“ES GIBT NICHTS MEHR ZU PLÜNDERN”

Seit etwas mehr als einer Woche sind die Explosionen der Pyrotechnik in den Großsiedlungen seltener geworden. Die Kakophonie des Kommentariats hingegen hat nicht aufgehört: weiche humanistische Positionen, Aufrufe zur Ruhe und zum republikanischen Geist, sicherheitspolitische und ultrarepressive Antworten fluten weiterhin in Richtung der “Kolonisierten des Inneren”. Djimi Diallo erläutert in drei Punkten, was sich im Herzen der Revolten dieses Frühsommers abgespielt hat und was sie über ein bestimmtes Verhältnis zum Ort, zur Sprache, zur Linken und zur Verzweiflung aussagen. (Vorwort Lundi Matin)

1. NICHTS ZU ERWARTEN, NICHTS ZU VERLIEREN

Um den afropessimistischen Philosophen Frank B. Wilderson zu paraphrasieren, ist die Entmenschlichung von Schwarzen (und im französischen Fall von Arabern) für die Existenz der Gesellschaft notwendig. Schwarz und arabisch zu sein ist keine Identität, sondern eine Position, “gegen die sich die Menschheit etabliert”, gegen die sie ihre Kohärenz aufrechterhält und erneuert. Die Gewalt, die wir erleiden, ist exzessiv und irrational: Sie ist ihr eigenes Endprodukt. Dies ist der libidinös-morbide Kern des weißen supremacism, den Idris Robinson in “Wie es geschehen sollte” (auf deutsch in 08/2020 auf Sunzi Bingfa, d.Ü.) beschrieb: Gewalt gegen nicht-weiße Körper in Frankreich ist eine Sache des Genießens, und dieses Genießen, ausgenommenen Körpern Gewalt zuzufügen, ist der Stoff, aus dem sich das Gewebe des gesellschaftlichen Lebens zusammensetzt. Die Individuen, aus denen sich die (französische) Gesellschaft zusammensetzt, erkennen sich selbst als Menschen (“Gleichberechtigte”) an, im Gegensatz zu den Kolonisierten im Inneren, die von den Sklaven und Kolonisierten der Vergangenheit abstammen. 

“Schwarze” und “Araber” sind die Namen zweier seltsamer Wesen: ein Ausschluss aus der weißen Gesellschaft, der auf der Zerstörung aller Bedingungen für die Möglichkeit einer Separation beruht, die im Sinne einer Autonomie (d. h. einer wirtschaftlichen und politischen Selbstbestimmung) verstanden wird. Die Position, auf die wir manchmal punktuell, oft systematisch durch staatliche Gewalt zurückgeworfen werden, existiert nur, um der Gesellschaft zu ermöglichen, in ihrem Sein zu verharren, und verweist keineswegs auf ein “Vorher”: Dies ist die Grundlage unseres Pessimismus. Da die meisten von uns hier leben und eine Minderheit sind, können wir uns nur auf die Fähigkeit der Weißen verlassen, ihren Rassismus einzudämmen/zu kontrollieren – aber rassistische Gewalt ist eine konstitutive Gewalt ihrer Gesellschaft, in der jede Schicht durch denselben Gegensatz zu der Position, die man (notwendigerweise) einnimmt (einnehmen muss), determiniert ist.

Die Befreiung postkolonialer Subjekte kann daher nicht mithilfe der Emanzipationsgrammatik der Linken (sei sie marxistisch, feministisch oder ökologisch) betrachtet werden: Es gibt keine Zeit, die man sich wieder aneignen muss, keine beschissenen Beziehungen, aus denen man aussteigen muss, um seine Individualität wiederzufinden, kein Land, das man zurückgewinnen muss. Es gibt nur eine Würde, die man wiedererlangen kann, indem man der Welt des Rassismus (der Negrophobie und Arabophobie) ein Ende setzt. Ruhm den Aufständischen, die diesen Sachverhalt perfekt verstanden haben: Ihr Ziel war es nicht, die Gesellschaft zu reparieren und ihren pathologischen Rassismus zu heilen, sondern ihre Institutionen, ihre Logistik, ihre Symbole anzugreifen und die Zirkulation ihrer Ware zu unterbrechen. Der Aufstand ist Ausdruck eines radikalen Antagonismus: Entweder sie oder wir. Die Revolte dieser Jugend lässt sich nicht in die Sprache übersetzen, die im weißen, liberalen öffentlichen Raum üblich ist: Sie entfaltet sich in einem Außerhalb, das die Politik nicht einfangen kann.

