Görnitz, Quanteninformation und Protyposis

Görnitz führt in seine Interpretation der Quantentheorie den Begriff der Protyposis ein, deren wesentliches Merkmal eine völlig abstrakte, bedeutungsfreie Quanteninformation ist, die nicht lokalisiert ist, eine kosmologische Dimension besitzt und die man sich ohne Sender und Empfänger vorstellen muss.[1] Von der Quantenebene bis zur kosmischen Ebene lassen sich alle Korrelationen von Ereignissen als Informationsprozesse bezeichnen. Die Protyposis ist für Görnitz die »Grundsubstanz« der Wirklichkeit, die sich zu materiellen Teilchen, zu energetischen Quanten und bedeutungsvoller Information ausformen kann. Die Frage ist, ob man die bedeutungsfreie Information nicht besser als virtuell denkt. Entropie wäre dann nicht nur Verfall, sondern als Ordnungspotentialinformation.

Die Qubits, die elementaren Entitäten der Protyposis, können als die Strukturquanten des Kosmos verstanden werden. Eine unendliche Anzahl von Qubits kann so angeordnet werden, dass man sie als ein Quantenteilchen, als zwei oder als viele Quantenteilchen interpretieren muss. Mit der Protyposis kommt es auf den Grad der notwendigen Genauigkeit und der zur Verfügung stehenden Energie an, ob man besser von einem Teilchen oder einem Teilchen mit einer Wolke virtueller Quanten spricht. Wenn man dann postuliert, dass die Qubits aktual unendlich viele sind und nicht nur der Möglichkeit nach, dann stehen einem auch die Strukturen der Quantenfeldtheorie zur Verfügung. Strukturen zeichnen sich für Görnitz durch die Information aus, die sie sind. Sie können in Verbindung mit einem materiellen oder energetischen Träger aktual erscheinen. Wenn sie etwas bewirken, erhalten sie damit für diesen Vorgang eine Bedeutung. (Ebd.: 496)

Görnitz hat über Jahrzehnte eine kosmologische Theorie der bedeutungslosen Information entwickelt, deren grundlegende Einheiten also die Qubits sind. Ein Qubit ist extrem nichtlokal, ein Teilchen ist hier hingegen ein Modell für etwas Lokalisiertes. Görnitz schreibt: »Ein Bit hat nur die Zustände ›Ja und Nein‹, ein Qubit hat unendlich viele verschiedene Zustände. Zwar wird sich nicht jeder dieser Zustände mit der gleichen Wahrscheinlichkeit realisieren lassen, manche haben eine große Wahrscheinlichkeit, andere wird man wahrscheinlich kaum erhalten, aber trotzdem gibt es unendlich viele Zustände. Fragt man dann, ob der Zustand vorliegt, der sich durch einen Pfeil repräsentieren lässt, dann sind nur noch zwei Antworten möglich: ›ja, der Zustand liegt vor‹ oder ›nein, er liegt mit Sicherheit nicht vor‹ (ebd.: 332).  Görnitz geht mit Zeilinger davon aus, dass jedes Quantensystem aus einer Kombination von Eigenschaften bestehe, die man kennen und die man nicht kennen kann (man weiß etwa den Ort und hat dann einen unbestimmten Impuls oder umgekehrt). Ein elementares Quantensystem kann entsprechend, wenngleich es zwei Eigenschaften repräsentiert, nur ein Bit an Information tragen. Bei quantentheoretisch beschreibbaren Prozessen sind Bestimmt-heit und Unbestimmtheit über die Verschränkung miteinander verbunden. Die Bestimmtheit an einer Stelle bedingt die Unbestimmtheit an einer anderen Stelle. Dies eröffnet eine Informatik, deren Grundelement jetzt nicht mehr das Bit  als Elementarunterscheidung zwischen zwei distinkten Werten ist. Vielmehr hat die Quanteninformatik das Elementarsystem der Verschränkung als Ausgangspunkt ihrer Rechenoperationen zu nehmen. Ein Quantenbit (Qubit) besteht entsprechend aus zwei durch Messung sicher unterscheidbaren Zuständen, die jedoch nur ein Bit an klassischer Information tragen können. Die für die Quantentheorie typische Konstellation aus Wissbarem und Unwissbarem stellt damit gewissermaßen eine holistische Eigenschaft des übergreifenden Quantensystems dar. Bestimmungen an einer Stelle, lassen Unbestimmtheit an anderer Stelle erscheinen (Vogd 2020: 74)

