten dürfen sich keinen Illusionen hingeben. Sie kann wie ein Windhauch umschlagen. Zweitens ist es genau unter der Bedingung, dass es Intervention einer anderen Art zu kämpfen, Politik zu machen gibt – das unmittelbarste, täglichste Bedenken zu äußern, ebenso auf dem Niveau der Umwelt, wie auf dem Niveau des sozialen Lebens, dessen was sich im Viertel abspielt, in den Krankenhäusern usw. – dass es eine Konsolidierung dieser Ansicht geben kann. Sonst werden wir ein weiteres Mal Enttäuschung ernten und die Meinung wird sich zu ich-weiß-nicht-was drehen, vielleicht zu überhaupt nichts oder zu einer Passivität, die sehr negative Dinge generiert.

J.-Y.S.: Was folglich sagen?

F.G.: Das Problem aussprechen! Es gibt ein Problem der Redefinierung sozialer Praktiken, der Neuerfindung von Abstimmungsmodi, von Organisationsmodi, von Beziehungen mit den Medien, usw. Und dies wird politisch: wissen, was man tun will. Will man wirklich die Wertsetzungssysteme radikal verändern? In diesem Fall muss man sie in ihrer Globalität, in ihrer Gesamtheit nehmen. Wenn man vorgibt nur sektoriell was zu ändern, eine kleine Unterstützungskraft, eine kleine druckvolle Umweltlobby zu schaffen, dann, denke ich, hat man schon im Voraus verloren; denn das wird sehr glatt laufen: die Industrie verlangt nicht mehr als die Ökologiebewegung zu benutzen wie sie die gewerkschaftliche Bewegung für ihre eigene Strukturierung des sozialen Feldes benutzt hat. Sie wäre sehr schnell von der Industrie, vom Staat, von den herrschenden Kräften verdaut. Es bedarf eines anderen Anspruchniveaus. Ich schlage diesen Begriff der Ökosophie vor um die Reichweite der Werteproblematik zu zeigen.

DIE LEIDENSCHAFT DER MASCHINEN

J.-Y.S.: Woher kommt dein Interesse für die Maschinen?

F.G.: Das ist eine Leidenschaft der Kindheit und seit jeher, eine animistische Leidenschaft. In der Tat scheint mir die Beschreibung biologischer, sozialer, ökonomischer Phänomene usw. in Strukturbegriffen unzureichend. Jenseits der systemischen Begriffe wollte ich eine konzeptionelle Entität schmieden, die nicht nur den Autoreproduktionsbeziehungen der Systemstruktur entspricht, sondern ebenso den Beziehungen Rechnung trägt, die es mit dem Außen entwickelt. Denn die Maschine ist immer im Dialog mit einer Andersheit – der in der Zeit situierten. Zusätzlich zur Andersheit etabliert die Maschine auch die Endlichkeit: sie wird geboren, sie geht kaputt, zerbricht, stirbt. Aus diesem Grund erweiterten wir den Begriff der Maschine jenseits der technischen Maschine hin zu biologischen, sozialen, urbanen Maschinen, hin zu linguistischen, theoretischen Megamaschinen und selbst zu Wunschmaschinen. Dieser Begriff richtet sich also auf die Möglichkeit der Maschine sich selbst abzuschaffen.

E.V.: In deinem Text über die „maschinelle Heterogenese“ verleihst du folgender Idee Nachdruck: „Die Maschine ist immer von internen Elementen abhängig um als solche existieren zu können“. Welche Beziehungen gibt es zwischen den Elementen der „Struktur“, der „Reproduzierbarkeit“ und der „Andersheit“?

F.G.: Um diese zu verstehen führe ich den prozessualen Charakter der Maschine in die Artikulation ein. Die Essenz der Maschine entstammt nicht einer unendlichen Kontinuität, sie ist in Mutation. Dafür muss ein Phänomen des Bruchs, des Schnitts intervenieren, wie für die im Schoß ihrer Art erfassten Individuen und zwischen diesen Arten selbst in ihren evolutiven Phylen. Es gibt Leben und Tod der technologischen, theoretischen, etc. Maschinen. Die Existenz eines Kreislaufversagens zwischen der größten Komplexität und ihrer Abschaffung ist möglich. Ich nenne das „Chaosmose“: man kann in einem hochgradig differenzierten Bezug zur Welt, zur Umwelt, usw. sein, aber man kann es auch nicht sein und verschwinden, sich im Chaos auflösen. Diese Vermittlung zwischen den beiden Elementen erlaubt die Evolution, die schöpferische Produktion. So als würde sich ein Wiedereintritt ins Chaos aufdrängen um die Komplexität wieder anzureichern; so als würde das Chaos selbst virtuell von der Komplexität heimgesucht und umgekehrt.

