Ein zartes Pflänzchen Hoffnung wächst aus dem maroden System Albaniens

Lëvizja BASHKË

Ein neuer Stern am Himmel der Albanischen Parteienlandschaft versprüht Funken von Hoffnung auf politischen Wandel von links. In einem Land, in dem immer noch alles, was sich als links, marxistisch oder antikapitalistisch bezeichnet, mit dem totalitären, stalinistischem Regime (1944-1990) konnotiert wird, ist diese Partei-Neugründung aus einer Organisation, die die letzten zwölf Jahre maßgeblich in die sozialen Bewegungen involviert war, überaus beachtlich. Selbst die den politischen Eliten treuen und den Oligarchen zuzurechnenden Leitmedien sprechen von einer ernsthaften Opposition, die sich in Albanien bilden könnte.

Aus dem Stand erreichte die neu gegründete linke Partei Lëvizja BASHKË (Bewegung Zusammen) bei den Kommunalwahlen in Tirana 4,8% für ihren Bürgermeisterkandidaten, ist damit drittstärkste Kraft in der Hauptstadt, und wird mit einer Abgeordneten in den Gemeinderat einziehen. Aus westlicher Sicht mögen diese Zahlen niemanden vom Hocker reißen. In dem Post-Sozialistischen Staat, der dreißig Jahre in einem klientelistischen Zwei-Parteien-System regiert und wirtschaftlich von mafiösen Strukturen und Oligarchen zersetzt wurde und darüber hinaus wie kaum ein anderes Europäisches Land unter Arbeits-Emigration leidet, ist diese Ergebnis allemal bemerkenswert und könnte bestätigen, dass in Süd-Ost-Europa allmählich politische Potenziale freigesetzt werden, welche in den Gesellschaften nach dem Zusammenbruch des sogenannten Ostblocks komplett verschüttet gewesen zu sein schienen.

Wir dokumentieren hier ein aus dem französischen übertragenes Interview mit dem Spitzenkandidaten Arlind Qori, veröffentlicht eine Woche vor den Wahlen auf contretemps: https://www.contretemps.eu/elections-albanie-mouvement-bashke-arlind-qori/

Wahlen in Albanien: Die BASHKË-Bewegung will dazu beitragen, einen Anti-Sytem-Block zu bilden.

Die neue linke Partei Lëvizja BASHKË (BEWEGUNG ZUSAMMEN) tritt am 14. Mai bei den Kommunalwahlen in Tirana, Albanien, an. Die Partei wurde im Dezember 2022 von Aktivist*innen der Organizata Politike gegründet und will eine neue Linke aufbauen, die in direkter Verbindung mit Gewerkschaften und sozialen Bewegungen für soziale Gerechtigkeit kämpft. Wir führten ein Interview mit Arlind Qori, ihrem Sprecher und Kandidaten für die Kommunalwahlen. 

I) DIE PARTEI

SM: Lëvizja BASHKË wurde im März 2023 gegründet und ist aus der Umwandlung von Organizata Politike in eine politische Partei hervorgegangen. Worin bestand die Notwendigkeit die Organizata Politike weiterzuentwickeln und eine neue politische Partei zu schaffen?

