Das Konzept Stadtguerilla

Das Konzept Stadtguerilla

April 1971

Zwischen uns und dem Feind einen klaren Trennungsstrich ziehen!                        Mao

Wenn der Feind uns bekämpft, ist das gut und nicht schlecht: Ich bin der Meinung, daß es für uns – sei es für den einzelnen, für eine Partei, eine Armee oder eine Schule – schlecht ist, wenn der Feind nicht gegen uns Front macht – denn in diesem Fall würde es doch be- deuten, daß wir mit dem Feind unter einer Decke steckten. Wenn wir vom Feind bekämpft werden, dann ist das gut; denn es ist ein Beweis, daß wir zwischen uns und dem Feind einen klaren Trennungsstrich gezogen haben. Wenn uns der Feind energisch entge- gentritt, uns in den schwärzesten Farben malt und gar nichts bei uns gelten läßt, dann ist das noch besser; denn es zeugt davon, daß wir nicht nur zwischen uns und dem Feind eine klare Trennungslinie gezogen haben, sondern daß unsere Arbeit auch glänzende Erfolge gezeitigt hat.

Mao Tse Tung, 26. Mai 1939

  1. Konkrete Antworten auf konkrete Fragen

»Ich beharre fest darauf, daß jemand, der keine Untersuchung angestellt hat, auch kein Mitspracherecht haben kann.« Mao

Einige Genossen sind in ihrem Urteil über uns schon fertig. Für sie ist es eine

»Demagogie der bürgerlichen Presse«, diese »anarchistische Gruppe« mit der so- zialistischen Bewegung überhaupt in Verbindung zu bringen. Indem sie ihn falsch und denunziatorisch benutzen, hebt sich ihr Anarchismusbegriff von dem der Springerpresse nicht ab. Auf einem so miesen Niveau möchten wir uns mit nie- mandem unterhalten.

Viele Genossen wollen wissen, was wir uns dabei denken. Der Brief an »883« vom Mai 70 war zu allgemein; das Tonband, das Michèle Ray8 hatte, wovon Aus- züge im Spiegel erschienen sind, war ohnehin nicht authentisch und stammte aus dem Zusammenhang privatistischer Diskussion. Die Ray wollte es als Gedächtnis- stütze für einen selbständigen Artikel von sich benutzen. Sie hat uns reingelegt, oder wir haben sie überschätzt. Wäre unsere Praxis so überstürzt wie einige For- mulierungen dort, hätten sie uns schon. Der Spiegel hat der Ray ein Honorar von 1 000 Dollar dafür bezahlt.

Daß fast alles, was die Zeitungen über uns schreiben – und wie sie es schreiben: alles – gelogen ist, ist klar. Entführungspläne mit Willy Brandt9 sollen uns zu poli- tischen Hornochsen stempeln, die Verbindung zwischen einer Kindsentführung und uns zu Verbrechern, die in der Wahl der Mittel skrupellos sind. Das geht bis in die »gesicherten Einzelheiten« in Konkret10, wo allerdings schon die für die Sa- che belanglosen Details nur zusammengeschludert wurden. Daß es bei uns »Offi- ziere und Soldaten« gäbe, daß jemand jemandem »hörig« sei, daß jemand »liqui- diert« werden sollte, daß Genossen, die sich von uns getrennt haben, noch was von uns zu befürchten hätten, daß wir uns mit der vorgehaltenen Knarre Zutritt zu Wohnungen oder Pässe verschafft hätten, daß »Gruppenterror« ausgeübt wür- de – das alles ist nur Dreck.

Wer sich die illegale Organisation von bewaffnetem Widerstand nach dem Muster von Freikorps und Feme vorstellt, will selbst das Pogrom. Psychische Me- chanismen, die solche Projektionen produzieren, sind in Horkheimer/Adornos

»Autoritärer Persönlichkeit« und in Reichs »Massenpsychologie des Faschismus« im Zusammenhang mit Faschismus analysiert worden. Der revolutionäre Zwang- scharakter ist eine contradictio in adjecto – ein Widerspruch, der nicht geht. Eine revolutionäre politische Praxis unter den herrschenden Bedingungen – wenn nicht überhaupt – setzt die permanente Integration von individuellem Charakter und politischer Motivation voraus, d.h. politische Identität. Marxistische Kritik und Selbstkritik hat mit »Selbstbefreiung« nichts, dagegen mit revolutionärer Diszi- plin sehr viel zu tun. Wer hier »nur Schlagzeilen machen« wollte, waren ganz si- cher nicht einmal irgendwelche »linken Organisationen«, die – anonym – als Ver- fasser firmieren, sondern Konkret selbst, dessen Herausgeber11 auch sonst als linke Hand von Eduard Zimmermann12 Imagepflege treibt, um diese bestimmte Wichs- vorlage in einer bestimmten Marktlücke zu behaupten.

Auch viele Genossen verbreiten Unwahrheiten über uns. Sie machen sich da- mit fett, daß wir bei ihnen gewohnt hätten, daß sie unsere Reise in den Nahen Osten organisiert hätten, daß sie über Kontakte informiert wären, über Wohnun- gen, daß sie was für uns täten, obwohl sie nichts tun. Manche wollen damit nur zeigen, daß sie »in« sind. So hat es Günther Voigt erwischt, der sich gegenüber Dürrenmatt13 zum Baader-Befreier aufgeblasen hatte, was er bereut haben wird, als die Bullen kamen. Das Dementi, auch wenn es der Wahrheit entspricht, ist dann gar nicht so einfach. Manche wollen damit beweisen, daß wir blöde sind, un- zuverlässig, unvorsichtig, durchgeknallt. Damit nehmen sie andere gegen uns ein. In Wirklichkeit schließen sie nur von sich auf uns. Sie konsumieren. Wir haben mit diesen Schwätzern, für die sich der antiimperialistische Kampf beim Kaffee- kränzchen abspielt, nichts zu tun. – Solche, die nicht schwatzen, die einen Begriff von Widerstand haben, denen genug stinkt, um uns eine Chance zu wünschen, die uns unterstützen, weil sie wissen, daß ihr Kram lebenslängliche Integration und Anpassung nicht wert ist, gibt es viele.

Die Wohnung in der Knesebeckstraße 89 (Mahler-Verhaftung)14 ist nicht durch eine Schlamperei von uns hochgegangen, sondern durch Verrat. Der De- nunziant war einer von uns. Dagegen gibt es für die, die das machen, was wir ma- chen, keinen Schutz; dagegen, daß Genossen von den Bullen fertiggemacht wer- den, daß einer den Terror nicht aushalten kann, den das System gegen die entfal- tet, die es tatsächlich bekämpfen. Sie hätten nicht die Macht, wenn sie nicht die Mittel hätten, die Schweine.

Manche geraten durch uns in einen unerträglichen Rechtfertigungsdruck. Um der politischen Auseinandersetzung mit uns auszuweichen, der Infragestellung der eigenen Praxis durch unsere Praxis, werden sogar einfache Fakten verdreht. So wird z.B. immer noch behauptet, Baader hätte nur drei oder neun oder zwölf Mo- nate abzusitzen gehabt, obwohl die richtigen Daten leicht zu ermitteln sind: Drei Jahre für Brandstiftung, sechs Monate von früher auf Bewährung, sechs Monate schätzungsweise für Urkundenfälschung etc. – der Prozeß stand noch bevor. Von diesen 48 Monaten hatte Andreas Baader 14 in zehn hessischen Gefängnissen ab- gesessen – neun Verlegungen wegen schlechter Führung, d.h. Organisierung von Meuterei, Widerstand. Das Kalkül, mit dem die verbleibenden 34 Monate auf drei, neun und zwölf heruntergefeilscht worden sind, hatte den Zweck, der Gefangenen- befreiung vom 14. Mai auch noch den moralischen Wind aus den Segeln zu neh- men. So rationalisieren einige Genossen ihre Angst vor den persönlichen Konse- quenzen, die die politische Auseinandersetzung mit uns für sie haben könnte.

Die Frage, ob die Gefangenenbefreiung auch dann gemacht worden wäre, wenn wir gewußt hätten, daß ein Linke15 dabei angeschossen wird – sie ist uns oft genug gestellt worden – kann nur mit Nein beantwortet werden. Die Frage: was wäre gewesen, wenn, ist aber vieldeutig – pazifistisch, platonisch, moralisch, un- parteiisch. Wer ernsthaft über Gefangenenbefreiung nachdenkt, stellt sie nicht, sondern sucht sich die Antwort selbst. Mit ihr wollen Leute wissen, ob wir so bru- talisiert sind, wie uns die Springerpresse darstellt, da soll uns der Katechismus ab- gefragt werden. Sie ist ein Versuch, an der Frage der revolutionären Gewalt her- umzufummeln, revolutionäre Gewalt und bürgerliche Gewalt auf einen Nenner zu bringen, was nicht geht. Es gab bei Berücksichtigung aller Möglichkeiten und Umstände keinen Grund für die Annahme, daß ein Ziviler sich noch dazwischen- werfen könnte und würde. Daß die Bullen auf so einen keine Rücksicht nehmen würden, war uns klar. Der Gedanke, man müßte eine Gefangenenbefreiung unbe- waffnet durchführen, ist selbstmörderisch.