E.V.: Du postulierst ebenso, dass „die Maschine der Technik vorausgeht“. Du merkst außerdem an, dass für Leroi-Gourhan die Maschinen nicht außerhalb des „technischen Ensembles, zu dem sie gehören“, existieren. Gibt es keinen Widerspruch zwischen diesen beiden Ideen?

F.G.: Nein, denn die Position von Leroi-Gourhan ist eine erste Stufe. Er bringt das Werkzeug, die Maschine mit seiner/ihrer sozialen, menschlichen, körperlichen Umwelt in Verbindung, mit der maschinellen Gestik und den kulturellen Beziehungen, die sie tragen. Diese Problematik der maschinellen Autopoesis unterscheidet sich von der Art, wie die Autopoesis von Valéra und Maturana in den Kreisen der Biologie gefasst wird. Mit der Symbiose zwischen der Maschine, dem Werkzeug und dem sozialen und menschlichen Feld sowie dem Aufkommen konzeptueller, linguistischer und diagrammatischer Maschinen in Verknüpfung untereinander vollzieht sich eine Dezentrierung der Essenz des Maschinismus von seinem sichtbaren zu seinem unkörperlichen Teil. Man kann also die Logik von in einer Schicht gegebenen, klaren und unterschiedenen Objekten mit extrinsischen und vorgängigen Paradigmen, die sie umfassen und beschreiben, lehren, usw., verlassen um zu anderen Objekttypen vorzudringen, zu abstrakten Maschinen, die in sich selbst ihre eigenen autopoetischen Wertsysteme tragen. Sie erlauben die Verknüpfung der differenten maschinellen, sozialen, biologischen, neurologischen, ökologischen, usw. Schichten zu verstehen.

J.-Y.S.: Was ist für dich, mit dieser Definition der Essenz der Maschine gewappnet, der Teil des Menschlichen und des Nicht-Menschlichen in den Maschinen?

F.G.: Ich würde eher sagen: Was ist der Anteil des Maschine-Werdens im Menschlichen und im Nicht-Menschlichen? Denn das Maschine-Werden konstituiert Formen der Menschlichkeit, aber enthält auch andere Werdens-Prozesse: tierische, pflanzliche, musikalische, mathematische, usw. Es setzt Virtuelles voraus, Angrenzendes aus unkörperlichen Universen, Referenz ohne Präferenz. Es kommt aus präexistierenden Paradigmas. Es bringt eine Vitalität, eine Wucherung mit sich, eine partielle, existentielle Inkarnation, die ich existentielle Bereiche nenne. Die Intuition dieses Begriffs der Maschine zielt darauf ab, der Logik des diskursiven Objekts, des manifesten Flusses zu entkommen, um nicht-diskursive, unkörperliche, kontingente Entitäten zu integrieren, wie die der Existenz.

E.V.: Wie unterscheidet sich diese „maschinelle Essenz“ vom Heideggerschen Grund* [dt. i. Org., Anm. d. Übers.] oder dem Signifikanten Lacans?

F.G.: Diese Kategorien unterstellen und unterstützen einen gewissen Bezug der Diskursivität zu einer fundamentalen Sprache des Seins oder von Signifikanten, von Tresoren des Codes. Ich lehne es ab, dass alles bereits in einem „großen Anderen“ oder einem Grund*, in einem besonders von den griechischen philosophischen Positionen zu sehr vorgeprägten Bezug zum Sein sei. Es gibt ebenso viele Referenzen des „großen Anderen“ wie es Mutationen der Referenzuniversen gibt. So ist die polyphone Musik eine Kreation sui generis, ohne jedes Fundament, ohne jeden Grund*, welche auch die Abstammungslinien sein mögen, auf die man sie zurückführt: Geburt aus dem mathematischen oder philosophischen Denken. Ich sehe kein dieser absoluten Kreativität Vorgängiges, keine signifikanten Ketten oder ein Primat des Seins. Es gibt Heterogenese, was einen Garanten der menschlichen Aktivität konstituiert.

