Bemerkungen zu: A History of the World in Seven Cheap Things (Moore/Patel) – (1)

Wir liefern hier einen kurzen Abriss zu dem neuen Buch von Jason W. Moore und Raj Patel “A History of The World in Seven Cheaps Things”. Strittige Punkte benennen wir, können sie aber hier nicht weiter ausführen.

Die theoretischen Begründungen, welche die von Moore/Patel analysierten billigen Dinge (Natur, Geld, Arbeit, Nahrungsmittel, Energie, Fürsorge und Leben) betreffen, enthalten eine Reihe von Dualitäten wie die zwischen Gesellschaft und Natur, Kolonialisten und Kolonisierten, Kapitalisten und Arbeitern, Mann und Frau, Weißen und Nicht-Weißen, Westen und Rest etc. Mit jedem dieser Dualismen wird nicht in erster Linie die Welt beschrieben und kategorisiert, sondern die Dualismen wurden und werden ganz praktisch benutzt, um fast alles Leben sowie den Rest der Natur zu verbilligen und zu dominieren. Begreift man den Kapitalismus als eine Welt-Ökologie von Macht, Kapital und Natur, dann versteht man erst,  wie ein Teil des Dualismus mit dem anderen Teil verschlungen ist und wieviel Energie die kapitalistischen Mächte darauf verwendet haben, scharfe Grenzen zwischen den Bereichen zu ziehen und wie erbittert von den Sklaven, Arbeitern, indigenen Leuten und Frauen diese Grenzen bekämpft wurden.

Die Welt ist heute gespaltener und zerrütteter denn je. Die Meereshöhen steigen an, das Klima wird instabiler und die Durchschnittstemperaturen erhöhen sich von Jahr zu Jahr. Manche nennen unsere gegenwärtige klimatische Zeit „Anhropozän“. Egal, was die Menschen in den nächsten Jahrzehnten tun werden, das 21. Jahrhundert wird eine Zeit der abrupten und irreversiblen Wechsel in Netz des Lebens sein. Und Moor/Patel argumentieren, dass das, was sich seit dem 14. Jahrhundert als moderne Geschichte entfaltet, besser mit dem Begriff “Kapitalozän“ beschrieben ist, unter dem nicht nur der Kapitalismus bzw. das Kapital als ein ökonomisches System, sondern auch die Art der Organisation der Relation zwischen den Menschen und dem Rest der Natur verstanden werden muss. Für die Autoren wurde und wird die moderne Welt durch sieben Dinge konstituiert: Natur, Geld, Arbeit, Fürsorge, Nahrungsmittel, Energie und Leben. Billig bedeutet hier keineswegs ein gutes Geschäft oder ein Schnäppchen, vielmehr beinhaltet die Verbilligung ein ganzes Set von Strategien, um ein weites Netz des Lebens zu kontrollieren.

Mooore/Patel verdeutlichen das in der Einleitung schon einmal anhand der Relation zwischen den Menschen und dem uns bekanntesten Vogel, dem Gallus gallus domesticus. Die Hähnchen, die wir heute konsumieren, unterscheiden sich stark von denen vor einem Jahrhundert. Die heutigen Hühner sind das Resultat der intensiven Anstrengungen nach dem zweiten Weltkrieg, Nutzen aus dem frei verfügbaren genetischen Material, das aus den asiatischen Dschungeln stammt, zu ziehen, indem es rekombiniert wurde, um das maximal profitable Geflügel zu produzieren. Diese Vögel können kaum laufen, erreichen die Reife in wenigen Wochen, besitzen eine übergroße Brust und werden in geologisch signifikanten Quantitäten (mehr als sechzig Billionen im Jahr) gezüchtet und geschlachtet. Dies ist ein Zeichen billiger Natur. Im Jahr 2020 wird das Hähnchen das populärste Fleisch für den menschlichen Verzehr sein. Dies erfordert einen hohen Arbeitsaufwand, wobei die Arbeiter in diesem Nahrungsmittelsektor sich mit Niedriglöhnen zufrieden geben müssen: In den USA gehen zwei Cent eines Dollars, der für ein Fastfood-Hähnchen ausgegeben wird, an die Arbeiter, und manche Unternehmen benutzen Gefängnisinsassen, die mit 25 Cent pro Stunde abgespeist werden. Man nehme dies für billige Arbeit. In der amerikanischen Geflügelindustrie erleiden 86% derjenigen Arbeiter, welche die Flügel schneiden, massive gesundheitliche Beschwerden aufgrund ihrer repetitiven Arbeit am Fließband. Während ihrer Ausfallperioden sind die Arbeiter auf ihre Familien und auf unterstützende Netzwerk angewiesen, und dies nehme man als ein Beispiel für billige Fürsorge. Das Geflügel, das zu niedrigen Preisen in den Fastfoodketten verkauft wird, steht für billige Nahrungsmittel. Geflügel trägt relativ wenig zum Klimawandel bei, aber es benötigt relativ viel Heizmaterial, um es zu braten oder zu grillen (Propan). Billige Energie. Und der Verkauf von Geflügel birgt immer auch ökonomische Risiken, die durch Franchising, Kredite und Subventionen reduziert werden, ein Aspekt des billigen Geldes. Und schließlich haben chauvinistische Aktionen gegen das menschliche Leben und das der Tiere die billigen sechs Dinge und damit das billige Leben erst ermöglicht. Summa summarum, ist für Moore/Patel nicht das Automobil oder das Smartphone, sondern Chicken McNugget das Symbol für die moderne Zeit.