Die Gründung der BASHKË-Bewegung ist die logische Schlussfolgerung der Entwicklung der Organizata Politike und der Herausbildung der politischen und gesellschaftlichen Bedingungen in Albanien. In den letzten dreißig Jahren hat sich Albanien in ein “Paradies” für neoliberale Politik und den Prozess der Akkumulation durch Enteignung verwandelt. Massenprivatisierungen, Deindustrialisierung und Peripherisierung der nationalen Wirtschaftsstruktur gingen mit dem Aufstieg zweier großer klientelistischer Parteien (der Sozialistischen Partei und der Demokratischen Partei) an die Macht einher, die sich drei Jahrzehnte lang gegenseitig ablösten.  Im Laufe der Jahre haben sich die sozialen Widersprüche verschärft. Von Zeit zu Zeit erlebten sie Formen der Beruhigung durch kurzlebige Auswege/Teillösungen wie die Massenauswanderung. Vor diesem historischen Hintergrund beschloss die 2011 gegründete Organizata Politike, die seit 12 Jahren mit den Mitteln der direkten Aktion und durch die Organisierung von Arbeiter*innen und Studierenden agiert, sich in eine politische Partei umzuwandeln. Die sich verschärfende Legitimitätskrise der alten Parteien, die akute Wirtschaftskrise, die das Land im letzten Jahr erlebte, und die allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung schufen günstige Bedingungen für die Gründung einer neuen linken und demokratischen politischen Kraft wie Lëvizja Bashkë. Durch die Bewegung BASHKË wollen wir unseren politischen Aktivismus auf den Kampf innerhalb der Institutionen ausdehnen und versuchen, dort die Interessen und Rechte der subalternen Klassen bestmöglich zu vertreten.

SM: Seit mehreren Jahrzehnten befinden sich traditionelle Formen von Parteistrukturen in einer Krise. Die allgemeine Ablehnung dieser als zu bürokratisch empfundenen Strukturen hat zur Entstehung neuer politischer Organisationsformen vom Typ “Bewegung” geführt (in Frankreich kann man als Beispiel das “France Insoumise” heranziehen). Diese neuen Strukturen sind jedoch auf neue Schwierigkeiten gestoßen: die Unmöglichkeit, dezentralisierte Strukturen aufzubauen, die über Wahlmomente hinaus Bestand haben, die Identifikation der Bewegung mit der Figur des Anführers und das Fehlen interner Demokratie. Welches Modell interner Organisation und Strukturierung habt ihr in der BASHKËBewegung?

Lëvizja Bashkë  ist wie eine wirklich demokratische Partei aufgebaut. Unsere interne Charta verbindet Elemente repräsentativer Demokratie mit direktdemokratischen. Wir sind dem Geist der Kollegialität verpflichtet nicht dem eines unbestrittenen Führers. Das bedeutet konkret, dass in unserer Satzung der Präsident eine symbolische Rolle spielt, da die wichtigsten Entscheidungsinstanzen der Koordinierungsrat (vom Kongress gewählt) und das Sekretariat (vom Koordinierungsrat gewählt, in dem hat der Präsident wie die anderen acht Mitglieder eine einzige Stimme) sind. Vorsitzende werden durch Abstimmung der Parteimitglieder gewählt und haben wie alle anderen Vertreter*innen eine Amtszeit von zwei Jahren. Die Parteimitglieder können jederzeit Verfahren einleiten, um die Absetzung der Vorsitzenden sowie der übrigen Vertreter*innen zu beantragen. Die gleiche Logik der demokratischen Organisation gilt für alle Instanzen der Partei. Darüber hinaus ist in unseren internen Strukturen ein besonderer Platz für Vertreter*innen von “Schwesterorganisationen” reserviert, mit denen wir eine systematische Zusammenarbeit pflegen, wie z. B. Gewerkschaften und Studierendenorganisationen. Ihre Vertreter*innen haben reservierte Sitze in den Führungsgremien der Partei und auf den Listen, die wir bei Kommunal- und Parlamentswahlen aufstellen. Dadurch glauben wir, dass wir die beste Tradition der Parteistrukturen der modernen Linken geerbt haben, indem wir eine offene und fruchtbare Beziehung zu den Vertreter*innen der sozialen Bewegungen pflegen, zu denen wir bis zum Zeitpunkt der Gründung von Lëvizja Bashkë gehörten.

SM: Wie ist die BASHKËBewegung soziologisch zusammengesetzt? Welche gesellschaftlichen Gruppen sprecht Ihr an und versucht, sie zu integrieren?