E.V.: Kannst du deine Formulierung „Die Bewegung der Geschichte singularisiert sich an der Kreuzung heterogener maschineller Universen“ erklären?

F.G.: Die Geschichte ist auf jeden Fall eine Erzählung: episch, mit religiöser Konnotation, marxistisch, maschinell, usw. Aber diese haben Wert, da man so der Dauer Konsistenz verleiht. Meine Affirmation ist nicht stärker wissenschaftlich als andere. Aber die Differenz angesichts der sozialen und kulturellen Beziehungen zur Erklärung durch die Universalität der Produktionsverhältnisse, besteht darin, dass die maschinelle Erklärung radikal jede Idee der Beziehung zwischen einem Unterbau und einem Überbau umgeht. So gibt es gewisse historische Wenden aufgrund einer technologischen Mutation. Zum Beispiel demaskierte das Auftauchen der Eisenwaffen die seit Jahrtausenden bestehenden asiatischen Reiche. Es könnte aber auch genauso eine Mutation sein, die aus den Registern zur Erfassung der Kriegsmaschinen, zur Organisation der Militärs kam, also aus der Ordnung der Schrift. Es könnten auch juristische Veränderungen in einem Produktionsverhältnis (Geldeinheit), in der Wissenschaft, im Transportwesen (seefahrerische Entdeckungen), usw. sein. Eine zwingende Kausalität drängt sich folglich nicht auf. Im Gegenteil, man muss untersuchen, wie sich die differenten maschinellen Mutationen kontaminieren, sich beeinflussen, sich bedingen; wie sich Foyers der partiellen Subjektivierung schaffen und einen schöpferischen Mehrwert schaffen, eine autopoetische Affirmation, wie sie die Kontrolle übernehmen. Zum Beispiel gibt es zur Zeit der von Braudel beschriebenen großen Welt-Städte eine urban-kapitalistische Entität, die vorherrscht und von den großen italienischen Städten nach Amsterdam, London usw. übergeht. Diese Deplacierung ist nicht rein ökonomisch, sondern kulturell, sozio-politisch, religiös usw. vielmehr hängt das zusammen. Jedes Mal ist die Geschichte im Geburtszustand, eine Kristallisation, eine Singularität.

E.V.: Die maschinelle und technische Welt, in deren Terminal sich die Menschheit von heute konstituiert, ist nach dir „von Horizonten der Konstanz und der Begrenzung der Geschwindigkeiten des Chaos verbarrikadiert. Aber eben diese Welt des Zwangs wird von anderen Welten verdoppelt, getrippelt, die nur verlangen zu teilen und neue Möglichkeitsfelder zu erzeugen.“ Welche sind diese anderen Welten und wofür die Möglichkeitsfelder?

F.G.: Ich möchte zwei von mehreren andeuten: die Welt der Philosophie, die auf gewisse Weise ihre Objekte völlig in einer Beziehung unendlicher Geschwindigkeit, eines unendlichen Bruchs mit den mondänen Kategorien schmiedet. Sie situiert sich auf Anhieb in einer Kreativität der Begriffe, die bis zur Ohnmacht das Unendliche bearbeiten. Und dann gibt es das Register der ästhetischen Welt, die dem entgegen von einer sinnlichen Materie ausgehend Philosophie reproduziert, wiederherstellt, Felder unendlicher Entdeckung. Hier gibt es einen vollständigen Umweg über die Arbeit der Materie.

E.V.: Welche Möglichkeitsfelder also?

F.G.: Schöpferische! Es ist ein wenig diese mögliche Verbindung zwischen den Kreativitätsfaktoren der Wissenschaft, der Philosophie, der Künste und auch der sozialen, ökonomischen, ökologischen Felder, die immer noch geschichtet sind und um so mehr auf sich selbst abgeriegelt als sie sich durch diese Faktoren maschineller Deterritorialisierung bedroht fühlen. Man kann diese dualistische Opposition als unwiderstehlich definieren und das Schicksal der Menschheit als Risse, widersprüchliche Pulsierungen auf Referenzterritorien definieren, oder als Aufgabe an das Dromotische (wie Paul Virilio sagen würde).