Die Grenzen, die das das Kapital setzt und überwindet, sind eine trickreiche Angelegenheit. Wenn der Kapitalismus eine Krankheit ist, dann eine, die dein Fleisch frisst, schreiben Moore/Patel, wobei er danach vom Verkauf deiner Knochen profitiert, um zu düngen, und diesen Profit wiederum investiert er, um die Rohrzuckerernte einzubringen (Moore/Patel haben davor die Verwüstung Madeiras durch die Zuckerproduktion dargestellt), und schließlich wird diese Ernte an Touristen verkauft, die deinen Grabstein besichtigen. Die Grenzen im Kapitalismus funktionieren durch die Existenz von Verbindungen, wobei die dadurch entstehenden Störungen durch das Aufsaugen von Leben aus anderen Gebieten ausgeglichen werden. Grenzen sind Zonen, in und an denen sich das Kapital und alle Arten der Natur inklusive des Menschen begegnen. Für das Kapital soll die Bewirtschaftung der Grenzen lediglich die Kosten reduzieren, um die Profite zu erhöhen, wobei dem Kapitalismus nicht nur Grenzen eigen sind, sondern er existiert durch Grenzen, indem er von einem Raum zum nächsten expandiert und dabei die sozio-ökologischen Relationen transformiert, das heißt eine höhere Anzahl von Gütern und Dienstleistungen produziert, die durch eine steigende Anzahl von Transaktionen zirkulieren. Grenzen sind Räume, in denen nicht nur die ökonomische, sondern alle Arten von Macht zirkulieren. Dabei ist das Aufblühen des Kapitalismus weniger auf seine Gewalttätigkeit und Destruktion, sondern auf seine spezifische Art und Weise, die Produktivität zu erhöhen, zurückzuführen, das heißt, er entwickelt sich nicht durch die Zerstörung der Natur, sondern dadurch, dass er sie zum Arbeiten bringt, und das so billig wir nur möglich.

Den kreativen und vielschichtigen Prozess der Lebens, durch den sämtliche menschlichen Aktivitäten fließen, wird an jedem nur möglichen Punkt durch Naturen, die menschliche Bemühungen erfordern, gestaltet. Diesen Vorgang bezeichnen die Autoren mit dem Wort „Oikeios“. In ihm entwirft eine Spezies Umgebungen und Umgebungen entwerfen die Spezies. Und alles, was Menschen produzieren, wird mit dem Rest der Natur ko-produziert, sei es Kleidung, Nahrungsmittel, Arbeitsplätze und Fabriken, Straßen und Flughäfen und sogar Handys und Apps. Wenn es um Prozesse höherer Skalierung geht, scheint es leicht, soziale und natürliche Prozesse als getrennt voneinander zu betrachten, aber selbst die finanziellen Operationen an der Wall Street sind in planetarische ökologische Beziehungen eingebunden. Geschichte wird nicht durch die Trennung der Menschen von der Natur, sondern durch verbindende Konfigurationen gemacht.