Lëvizja Bashkë will die Rechte und Interessen der subalternen Klassen vertreten. In erster Linie sind das die Arbeitenden. Im Albanien der letzten drei Jahrzehnte hat keine politische Partei versucht, die Arbeiter*innen zu organisieren oder sie zumindest in ihren politischen Diskurs zu integrieren. 
Wir betrachten die Frage der Arbeit als vorrangig und die Arbeitnehmer*innen sind die gesellschhaftlichen Schlüsselfiguren eines sozialen und politischen Transformationsprozesses mit emanzipatorischem Ziel. Darüber hinaus halten wir die Fragen von Jugendlichen, Frauen, Rentner*innen, Arbeitslosen, Kleinunternehmer*innen und ethnischen Minderheiten für ebenso wichtig. In diesem Sinne möchten wir zur Bildung eines sozialen Anti-System-Blocks beitragen, der sich gegen die neoliberale Politik insgesamt wendet und für Arbeitsrechte, soziale Gerechtigkeit und Geschlechteremanzipation kämpft.

(II) DIE KANDIDATUR FÜR DEN GEMEINDERAT VON TIRANA

SM: Am 14. März 2023 reichte die BASHKË-Bewegung ihre offizielle Kandidatur für die Kommunalwahlen ein, die am 14. Mai in Tirana stattfinden werden. Während des Registrierungsprozesses für die Wahlen wart Ihr mit unzähligen administrativen Schwierigkeiten und Hindernissen konfrontiert, die zum Teil illegal waren. Können Sie kurz auf diese Episode eingehen? 

Lëvizja Bashkë reichte beim Verwaltungsgericht in Tirana die Dokumente ein, die für ihre rechtliche Anerkennung am 9. Januar 2023 erforderlich waren. Gemäß dem albanischen Gesetz hatte das Gericht eine gesetzliche Frist von 30 Tagen, um uns zu antworten und die administrative Registrierung der Partei vorzunehmen. Dennoch verzögerte das Gericht unter Verletzung des Gesetzes die Registrierung um 50 Tage, was es der Wahlkommission ermöglichte, unseren Antrag auf Registrierung für die Kommunalwahlen am 14. Mai abzulehnen. Nur dank der Unterstützung der Bevölkerung und der Anerkennung der Fakten des Gesetzesverstoßes durch das höchste albanische Wahlgericht konnten wir uns erfolgreich zur Wahl stellen. Wir glauben, dass diese Hindernisse und Verzögerungen die Angst der Regierung vor dem politischen Potenzial von Lëvizja Bashkë widerspiegeln, das wir aufgrund unsrer Bestrebung haben, die Rechte einer breiten gesellschaftlichen Pluralität zu vertreten und zu verteidigen.

SM: Mit welchen Problemen werden Sie sich auseinandersetzen müssen, wenn Sie das Amt des Stadtoberhaupts von Tirana übernehmen? Wie sieht das Programm der BASHKE-Bewegung zur Umgestaltung der Stadt aus?