Am 14. Mai, ebenso wie in Frankfurt, wo zwei von uns abgehauen sind, als sie verhaftet werden sollten, weil wir uns nicht einfach verhaften lassen – haben die Bullen zuerst geschossen. Die Bullen haben jedesmal gezielte Schüsse abgegeben. Wir haben z.T. überhaupt nicht geschossen, und wenn, dann nicht gezielt. In Ber- lin, in Nürnberg, in Frankfurt.16 Das ist nachweisbar, weil es wahr ist. Wir machen nicht »rücksichtslos von der Schußwaffe Gebrauch«. Der Bulle, der sich in dem Widerspruch zwischen sich als »kleinem Mann« und als Kapitalistenknecht, als kleinem Gehaltsempfänger und Vollzugsbeamten des Monopolkapitals befindet, befindet sich nicht im Befehlsnotstand. Wir schießen, wenn auf uns geschossen wird. Den Bullen, der uns laufen läßt, lassen wir auch laufen.

Es ist richtig, wenn behauptet wird, mit dem immensen Fahndungsaufwand gegen uns sei die ganze sozialistische Linke in der Bundesrepublik und Westberlin gemeint. Weder das bißchen Geld, das wir geklaut haben sollen, noch die paar Au- to- und Dokumentendiebstähle, derentwegen gegen uns ermittelt wird, auch nicht der Mordversuch, den man uns anzuhängen versucht, rechtfertigen für sich den Tanz. Der Schreck ist den Herrschenden in die Knochen gefahren, die schon ge- glaubt hatten, diesen Staat und alle seine Einwohner und Klassen und Wider-

ben. So zimperlich freilich, wie die sich aufführten, so verletzbar ist die Macht- struktur, die sie repräsentieren, nicht. Man sollte sich von ihrem Gezeter nicht da- zu verleiten lassen, selbst große Töne zu spucken.

Wir behaupten, daß die Organisierung von bewaffneten Widerstandsgruppen zu diesem Zeitpunkt in der Bundesrepublik und Westberlin richtig ist, möglich ist, gerechtfertigt ist. Daß es richtig, möglich und gerechtfertigt ist, hier und jetzt Stadtguerilla zu machen. Daß der bewaffnete Kampf als »die höchste Form des Marxismus-Leninismus« (Mao) jetzt begonnen werden kann und muß, daß es oh- ne das keinen antiimperialistischen Kampf in den Metropolen gibt.

Wir sagen nicht, daß die Organisierung illegaler bewaffneter Widerstands- gruppen legale proletarische Organisationen ersetzen könnte und Einzelaktionen Klassenkämpfe, und nicht, daß der bewaffnete Kampf die politische Arbeit im Be- trieb und im Stadtteil ersetzen könnte. Wir behaupten nur, daß das eine die Vor- aussetzung für den Erfolg und den Fortschritt des anderen ist. Wir sind keine Blanquisten und keine Anarchisten, obwohl wir Blanqui17 für einen großen Revo- lutionär halten und den persönlichen Heroismus vieler Anarchisten für ganz und gar nicht verächtlich.

Unsere Praxis ist kein Jahr alt. Die Zeit ist zu kurz, um schon von Ergebnissen reden zu können. Die große Öffentlichkeit, die uns die Herren Genscher, Zim- mermann & Co18 verschafft haben, läßt es uns aber propagandistisch opportun er- scheinen, schon jetzt einiges zu bedenken zu geben.

»Wenn ihr allerdings wissen wollt, was die Kommunisten denken, dann seht auf ihre Hände und nicht auf ihren Mund« sagt Lenin19.

  1. Metropole Bundesrepublik

Die Krise entsteht nicht so sehr durch den Stillstand der Entwicklungsmechanismen als vielmehr durch die Entwicklung selbst. Da sie einzig das Anwachsen von Profit zum Ziel hat, speist diese Entwicklung mehr und mehr den Parasitismus und die Vergeudung, be- nachteiligt sie ganze soziale Schichten, produziert sie wachsende Bedürfnisse, die sie nicht befriedigen kann und beschleunigt sie den Zerfall des gesellschaftlichen Lebens. Nur ein monströser Apparat kann die provozierten Spannungen und Revolten durch Meinungs-

sprüche bis in den letzten Winkel im Griff zu haben; die Intellektuellen wieder auf                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     

ihre Zeitschriften reduziert, die Linken wieder in ihre Zirkel eingeschlossen, den Marxismus-Leninismus entwaffnet, den Internationalismus demoralisiert zu ha

ben. So zimperlich freilich, wie die sich aufführten, so verletzbar ist die Macht- struktur, die sie repräsentieren, nicht. Man sollte sich von ihrem Gezeter nicht da- zu verleiten lassen, selbst große Töne zu spucken.

Wir behaupten, daß die Organisierung von bewaffneten Widerstandsgruppen zu diesem Zeitpunkt in der Bundesrepublik und Westberlin richtig ist, möglich ist, gerechtfertigt ist. Daß es richtig, möglich und gerechtfertigt ist, hier und jetzt Stadtguerilla zu machen. Daß der bewaffnete Kampf als »die höchste Form des Marxismus-Leninismus« (Mao) jetzt begonnen werden kann und muß, daß es oh- ne das keinen antiimperialistischen Kampf in den Metropolen gibt.

Wir sagen nicht, daß die Organisierung illegaler bewaffneter Widerstands- gruppen legale proletarische Organisationen ersetzen könnte und Einzelaktionen Klassenkämpfe, und nicht, daß der bewaffnete Kampf die politische Arbeit im Be- trieb und im Stadtteil ersetzen könnte. Wir behaupten nur, daß das eine die Vor- aussetzung für den Erfolg und den Fortschritt des anderen ist. Wir sind keine Blanquisten und keine Anarchisten, obwohl wir Blanqui17 für einen großen Revo- lutionär halten und den persönlichen Heroismus vieler Anarchisten für ganz und gar nicht verächtlich.

Unsere Praxis ist kein Jahr alt. Die Zeit ist zu kurz, um schon von Ergebnissen reden zu können. Die große Öffentlichkeit, die uns die Herren Genscher, Zim- mermann & Co18 verschafft haben, läßt es uns aber propagandistisch opportun er- scheinen, schon jetzt einiges zu bedenken zu geben.

»Wenn ihr allerdings wissen wollt, was die Kommunisten denken, dann seht auf ihre Hände und nicht auf ihren Mund« sagt Lenin19.

  1. Metropole Bundesrepublik

Die Krise entsteht nicht so sehr durch den Stillstand der Entwicklungsmechanismen als vielmehr durch die Entwicklung selbst. Da sie einzig das Anwachsen von Profit zum Ziel hat, speist diese Entwicklung mehr und mehr den Parasitismus und die Vergeudung, be- nachteiligt sie ganze soziale Schichten, produziert sie wachsende Bedürfnisse, die sie nicht befriedigen kann und beschleunigt sie den Zerfall des gesellschaftlichen Lebens. Nur ein monströser Apparat kann die provozierten Spannungen und Revolten durch Meinungs

manipulation und offene Repression kontrollieren. Die Rebellion der Studenten und der Negerbewegung in Amerika, die Krise, in die die politische Einheit der amerikanischen Gesellschaft geraten ist, die Ausdehnung der studentischen Kämpfe in Europa, der heftige Wiederbeginn und die neuen Inhalte des Arbeiter und Massenkampfes bis hin zur Explo- sion des »Mai« in Frankreich, zur tumultuarischen Gesellschaftskrise in Italien und zum Wiederaufkommen von Unzufriedenheit in Deutschland, kennzeichnen die Situation.