Analog zu der Art und Weise, wie ein Quantenfeld aus einer unbestimmten Anzahl von Quantenteilchen aufgebaut werden kann, kann ein Quantenteilchen aus einer unbestimmten Anzahl von Protyposis-Qubits erzeugt werden. Es sollte betont werden, dass diese keinesfalls als Teilchen oder Objekte betrachtet werden können, da solche Systeme mit unendlichen Zustandsräumen einhergehen. Nur an der Grenze von unendlich vielen Qubits können aus ihnen Teilchen gebildet werden. So wie die Zustandsänderung eines Quantenfeldes durch Hinzufügen oder Entfernen von Quantenteilchen beschrieben werden kann, kann die Zustandsänderung eines Quantenteilchens als ein Hinzufügen oder Entfernen von Quantenbits verstanden werden. Die darin implizierten Unendlichkeiten haben eine wichtige Konsequenz. Für das Unendliche gilt eine andere Arithmetik als die gewohnte: ∞ = 2 · ∞ = 100 · ∞ = n · ∞. Dabei soll »n« eine beliebig große Zahl repräsentieren.

Görnitz verwendet zur Verdeutlichung auch die Formel  3 + ∞ = ∞ und 5 + ∞ = ∞. Dies ist eine vollkommen andere Additionsstruktur als die der endlichen Zahlen, sie ist aber nachvollziehbar. Durch die Unendlichkeit werden die endlichen Größen vernachlässigbar. Vom Beginn des Universums an erweisen sich die Qubits für Görnitz als »Substanz« mit einer quantischen Struktur. Er bezeichnet dies als »Protyposis«, die ontologisch gesehen noch vor allen verschiedenen Typen der Erscheinungen liegt, aber das Potenzial zur Formation hat. (Ebd.: 469ff.) Die Protyposis ist eine Informationsstruktur, die zunächst bedeutungsfrei ist, aber in Beziehung zum Lebendigen zu etwas Bedeutungsvollem werden kann. Das Konzept der Protyposis erlaubt es zudem zu erkennen, dass die Grundlage der Existenz eher als eine mentale Struktur verstanden werden sollte, auch wenn daraus etwas Materielles hervorgeht. Die völlig abstrakte, bedeutungsfreie Quanteninformation ist als äquivalent zur Materie und zur Energie zu verstehen. Äquivalenz steht hier für »Gleichwertigkeit«. Die Protyposis bezeichnet also etwas, das in Materie, Energie und schließlich in sinnvolle Information umgewandelt werden kann. Wenn also Masse, Energie und Quanteninformation miteinander äquivalent sind, dann ist es auch möglich, einem Quantenbit so etwas wie ein Energiequantum zuzusprechen. Materie ist eine spezielle Form der Protyposis, nämlich eine solche Gestalt der Quanteninformation, die eine Ruhmasse besitzt und die daher in Raum und Zeit lokalisiert sein kann. Analog zu den unterschiedlichen Erscheinungsformen von H2O, nämlich Eis, Wasser und Dampf, finden wir verschiedene Erscheinungsformen der Protyposis vor:

– Materie, die träge ist und sich der Veränderung widersetzt.

– Energie, die notwendig ist, um Materie in Bewegung zu setzen und zu verändern.

– Information im engeren Sinne, die dazu dient, verfügbare Energien freizusetzen.

Für Görnitz ist die Materie eine spezielle Form der Protyposis bzw. eine Materialisierung der Quanteninformation, die eine Ruhmasse besitzt und in Raum und Zeit lokalisiert ist. Hingegen besitzen energetische Quanten keine Ruhmasse und müssen sich im Raum mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Wenn energetische Quanten und die materiellen Quanten aus einer solchen ungeheuren Anzahl von Qubits geformt werden können, dann ist eine Fülle von Erscheinungen im Universum möglich. Für Lebewesen können die d Qubits als bedeutungsvolle Information wirksam werden, wobei die bedeutungstragenden Qubits ihre Träger wechseln können. Die Protyposis, welche weder mit einem materiellen noch mit einem energetischen Träger verbunden ist, ist demnach weder hier noch jetzt, sondern gleichsam immer und überall. Die Quantentheorie zeigt also, dass das Einfachste auch das Ausgedehnte ist und nicht dasjenige, was im Raum klein ist.