Infolge eines frenetischen Prozesses der Akkumulation durch Enteignung hat sich Tirana in eine unbewohnbare Stadt verwandelt. Die Bauindustrie – die von der lokalen Oligarchie kontrolliert und teils von kriminellen Clans finanziert wird – hat sich Parks, Sportplätze und Kinderspielplätze angeeignet und öffentlichen Grund und Boden privatisiert, um riesige Geschäftshochhäuser zu bauen. Infolgedessen ist Tirana heute eine der am stärksten verschmutzten Städte Europas, in der es die wenigsten Grünflächen gibt. Ein weiteres Problem ist der Zugang zu Wohnraum. Trotz der großen Menge an neuen Wohnungen, die in den letzten Jahren in Tirana gebaut wurden, sind die Immobilienpreise nach wie vor sehr hoch und machen das Wohnen selbst für die Mittelschicht unerschwinglich. Ein großer Teil der neu gebauten Wohnungen wird von kriminellen Clans, korrupten Beamten oder Spekulanten aufgekauft, die auf einen unbegrenzten Anstieg der Immobilienpreise hoffen. Drittens ist Tirana mit einem privatisierten und weitgehend heruntergekommenen öffentlichen Verkehrssystem konfrontiert. Die privaten Busunternehmen bieten einen schlechten, teuren und ungewöhnlich langsamen Service an – letzteres ist auch das Ergebnis einer fehlenden Mobilitätsplanung, die das Busfahren fördert. Tirana leidet auch unter dem Mangel an sauberem Trinkwasser. Leitungswasser ist gesundheitsschädlich, weshalb die Einwohner Tiranas gezwungen sind, Wasser von privaten Unternehmen zu konsumieren. Schließlich muss sich Tirana mit einem Bildungssystem auseinandersetzen, das große Lücken aufweist. Da es nicht genügend Lehrkräfte gibt, muss der Unterricht im Relaissystem (ein Teil der Schüler*innen hat vormittags, der andere Teil nachmittags Schule) abgehalten werden, während außerschulische Aktivitäten völlig fehlen. 
Lëvizja Bashkë hat ein Transformationsprogramm für Tirana entwickelt, das alle diese Probleme angehen soll. Durch den Aufbau einer korruptionsfreien Verwaltung, die Abschaffung unnötiger öffentlicher Ausgaben und die Einführung einer progressiven Steuerpolitik könnte Tirana in eine Stadt mit mehr Parks und Sportplätzen, sauberem Trinkwasser für alle, einem hochwertigen öffentlichen Nahverkehr, der von einer öffentlichen Einrichtung betrieben und von den Bürgern kontrolliert wird, mehr als 20 neuen Schulen und zahlreichen Kulturzentren sowie einem öffentlichen Unternehmen, das den Bau von preisgünstigem Wohnraum für die Bürger garantiert, umgewandelt werden.

SM: Derzeit konzentriert sich die Wirtschaft Tiranas auf nicht-produktive Sektoren (wie Immobilien, Dienstleistungen, Tourismus). Welches Entwicklungsmodell schlägt die BASHKË-Bewegung für Tirana vor? Welche produktiven Sektoren haben ein Entwicklungspotenzial?

Tirana sollte seine komparativen dynamischen Vorteile nutzen, d. h. Ressourcen, über die es heute vielleicht noch nicht verfügt, die aber in naher Zukunft durch Wirtschaftsplanung geschaffen werden könnten. Wenn Tirana heute in Bildung, Freizeitaktivitäten für die Jugend investieren würde, hätte es das Potenzial, sich morgen in ein regionales Exzellenzzentrum in den Bereichen Ingenieurwesen, Medizin usw. zu verwandeln. Ebenso könnte sich der Dienstleistungssektor weiterentwickeln und komplexere Dienstleistungen anbieten. Ein weiterer Sektor mit großem Potenzial ist die verarbeitende Wirtschaft – zunächst die Textilindustrie, die heute nur in den schwächsten Gliedern der internationalen Produktionskette tätig ist, dann die Landwirtschaft, die Lebensmittelindustrie und der Agrotourismus, die das Potenzial hätten, sich zu entwickeln, wenn die Regierung in die landwirtschaftliche und Straßeninfrastruktur in den ländlichen Gebieten rund um Tirana investieren würde. Wenn Tirana nach den Grundsätzen der nachhaltigen Entwicklung und der demokratischen Bürgerbeteiligung regiert würde, könnte es seine öffentlichen und administrativen Dienstleistungen in komplexere Dienstleistungen umwandeln, es könnte ein reiches kulturelles Leben haben, das teilweise mit seiner wirtschaftlichen Entwicklung verbunden ist.

SM: Auf welche Wählerschaft zielt die BASHKË-Bewegung ab? Welche Kommunikationsformen und -mittel habt Ihr gewählt, um Euch an Eure Wähler zu wenden? Welche Argumente verwendet Ihr, um sie davon zu überzeugen, die BASHKË-Bewegung zu wählen?