II Manifesto: Notwendigkeit des Kommunismus, aus These 3320

Die Genossen von Il Manifesto nennen bei dieser Aufzählung die Bundesrepublik zurecht an letzter Stelle und benennen das, was die Situation hier kennzeichnet, nur vage als »Unzufriedenheit«. Die Bundesrepublik, von der Barzel21 vor sechs Jahren noch gesagt hat, sie sei ein wirtschaftlicher Riese, aber ein politischer Zwerg: Ihre ökonomische Stärke ist seither nicht weniger geworden, ihre politi- sche Stärke mehr, nach innen und außen. Mit der Bildung der Großen Koalition 1966 kam man der politischen Gefahr, die aus der damals bevorstehenden Rezes- sion hätte spontan entstehen können, zuvor. Mit den Notstandsgesetzen hat man sich das Instrument geschaffen, das einheitliches Handeln der Herrschenden auch in zukünftigen Krisensituationen sichert – die Einheit zwischen politischer Reak- tion und allen, denen an Legalität noch gelegen sein würde. Der sozial-liberalen Koalition ist es gelungen, die »Unzufriedenheit«, die sich durch Studentenbewe- gung und Außerparlamentarische Bewegung bemerkbar gemacht hatte, weitge- hend zu absorbieren, insofern der Reformismus der Sozialdemokratischen Partei im Bewußtsein ihrer Anhänger noch nicht abgewirtschaftet hat, sie mit ihren Re- formversprechen auch für große Teile der Intelligenz die Aktualität einer kommu- nistischen Alternative aufschieben, dem antikapitalistischen Protest die Schärfe nehmen konnte. Ihre Ostpolitik22 erschließt dem Kapitalismus neue Märkte, be- sorgt den deutschen Beitrag zum Ausgleich und Bündnis zwischen US-Imperialis- mus und Sowjetunion, den die USA brauchen, um freie Hand für ihre Aggressi- onskriege in der Dritten Welt zu haben. Dieser Regierung scheint es auch zu ge- lingen, die Neue Linke von den alten Antifaschisten zu trennen und damit die Neue Linke einmal mehr von ihrer Geschichte, der Geschichte der Arbeiterbewe- gung, zu isolieren. Die DKP23, die ihre Zulassung der neuen Komplizenschaft

US-Imperialismus/Sowjetrevisionismus verdankt, veranstaltet Demonstrationen für die Ostpolitik dieser Regierung; Niemöller – antifaschistische Symbolfigur24 – wirbt für die SPD in bevorstehenden Wahlkämpfen.

Unter dem Vorwand »Gemeinwohl« nahm staatlicher Dirigismus mit Lohn- leitlinien und Konzertierter Aktion25 die Gewerkschaftsbürokratien an die Kanda- re. Die Septemberstreiks ’6926 zeigten, daß man den Bogen zugunsten des Profits überspannt hatte, zeigten in ihrem Verlauf als nur-ökonomische Streiks, wie fest man das Heft in der Hand hat.

Die Tatsache, daß die Bundesrepublik mit ihren annähernd 2 Millionen aus- ländischen Arbeitern in der sich abzeichnenden Rezession eine Arbeitslosigkeit bis zu annähernd 10 Prozent dazu wird benutzen können, den ganzen Terror, den ganzen Disziplinierungsmechanismus, der Arbeitslosigkeit für das Proletariat be- deutet, zu entfalten, ohne die politische Radikalisierung dieser Massen am Hals zu haben, verschafft einen Begriff von der Stärke des Systems.

Durch Entwicklungs- und Militärhilfe an den Aggressionskriegen der USA beteiligt, profitiert die Bundesrepublik von der Ausbeutung der Dritten Welt, oh- ne die Verantwortung für diese Kriege zu haben, ohne sich deswegen mit einer Opposition im Innern streiten zu müssen. Nicht weniger aggressiv als der US-Im- perialismus, ist sie doch weniger angreifbar.

Die politischen Möglichkeiten des Imperialismus sind hier weder in ihrer re- formistischen noch in ihrer faschistischen Variante erschöpft; seine Fähigkeiten, die von ihm selbst erzeugten Widersprüche zu integrieren oder zu unterdrücken, nicht am Ende.

Das Konzept Stadtguerilla der Roten Armee Fraktion basiert nicht auf einer optimistischen Einschätzung der Situation in der Bundesrepublik und Westberlin.

  1. Studentenrevolte

Aus der Erkenntnis des einheitlichen Charakters des kapitalistischen Herrschaftssystems resultiert, daß es unmöglich ist, die Revolution »in den Hochburgen« von der »in den rückständigen Gebieten« zu trennen. Ohne eine Wiederbelebung der Revolution im We

sten kann nicht mit Sicherheit verhindert werden, daß der Imperialismus durch seine Lo- gik der Gewalt dazu fortgerissen wird, seinen Ausweg in einem katastrophischen Krieg zu suchen, oder daß die Supermächte der Welt ein erdrückendes Joch aufzwingen.

Il Manifesto: aus These 52

Die Studentenbewegung als kleinbürgerliche Revolte abtun, heißt: sie auf die Selbstüberschätzung, die sie begleitete, reduzieren; heißt: ihren Ursprung aus dem konkreten Widerspruch zwischen bürgerlicher Ideologie und bürgerlicher Gesell- schaft leugnen; heißt: mit der Erkenntnis ihrer notwendigen Begrenztheit das theoretische Niveau verleugnen, das ihr antikapitalistischer Protest schon erreicht hatte.

Gewiß war das Pathos übertrieben, mit dem sich die Studenten, die sich ihrer psychischen Verelendung in Wissenschaftsfabriken bewußt geworden waren, mit den ausgebeuteten Völkern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens identifizierten; stellte der Vergleich zwischen der Massenauflage der Bild-Zeitung hier und dem Massenbombardement auf Vietnam eine grobe Vereinfachung dar; war der Ver- gleich zwischen ideologischer Systemkritik hier und bewaffnetem Kampf dort überheblich; war der Glaube, selbst das revolutionäre Subjekt zu sein, soweit er unter Berufung auf Marcuse27 verbreitet war, gegenüber der tatsächlichen Gestalt der bürgerlichen Gesellschaft und den sie begründenden Produktionsverhältnis- sen ignorant.

Es ist das Verdienst der Studentenbewegung in der Bundesrepublik und West- berlin, ihrer Straßenkämpfe, Brandstiftungen, Anwendung von Gegengewalt, ih- res Pathos, also auch ihrer Übertreibungen und Ignoranz, kurz: ihrer Praxis, den Marxismus-Leninismus im Bewußtsein wenigstens der Intelligenz als diejenige politische Theorie rekonstruiert zu haben, ohne die politische, ökonomische und ideologische Tatsachen und ihre Erscheinungsformen nicht auf den Begriff zu bringen sind, ihr innerer und äußerer Zusammenhang nicht zu beschreiben ist.

Gerade weil die Studentenbewegung von der konkreten Erfahrung des Wider- spruchs zwischen der Ideologie der Freiheit der Wissenschaft und der Realität der dem Zugriff des Monopolkapitals ausgesetzten Universität ausging, weil sie nicht nur ideologisch initiiert war, ging ihr die Puste nicht aus, bis sie dem Zusammen- hang zwischen der Krise der Universität und der Krise des Kapitalismus wenig- stens theoretisch auf den Grund gegangen war. Bis ihnen und ihrer Öffentlichkeit klar war, daß nicht »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«, nicht Menschenrechte, nicht UNO-Charta den Inhalt dieser Demokratie ausmachen; daß hier gilt, was für die kolonialistische und imperialistische Ausbeutung Lateinamerikas, Afrikas und Asiens immer gegolten hat: Disziplin, Unterordnung und Brutalität für die Unterdrückten, für die, die sich auf deren Seite stellen, Protest erheben, Wider- stand leisten, den antiimperialistischen Kampf führen.

Ideologiekritisch hat die Studentenbewegung nahezu alle Bereiche staatlicher

Repression als Ausdruck imperialistischer Ausbeutung erfaßt: In der Springerkam- pagne, in den Demonstrationen gegen die amerikanische Aggression in Vietnam, in der Kampagne gegen die Klassenjustiz, in der Bundeswehrkampagne, gegen die Notstandsgesetze, in der Schülerbewegung. Enteignet Springer!, Zerschlagt die Nato!, Kampf dem Konsumterror!, Kampf dem Erziehungsterror!, Kampf dem Mietterror! waren richtige politische Parolen. Sie zielten auf die Aktualisierung der vom Spätkapitalismus selbst erzeugten Widersprüche im Bewußtsein aller Un- terdrückten, zwischen neuen Bedürfnissen und den durch die Entwicklung der Produktivkräfte neuen Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung auf der einen Seite und dem Druck irrationaler Subordination als Kehrseite.

Was ihr das Selbstbewußtsein gab, waren nicht entfaltete Klassenkämpfe hier, sondern das Bewußtsein, Teil einer internationalen Bewegung zu sein, es mit dem- selben Klassenfeind hier zu tun zu haben, wie der Vietcong dort, mit demselben Papiertiger, mit denselben Pigs.