Das Kapital bewertet nur das, was es zählen kann, und es kann nur Geld zählen. Jeder Kapitalist will so wenig wie möglich investieren und so viel wie möglich Profit realisieren. Das macht die Zähigkeit des Kapitals aus, von dem Wolfgang Pohrt sagt, es besäße weltgeschichtlich die Zähigkeit eines Krokodils. Dazu müssen die Kapitalisten und die Staaten die globale Natur organisieren. Das Kapital ist kein System, so schreiben Moore/Patel, in dem das Geld überall sei, vielmehr gäbe es Inseln des Geldes inmitten gewaltiger Ozeane von billigen bzw. potenziell billigen Naturen. Unter Cheapness/Billigkeit verstehen die Autoren ein Set von Strategien, um die Beziehungen zwischen Kapitalismus und dem Netz des Lebens durch die zeitweilige Korrektur von Krisen zu managen. „Billig“ bedeutet mehr als nur niedrige Kosten, das Wort deutet vielmehr auf Strategien hin, Praxen und Gewalt, die alle Arten von Arbeit, die von Menschen und Tieren, sei es botanische oder geologische Arbeit, geleistet wird, mobilisiert, und zwar mit so wenig Vergütung wie möglich. Und es handelt sich meistens um kurzfristige Strategien.

Natur ist mehr als eine Ressource oder Müll. Für das Kapital ist sie möglichst ein Geschenk, das als Input für seine profitgetriebene Produktion dient. Im Kapitalismus missbrauchen die Menschen in der Regel die Natur, von der sie abhängig sind. Beispielsweise betrachten die Kapitalisten das Meer als eine Anlage, aus der unentwegt Fisch entnommen werden kann, und gleichzeitig als ein stinkendes Loch, in das sie und ihre Arbeiter den Müll werfen, der an Land produziert wird. Die Balance zwischen Fisch und Müll wird bald kippen, spätestens im Jahr 2050, wenn mehr Plastik als Fisch im Meer zu finden sein wird.

Mit dem Siegeszug des Kapitalismus ist die konzeptuelle Trennung zwischen Gesellschaft und Natur verbunden, wobei Frauen, die Indigenen und Kolonialisierten niemals als vollständig Humane anerkannt waren. Sie waren eher Teil der Natur und als solcher wurden sie als Outlaws behandelt und verbilligt. Gemäß dieser Richtlinien wurde in den letzten fünfhundert Jahren die Natur neu gemacht, neu erfunden und neu gedacht. Die Praktiken des Kapitals, das Leben zu verbilligen, definierte die Lebenden und ihre Arbeit. Ein Teil der Arbeiten wurde bezahlt und ein anderer Teil (die Fürsorge für die Jungen und Alten, die Arbeit auf dem Land und die der inhumanen Naturen) blieb weitgehend unsichtbar.

Geld ist das Medium, durch das und mit dem das Kapital operiert, es ist eine Quelle der Macht für diejenigen, die es kontrollieren. Wenn die Moderne eine Ökologie der Macht ist, dann bindet das Geld das Ökosystem und das Ökosystem gestaltet das Geld. Die moderne Welt ist ein Weltsystem des Kapitals, der Macht und der Natur. In diesem Zusammenhang verweisen Moore/Patel auf die im 15. Jahrhundert entstehende Beziehung zwischen dem Ökosystem in Madeira (Zucker) und den Bankhäusern von Genua, die bis zu heutigen planetarischen Krise reicht. Das Bewässern des Zuckerrohrs in Madeira benötigte einen enormen Arbeitsaufwand, wobei es nicht unbedingt billig war, Sklaven zu kaufen und zu transportieren; es benötigte eine ganze Saison, um den Rohrzucker zu bewässern, zu ernten und in Zucker umzuwandeln und schließlich in Europa gegen Silber zu verkaufen, mit dem wiederum Gewürze in Asien gekauft wurden. Und all dies vollzog sich innerhalb eines Systems der Schulden und des Kredits, wobei der Stadtstaat Genua zentral war. (Wie wir wissen, wird Geld erst dann zu Kapital, wenn es in einem Kreislauf Waren verwandelt und diese mit höherem Wert in Geld zurückverwandelt werden. Das Kapital ist ein Prozess, indem Geld durch die Natur fließt. Wird Profit realisiert, so besteht über längere Zeiträume gesehen das Problem darin, dass die Kapitalmengen schneller wachsen als die Möglichkeiten, sie profitabel anzulegen.)