Die Unruhen können multi-ethnisch sein (und waren es zum Teil auch, je nach Stadt), aber das Eintreten für die Unruhestifter ist ein Eintreten für die Zerstörung der Welt, in der rassistische Kategorien relevant sind – und sie reißen die Organisation des großstädtischen Raums und die Arbeitsteilung, die sie strukturieren, mit sich. Das Feuer kommt, um Räume zu verzehren, die uns ohnehin nicht gehören – wir sind in diesen heruntergekommenen Sozialwohnungen nicht zu Hause, diese Schulen dienen nur unserer Ausgrenzung, diese öffentlichen Verkehrsmittel sind nur ein Symbol für unsere Arbeitszwang und unsere zerbrochenen Träume, diese Polizeistationen haben nur die Funktion, Gewalt gegen unsere Körper auszuüben.

2. KEINE ALLIANZEN

All das scheint die Linke immer noch nicht zu verstehen. Also im Gegensatz zu 2005 schien die Linke zunächst den Ernst der Lage zu erkennen. Das heißt, außer der Linken, die die sozialen Netzwerke abschalten möchte, um die Ordnung wiederherzustellen. Wir können auch diejenige ausschließen, die Macron zu Hilfe ruft, um die BRI/die Raid in ihre Stadt zu schicken. Wir können auch diejenige ausschließen, die an Kundgebungen zur Unterstützung eines rechtsextremen Bürgermeisters teilnimmt, während Kinder in Sofortverhandlungen verurteilt werden. Diejenige, die eine “Reform” der Polizei fordert und jede Analyse ihrer Rolle bei der Gewalt, die den Körpern nicht-weißer Männer in Frankreich zugefügt wird, ablehnt. Sie hat nur Analysen über die “Klassengewalt” der Polizei und der Justiz zu bieten, wenn es um Jugendliche geht, die gerade mit ansehen mussten, wie einem Kind in den Kopf geschossen wurde und andere sechs Monate eingesperrt wurden, weil sie eine Hugo-Boss-Jeans von einem heißen Boden aufhoben. Die, die erklärt, dass “man so keine Revolution macht”, oder dass diese Kinder nur “von einem Gefühl der Selbstzerstörung” getrieben werden. Schließlich können wir all die “Ältesten”, “großen Brüder” und anderen selbsternannten Vertreter ausschließen, die zur Ruhe gemeinsam all diesen Menschen aufrufen, weil “es offensichtlich ein Fehler ist, Schulen und Bibliotheken anzugreifen”. Ups, jetzt sind nicht mehr viele übrig.

Was sich im Vergleich zu 2005 geändert hat, ist, dass ein Teil der Linken zwar “helfen” möchte, sich aber weigert, die Situation zu verstehen. Sie sammeln “Zeugenaussagen” und analysieren die Situation dann mit ihren Worten, ihren Referenzen und ihrer polizeilichen Sozialwissenschaft. Die Dümmsten rufen dazu auf, mehr in die Polizei zu investieren (angeblich, um sie vom Boden bis zur Decke zu erneuern), die Waghalsigsten fordern den Aufbau einer “breiten Front” (die seltsamerweise die oben erwähnten Verräter einschließt), die dazu dienen soll, diese Revolte in eine Bewegung “mit klaren Forderungen” zu verwandeln, und die Wohlmeinendsten bieten wertvolle Solidarität auf der Straße und in den Gerichten, haben aber noch Schwierigkeiten, eine Analyse und einen Diskurs zu formulieren, die es ihnen ermöglichen würden, die Materialität der ethnischen Kategorien tatsächlich zu verstehen und die Grenzen, die sie errichten, zu überwinden (aber das kommt vielleicht noch).

3. FRANKREICH HAT UNS NICHTS ZU BIETEN

Die Linke ist scheiße, versucht aber manchmal, weniger scheiße zu sein (und das ist ein Fortschritt). Der Rest des Landes hingegen versinkt in Rassismus und Gleichgültigkeit. Es hat etwas Ekelhaftes und Obszönes, dass fast die gesamte Öffentlichkeit ihre “Ordnungskräfte”, “kleinen Ladenbesitzer” und “Institutionen” unerschütterlich unterstützt. Frankreich sah den Horror dessen, was die Polizei einem Teil seiner Jugend zufügte, und nahm Stellung…. Für diese Gewalt. Der Hass dieses Landes auf seine nicht-weiße Jugend ist unveränderlich, unbeweglich – notwendigerweise. Und die Entfaltung der justiziellen Polizeigewalt nach dem Aufstand ist die perfekte Fortsetzung der Rhetorik der Regierung und der extremen Rechten: Man hat gesehen, wie Kinder mit automatischen Waffen überwältigt und in den Würgegriff genommen wurden. Man hat gesehen, wie in Französisch-Guyana ein Mann in allgemeiner Gleichgültigkeit getötet wurde. Man hat gesehen, wie Panzer in als problematisch eingestuften Stadtvierteln eingesetzt wurden. Man sah, wie Bürgermeister (auch linke) Ausgangssperren für Jugendliche einführten. Die Region Île-de-France hat den öffentlichen Nahverkehr ab 21 Uhr in der kleinen und großen Agglomeration abgeschaltet. Wir haben gesehen, wie 3000 Personen in nur 72 Stunden von der Polizei festgenommen wurden. 