Die provinzialistische Abkapselung der alten Linken durchbrochen zu haben, ist das zweite Verdienst der Studentenbewegung: Die Volksfrontstrategie der alten Linken als Ostermarsch, Deutsche Friedensunion, Deutsche Volkszeitung, als irra- tionale Hoffnung auf den »großen Erdrutsch« bei irgendwelchen Wahlen, ihre parlamentarische Fixierung auf Strauß hier, Heinemann da,28 ihre pro- und anti- kommunistische Fixierung auf die DDR, ihre Isolation, ihre Resignation, ihre mo- ralische Zerrissenheit: zu jedem Opfer bereit, zu keiner Praxis fähig zu sein. Der sozialistische Teil der Studentenbewegung nahm, trotz theoretischer Ungenauig- keiten – sein Selbstbewußtsein aus der richtigen Erkenntnis, daß »die revolutionä- re Initiative im Westen auf die Krise des globalen Gleichgewichts und auf das Heranreifen neuer Kräfte in allen Ländern vertrauen kann« (These 55 von Il Ma- nifesto). Sie machten zum Inhalt ihrer Agitation und Propaganda das, worauf sie sich angesichts der deutschen Verhältnisse hauptsächlich berufen konnten: Daß gegenüber der Globalstrategie des Imperialismus die Perspektive nationaler Kämpfe internationalistisch zu sein hat, daß erst die Verbindung nationaler Inhal- te mit internationalen, traditioneller Kampfformen mit internationalistischen re- volutionäre Initiative stabilisieren kann. Sie machten ihre Schwäche zu ihrer Stär- ke, weil sie erkannt hatten, daß nur so erneute Resignation, provinzialistische Ab- kapselung, Reformismus, Volksfrontstrategie, Integration verhindert werden kön- nen – die Sackgassen sozialistischer Politik unter post- und präfaschistischen Be- dingungen, wie sie in der Bundesrepublik und Westberlin bestehen.

Die Linken wußten damals, daß es richtig sein würde, sozialistische Propagan- da im Betrieb mit der tatsächlichen Verhinderung der Auslieferung der Bild-Zei- tung zu verbinden. Daß es richtig wäre, die Propaganda bei den GIs, sich nicht nach Vietnam schicken zu lassen, mit tatsächlichen Angriffen auf Militärflugzeuge für Vietnam zu verbinden, die Bundeswehrkampagne mit tatsächlichen Angriffen auf Nato-Flughäfen. Daß es richtig wäre, die Kritik an der Klassenjustiz mit dem Sprengen von Gefängnismauern zu verbinden, die Kritik am Springerkonzern mit der Entwaffnung seines Werkschutzes, richtig, einen eigenen Sender in Gang zu setzen, die Polizei zu demoralisieren, illegale Wohnungen für Bundeswehrdeser- teure zu haben, für die Agitation bei ausländischen Arbeitern Personalpapiere fäl- schen zu können, durch Betriebssabotage die Produktion von Napalm zu verhin- dern.

Und falsch, seine eigene Propaganda von Angebot und Nachfrage abhängig zu machen: keine Zeitung, wenn die Arbeiter sie noch nicht finanzieren, kein Auto, wenn die »Bewegung« es noch nicht kaufen kann, keinen Sender, weil es keine Li- zenz dafür gibt, keine Sabotage, weil der Kapitalismus davon nicht gleich zusam- menbricht.

Die Studentenbewegung zerfiel, als ihre spezifisch studentischkleinbürgerli- che Organisationsform, das »Antiautoritäre Lager« sich als ungeeignet erwies, ei- ne ihren Zielen angemessene Praxis zu entwickeln, ihre Spontaneität weder ein- fach in die Betriebe zu verlängern war noch in eine funktionsfähige Stadtguerilla, noch in eine sozialistische Massenorganisation. Sie zerfiel, als der Funke der Stu- dentenbewegung – anders als in Italien und Frankreich – nicht zum Steppenbrand entfalteter Klassenkämpfe geworden war. Sie konnte die Ziele und Inhalte des an- tiimperialistischen Kampfes benennen – selbst nicht das revolutionäre Subjekt, konnte sie deren organisatorische Vermittlung nicht leisten.

Die Rote Armee Fraktion leugnet im Unterschied zu den proletarischen Orga- nisationen der Neuen Linken, ihre Vorgeschichte als Geschichte der Studenten- bewegung nicht, die den Marxismus-Leninismus als Waffe im Klassenkampf re- konstruiert und den internationalen Kontext für den revolutionären Kampf in den Metropolen hergestellt hat.

  1. Primat der Praxis

Wer ein bestimmtes Ding oder einen Komplex von Dingen direkt kennen lernen will, muß persönlich am praktischen Kampf zur Veränderung der Wirklichkeit, zur Veränderung des Dinges oder des Komplexes von Dingen teilnehmen, denn nur so kommt er mit der Er- scheinung der betreffenden Dinge in Berührung, und erst durch die persönliche Teilnahme am praktischen Kampf zur Veränderung der Wirklichkeit ist er imstande, das Wesen je- nes Dinges bzw. jenes Komplexes von Dingen zu enthüllen und sie zu verstehen.

Aber der Marxismus legt der Theorie darum und nur darum ernste Bedeutung bei, weil sie die Anleitung zum Handeln sein kann. Wenn man über eine richtige Theorie ver

fügt, sie aber nur als etwas behandelt, worüber man einmal schwatzt, um es dann in die Schublade zu legen, was man jedoch keineswegs in die Praxis umsetzt, dann wird diese Theorie, so gut sie auch sein mag, bedeutungslos.

Mao Tse Tung: Über die Praxis

Die Hinwendung der Linken, der Sozialisten, die zugleich die Autoritäten der Studentenbewegung waren, zum Studium des wissenschaftlichen Sozialismus, die Aktualisierung der Kritik der politischen Ökonomie als ihrer Selbstkritik an der Studentenbewegung, war gleichzeitig ihre Rückkehr zu ihren studentischen Schreibtischen. Nach ihrer Papierproduktion zu urteilen, ihren Organisationsmo- dellen29, dem Aufwand, den sie mit und in ihren Erklärungen treiben, könnte man meinen, hier beanspruchten Revolutionäre die Führung in gewaltigen Klas- senkämpfen, als wäre das Jahr 1967/68 das 1905 des Sozialismus in Deutschland. Wenn Lenin 1903 in »Was tun?« das Theoriebedürfnis der russischen Arbeiter hervorhob und gegenüber Anarchisten und Sozialrevolutionären die Notwendig- keit von Klassenanalyse und Organisation und entlarvender Propaganda postulier- te, dann, weil massenhafte Klassenkämpfe im Gange waren. »Das ist es ja gerade, daß die Arbeitermassen durch die Niederträchtigkeiten des russischen Lebens sehr stark aufgerüttelt werden, wir verstehen es nur nicht, alle jene Tropfen und Rinnsale der Volkserregung zu sammeln und, wenn man so sagen darf – zu kon- zentrieren, die aus dem russischen Leben in unermeßlich größerer Menge hervor- quellen, als wir alle es uns vorstellen und glauben, die aber zu einem gewaltigen Strom vereinigt werden müssen.« (Lenin: »Was tun?«)

Wir bezweifeln, ob es unter den gegenwärtigen Bedingungen in der Bundesre- publik und Westberlin überhaupt schon möglich ist, eine die Arbeiterklasse verei- nigende Strategie zu entwickeln, eine Organisation zu schaffen, die gleichzeitig Ausdruck und Initiator des notwendigen Vereinheitlichungsprozesses sein kann. Wir bezweifeln, daß sich das Bündnis zwischen der sozialistischen Intelligenz und dem Proletariat durch programmatische Erklärungen »schweißen«, durch ihren Anspruch auf proletarische Organisationen erzwingen läßt. Die Tropfen und Rinnsale über die Niederträchtigkeiten des deutschen Lebens sammelt bislang noch der Springer-Konzern und leitet sie neuen Niederträchtigkeiten zu.

Wir behaupten, daß ohne revolutionäre Initiative, ohne die praktische revolu- tionäre Intervention der Avantgarde, der sozialistischen Arbeiter und Intellektuel- len, ohne den konkreten antiimperialistischen Kampf es keinen Vereinheitli- chungsprozeß gibt, daß das Bündnis nur in gemeinsamen Kämpfen hergestellt wird oder nicht, in denen der bewußte Teil der Arbeiter und Intellektuellen nicht Regie zu fahren, sondern voranzugehen hat.