Wir bitten um die Unterstützung benachteiligter Klassen und sozialer Gruppen. Unsere Hoffnungen richten sich auf Arbeiter*innen, Jugendliche, Rentner*innen, Frauen, mittlere Führungskräfte, Geschäftsleute etc. Da wir von Anfang an benachteiligt und von den großen Medien ausgeschlossen wurden, haben wir uns dafür entschieden, direkt auf die Bürger zuzugehen, indem wir von Tür zu Tür gehen und an den neuralgischen Punkten der Stadt (Hauptstraßen, Märkte usw.) präsent sind. Schließlich haben wir uns dafür entschieden, uns sehr aktiv in sozialen Netzwerken einzubringen, obwohl einige von ihnen den Zugang durch Nutzungsgebühren eingeschränkt haben.  
Wir bitten die Einwohner von Tirana, uns ihre Stimme anzuvertrauen – nicht nur ihre Stimme, sondern auch ihre aktive Unterstützung, indem wir zeigen, dass wir 12 Jahre lang Stabilität und politischen Mut bewiesen haben. Wir haben die Wirtschaftsoligarchen und korrupten Regierungen angegriffen und die Rechte der Arbeiter*innen und einfachen Leute kompromisslos verteidigt. Wir unterstreichen gleichermassen unsere Unbestechlichkeit wie unser Mobilisierungspotenzial, das sich territorial von Tag zu Tag ausweitet.

(III) POLITISCHES PROGRAMM UND ZIELE AUF NATIONALER EBENE.

SM: Wie sieht das politische Programm der BASHKË-Bewegung auf nationaler Ebene aus?

Unser politisches Manifest stellt eine Synthese unserer Ideen für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, die Demokratisierung sozialer Institutionen und Einrichtungen, die Emanzipation der Geschlechter, den Schutz der Umwelt und eine Außenpolitik dar, die auf Solidarität und Frieden zwischen den Völkern basiert. Obwohl wir der Frage der Arbeit und der Arbeiter*innen eine zentrale Rolle zuweisen, sind wir der Ansicht, dass diese direkt mit dem Schicksal anderer benachteiligter sozialer Gruppen verbunden ist.

SM: Welches Entwicklungsmodell schlägt die BASHKË-Bewegung angesichts der Wirtschaftskrise und Massenauswanderung vor, welche Albanien seit mehreren Jahren betrifft?

Albanien sollte seine wirtschaftliche Entwicklung wieder auf die Produktion ausrichten, auf eine Produktion, die allmählich komplexer wird, mehr Wert erzeugt und gleichzeitig die Achtung der Arbeitnehmerrechte und die direkte Beteiligung der Arbeitnehmer*innen an der Entscheidungsfindung am Arbeitsplatz sicherstellt. Das derzeitige Entwicklungsmodell, das auf Akkumulation durch Enteignung und Geld des organisierten Verbrechens beruht, kann nicht fortbestehen. Dieses Modell produziert unweigerlich Arbeitslosigkeit, Outsourcing, extrem niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und damit das Fehlen einer Perspektive für die Zukunft. Aus diesem Grund entscheiden sich jedes Jahr Tausende von jungen Menschen, Albanien zu verlassen. Eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft sind Vorbedingungen für einen wechselseitigen Befruchtung.

SM: Welche Verbindungen habt Ihr zu den Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft?