Wir haben gesehen, wie Nazis an die Stelle der Polizei traten und mit Billigung der Ordnungskräfte Jugendliche verhafteten. Wir haben gesehen, wie der Mörder von Nahel dank der Solidarität all derer, die uns hassen, innerhalb weniger Tage zum Millionär wurde.

Die Unterdrückung durch die Justiz ist vielleicht noch ekelhafter: Hier ist alles nur ein einziger Ausnahmezustand, ein Beispiel. Es geht weniger darum, die Aufständischen zu bestrafen, als vielmehr darum, die Gruppe, der sie angeblich angehören, zu terrorisieren. Die “Hierarchie” (um eine Staatsanwältin aus Marseille zu zitieren) zwischen dem Staat, der durch seine Polizei verkörpert wird, und den “Jugendlichen aus den Stadtvierteln” soll um jeden Preis aufrechterhalten werden. Kinder werden zu Bewährungsstrafen verurteilt, weil sie bei der Plünderung eines Kaufhauses einfach nur anwesend waren, Jugendliche erhalten Haftstrafen, weil sie ein Paar Nike-Schuhe aus einem zwei Stunden zuvor aufgebrochenen Geschäft aufgehoben haben, junge Männer erhalten schwere Strafen, weil sie mit einem ‘Mörser’ in der Hand erwischt wurden oder weil sie es gewagt haben, bei ihrer gewaltsamen Festnahme Widerstand zu leisten. Nur Schwarze und Araber, die im Schnellverfahren vor Gericht gestellt werden. Die Repression funktioniert: Die Bewegung auf der Straße ist bereits beendet. Friedliche Demonstrationen, die “nach Wahrheit und Gerechtigkeit” oder “nach einem Ende der Polizeimorde” rufen, werden zwar wieder aufgenommen, aber alles scheint bereits zu spät zu sein. Mütter haben Angst und machen Märsche, um zur Ruhe aufzurufen, und abends traut sich niemand mehr auf die Straße.

Aber noch trauriger könnte der Grund für das Ende der Bewegung sein. Ein älterer Mann aus Le Clos français (einer Siedlung im oberen Montreuil) und ein geschätzter Genosse sagten uns in der Vollversammlung am Sonntag, dem 2. Juli: “Die Demonstrationen werden wahrscheinlich aufhören, weil es nichts mehr zu plündern gibt”. Dort, wo wir aufgewachsen sind, ist bereits nichts mehr übrig. Nichts verbindet uns mehr mit dieser Welt, nicht einmal die Zirkulation der Waren. Es fehlt uns bereits an allem. Und Frankreich hat uns nichts mehr zu bieten, außer seiner Gewalt. Uns bleibt nur die kollektive Solidarität, die wir mit allen teilen, die es wollen, und die Fantasie einer Organisation, die sich als zerstörerische Kraft aufstellt, die in der Lage ist, der supremacistischen Gewalt zu widerstehen.

Aber seien wir doch mal ehrlich: Die Zeit ist reif für Pessimismus, ja sogar für Verzweiflung. Vielleicht wird es hier nie ein Leben für uns geben. Wir sagen es immer wieder: Es ist immer schon zu spät. Es wird immer zu spät sein, etwas zu unternehmen, solange sich die Weißen untereinander als Weiße erkennen. Solange sie die gesamte Ordnung des Lebendigen nach einem hierarchischen Schema angehen, das “die Menschen” von vornherein an die Spitze stellt und als Folge davon eine untergeordnete und antagonistische Gruppe von “fast Menschen” schafft. Solange sie weiterhin Freude und Stolz aus ihrer Fähigkeit ziehen, frei über unsere Körper zu verfügen. Unsere Niederlage scheint in unserem Handeln enthalten zu sein, denn sie werden auf unsere Hilferufe niemals anders reagieren als mit kriegerischen Handlungen. Als Anti-Rassist in den öffentlichen Raum einzutreten, bedeutet, direkt gegen eine Wand zu fahren. Sich mit all jenen zusammen in eine Ausweglosigkeit zu begeben, die ein Interesse daran haben, dass die Welt, in der einige von unserer Tötung, Einsperrung, Überausbeutung und der Zurschaustellung unserer Körper profitieren, vollständig zerstört wird.

Erschienen im Original am 10. Juli 2023 auf Lundi Matin, ins Deutsche übertragen von Bonustracks. 

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