In der Papierproduktion der Organisationen erkennen wir ihre Praxis hauptsächlich nur wieder als den Konkurrenzkampf von Intellektuellen, die sich

vor einer imaginären Jury, die die Arbeiterklasse nicht sein kann, weil ihre Sprache schon deren Mitsprache ausschließt, den Rang um die bessere Marx-Rezeption ablaufen. Es ist ihnen peinlicher, bei einem falschen Marx-Zitat ertappt zu werden als bei einer Lüge, wenn von ihrer Praxis die Rede ist. Die Seitenzahlen, die sie in ihren Anmerkungen angeben, stimmen fast immer, die Mitgliederzahlen, die sie für ihre Organisationen angeben, stimmen fast nie. Sie fürchten sich vor dem Vor- wurf der revolutionären Ungeduld mehr als vor ihrer Korrumpierung in bürgerli- chen Berufen, mit Lukács30 langfristig zu promovieren, ist ihnen wichtig, sich von Blanqui kurzfristig agitieren zu lassen, ist ihnen suspekt. Ihrem Internationalismus geben sie in Zensuren Ausdruck, mit denen sie die eine palästinensische Kom- mandoorganisation vor der anderen auszeichnen – weiße Herren, die sich als die wahren Sachwalter des Marxismus aufspielen; sie bringen ihn in den Umgangsfor- men von Mäzenatentum zum Ausdruck, indem sie befreundete Reiche im Namen der Black Panther Partei31 anbetteln und das, was die für ihren Ablaß zu geben be- reit sind, sich selbst beim lieben Gott gutschreiben lassen – nicht den »Sieg im Volkskrieg« im Auge, nur um ihr gutes Gewissen besorgt. Eine revolutionäre In- terventionsmethode ist das nicht.

Mao stellte in seiner »Analyse der Klassen in der chinesischen Gesellschaft« (1926) den Kampf der Revolution und den Kampf der Konterrevolution einander gegenüber als »das Rote Banner der Revolution, hoch erhoben von der III. Inter- nationale, die alle unterdrückten Klassen in der Welt aufruft, sich um ihr Banner zu scharen; das andere ist das Weiße Banner der Konterrevolution, erhoben vom Völkerbund, der alle Konterrevolutionäre aufruft, sich um sein Banner zu scha- ren.« Mao unterschied die Klassen in der chinesischen Gesellschaft danach, wie sie sich zwischen Rotem und Weißem Banner beim Fortschreiten der Revolution in China entscheiden würden. Es genügte ihm nicht, die ökonomische Lage der verschiedenen Klassen in der chinesischen Gesellschaft zu analysieren. Bestandteil seiner Klassenanalyse war ebenso die Einstellung der verschiedenen Klassen zur Revolution. Eine Führungsrolle der Marxisten-Leninisten in zukünftige Klassenkämpfen wird es nicht geben, wenn die Avantgarde selbst nicht das Rote Banner des Prole- tarischen Internationalismus hochhält und wenn die Avantgarde selbst die Frage

nicht beantwortet, wie die Diktatur des Proletariats zu errichten sein wird, wie die politische Macht des Proletariats zu erlangen, wie die Macht der Bourgeoisie zu brechen ist, und durch keine Praxis darauf vorbereitet ist, sie zu beantworten. Die Klassenanalyse, die wir brauchen, ist nicht zu machen ohne revolutionäre Praxis, ohne revolutionäre Initiative.

Die »Revolutionären Übergangsforderungen«, die die proletarischen Organi- sationen landauf, landab aufgestellt haben, wie Kampf der Intensivierung der Aus- beutung, Verkürzung der Arbeitszeit, gegen die Vergeudung von gesellschaftli- chem Reichtum, gleicher Lohn für Männer und Frauen und ausländische Arbei- ter, gegen Akkordhetze etc., diese Übergangsforderungen sind nichts als gewerk- schaftlicher Ökonomismus, solange nicht gleichzeitig die Frage beantwortet wird, wie der politische, militärische und propagandistische Druck zu brechen sein wird, der sich schon diesen Forderungen aggressiv in den Weg stellen wird, wenn sie in massenhaften Klassenkämpfen erhoben werden. Dann aber – wenn es bei ih- nen bleibt, sind sie nur noch ökonomischer Dreck, weil es sich um sie nicht lohnt, den revolutionären Kampf aufzunehmen und zum Sieg zu führen, wenn »Siegen heißt, prinzipiell akzeptieren, daß das Leben nicht das höchste Gut des Revolu- tionärs ist« (Debray)32. Mit diesen Forderungen kann man gewerkschaftlich inter- venieren – »die tradeunionistische Politik der Arbeiterklasse ist aber eben bürger- liche Politik der Arbeiterklasse« (Lenin). Eine revolutionäre Interventionsmetho- de ist sie nicht.

Die sogenannten proletarischen Organisationen unterscheiden sich, wenn sie die Frage der Bewaffnung als Antwort auf die Notstandsgesetze, die Bundeswehr, den Bundesgrenzschutz, die Polizei, die Springerpresse nicht aufwerfen, opportu- nistisch verschweigen, nur insoweit von der DKP, als sie noch weniger in den Massen verankert sind, als sie wortradikaler sind, als sie theoretisch mehr drauf haben. Praktisch begeben sie sich auf das Niveau von Bürgerrechtlern, die es auf Popularität um jeden Preis abgesehen haben, unterstützen sie die Lügen der Bourgeoisie, daß in diesem Staat mit den Mitteln der parlamentarischen Demo- kratie noch was auszurichten sei, ermutigen sie das Proletariat zu Kämpfen, die angesichts des Potentials an Gewalt in diesem Staat nur verloren werden können – auf barbarische Weise. »Diese marxistisch-leninistischen Fraktionen oder Partei- en« – schreibt Debray über die Kommunisten in Lateinamerika – »bewegen sich innerhalb derselben politischen Fragestellungen, wie sie von der Bourgeoisie be- herrscht werden. Anstatt sie zu verändern, haben sie dazu beigetragen, sie noch fester zu verankern …«

Den Tausenden von Lehrlingen und Jugendlichen, die aus ihrer Politisierung während der Studentenbewegung erstmal den Schluß gezogen haben, sich dem

Ausbeutungsdruck im Betrieb zu entziehen, bieten diese Organisationen keine po- litische Perspektive mit dem Vorschlag, sich dem kapitalistischen Ausbeutungs- druck erstmal wieder anzupassen. Gegenüber der Jugendkriminalität nehmen sie praktisch den Standpunkt von Gefängnisdirektoren ein, gegenüber den Genossen im Knast den Standpunkt ihrer Richter, gegenüber dem Untergrund den Stand- punkt von Sozialarbeitern.

Praxislos ist die Lektüre des »Kapital« nichts als bürgerliches Studium. Praxis- los sind programmatische Erklärungen nur Geschwätz. Praxislos ist proletarischer Internationalismus nur Angeberei. Theoretisch den Standpunkt des Proletariats einnehmen, heißt ihn praktisch einnehmen.

Die Rote Armee Fraktion redet vom Primat der Praxis. Ob es richtig ist, den bewaffneten Widerstand jetzt zu organisieren, hängt davon ab, ob es möglich ist; ob es möglich ist, ist nur praktisch zu ermitteln.

  1. Stadtguerilla

Somit muß man von seinem Wesen her, aus einer langen Perspektive, in strategischer Hinsicht den Imperialismus und alle Reaktionäre als das betrachten, was sie in Wirklich- keit sind: als Papiertiger. Darauf müssen wir unser strategisches Denken gründen. Ande- rerseits sind sie aber wiederum lebendige, eisenharte, wirkliche Tiger, die Menschen fres- sen. Darauf müssen wir unser taktisches Denken gründen.

Mao Tse Tung, 1. 12. 1958

Wenn es richtig ist, daß der amerikanische Imperialismus ein Papiertiger ist, d.h. daß er letzten Endes besiegt werden kann; und wenn die These der chinesischen Kommunisten richtig ist, daß der Sieg über den amerikanischen Imperialismus da- durch möglich geworden ist, daß an allen Ecken und Enden der Welt der Kampf gegen ihn geführt wird, so daß dadurch die Kräfte des Imperialismus zersplittert werden und durch ihre Zersplitterung schlagbar werden – wenn das richtig ist, dann gibt es keinen Grund, irgendein Land und irgendeine Region aus dem anti- imperialistischen Kampf deswegen auszuschließen oder auszuklammern, weil die Kräfte der Revolution dort besonders schwach, weil die Kräfte der Reaktion dort besonders stark sind. Wie es falsch ist, die Kräfte der Revolution zu entmutigen, indem man sie un- terschätzt, ist es falsch, ihnen Auseinandersetzungen vorzuschlagen, in denen sie nur verheizt und kaputtgemacht werden können. Der Widerspruch zwischen den ehrlichen Genossen in den Organisationen – lassen wir die Schwätzer mal raus – und der Roten Armee Faktion ist der, daß wir ihnen vorwerfen, die Kräfte der Re- volution zu entmutigen, und daß sie uns verdächtigen, wir würden die Kräfte der Revolution verheizen. Daß damit die Richtung angegeben wird, in der die Frakti- on der in Betrieben und Stadtteilen arbeitenden Genossen und die Rote Armee Fraktion den Bogen überspannen, wenn sie ihn überspannen, entspricht der Wahrheit. Dogmatismus und Abenteurertum sind seit je die charakteristischen

Abweichungen in Perioden der Schwäche der Revolution in einem Land. Da seit je die Anarchisten die schärfsten Kritiker des Opportunismus waren, setzt sich dem Anarchismus-Vorwurf aus, wer die Opportunisten kritisiert. Das ist gewisser- maßen ein alter Hut.

