Der aktuell gefräßige Nihilismus, der sowohl die kritik als auch das Schweigen in einen lebenden leichnam überführt.

Die Simulation (re)produziert Realität damit in einer spezifischen Weise der Überdrehung, aber auch der Verdrehung, und integriert die beiden Momente in sich fast ununterscheidbar, wobei ständig ein Übermaß an Realität und damit an Fettleibigkeit entsteht: »Es ist das Zuviel an Realität, welches bewirkt, daß man nicht mehr daran glaubt. Sättigung der Welt, technische Sättigung des Lebens, Exzeß der Möglichkeiten, der Erzeugung von Bedürfnissen und Wünschen. […] Das Reale wird durch seine eigene Anhäufung erstickt. Vorbei die Möglichkeit, daß der Traum Ausdruck eines Wunsches sein könnte, ist doch seine virtuelle Umsetzung bereits da« (Baudrillard 2004: 15). Wenn das Reale verschwindet, dann nicht, weil es fehlt – im Gegenteil, es gibt zu viel Realität (des Realen). Es ist das Übermaß an Wirklichkeit, das der Wirklichkeit ein Ende setzt.  Das Reale als Realität wächst und wächst; eines Tages wird alles real sein; und wenn das Reale universal ist, wird das den Tod des Realen (als schwarz und offen) bedeuten. Bis dahin halten wir uns an die Virtualität unseres Sterbens. Die Fettleibigkeit ist eine Figur der Obszönität. Als Wucherung und als Sättigung eines grenzenlosen Raums kann die Fettleibigkeit als eine allgemeine Metapher für unsere Informations-, Kommunikations-, Produktions- und Gedächtnissysteme dienen. Der ekstatische Fluss von Bildern, Geräuschen und Videos erzeugt kein weißes Rauschen mit chaotischen Qualitäten, sondern ein schwarzes Rauschen von gedämpften Objekten, die an den Rändern der menschlichen Aufmerksamkeit schweben. Die dadurch verabreichten Informationen dürfen nicht tief in das bereits notierte Gewebe des alltäglichen Bewusstseins schneiden, sondern müssen schnell und entschieden schneiden, um eine Veränderung einzuführen, die eine Lücke in einer schnell verschwimmenden und nur teilweise aktiven Aufmerksamkeit öffnet und wieder schließt. Die Modulation der Information erfolgt in diskreten Paketen bzw. in Quanten, die für die Wahrnehmung einen Modus der Ablenkung oder eine wandernde Aufmerksamkeit erfordern, eine Zeit, die durch ein Prinzip des kontinuierlichen Funktionierens definiert ist. Die Technizität des globalen Ablenkungsapparats, der zur Ultra-Übersättigung führt, inszeniert andauernd ein Strom von Infos (Bilder, Zeichen, Videos, Muzak) etc., indem ein Info das nächste Info ereignislos ablöst, sodass die Wahrnehmung in den nächsten Moment hineingesogen wird, ohne jedes Aufsehen zu erregen, und dann in den nächsten, und den nächsten, und so weiter und so fort.[1] Wenn die Hauptfunktion des Bewusstseins nicht im Erinnern, sondern im Vergessen liegt, soll nun aber wirklich alles vergessen werden. Aber selbst noch das Vergessen soll vergessen werden;  es herrscht eine ohrenbetäubende und aufgeregte Langeweile, die wie ein Amphetamin und ein Tranquilizer zugleich wirkt. Die dem entgegenwirkende Vervielfältigung der Lebensstile bezeugt nichts als die Möglichkeit der Möglichkeiten, die Einbildung eines Überschusses und führt zur Abreaktion in einem Fluchttunnel, der von nirgendwo nach nirgendwo führt. Die Hyper-Kommunikation endet nicht im Schweigen – stattdessen geht sie in das Kommunkativere als das Komunikative über: Obszönität. Während man mit jedem noch so kritischen Einwurf das System nur noch weiter füttert und mobilisiert, erscheint jedes Schweigen als eines, das lediglich von der Information hypnotisiert ist. Allein der Terrorismus zielt für Baudrillard nicht darauf ab, etwas zum Sprechen zu bringen, vielmehr ersetzt er die weiß-schwarze Magie der sozialen Abstraktion und der Dumpfheit durch die ultra-schwarze Magie einer noch größeren, anonymeren, willkürlicheren und gefährlicheren Abstraktion: die des terroristischen Akts.


Aus dem kommenende Buch: Das Delirium der Simulation: Baudrillard revisited.

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