Für mich setzt die Idee der Mechanospäre voraus, dass es nicht unmöglich ist, dass Dispositive auf die Welt gebracht werden, die es erlauben diese Verbindung auszuprobieren; ohne Wissenschaft, Kunst oder Philosophie mit dem Sozialen zu betreiben, sondern indem vielfältige, heterogene Bewertungssysteme hergestellt werden, die den Geschmack der Singularität, der Endlichkeit, des Hier-Seins verleihen. Natürlich außerhalb der Erlösungsmythen, der politischen Funktionen entfremdender Repräsentationen! Man muss diesen Charakter missbrauchender Generalität hinter sich lassen, der die mediale Sphäre kennzeichnet, die den Wertzeichen des Fortschritts folgend letztlich zu nichts zurückführt und den Wunsch nicht dem sozialen Feld ankoppelt. Dort gäbe es eine völlige Dezentrierung, die eine Praktik eröffnen würde, die ich Ökosophie genannt habe, eine Disziplin, die mit der Politik, der Ökologie, der Kunst, der Wissenschaft, usw. zu tun hätte, aber dennoch eine spezifische Praktik, eine Art nicht-kontemplativer Weisheit wäre.

WELCHE WERTSETZUNGSRÄUME?

E.V.: Kannst du diesen markanten Satz deines Buchs Die Drei Ökologien entwickeln? „Es ist immer weniger legitim, dass die finanzielle und symbolische/ansehensgemäße Entlohnung der sozial anerkannten Tätigkeiten nur durch einen auf Profit gründenden Markt reguliert wird.“ Man spricht dennoch von der Universalität des Markts.

F.G.: Die neoliberale Ideologie rechtfertigt die Souveränität des Marktes durch die Handelsfreiheit. Sie postuliert die Existenz eines abstrakten Markts, der das Ensemble der ökonomischen Sphären übercodiert und reguliert. Dies ist ein allmächtiges Gespinst. „Der Markt“ existiert nicht. Dem entgegen existieren alle möglichen Märkte. Beispiele: der von staatlichen Mächten gehaltene Waffenmarkt, die regionalen, lokalen Märkte, aber auch die Parallelmärkte der Drogen, der Mafia oder auch der Kunstmarkt. Auf einem mikrosoziologischen Niveau existieren die häuslichen Märkte, wie auch jene des Tauschhandels in den unterentwickelten Ländern. Es sind die Machtkonstellationen, die sie als gleichbedeutende Felder des Werts setzen und geben. Das Spiel zwischen den Märkten wird ein Spiel zwischen diesen Machtmärkten. Manche werden minorisiert, andere überschätzt. Es gibt folglich keine einheitliche, transzendente Kategorie des Weltmarktes. Es gibt Bewertungssysteme, die als existentielle Bereiche von einer gewissen Anzahl Machtkonstellationen und –verkettungen gesetzt werden. So vollführten die USA in Bezug zum Markt der Pedrodollar mit dem Golfkrieg eine punktuelle geopolitische Aktion, einen Gewaltakt.

E.V.: Wer kann einen nicht-geschäftlichen Wert attribuieren? Der Staat? Bringst du eine starke anthropologische Voraussetzung vor, wenn du bekräftigst, dass es für jede menschliche Tätigkeit ein Wertsetzungssegment gibt?

F.G.: Außerhalb des Staates setzen sich alle Wunschmärkte als Vektoren der Wertsetzung. So ist die Rockmusik einerseits Wunschmaschine und andererseits kapitalistischer Markt. Es gibt auch eine starke Beziehung zwischen Wunsch und Wünschbarkeit. Es gibt nicht nur den Staatsmarkt um nicht-geschäftliche Werte zu attribuieren.
In einer postmodernistischen Perspektive kann man die aktuellen Machtgebilde akzeptieren und sagen, dass all jene, die auf dem Markt existieren, notwendig und unvermeidlich sind. Man kann auch im Gegenteil eine axiologische Perspektive haben und die Machtgebilde anders begreifen, sei es um sie wie den Markt der phallokratischen Macht aufzulösen, sei es um einen Markt differenter Macht zu schaffen, z.B. für die Kunst, und dabei die Gemäldehändler, die Museen, schließlich alles was die Kunst auf dem Weltmarkt managt kontrakarrieren.

E.V.: Existiert nicht dennoch eine Hierarchie der Produktivsysteme und der Machtgebilde?