Das Konzept Stadtguerilla stammt aus Lateinamerika. Es ist dort, was es auch hier nur sein kann: die revolutionäre Interventionsmethode von insgesamt schwa- chen revolutionären Kräften.

Stadtguerilla geht davon aus, daß es die preußische Marschordnung nicht ge- ben wird, in der viele sogenannte Revolutionäre das Volk in den revolutionären Kampf führen möchten. Geht davon aus, daß dann, wenn die Situation reif sein wird für den bewaffneten Kampf, es zu spät sein wird, ihn erst vorzubereiten. Daß es ohne revolutionäre Initiative in einem Land, dessen Potential an Gewalt so groß, dessen revolutionäre Traditionen so kaputt und so schwach sind wie in der Bundesrepublik, auch dann keine revolutionäre Orientierung geben wird, wenn die Bedingungen für den revolutionären Kampf günstiger sein werden als sie es jetzt schon sind aufgrund der politischen und ökonomischen Entwicklung des Spätkapitalismus selbst.

Stadtguerilla ist insofern die Konsequenz aus der längst vollzogenen Negation der parlamentarischen Demokratie durch ihre Repräsentanten selbst, die unver- meidliche Antwort auf Notstandsgesetze und Handgranatengesetz33, die Bereit- schaft, mit den Mitteln zu kämpfen, die das System für sich bereitgestellt hat, um seine Gegner auszuschalten. Stadtguerilla basiert auf der Anerkennung von Tatsa- chen, statt der Apologie von Tatsachen.

Was Stadtguerilla machen kann, hat die Studentenbewegung teilweise schon gewußt. Sie kann die Agitation und Propaganda, worauf linke Arbeit schon redu- ziert ist, konkret machen. Das kann man sich für die Springerkampagne von damals vorstellen und für die Cabora-Bassa-Kampagne34 der Heidelberger Studenten, für die Hausbesetzungen in Frankfurt, in bezug auf die Militärhilfen, die die Bundesre- publik den Kompradoren-Regimes35 in Afrika gibt, in bezug auf die Kritik am Strafvollzug und an der Klassenjustiz, am Werkschutz und innerbetrieblicher Ju- stiz. Sie kann den verbalen Internationalismus konkretisieren als die Beschaffung von Waffen und Geld. Sie kann die Waffe des Systems, die Illegalisierung von

Kommunisten stumpf machen, indem sie einen Untergrund organisiert, der dem Zugriff der Polizei entzogen bleibt. Stadtguerilla ist eine Waffe im Klassenkampf.

Stadtguerilla ist bewaffneter Kampf, insofern es die Polizei ist, die rücksichtslos von der Schußwaffe Gebrauch macht, und die Klassenjustiz, die Kurras36 frei- spricht und die Genossen lebendig begräbt, wenn wir sie nicht daran hindern. Stadtguerilla heißt, sich von der Gewalt des Systems nicht demoralisieren zu lassen. Stadtguerilla zielt darauf, den staatlichen Herrschaftsapparat an einzelnen Punkten zu destruieren, stellenweise außer Kraft zu setzen, den Mythos von der

Allgegenwart des Systems und seiner Unverletzbarkeit zu zerstören.

Stadtguerilla setzt die Organisierung eines illegalen Apparates voraus, das sind Wohnungen, Waffen, Munition, Autos, Papiere. Was dabei im einzelnen zu be- achten ist, hat Marighella37 in seinem »Minihandbuch der Stadtguerilla« be- schrieben. Was dabei noch zu beachten ist, sind wir jederzeit jedem bereit zu sa- gen, der es wissen muß, wenn er es machen will. Wir wissen noch nicht viel, aber schon einiges.

Wichtig ist, daß man, bevor man sich entschließt, bewaffnet zu kämpfen, lega- le politische Erfahrungen gemacht hat. Wo der Anschluß an die revolutionäre Linke auch noch einem modischen Bedürfnis entspricht, schließt man sich besser nur da an, von wo man wieder zurück kann.

Rote Armee Fraktion und Stadtguerilla sind diejenige Fraktion und Praxis, die, indem sie einen klaren Trennungsstrich zwischen sich und dem Feind ziehen, am schärfsten bekämpft werden. Das setzt politische Identität voraus; das setzt voraus, daß einige Lernprozesse schon gelaufen sind.

Unser ursprüngliches Organisationskonzept beinhaltete die Verbindung von Stadtguerilla und Basisarbeit. Wir wollten, daß jeder von uns gleichzeitig im Stadt- teil oder im Betrieb in den dort bestehenden sozialistischen Gruppen mitarbeitet, den Diskussionsprozeß mitbeeinflußt, Erfahrungen macht, lernt. Es hat sich ge- zeigt, daß das nicht geht. Daß die Kontrolle, die die politische Polizei über diese Gruppen hat, ihre Treffen, ihre Termine, ihre Diskussionsinhalte schon jetzt so weit reicht, daß man dort nicht sein kann, wenn man auch noch unkontrolliert sein will. Daß der einzelne die legale Arbeit nicht mit der illegalen verbinden kann.

Stadtguerilla setzt voraus, sich über seine eigene Motivation im klaren zu sein, sicher zu sein, daß Bild-Zeitungsmethoden bei einem nicht mehr verfangen, daß

das Antisemitismus-Kriminellen-Untermenschen-Mord & Brand-Syndrom, das sie auf Revolutionäre anwenden, die ganze Scheiße, die nur die absondern und zu artikulieren imstande sind und die immer noch viele Genossen in ihrem Urteil über uns beeinflußt, daß einen die nicht trifft.

Denn natürlich überläßt uns das System nicht das Terrain, und es gibt kein Mittel, auch keins der Verleumdung –, das sie nicht gegen uns anzuwenden ent- schlossen wären.

Und es gibt keine Öffentlichkeit, die ein anderes Ziel hätte, als die Interessen des Kapitals auf die eine oder andere Art wahrzunehmen, und es gibt noch keine sozialistische Öffentlichkeit, die über sich selbst, ihre Zirkel, ihren Handvertrieb, ihre Abonnenten hinausreichte, die sich nicht noch hauptsächlich in zufälligen, privaten, persönlichen, bürgerlichen Umgangsformen abspielte. Es gibt keine Pu- blikationsmittel, die nicht vom Kapital kontrolliert würden, über das Anzeigenge- schäft, über den Ehrgeiz der Schreiber, sich in das ganz große Establishment rein- zuschreiben, über die Rundfunkräte, über die Konzentration auf dem Presse- markt. Herrschende Öffentlichkeit ist die Öffentlichkeit der Herrschenden, in Marktlücken aufgeteilt, schichtenspezifische Ideologien entwickelnd, was sie ver- breiten, steht im Dienst ihrer Selbstbehauptung auf dem Markt. Die journalisti- sche Kategorie heißt: Verkauf. Die Nachricht als Ware, die Information als Kon- sum. Was nicht konsumierbar ist, muß sie ankotzen. Leserblattbindung bei den anzeigenintensiven Publikationsmitteln, ifas-Punktsysteme beim Fernsehen, das kann keine Widersprüche zwischen sich und dem Publikum aufkommen lassen, keine antagonistischen, keine mit Folgen. Den Anschluß an den mächtigsten Mei- nungsbildner am Markt muß halten, wer sich am Markt halten will; d.h. die Ab- hängigkeit vom Springerkonzern wächst in dem Maße, als der Springerkonzern wächst, der angefangen hat, auch die Lokalpresse einzukaufen. Die Stadtguerilla hat von dieser Öffentlichkeit nichts anderes zu erwarten als erbitterte Feindschaft. An marxistischer Kritik und Selbstkritik hat sie sich zu orientieren, an sonst nichts.