Moore/Patel sehen den Kapitalismus nicht als Teil der Ökologie, stattdessen befindet er sich inmitten der Ökologie, ja er ist eine Ökologie (ein Set von Beziehungen, das die Macht, das Kapital und die Natur integriert). Wenn die Autoren von Welt-Ökologie schreiben, dann meinen sie, dass der Kapitalismus eine Ökologie erzeugt, die sich über den ganzen Planeten und über Grenzen hinweg zieht, angetrieben von den Kräften einer scheinbar endlosen Kapitalakkumulation. Es geht darum zu zeigen, wie die Kräfte und Relationen der Macht, der Produktion und Reproduktion sich durch das Netz des Lebens arbeiten. Der Term „Welt-Ökologie“ eröffnet den Blick auf Prozesse, mit denen Menschen Umgebungen und Umgebungen Menschen machen. Damit gilt es endlich mit der Trennung zwischen Gesellschaft und Natur Schluss zu machen, eine Trennung, die für die moderne Kosmologie, in der der Raum flach, die Zeit linear und die Natur extern ist, fundamental ist.

Das erste Kapitel beginnen Moore/Patel mit der Thematik der billigen Natur. Am Schicksal einer von den spanischen Kolonialisten getöteten Frau, die dem Stamm der Chimichec Indianer angehörte, zeigen die Autoren, dass ab dem 16. Jahrhundert die Gesellschaft als ein Ganzes gedacht wurde, das größer als ihre menschlichen Teile ist, und dass, das ist jetzt entscheidend, der Gesellschaft die Natur gegenüber steht, zu der auch die „Wilden“ gehören, wobei die Grenzziehung stets die Aufgabe der Polizei ist. Zu dieser Zeit befand sich Europa im Vergleich zu Asien ökonomisch und technologisch eindeutig im Rückstand, was sich erst ab dem 18. Jahrhundert änderte, als es dem Kapital gelang, die Natur in etwas Produktives und die Produktivität in Reichtum umzuwandeln. Dieser Prozess beruhte zum einen auf der Kraft der Ökonomie und der Technologie, aber eben auch auf einer intellektuellen Revolution, die eine neue Idee hervorbrachte: Die Natur als Gegensatz zur Gesellschaft. Die allgemein anerkannte Idee der Eroberung und Plünderung wurde nun zu einer Lebensform. Die blutigen Probleme der Natur fanden ihren Ausdruck in den Grenzen des Kapitalismus, die sowohl die Gewalt als auch die Rebellion einbezogen, wie nicht zuletzt der Verbrennung der Hexen zeigt. Wir halten es heute immer noch für ganz normal, dass auf der einen Seite rassistische Gewalt, Arbeitslosigkeit, Armut und Konsumismus für soziale Probleme stehen, und das Klima, Biodiversität und Ressourcenabbau die Natur bzw. die ökologische Krise betreffen.

Um das Verhältnis von Gesellschaft und Natur neu zu definieren, gebrauchen Moore/Patel den Begriff der Realabstraktion, mit dem Statements über die Ontologie (Was ist?) und solche über die Epistemologie gemacht werden (Wie wissen wir, dass etwas ist?). Realabstraktionen beschreiben die Welt und erschaffen sie.

Die menschliche Evolution ist durch eine Reihe von biologischen Transformationen vorangeschritten, beispielsweise das Feuer, durch das die Energie, die für die Verdauung benötigt wird, reduziert und die Kapazitäten der Menschen, die zur Erschaffung der Welt nötig sind, radikal ausgeweitet werden. Diese energetischen Prozesse sind im Kapitalismus stets in die diejenigen der Verbilligung der Natur eingebunden. So lenkte Columbus vom ersten Augenblick, als er die neu Welt sah, seine Aufmerksamkeit auf Strategien, die der Verbilligung der Natur dienen. Er besaß einen feinen Sinn für das Billige und die Macht, und er war frustriert, wenn nicht sofort das Geld vor seinen Augen aufleuchtete. Der Profit entstand also nicht einfach aus dem Handel, dazu benötigte es auch, die Natur zum Arbeiten zu bringen.