F.G.: Ja, es gibt eine essentiell kapitalistische Hierarchie. Dennoch kann man sich eine Multizentrierung vorstellen, eine rhizomatische Disposition der Machtgebilde, wobei sich die Regulierung in Termen einer chaotischen Logik via sich anziehender Akteure vollzieht, die deterritorialisiertere Machtzonen bestimmen als jene der Lobbies.

E.V.: Bleibst du so nicht innerhalb des Marktparadigmas? Was könnten neue Wertsetzungsräume sein?

F.G.: Mit den Dispositiven der telematischen Kommunikation gibt es neue Abstimmungsverkettungen. Neue subjektive Entitäten mit transnationalem, transethnischem, transkulturellem usw. Charakter erscheinen/tauchen auf. Im Gegenzug werden staatliche, weltumspannende Machtmärkte sich erhalten und das alles wird nicht am Tag der großen Wende weggefegt werden. Bereits jetzt besteht die Dringlichkeit die wirklichen Logiken des Marktes – jene des Staats, jene der Mächte – in ihrem aktuellen Funktionieren zu situieren, um dem Mythos absoluter Legitimation des Gebrauchs des kapitalistischen Rechts zu entkommen, einer Art neoliberaler Religion, die heute fast überall vorherrscht.
Diese axiologische Dezentrierung zeigt schließlich, dass es andere mögliche Praktiken gibt; Roll-Back des kapitalistischen Marktes, Freiheitsräume, Schöpfungsräume zum Erfinden und Wiederbekräftigen, auch auf dem aktuellen Markt.

J.-Y.S.: Unterschätzt du nicht den Aspekt des Wiederverhärtens zum Baum durch das monetäre Äquivalent?

F.G.: Es stimmt, dass das monetäre Äquivalent die Rolle eines faszinierenden Objekts spielt. Es weist die intensivste Deterritorialisierungslinie auf. Es ist eine obsessive Involution der Subjektivität in einem Wunschobjekt, die die anderen Bewertungsmodi zerstäubt. Es ist die abstrakteste Allmachtswaffe. Die neuen Bewertungsformen müssen genau diese „Homogenese“ der kapitalistischen Werte hinter sich lassen und sich durch einen Prozess resingularisieren, den ich „heterogenetisch“ nenne und der ihnen ihr eigentliches ontologisches Niveau gibt. Für mich ist der Wert eine Polarisierung im Schoße des Wunschfeldes, eines Machtfeldes, eines existentiellen Bereichs, der eine völlig deterritorialisierte Dimension annehmen kann. Dies ist eine axiologische Dimension, die sich ebenso gut in den ökonomischen Bereich wie in den Bereich der Wahrnehmung oder dem der Beziehungen zu den anderen, der Art sich zu situieren, einschreibt.

E.V.: Wie?

F.G.: Es gibt bereits bestehende molekulare Niveaus, Eroberungen. Ich werde ein einziges Beispiel anführen: die Emanzipationsbewegung der Frauen (trotz der Bedrohungen, der Rückschläge). In der Tat evoziere ich eine neue Art Lebensbereiche zu setzen, zivile Widerstände zu bekräftigen, Minoritäten zu verteidigen, selbst wenn sie in andere Aufhebungsformen implodieren können. Es geht darum sie wieder in die Beziehungen der Kräfte, der existierenden Mächte einzuführen, statt sie in reiner Utopie erstarren zu lassen wie in den 60er Jahren; sie mit den Kräften, die sich im Parlament, im Syndikalismus einsetzen zu vermitteln ist folglich notwendig. Sonst würden diese molekularen Praktiken, diese Wunschkämpfe unweigerlich in die Freizeit, die Marginalisierung, den Spott zurückfallen. Dem entgegengesetzt zeigte eine Logik der Teilung in Schwarz und Weiß, die eine völlige axiomatische Kohärenz impliziert, dass es keinen automatischen progressiven Unterscheidungspunkt gibt.
Soziale und mentale Ökologie besser miteinander zu vermitteln, allen spezifischen sozialen Praktiken, diesen molekularen Revolutionen eine historische Perspektive geben, das ist was zu tun bleibt, um neue Wertsetzungsräume zu gestalten.

Die Äußerungen wurden im Dezember 1991 zusammengestellt.

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Foto: Sylvia John

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