Anmerkungen zu Jason W. Moore: Kapitalismus im Lebensnetz (2015/2020) und Raj Patel und Jason W. Moore: Entwertung (2017/2018)

Moore´s Reflexion des Naturbegriffs und die Zurückweisung aller cartesianisch-dualistischen Abstraktionen wie Mensch vs. Natur sowie eines ahistorisch gedachten Verständnisses von Natur ist zweifellos eine richtige Anstrengung, die unter dem Aspekt zunehmender und heftiger werdender Krisen immer wichtiger wird.

Leider ist die ökonomische Lektüre seiner Analyse etwas schwierig, weil er sich bei Erweiterung der an Marx orientierten Begrifflichkeit etwas umständlich ausdrückt. Wenn Moore von unbezahlter Arbeit/Energie redet, dann meint er eben nicht nur die unbezahlte Mehrarbeit, sondern insbesondere alles (außerhalb des Produktionsprozesses), wofür nicht bezahlt wird: Reproduktionsarbeit (Haus- & Care-Arbeit), die sog. Gaben der Natur und Externalisierung. Er versucht das neu zu sortieren, indem er einerseits dem Mehrwert das ökologische Surplus gegenüberstellt (womit kurz gesagt alles Unbezahlte gemeint ist), und andrerseits von Wertverhältnissen spricht – eine Relation, wo auf der einen Seite das marxsche Wertgesetz (Ausbeutung) steht und auf der anderen Seite wiederum alles Unbezahlte (Aneignung); erst auf S. 448 werden die beiden Relata kurz und bündig genannt: „was von Wert ist und was nicht“. Hier hätte man sich einen griffigen Gegenterm zum Wertbegriff bzw. Wertgesetz gewünscht – „Nicht-Wert“ wäre eher ein provisorischer oder Verlegenheitsterm…

Erschwerend kommt noch hinzu, daß am Ende der Negativwert eingeführt wird, mit dem etwas völlig anderes gemeint ist: Natur, die sich der Reparatur zur Erhaltung der Billigen Vier (Nahrung, Arbeitskraft, Energie, Rohstoffe) entzieht; es handelt sich um den Übergang vom Mehrwert zum Negativwert (419), von der Mehrwert- zur Negativwertakkumulation: „Es ist eigentlich undenkbar, dass der Kapitalismus dem Klimawandel sinnvoll begegnen könnte…“ (421). Der Negativwert würde den Mehrwert destabilisieren, er sei „eine Barriere für das Kapital selbst“ (443). So kommt man mit den Wertverhältnissen de facto bei drei Termen aus: Wertgesetz, Nicht-Wert (s.o.) und Negativwert. Dabei versucht Moore, mit dem Begriff Negativwert zu erfassen, dass aus den „Billigen Vier“ nunmehr teure Vier werden, also ein Teil der Zirkulationskosten unwiderruflich steigt.


Die ökonomische Ausbeute oder Quintessenz von Moore ist eher banal: die Produktionskosten steigen und der Ökologische Surplus sinkt auf lange Sicht. Das klingt nach „klassischer“ Lesart des tendenziellen Falls der Profitrate, die in ihrer Hoffnung auf den „Zusammenbruch“ die „Entgegenwirkenden Ursachen“ (14. Kapitel Band 3) lieber übersah. Allerdings macht Moore mit den „Billigen Vier“ die Zirkulationskosten zum entscheidenden Faktor für die bislang immer wieder erfolgte ‘Korrektur’ des tendenziellen Falls der Profitrate.

Im Hinblick auf den gesamten Ansatz stellen sich grundsätzliche Fragen, wie Szepanski in seiner ausführlichen Besprechung schon erkennen ließ. Er nannte dort 4 Punkte:


1.Netzwerkfundamentalismus (Das Netzwerkdispositiv als die hegemoniale Funktionsweise gegenwärtiger Systeme vs. Netzwerk als Metanarrativ)


2.Arbeitswertmarxismus vs. monetäre Kapitaltheorie (Zentral ist für Moore die im Akkumulationsverlauf zyklisch steigende Wertzusammensetzung des Kapitals, der seines Erachtens nur durch ständige Wiederherstellung der „Billigen Vier“ entscheidend entgegengewirkt werden kann.)

3.Ist die Aneignung billiger Natur wirklich wichtiger als das Wertgesetz? (Präziser wäre es wohl zu sagen, dass die Aneignungsprozesse eine notwendige Bedingung für die Möglichkeit der Kapitalakkumulation auf lange Sicht darstellen, wobei beide Prozesse zueinander in einem dialektischen Verhältnis stehen, sich bündeln, wechselseitig durchdringen usw.

4.Der Geldbegriff bei Moore bleibt obskur. (Das Verhältnis von Geld und Wert wird nicht thematisiert, die Preisbildung bleibt ausgeklammert)

Moore äußerte die Hoffnung, dass es zu sich verstärkenden„alternativen Bewertungen“ kommen wird („Ernährungssouveränität“, „Bewegung für Ernährungsgerechtigkeit“, z.B. „Via Campesina“), zu „ethisch-politischen Wertzuschreibungen“: sie würden „die Wertverhältnisse des Kapitalismus als ´Wert von nichts´“ entlarven und „den Wert von allem in Frage“ stellen (443).