Die Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Natur wurde nicht im Kapitalismus erfunden, seine Innovation war es aber, die Unterscheidung in eine harte und schnelle Trennung, ja in ein organisierendes Prinzip zu transformieren. Es war der Philosoph Descartes, der die lateinischen Wörter res cogitans und res extensa benutzte und damit Körper und Geist voneinander unterschied, i.e die Realität setzt sich aus denkenden Dingen und extensiven Dingen zusammen: Die Menschen sind denkende Dinge und die Natur ist voll von extensiven Dingen. Und die herrschenden Klassen subsumierten lange Zeit die meisten Menschen – Frauen, Indigene, Schwarze – unter die extensiven Dinge. Descartes`philosophische Abstraktionen waren von Anfang an praktische Instrumente der Beherrschung, die eine enorme materielle Kraft besaßen. Und dem folgte Descartes` zweites Gesetz der kapitalistischen Ökologie: Die europäischen Zivilisationen mussten unbedingt die Master und Eigentümer der Natur werden. Gesellschaft und Natur sollten nicht nicht  voneinander getrennt, vielmehr sollte die Natur durch die Gesellschaft dominiert und kontrolliert werden. In diesem Zusammenhang steht auch die Entstehung der Zentralperspektive in der Renaissance, in der die symbolische Relation von Objekten in eine visuelle Relation transformiert wurde. Größe meint hier dann vor allem Distanz, die gemessen, katalogisiert, klassifiziert und angeeignet werden kann. Die moderne Karte zeigte nicht im geringsten die Welt, sie war und ist ein Dokument der Eroberung.

Eine der wichtigsten Intervention im Kapitalismus bestand in der Einbindung einer immer größeren Anzahl von Menschen in den „Cash-Nexus“. Sozialwissenschaftler nennen diesen Prozess „Proletarisierung“, die Transformation der menschlichen Aktivität in etwas, das auf dem Arbeitsmarkt ausgetauscht werden und schließlich in das Kapitalsystem eingebunden werden konnte. Die Proletarisierung war aber nicht nur ein ökonomischer Prozess, sie war von vornherein in ein Machtsystem eingebunden, als dessen Kern sich das private Eigentum entpuppen sollte. Schon die frühen Landbesitzer betrieben nicht ein simples Land-Grabbing, sondern transformierten die Art und Weise, wie andere sich auf die Natur bezogen. Indem sie das Land innerhalb eines Systems wettbewerblich organisierter Renten verteilten, reduzierten sie die Commons, die Gebiete, in denen die Bauern eine gewisse Autonomie besaßen. Die Bauern wurden in England während des 16. Jahrhunderts gezwungen, das Land zu verlassen und damit das einzige, was sie besaßen, in den Städten zu verkaufen, nämlich ihre Arbeitskraft. Ausschließlich in diesem Sinne war ihre Arbeitskraft frei, wobei die Bauern gegen dies Art der Freiheit erbitterten Widerstand leisteten: In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gab es eine Reihe von Aufständen auf dem Land und in den Städten, die in der Rebellion Ketts im Jahr 1549 kulminierte, als 16000 Rebellen die englische Stadt Norwhich einnahmen.

Drei Strategien der kulturellen Apartheid waren für die Entwicklung der Moderne äußerst wichtig: die Aufklärung, die Proletarisierung und das Privateigentum, und alle dienten der Verbilligung der Natur, der Transformation der menschlichen und nicht-menschlichen Kräfte in billige Dinge. Heute aber zeigt sich, dass die Natur niemals billig ist, man denke an den Klimawandel, in Teilen des Irak wurden im Sommer 2016 54 Celsius und im Iran gar 60 Celsius gemessen.

Zum billigen Geld. In den letzten sechs Jahrhunderten wurde das planetarische Leben immer umfassender unter die Macht des Geldes, genauer die des Geldes als Kapital gestellt – eine Macht, die das Leben, die Arbeit und die Ressourcen kommandiert und reguliert. Für Moore/Patel zirkuliert dieses Kapital vor allem aus zwei Gründen: der erste betrifft den modernen Weltmarkt, wie er seit der Zeit von Columbus Gestalt angenommen hat, der zweite ist der moderne Imperialismus, der nicht zufällig zur selben Zeit aufkam. Beide Systembereiche konnten nicht ohne das moderne Finanzsystem existieren. Dafür mussten auch die Währungen in mehreren Schritten erfunden werden: Man benötigte zuallererst ein seltenes Material, normalerweise ein Metall aus der Erde, das man dann zu einem Münzamt tragen konnte, dem Instrument einer machtvollen Organisation namens Staat, der für die metallurgische Reinheit sorgen und seine Autorität als Schriftzeichen auf Münzen drucken konne. Im Kapitalismus wird dieses Münzgeld gegen Waren wie Arbeitskraft, Maschinen und Rohmaterial ausgetauscht, die dann wiederum gegen Geld getauscht werden.