»Wer keine Angst vor Vierteilung hat, wagt es, den Kaiser vom Pferd zu zerren«, sagt Mao dazu.

Langfristigkeit und Kleinarbeit sind Postulate, die für die Stadtguerilla erst recht gelten, insofern wir nicht nur davon reden, sondern auch danach handeln. Ohne den Rückzug in bürgerliche Berufe offen zu halten, ohne die Revolution nochmal an den Nagel im Reihenhaus hängen zu können, ohne also auch das zu wollen, also mit dem Pathos, das Blanqui ausgedrückt hat: »Die Pflicht eines Revo- lutionärs ist, immer zu kämpfen, trotzdem zu kämpfen, bis zum Tod zu kämpfen.« – Es gibt keinen revolutionären Kampf und hat noch keinen gegeben, dessen Mo- ral nicht diese gewesen wäre: Rußland, China, Kuba, Algerien, Palästina, Vietnam. Manche sagen, die politischen Möglichkeiten der Organisierung, der Agitati-

on, der Propaganda seien noch längst nicht erschöpft, aber erst dann, wenn sie er- schöpft seien, könnte man die Frage der Bewaffnung aufwerfen. Wir sagen: Die politischen Möglichkeiten werden solange nicht wirklich ausgenutzt werden kön

nen, solange das Ziel, der bewaffnete Kampf, nicht als das Ziel der Politisierung zu erkennen ist, solange die strategische Bestimmung, daß alle Reaktionäre Papierti- ger sind, nicht hinter der taktischen Bestimmung, daß sie Verbrecher, Mörder, Ausbeuter sind, zu erkennen ist.

Von »bewaffneter Propaganda« werden wir nicht reden, sondern werden sie machen. Die Gefangenenbefreiung lief nicht aus propagandistischen Gründen, sondern um den Typ rauszuholen. Banküberfälle, wie man sie uns in die Schuhe zu schieben versucht, würden auch wir nur machen, um Geld aufzureißen. Die

»glänzenden Erfolge«, von denen Mao sagt, daß wir sie erzielt haben müssen,

»wenn der Feind uns in den schwärzesten Farben malt«, sind nur bedingt unsere eigenen Erfolge. Das große Geschrei, das über uns angestimmt worden ist, ver- danken wir mehr den lateinamerikanischen Genossen – aufgrund des klaren Tren- nungsstrichs zwischen sich und dem Feind, den sie schon gezogen haben –, so daß die Herrschenden hier uns wegen des Verdachts von ein paar Banküberfällen so

»energisch entgegentreten«, als gäbe es schon, was aufzubauen wir angefangen haben: die Stadtguerilla der Roten Armee Fraktion.

  1. Legalität und Illegalität

Die Revolution im Westen, die Herausforderung der kapitalistischen Macht in den Hoch- burgen, ist das Gebot der Stunde. Sie ist von entscheidender Bedeutung. Die derzeitige Weltsituation kennt keinen Ort und keine Kräfte, die in der Lage wären, eine friedliche Entwicklung und eine demokratische Stabilisierung zu garantieren. Die Krise spitzt sich tendenziell zu. Sie jetzt provinzialistisch abzukapseln oder den Kampf auf später zu ver- schieben, bedeutet: Man wird in den Strudel des umfassenden Niedergangs hineingerissen.

Il Manifesto: aus These 55

Die Parole der Anarchisten »Macht kaputt, was Euch kaputt macht« zielt auf die direkte Mobilisierung der Basis, der Jugendlichen in Gefängnissen und Heimen, in Schulen und in der Ausbildung, richtet sich an die, denen es am dreckigsten geht, zielt auf spontanes Verständnis, ist die Aufforderung zum direkten Wider- stand. Die Black Power-Parole von Stokley Carmichael38: »Trust your own ex- perience!« meinte eben das. Die Parole geht von der Einsicht aus, daß es im Kapi- talismus nichts, aber auch nichts gibt, das einen bedrückt, quält, hindert, belastet, was seinen Ursprung nicht in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen hätte, daß jeder Unterdrücker, in welcher Gestalt auch immer er auftritt, ein Vertreter des Klasseninteresses des Kapitals ist, das heißt: Klassenfeind.

Insofern ist die Parole der Anarchisten richtig, proletarisch, klassenkämpfe- risch. Sie ist falsch, soweit sie das falsche Bewußtsein vermittelt, man brauchte bloß zuzuschlagen, denen in die Fresse zu schlagen, Organisierung sei zweitran-

ten Repression, die auf ihre Aktionen folgt, ausgesetzt, ohne die Dialektik von Le- galität und Illegalität organisatorisch beachtet zu haben, werden sie legal verhaf- tet. Der Satz einiger Organisationen »Kommunisten sind nicht so einfältig, sich selbst zu illegalisieren« redet der Klassenjustiz nach dem Mund, sonst nieman- dem. Soweit er besagt, daß die legalen Möglichkeiten kommunistischer Agitation und Propaganda, von Organisierung, von politischem und ökonomischem Kampf unbedingt genutzt werden müssen und nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden dürfen, ist er richtig – aber das beinhaltet er ja gar nicht. Er beinhaltet, daß die Grenzen, die der Klassenstaat und seine Justiz der sozialistischen Arbeit setzen, ausreichen, um alle Möglichkeiten auszunutzen, daß man sich an die Begrenzun- gen zu halten hat, daß vor illegalen Übergriffen dieses Staates, da sie ja allemal le- galisiert werden, unbedingt zurückzuweichen ist – Legalität um jeden Preis. Ille- gale Inhaftierung, Terrorurteile, Übergriffe der Polizei, Erpressung und Nöti- gung durch den Staatsanwalt – Friß, Vogel oder stirb – Kommunisten sind nicht so einfältig …

Der Satz ist opportunistisch. Er ist unsolidarisch. Er schreibt die Genossen im Knast ab, er schließt die Organisierung und Politisierung all derer aus der Soziali- stischen Bewegung aus, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft und Lage nicht an- ders als kriminell überleben können: den Untergrund, das Subproletariat, unzäh- lige proletarische Jugendliche, Gastarbeiter. Er dient der theoretischen Kriminali- sierung all derer, die sich den Organisationen nicht anschließen. Er ist ihr Bündnis mit der Klassenjustiz. Er ist dumm.

Legalität ist eine Machtfrage. Das Verhältnis von Legalität und Illegalität ist an dem Widerspruch von reformistischer und faschistischer Herrschaftsausübung zu bestimmen, deren Bonner Repräsentanten gegenwärtig die sozial/liberale Ko- alition hier, Barzel/Strauß da sind, deren publizistische Repräsentanten z.B. die Süddeutsche Zeitung, der Stern, das Dritte Programm des WDR und des SFB, die Frankfurter Rundschau hier sind, der Springerkonzern, der Sender Freies Berlin, das Zweite Deutsche Fernsehen, der Bayernkurier da, deren Polizei die Münchner Li- nie hier, das Berliner Modell da ist, deren Justiz das Bundesverwaltungsgericht hier, der Bundesgerichtshof da ist.

Die reformistische Linie zielt darauf, Konflikte zu vermeiden, durch Institu- tionalisierung (Mitbestimmung), durch Reformversprechen (im Strafvollzug z.B.), indem sie überalterten Konfliktstoff ausräumt (der Kniefall des Kanzlers in Po- len39 z.B.), indem sie Provokationen vermeidet (die weiche Linie der Münchner Polizei und des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin z.B.), durch die verbale An- erkennung von Mißständen (in der öffentlichen Erziehung in Hessen und Berlin z.B.). Es gehört zur konfliktvermeidenden Taktik des Reformismus, sich etwas in- nerhalb und etwas weniger außerhalb der Legalität zu bewegen, das gibt ihm den
gig, Disziplin bürgerlich, die Klassenanalyse überflüssig. Schutzlos der verschärf

Schein von Legitimation, von Grundgesetz unterm Arm, das zielt auf Integration von Widersprüchen, das läßt linke Kritik totlaufen, leer laufen, das will die Jungs- ozialisten in der SPD behalten. Daß die reformistische Linie im Sinn von langfri- stiger Stabilisierung kapitalistischer Herrschaft die effektivere Linie ist, wird nicht bezweifelt, nur ist sie an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Sie setzt wirt- schaftliche Prosperität voraus, weil die weiche Linie der Münchner Polizei z.B. sehr viel kostspieliger ist als die harte Tour der Berliner, wie es der Münchner Po- lizeipräsident sinnfällig dargetan hat: »Zwei Beamte mit Maschinengewehren können 1000 Leute in Schach halten, 100 Beamte mit Gummiknüppeln können 1000 Leute in Schach halten. Ohne derartige Instrumente benötigt man 300 bis 400 Polizeibeamte.« Die reformistische Linie setzt die nicht bis gar nicht organi- sierte antikapitalistische Opposition voraus, wie man ebenfalls vom Beispiel Mün- chens her weiß.