„Die weltökologische Grenze des Kapitals ist das Kapital selbst.“ (450) „Die Substanz des Kapitals ist abstrakte gesellschaftliche Arbeit.“ (462) – Wirklich? Taugt das marxsche Begriffsinstrumentarium zur Analyse des heutigen, sagen wir: Digitalen Kapitalismus (Ph. Staab) oder Finanzmarktkapitalismus (Krumbein et al.)? Haben wir nicht längst ein anderes Akkumulationsregime? Gilt heute noch die „Arbeitsproduktivität als Maßstab des Reichtums“ (451)? Oder eher das Monopol über den Marktzugang (vgl. Amazon)? Und geht es heute überhaupt noch um Wert als Maßeinheit? Sicher kann man von „historischer Natur“ reden und sie (via kapitalistischer Produktionsweise) „als Matrix (Prozess) und als Objekt (Projekt)“ – oder Ko-Produkt – erklären und verstehen…(453) Aber ob der Kapitalismus am Mangel an diesen billigen Naturen scheitern wird? Ist die Aufrechterhaltung bzw. die Wiederherstellung der „Billigen Vier“ tatsächlich eine notwendige Bedingung für die Möglichkeit andauernder Kapitalakkumulation? Und kann man i.S.v. Marx überhaupt noch von Kapitalakkumulation reden, wenn es nur noch um mehr Geld geht?

Bestimmt geht es noch immer um Macht und Wissen – und mehr Geld ist auch mehr Macht. Droht der Aspekt Klima-/ Umweltkrise nicht sogar zu verschwinden, wenn man Natur (wie Moore) nicht mehr ahistorisch-statisch sieht? (Wenn die Bienen sterben, kommen die Drohnen und die Deiche kann man erhöhen – die Chief-Resilience-Officers der Rockefeller-Foundation sind schon unterwegs.) Gewiß geht es um mehr Geld – und das macht man immer noch am besten dadurch, daß man so wenig wie möglich, am besten gar nicht(s) bezahlt. Entscheidend bleibt die Kapitalrentabilität (der return on investment/ ROI).

Von seiner Hoffnung auf einen anderen Wertbegriff abgesehen hat Moore im Buch Entwertung (2017/2018 mit Raj Patel, wo es – gegenüber dem vorherigen Buch erweitert – um „Sieben Billige Dinge“ geht: Arbeit, Energie, Fürsorge, Geld, Leben, Natur, Nahrungsmittel) auf die Frage: was tun? nicht gerade viel zu bieten. Er nennt dort 5 Punkte:

1. Anerkennung: (vor allem gegenüber Nicht-Weißen, Nicht-Europäern und Nicht-Westlichen): „Wir müssen erkennen, dass unser Lebensstil und unsere Denkkategorien, die die Welt der Menschen von der natürlichen Welt trennen, keine ewigen Wahrheiten sind, sondern historisch bedingt.“ (274)
2. Wiedergutmachung – die ist im Prinzip zwar unmöglich (was geschehen ist, ist geschehen), aber vielleicht etwas Täter-Opfer-Ausgleich (Entschädigungszahlungen).
3. Umverteilung von Arbeit & Energie, Boden & Land, Geld… aber wie? Keine Ansagen…
4. Offenheit für Neues: „Die Überwindung der Selbstbezogenheit und die Rücknahme der realen Abstraktionen“ (Dualismen), Dekolonialisierung…
5. Wiederherstellung: (gesellschaftlich notwendige) Arbeit sollte „sinn- und lustvoll sein“, die Spannung zwischen Arbeit und Freizeit aufheben und sowohl „Freude am Müßiggang“ als auch „Freude an befriedigender Arbeit“ (hört sich nach doppelter Anstrengung an und erinnert an die kommunistische Endphase; vgl. MEW 19)

Da klingt es im vorherigen Buch zwar ein wenig abstrakter aber doch auch etwas weitergehender: Im Gegensatz zum „seltsamen Wertgesetz“ (463) des Kapitalismus und auch „wenn die marxistische Rede von einem ‘Wertgesetz’ heute antiquiert erscheint …, so entscheiden sich doch alle Zivilisationen dafür, bestimmten Verhältnissen mehr Wert beizumessen als anderen. …Ein nachhaltiges und sozialistisches Wertgesetz würde gesunden, gerechten und demokratischen Reproduktionsverhältnissen für die gesamte Natur den Vorzug geben.“ (448) Dabei geht es um den „Kampf um Ernährungssouveränität, Klimagerechtigkeit, Wachstumsrücknahme und verwandter Bewegungen“. (449)

Implizit scheint den Konzepten von Moore (und Patel) die Vorstellung einer Reformierbarkeit des Kapitalismus zugrunde zu liegen, denn es finden sich weder Forderungen nach Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln noch Überlegungen zur Aufhebung der Warenform.

Nach oben scrollen