Weltgeld, Weltmacht und Weltnatur – diese Formen einer eigentümlichen Trinität der Umgebungen gestalteten den Kapitalismus von Anfang an, von der Eroberung Amerikas bis zum Desaster der globalen Erwärmung im 21. Jahrhundert. Im modernen Kapitalismus ist das Geld immer auch eine ökologische Relation, welche die Bedingungen der Existenz nicht nur für die Menschen, sondern für alles Leben auf der Erde setzt. Deshalb macht es für Moore/Patel auch Sinn zu sagen, dass die Wall Street ein Modell darstellt, die Natur zu organisieren. Die Billigkeit des Geldes besaß zunächst zwei Dimensionen, zum einen die Aneignung von primären Waren wie Silber, Gold und Öl und deren Regulation, um die Zinsrate (Preis des Geldes) niedrig zu halten, und zum anderen die Kontrolle über das Geld, das der Staat bereitstellte. Moore/Patel verweisen an dieser Stelle auf Fernand Braudel, der den Zusammenhang von Finanzsystem und Staat analysiert, und diese Analyse bleibt signifikant in Zeiten, in denen ein Unternehmen wie Goldman Sachs das Weiße Haus als ein Teil seiner Büroräume betrachtet, oder man denke an die Zentralbanken, die heute ein wichtiges Scharnier zwischen Finanzwirtschaft und Staat darstellen. Billiges Geld hängt mit niedrigen Zinsraten zusammen; die Containerisierung und das High-Frequency-Trading sind stets auf den Kredit bezogen. Wenn billige Nahrungsmittel, Energie, Arbeit und Rohmaterialien notwendige Bedingungen für die Boomphasen der Kapitalakkumulation sind, dann macht der billige Kredit dies erst möglich. Es gilt den engen Zirkel zwischen billigem Geld und neuen Grenzen zu beachten. Wenn günstige Möglichkeiten für die Extraktion des Profits in bestimmten Bereichen der Produktion begrenzt sind, dann setzen die Kapitalisten das Geld in der Finanzindustrie ein. Eine These von Moore/Patel, die gerade angesichts der Fianzialisierung seit den 1970er Jahren genauer zu untersuchen wäre.

Man verleiht in großen Dimensionen Geld bzw. Zahlungsversprechen und/oder setzt spekulative Geldkapital als spezifische „Wette“ auf die Zukunft ein. Die Finanzialisierung ist selbst dann noch attraktiv, wenn das Wirtschaftswachstum stagniert, nämlich in Kriegszeiten, in denen die Staaten das Geld für ihre Kriegswirtschaft bei der Finanzindustrie ausleihen, oder wenn das Geld bzw. Kapital aus den Kernländern und Metropolen über die Grenzen hinaus in die Peripherien fließt. Schließlich verweisen Moore/Partel auf Anwar Shaikh, der mehrfach selbst darauf hingewiesen hat, dass der neoliberale Boom, der in den 1980er Jahren begann, durch einen scharfen Fall der Zinsraten beschleunigt wurde, der wiederum die Verteilung des Kapitals rund um den Globus ermöglichte und zu einem rasanten Anstieg der Konsumentenkredite und zu den bekannten Bubbles und Krisen an den Finanzmärkten führte.

Für Moore/Patel beginnt die Geburtsstunde des modernen Geldes mit den Fuggern in Augsburg: Die Kaufleute benötigten dringende Geld, und zwar nicht nur das Metall aus dem Boden, sondern es musste auch zirkulieren und dazu benötigte man eine Macht, die dies auf immer höherer Stufenleiter garantieren konnte. Die Fugger dominierten nicht nur das europäische Finanzsystem für mehr als ein Jahrhundert, sondern sie förderten auch die erste Basisindustrie im Kapitalismus: Die Metallurgie.

