Die Raumwirtschaft der kapitalistischen Produktion

VII GRUNDRENTE, ZINS, STEUERN UND UNTERNEHMENSPROFITE ALS REGULATOREN BEI DER SCHAFFUNG RÄUMLICHER STRUKTUREN

Unsere vorangegangenen Bemerkungen deuteten an, daß die Kapitalzirkulation zwangsläufig in oft grundverschiedene Zirkulationsformen zerfällt. In der Tat unterscheidet sich die Kapitalzirkulation in der gebauten Umwelt oder im Erziehungssystem grundlegend von der gewöhnlichen Zirkulation in der Warenproduktion. Daher sind offensichtlich Mechanismen erforderlich, die diese divergierenden und ungleichen Bewegungen koordinieren. Kapitalströme in verschiedene Industriebranchen mit unterschiedlichen Umschlagszeiten, in die Betätigungsfelder von Kaufleuten und Bauunternehmen, in das Erziehungs-, Gesundheits- und Wohnungswesen oder in die Errichtung eines Transport- und Kommunikationssystems müssen irgendwie miteinander koordiniert werden, wenn die Beziehungen zwischen Produktion und Konsumtion, zwischen Produktion von Mehrwert und seiner Verteilung und Realisierung nicht völlig aus dem Gleichgewicht geraten sollen. Darüberhinaus müssen diese Koordinationsmaßnahmen die räumlichen Muster des Kapitalflusses zu einer gewissen rationalen Struktur, die mit den Gesamterfordernissen von Akkumulation und gesellschaftlicher Reproduktion in Einklang steht, integrieren.Die im Kapitalismus ersonnenen Vorkehrungen für die Distribution leisten – allerdings in widerspruchsvoller Weise – diese notwendigen Koordinationen. Sie gehen von der grundlegenden Trennung zwischen variablem Kapital (das als Lohn zirkuliert) und Mehrwert, der der Bourgeoisie zufällt, aus. Letzterer spaltet sich auf in Zins, Rente, Steuer und Unternehmensprofit (sowohl in der Industrie als auch im Handel). Es kommen jetzt sekundäre Aneignungsformen hinzu, weil Rente, Zins und Steuer sowohl bei den Löhnen als auch bei der bürgerlichen Konsumtion abgeschöpft werden können. Produktion, Distribution und Realisierung können folglich als unterschiedliche “Momente” eines die Zirkulation von Kapital und Revenuen umfassenden Gesamtzusammenhangs angesehen werden. Wenn die Wertproduktion in kapitalistischen Unternehmen stattfindet, bleibt nur noch das hinter der Aufteilung in Rente, Zins und Steuer stehende Prinzip zu erklären.

1. Grundrente
Der Bodenpreis wird für den Besitzanspruch auf einen Teil zukünftiger Mehrwertproduktion gezahlt. Er ist ein Anspruch auf zukünftige Arbeit. Der Anspruch beruht auf der Möglichkeit des Grundeigentümers, sich Grundrente anzueignen kraft der Monopolprivilegien, die aus dem Privateigentum am Boden resultieren. Warum toleriert der Kapitalismus die Fortdauer solch “feudaler” Privilegien?

Wenn die Grundeigentümer Extraprofite oder höhere Löhne, die auf einem permanenten Standortvorteil beruhen, abschöpfen, dann dient die Grundrente einfach dazu, die Unternehmensprofite und die Löhne anderen Standorten anzugleichen. Das Kapital ist dann gezwungen, relativen Mehrwert durch technologischen Wandel anzustreben, und Kapital und Arbeit werden wieder direktere Formen des Klassenkampfes aufgezwungen. Die Aneignung der Grundrente erscheint durchaus harmlos und sogar im Hinblick auf eine
Standardisierung der zeitlichen Akkumulationsdynamik an den verschiedenen Standorten positiv.

Aber die Muster der Standortvorteile unterliegen ständigen Veränderungen (aus Gründen, die bereits oben genannt worden sind). Und da der Bodenpreis einen Anspruch auf zukünftige Einnahmen, die notwendigerweise zukünftige Arbeit voraussetzen, darstellt, tritt stets ein spekulatives Element hinzu. Der Boden wird zu einer Form des fiktiven Kapitals (diese Kategorie wird verwendet, wenn z.B. Eigentumstitel als Ansprüche auf zukünftige Unternehmensprofite, Regierungsobligationen als Ansprüche auf zukünftige Steuergelder usw. gehandelt werden).

Aber der Boden kann nur dann zu einer Form des fiktiven Kapitals werden, wenn er wie ein rein finanzieller Vermögenswert verwendet und frei gehandelt wird. Das Ergebnis ist, daß die Grundrente zu einer Art Zins wird. Aber während die Zinsrate den Zeithorizont des Kapitalflusses bestimmt, hat die Grundrente mit Standorteigenschaften zu tun, denn sie spiegelt die geographischen Horizonte und die räumliche Intensität der Kapitalzirkulation und der Zirkulation der Revenuen wider. Doch sowohl Grundrente als auch Zins werden der allgemeinen Ordnung des Kreditsystems untergeordnet. Raum und Zeit werden auf eine einzige gesellschaftliche Größe reduziert – den Zinssatz.

Im Endeffekt koordiniert die Zirkulation des zinstragenden Kapitals auf dem Bodenmarkt die zukünftige Bodennutzung mit den antizipierten Formen zukünftiger Mehrwertproduktion. Der Boden unterliegt dadurch dem Zwang zu “höchsten und besten” Nutzungsformen. Der Bodenmarkt wird für das Überleben des Kapitalismus zur gesellschaftlichen Notwendigkeit. Er bestimmt die Allokation von Kapital und Arbeit, legt den Standort der zukünftigen Produktion, des Handels und der Konsumtion fest, steuert über den Standort die Wahl der angewendeten Technologien, gestaltet die gesellschaftliche Arbeitsteilung im Raum und strukturiert ihn gemäß den Prozessen der disaggregierten gesellschaftlichen Reproduktion. Die Aneignung der Grundrente, der Bodenpreis und das Streben nach neuen räumlichen Konfigurationen werden zu “aktiven Momenten” der Kapitalakkumulation. Die Privilegien des privaten Grundeigentums dürfen weiterbestehen, da die Produktion räumlicher Konfigurationen hauptsächlich über den Bodenmarktmechanismus mit den Bedürfnissen des Kapitalismus koordiniert werden kann.

Solche Koordinationen sind nicht unproblematisch. Zunächst nährt die Aneignung der Grundrente den Fetischglauben, daß der Boden und der Standort selbst Werte produzierten, also Produktions”faktoren” seien. Die Behandlung des Bodens als reinen Vermögenswert setzt diesen aber allen Instabilitäten und Widersprüchen aus, die dem Kapitalismus eigen sind.

Was als eine vernünftige und nüchterne Einrichtung zur Koordination der Landnutzung mit zukünftiger Mehrwertproduktion und -realisierung erscheint, kann sich daher schnell in einen Alptraum von Inkohärenz und periodischen Orgien verrückter Spekulation auflösen.

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Foto: Bernhard Weber

 

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