Bevor Organizata Politike (Vorläuferin und Gründerin der Lëvizja Bashkë) eine Zusammenarbeit mit Arbeitnehmern aus verschiedenen Sektoren aufnahm, um neue unabhängige Gewerkschaften zu gründen, war das Gewerkschaftsleben in Albanien zum Stillstand gekommen. Die alten Gewerkschaften sind verkümmert, ohne demokratische Mitgliedschaft und ohne wirkliche Aktivitäten an der Basis. Sie bleiben die Hochburgen ihrer Vorsitzenden, treue Klientel der politischen Parteien und sind den Bossen der Großunternehmen völlig unterworfen. Mit unserer politischen, juristischen und organisatorischen Unterstützung für die Beschäftigten wurden in den letzten Jahren vier neue unabhängige und demokratische Gewerkschaften im Bergbau-, Öl- und Textilsektor sowie in den Callcentern gegründet. Wir hatten mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, da die Bosse der Privatunternehmen absolute Macht haben und die Regierung zu einem leicht korrumpierbaren Instrument in ihren Händen degradiert wurde. Dennoch haben es diese neuen Gewerkschaften geschafft, Fortschritte zu machen und einige beachtliche Siege zu erringen. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen und der Zusammenarbeit mit diesen neuen Gewerkschaften beschlossen wir gemeinsam die Gründung der Lëvizja Bashkë. Einige ihrer Vertreter*innen kandidieren heute für den Stadtrat von Tirana. Ähnliche Erfahrungen teilen wir mit Studierendenorganisationen wie der Bewegung für die Universität oder mit Kollektiven, die für Frauenrechte, Umweltgerechtigkeit usw. kämpfen.

SM: Glaubt Ihr, dass eine politische Partei allein dem korrupten und oligarchischen System, das sich in den letzten Jahrzehnten in Albanien etabliert hat, etwas entgegensetzen könnte? Was wären Ihrer Meinung nach die politischen und sozialen Bedingungen, die es der BASHKË-Bewegung ermöglichen würden, ihre politischen Ziele zu erreichen?

Die politischen und sozialen Bedingungen für einen Wandel sind bereits vorhanden. Albanien befindet sich in einer dreifachen Krise. Wirtschaftlich, weil das Wachstum weiterhin sehr gering ist, während die Inflation mit der Arbeitslosigkeit steigt. Politisch, da die alten Parteien jegliche Legitimität verloren haben und sich nur durch Erpressung und Klientelbeziehungen an der Macht halten. Ideologisch, weil der Neoliberalismus als vorherrschende Doktrin seine Hegemonie unter den sozialen Massen verloren hat, die von den Massenprivatisierungen und der Verschlechterung der öffentlichen Dienstleistungen enttäuscht sind. Unter diesen Umständen ist Lëvizja Bashkë eine strategische Intervention in einem politischen Kontext, der zunehmend fruchtbar wird. Natürlich bedeutet das nicht, dass eine Wahlrunde ausreichen würde, um Albanien umzugestalten. Aber es besteht die Möglichkeit, dass sich Lëvizja Bashkë in den nächsten Jahren im Zentrum einer großen politischen und sozialen Bewegung wiederfinden wird, die für die Demokratisierung des Staates und soziale Emanzipation kämpft.

SM: Wie positioniert sich die BASHKË-Bewegung in Bezug auf die Aussicht auf den Beitritt Albaniens zur Europäischen Union?

Albanien wartet seit drei Jahrzehnten auf seine Aufnahme in die Europäische Union. Diese Perspektive ist in der albanischen Gesellschaft nach wie vor sehr populär, meist weil sie als Chance gesehen wird, in den entwickelten Ländern Westeuropas Arbeit zu finden. In der Vergangenheit war die EU einer der Hauptförderer neoliberaler Reformen, obwohl sie gleichzeitig auf die Umsetzung von Reformen zur Korruptionsbekämpfung und Transparenz innerhalb der Regierungen drängte. Diese beiden Forderungen haben sich als unvereinbar erwiesen, da die endemische Korruption ein direktes Ergebnis der neoliberalen Reformen ist. Grundsätzlich befürwortet Lëvizja Bashkë weiterhin die Integration Albaniens in die Europäische Union. Dennoch erkennen wir das Demokratiedefizit der derzeitigen Strukturen und die geringe wirtschaftliche und soziale Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten an. Aus diesen Gründen hoffen wir, dass die Völker Europas aktiv dazu beitragen, dass die EU zu einem demokratischen Gebilde wird, das die Solidarität zwischen den Völkern trägt.

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