Wenn Staaten lediglich das Kapital hervorbringen hätten und umgekehrt, dann wäre der Kreislauf zwischen Kapitalakkumulation und Krieg schnell zusammengebrochen, unter anderem, weil Kriege zwischen starken Rivalen meistens Los-Los-Situationen hervorbringen. Auch deshalb mussten die frühen Empire die Aneignung unbezahlter Arbeit und der Natur vorantreiben, wobei beispielsweise die brutale Spielart des spanischen Imperialismus nur für eine kurze Zeit aufrechterhalten werden konnte. Folgerichtig mussten die Kolonien in reguläre Ströme eines anzueignenden Reichtums transformiert werden, zunächst in der Form von Silber, später dann mit Hilfe der Banken von Genua und anderen Bankhäusern – als Geld. Mit der Zeit wurde die Nachfrage nach Kredit größer als die Gelder, die der Staat konfiszieren konnte. Obgleich die Kapitalisten damit Macht über den Staat gewannen, waren sie doch machtlos, eine der Hauptaufgaben der Staaten in der modernen Welt zu übernehmen. Moore/Patel greifen an dieser Stelle auf Schumpeter zurück, der geäußert hat, dass ohne den Schutz einer nicht-bourgeoisen Gruppe die Kapitalisten politisch ratlos seien. (Gleichzeitig gilt es die Beziehung zwischen dem finanziellen Kapital und andern Kapitalfraktionen zu beachten, von der Fernand Braudel geschrieben hat, dass selbst schon zu den Hochzeiten Genuas und Amsterdams, als der kommerzielle Handel am Aufblühen war, das finanzielle Kapital sich in der machtvollen Position befand, die Kontrolle über die gesamte Geschäftswelt auszuüben.) Das Finanzsystem benötigte nicht nur den Schutz der europäischen Königshäuser und Gerichtshöfe, sondern auch die Erlaubnis der Regierungen, neue Formen der Zahlung zu kreieren. Die Banken operierten kontinuierlich mit dem Kredit und nahmen Assets wie Öl, Häuser und den Heiligen Gral und verwandelten sie in MehrGeld. Solange die neuen Zahlungsmittel nicht in Geld realisiert wurden und zirkulierten, waren sie Mittel, um neuen Profit zu erzeugen. Dennoch müssen die Zirkulationsbewegungen, die der Produktion der Profite und ihrer Realisierung dienen, in letzter Instanz durch den Staat, Zentralbanken oder heute den IWF abgesichert werden, ersterer eine Institution, die eine harte Währung und einen militärische Macht besitzt.

Nach langen Zyklen der Erweiterung der Kapitalakkumulation und des liquiden Kapitals verschiebt sich die Balance der Macht gerade in Krisenzeiten zunächst weiter zugunsten der Kapitalisten, die die Kapitalakkumulation organisieren, und schließlich in Richtung des Bankensystems. Und exakt dies passierte in Genua, in den Niederlanden, in Großbritannien und seit den 1970er Jahren auch in den USA. Aber gerade die Finanzialisierung seit den 1970er Jahren, darauf weisen Moore/Patel zu Recht hin, hat ihre ganz spezifischen Besonderheiten: Der alte Imperialismus inklusive seiner finanziellen Expansionen konnte noch auf neue Möglichkeiten der Profitsteigerung durch die Erweiterung der Grenzen hoffen, auf die Aneignung billiger Naturen. Die gegenwärtigen Methoden des Land-Grabbing, der Verbilligung oder der Eliminierung der Bauern und der Privatisierung indigener Ländereien sind von der Verschmutzung der Meere und dem verzweifelten Run nach neuen Räumen begleitet. Die extreme Volatilität der Finanzmärkte, wie dies auch Edward LiPuma in seinem neuen Buch “The Social Life of Financial Derivatives” feststellt, spricht nicht nur für die Dominanz und Stabilität des finanziellen Kapitals, sondern auch für seine Instabilität und Schwäche. An irgendeinem Punkt müssten die „Wetten“ auf die Zukunft auch zurückgezahlt werden, so Moore/Patel, und dies hänge mit den Grenzen für billige Natur, Nahrungsmittel, Arbeit etc. zusammen. Heute seien diese Grenzen enger denn je, und gleichzeitig sei das Volumen des Kapitals, das nach neuen Investitionsmöglichkeiten suche, größer als je zuvor. Dies erkläre zum Teil die massive Vermögensungleichheit und die finanzielle Instabilität, die die gegenwärtige kapitalistische Weltordnung auszeichne. Und schließe dringe Krieg und Gewalt aus jeder Pore dieser Konstellation, und dieses mal sei die Hoffnung auf eine kreative Zerstörung gering – es bliebe nur noch die Zerstörung.