Unter dem Deckmantel des politischen Reformismus nimmt im übrigen die Monopolisierung von staatlicher und wirtschaftlicher Macht zu, was Schiller40 mit seiner Wirtschaftspolitik betreibt und Strauß mit seiner Finanzreform durchge- setzt hat, die Verschärfung der Ausbeutung durch Arbeitsintensivierung und Ar- beitsteilung im Bereich der Produktion, durch langfristigere Rationalisierungs- maßnahmen im Bereich der Verwaltung und der Dienstleistungen.

Daß die Akkumulation von Gewalt in den Händen weniger widerstandsloser funktioniert, wenn man sie geräuschloser durchführt, wenn man dabei unnötige Provokationen vermeidet, die unkontrollierbare Solidarisierungsprozesse zur Fol- ge haben können – das hat man aus der Studentenbewegung und dem Mai in Pa- ris gelernt. Deshalb werden die Roten Zellen noch nicht verboten, deshalb wurde die KP als DKP ohne Aufhebung des KP-Verbots zugelassen, deshalb gibt es noch liberale Fernsehsendungen und deshalb können es sich einige Organisationen noch leisten, sich nicht für so einfältig zu halten, wie sie es sind.

Der Legalitätsspielraum, den der Reformismus bietet, ist die Antwort des Ka- pitals auf die Attacken der Studentenbewegung und der Apo – solange man sich die reformistische Antwort leisten kann, ist sie die effektivere. Auf diese Legalität zu setzen, sich auf sie verlassen, sie metaphysisch verlängern, sie statistisch hoch- rechnen, sie nur verteidigen wollen, heißt, die Fehler der Strategie der Selbstver- teidigungszonen in Lateinamerika wiederholen, nichts gelernt zu haben, der Re- aktion Zeit zu lassen, sich zu formieren, zu reorganisieren, bis sie die Linke nicht illegalisiert, sondern zerschlägt.

Willy Weyer41 macht eben nicht auf Toleranz, sondern macht Manöver und setzt der Kritik der liberalen Presse, daß er mit seinen Alkoholkontrollen alle Au- tofahrer zu potentiellen Straftätern macht, nur frech entgegen: »Wir machen wei- ter!« – womit er der liberalen Öffentlichkeit ihre Bedeutungslosigkeit nachweist.

Eduard Zimmermann macht ein ganzes Volk zu Polizisten, der Springerkonzern hat die Berliner Polizeiführung gemacht, BZ-Kolumnist Reer schreibt den Berli- ner Haftrichtern die Haftbefehle vor. Die Massenmobilisierung im Sinn von Fa- schismus, von Durchgreifen, von Todesstrafe, von Schlagkraft, von Einsatz findet statt – der New Look, den die Brandt/Heinemann/Scheel-Administration der Po- litik in Bonn gegeben hat, ist die Fassade dazu.

Die Genossen, die mit der Frage von Legalität und Illegalität so oberflächlich umgehen, haben offenbar auch die Amnestie42 in den falschen Hals gekriegt, mit der der Studentenbewegung noch nachträglich der Zahn gezogen worden ist. In- dem man die Kriminalisierung hunderter von Studenten aufhob, kamen diese mit dem Schrecken davon, wurde weiterer Radikalisierung vorgebeugt, wurden sie energisch daran erinnert, was die Privilegien bürgerlichen Studentenseins wert sind, trotz Wissenschaftsfabrik Universität, der soziale Aufstieg. So wurde die Klassenschranke zwischen ihnen und dem Proletariat wieder aufgerichtet, zwi- schen ihrem privilegierten Alltag als Studium und dem Alltag des Akkordarbeiters, der Akkordarbeiterin, die nicht amnestiert wurden vom gleichen Klassenfeind. So blieb einmal mehr die Theorie von der Praxis getrennt. Die Rechnung: Amnestie gleich Befriedung ging auf.

Die sozialdemokratische Wählerinitiative von einigen honorablen Schriftstel- lern – nicht nur dem abgefuckten Grass43 – als Versuch positiver, demokratischer Mobilisierung, als Abwehr also von Faschismus gemeint und deshalb zu beachten, verwechselt die Wirklichkeit von einigen Verlagen und Redaktionen in Funk- und Fernsehanstalten, die der Rationalität der Monopole noch nicht unterworfen sind, die als Überbau nachhinken, mit dem Ganzen der politischen Wirklichkeit. Die Bereiche verschärfter Repression sind nicht die, mit denen ein Schriftsteller es zu- erst zu tun hat: Gefängnisse, Klassenjustiz, Akkordhetze, Arbeitsunfälle, Konsum auf Raten, Schule, Bild und BZ, die Wohnkasernen der Vorstädte, Ausländerghet- tos – das alles kriegen Schriftsteller höchstens ästhetisch mit, politisch nicht.

Legalität ist die Ideologie des Parlamentarismus, der Sozialpartnerschaft, der pluralistischen Gesellschaft. Sie wird zum Fetisch, wenn die, die darauf pochen, ignorieren, daß Telefone legal abgehört werden, Post legal kontrolliert, Nachbarn legal befragt, Denunzianten legal bezahlt, daß legal observiert wird – daß die Or- ganisierung von politischer Arbeit, wenn sie dem Zugriff der politischen Polizei nicht permanent ausgesetzt sein will, gleichzeitig legal und illegal zu sein hat.

Wir setzen nicht auf die spontane antifaschistische Mobilisierung durch Terror und Faschismus selbst und halten Legalität nicht nur für Korrumpierung und wis- sen, daß unsere Arbeit Vorwände liefert, wie der Alkohol für Willy Weyer und die

steigende Kriminalität für Strauß und die Ostpolitik für Barzel und das Rotlicht an der Ampel, das der Jugoslawe überfuhr, für die Frankfurter Taxifahrer und der Griff in die Tasche für den Mörder des Autodiebs in Berlin. Und für noch mehr Vorwand, weil wir Kommunisten sind und es davon, ob die Kommunisten sich or- ganisieren und kämpfen, abhängt, ob Terror und Repression nur Angst und Resi- gnation bewirken oder Widerstand und Klassenhaß und Solidarität provozieren, ob das hier alles so glatt im Sinn des Imperialismus über die Bühne geht oder nicht. Weil es davon abhängt, ob die Kommunisten so einfältig sind, alles mit sich machen zu lassen oder die Legalität u.a. dazu benutzen, die Illegalität zu organi- sieren, statt das eine vor dem anderen zu fetischisieren.

Das Schicksal der Black Panther Partei und das Schicksal der Gauche Proleta- rienne44 dürfte auf jener Fehleinschätzung basieren, die den tatsächlichen Wider- spruch zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit und dessen Verschär- fung, wenn Widerstand organisiert in Erscheinung tritt, nicht realisiert. Die nicht realisiert, daß sich die Bedingungen der Legalität durch aktiven Widerstand not- wendigerweise verändern und daß es deshalb notwendig ist, die Legalität gleich- zeitig für den politischen Kampf und für die Organisierung von Illegalität auszu- nutzen und daß es falsch ist, auf die Illegalisierung als Schicksalsschlag durch das System zu warten, weil Illegalisierung dann gleich Zerschlagung ist und das dann die Rechnung ist, die aufgeht.

Die Rote Armee Fraktion organisiert die Illegalität als Offensiv-Position für revolutionäre Intervention.

Stadtguerilla machen heißt, den antiimperialistischen Kampf offensiv führen. Die Rote Armee Fraktion stellt die Verbindung her zwischen legalem und illega- lem Kampf, zwischen nationalem und internationalem Kampf, zwischen politi- schem und bewaffnetem Kampf, zwischen der strategischen und der taktischen Bestimmung der internationalen kommunistischen Bewegung. Stadtguerilla heißt, trotz der Schwäche der revolutionären Kräfte in der Bundesrepublik und Westberlin hier und jetzt revolutionär intervenieren!

»Entweder sie sind ein Teil des Problems oder sie sind ein Teil der Lösung. Dazwischen gibt es nichts. Die Scheiße ist seit Dekaden und Generationen von al- len Seiten untersucht und begutachtet worden. Ich bin lediglich der Meinung, daß das meiste, was in diesem Land vor sich geht, nicht länger analysiert zu werden braucht« – sagt Cleaver45.

Den bewaffneten Kampf unterstützen! Sieg im Volkskrieg!

RAF April 1971

Nach oben scrollen