Kommen wir zur billigen Arbeit. Indem man die meisten Menschen nicht der Gesellschaft, sondern der Natur zuordnet, forciert man einen unglaublichen Akt der Verschiebung von Grenzen. Schon früh in der Geschichte des Kapitalismus wurden die Gehälter der Seeleute, Beamten und Soldaten im Cash-Nexus transferiert, was in hohem Maß von massiven Arbeitsströmen, die außerhalb des Cash-Nexus stattfanden, abhängig, aber dennoch in Reichweite des kapitalistischen Einflusses blieb. Die Aneignung unbezahlter Arbeit, die der Frauen, der Natur und der Kolonien, ist eine fundamentale Bedingung für die Ausbeutung der Arbeitskraft im Kapitalsystem. Das eine geht nicht ohne das andere. Wenn über billige Arbeit geredet wird, dann geht es nicht nur darum, wie das Kapital die menschliche Arbeitskraft, die Agrikultur und weitere Ressourcen exploitiert, sondern wie die verschiedenen Faktoren zusammenwirken inklusive der Relation, die die menschliche an die außermenschliche Arbeit bindet. Die bezahlte Arbeit ist teuer und wird mit der Zeit immer teurer, da die Arbeiter sich in Gewerkschaften organisieren und Lohnkämpfe führen etc.

Die Menschen haben schon vor langer Zeit die Differenz zwischen sich und dem Rest der Welt bemerkt, aber diese Unterscheidung wurde erst nach Columbus von einer Beschreibung in ein organisierendes Prinzip transformiert. Im 16. Jahrhundert schwand die Produktivität des Landes gegenüber der Arbeitsproduktivität, wobei die englischen oder niederländischen Landwirte oder die Anbauer von Zucker in Madeira und Brasilien immer stärker an die internationalen Märkte für produzierte Produkte angebunden wurden, und damit wurde das Interesse an einer effektiven Beziehung zwischen Arbeitszeit und Ernte wesentlich gestärkt. Durch die Einhegungen wurden in England Teile der ländlichen Bevölkerung von den Commons getrennt – Menschen, die nun “frei” genug waren, um andere Arbeit zu finden oder zu sterben oder ins Gefängnis zu gehen, falls sie auffielen. Wenn die Arbeitspraxis die Ökologie des Kapitals intensiver gestaltet als die Produktivität des Landes dies tut, dann wird die mechanische Uhr die unabdingbare Maschine für das Wachstum des Kapitals. Für Moore/Patel ist nicht das Geld, sondern die Uhr die Schlüsseltechnologie, welche dazu dient, den Wert der Arbeit zu messen. Diese Unterscheidung ist für Moore/Patel deswegen so wichtig, weil die meisten linken Theoretiker immer noch davon ausgehen, dass die Lohnarbeit das wesentliche Charakteristikum des Kapitalismus sei.

Im 13. Jahrhundert hing ein Drittel der ökonomisch aktiven Bevölkerung von Löhnen ab, ab dem 14. Jahrhundert hielt mit der Textilmanufaktur aber ein zeitlich neues Modell Einzug, mit dem die Arbeiter sich nicht mehr mit dem Fluss oder den Aktivitäten des Saisonalen konfrontiert sahen, sondern mit einer neuen Zeit, die linear, repetitiv und abstrakt war. Ab dem 16.Jahrhundert wurde die Zeit durch das gleichförmige Ticken in Minuten und Sekunden gemessen. Diese abstrakte Zeit gestaltet jetzt fast alles – die Arbeit, das Spiel und die Freizeit, den Schlaf und den Tag, den Kredit und das Geld, die Landwirtschaft und die Industrie etc. Im zwanzigsten Jahrhundert, als das Fließband eingeführt wurde, maßen dann Wissenschaftler Arbeitseinheiten in Tausendstel von Sekunden. Die Kontrolle der Zeit wurde für den Kapitalismus unerlässlich. Wie Edward Thompson formuliert, folgt die Zeit einer speziellen Logik, denn alle Zeit muss konsumiert, vermarktet oder produktiv angewandt werden, und auch dies wurde durch Gewalt auf dem ganzen Planeten verbreitet und etabliert.

Dabei dürfen die Zuckerplantagen in Madeira als Vorbild nicht nur für die moderne Landwirtschaft, sondern auch für die modernen Fabriken dienen. Sie waren nicht nur enorm groß, hoch mechanisiert und besaßen große Mühlen und Dampfkessel, um den Saft des Rohzuckers aus den Stielen zu extrahieren, sondern dienten auch als Modelle der Vereinfachung, des Arbeitsfortschritts, der Zuordnung einfacher Arbeiten an die Sklaven und schließlich der Vereinheitlichung des Landes durch die Monokulturen. Wie die Arbeit an den Fließbändern in den Autofabriken vereinfacht wurde, die Arbeiter austauschbar wurden und die Arbeiter in den Fastfoodketten standardisierte Burger herstellen, so mussten die Sklaven in den Zuckerplantagen für einfache Arbeiten in den Landschaften der Monokultur herhalten.

 

Nach oben scrollen