Die kosmologische Grundannahme der Protyposis lautet: Die Anzahl der Qubits wächst. Die Zunahme der Protyposis steht für die Expansion des Kosmos. Je mehr die Anzahl der Protyposis-Qubits wächst, desto reichhaltigere Strukturen werden im Kosmos möglich. Die Qubits sind demnach als eine »Vor-Struktur« aufzufassen, die sich zu realen Strukturen ausformen kann. Diese lokalisierten Strukturen sind anfangs Atome und schwarze Löcher, danach bilden sich Sterne. Die Bildung solcher astrophysikalischen Objekte und die Vorgänge in ihnen werden bereits sehr gut durch die Einstein’sche Gravitationstheorie und die Kernphysik erfasst. Etwa ein Viertel der Protyposis bildet lokale kosmische Schwankungen aus, die nicht sinnvoll als Teilchen interpretierbar sind, die jedoch durch ihre Gravitationswirkung die Bildung von Ansammlungen von normaler Materie – von Galaxien und Galaxienhaufen – befördern und deren Verhalten beeinflussen. Dies ist die »Dunkle Materie«. Ein Teil der Qubits wird in identischen Zuständen vorkommen, sodass sie stark lokalisierte Objekte formen. Ein gewisser Bruchteil der Protyposis, der auf etwa vier Prozent geschätzt wird, formt sich zu dem, was wir heute als normale Materie und als Licht kennen. Im Rahmen der Quantentheorie gibt es wie bereits erwähnt zwei Typen von elementaren Objekten. Der erste Typ sind die Elementarteilchen. Bei ihnen sinkt bei einem Anwachsen von Energie oder Ruhmasse die Ausdehnung bzw. die Wellenlänge. Für sie gilt die berühmte, von Max Planck entdeckte Relation: Je energie- oder massereicher ein solches Objekt ist, desto kleiner ist demnach die betreffende Wellenlänge. Das hypothetisch massivste Elementarteilchen wird deshalb die geringste mögliche Ausdehnung besitzen, die Planck-Länge von etwa 10−33 cm. Dieses hypothetische Objekt ist zugleich das kleinste denkbare Objekt des zweiten Typs von elementaren Objekten, den schwarzen Löchern. Bei den Schwarzen Löchern wächst die charakteristische Ausdehnung, der Radius ihres Horizontes, proportional zur Masse. Sie werden also immer größer, je mehr Masse sie besitzen. Die schwarzen Löcher, die die Astronomen kennen, sind riesengroß. Sie können bis zum Millionenfachen der Sonnenmasse beinhalten.

In der Tendenz werden heute quantenphysikalische Systeme immer stärker als reine Träger von Informationen behandelt. Die Quantenphysik wandelt sich zunehmend in eine Quanteninformationstheorie. Dabei werden die physikalischen Eigenschaften der Träger von Quanteninformationen oft außer Acht gelassen. Man interessiert sich lediglich für die Eigenschaften der Informationsverarbeitung. Insbesondere ist die physikalische Raumzeit aus der Quanten(informations)theorie verschwunden.  Dabei wurde die lineare Algebra das wichtigste mathematisches Werkzeug anstelle der Funktionalanalysis, die in den ersten 70 Jahren der Entwicklung der Quantenmechanik eine entscheidende Rolle spielte. Heutzutage interessiert man sich nicht mehr so sehr für die physikalischen Eigenschaften der Transformatoren der Quanteninformation. Man sucht stattdessen nach anderen Klassen von Informationstransformatoren, die sich von quantenphysikalischen Systemen unterscheiden, die aber Informationen auf eine quantenähnliche Weise transformieren. Das grundlegendste Werkzeug ist der Quanten-Wahrscheinlichkeitsformalismus, das Kalkül der komplexen Wahrscheinlichkeitsamplituden, ausgestattet mit der Regel von Born, die komplexe Amplituden mit Wahrscheinlichkeiten koppelt. Ein weiteres mächtiges mathematisches Werkzeug ist die Verwendung von Tensor-Produkten zur Modellierung des (Informations-)Verhaltens zusammengesetzter Systeme – einer Gruppe von Transformatoren, die mit Informationsfeldern interagieren.

Wenn man die Informationsinterpretation der Quantenfeldtheorie verwendet, lassen sich Quantenfelder als quantisierte Informationsfelder betrachten. Ihre Quanten, die Erregungen der Quantenfelder, können als Informationsquanten interpretiert werden. Insbesondere das elektromagnetische Quantenfeld kann als ein spezielles Informationsfeld behandelt werden, dessen Quanten man als Photonen bezeichnet. Die räumliche Wellenfunktion eines Photons ist nicht genau definiert. Daher kann es nicht als ein lokalisiertes physikalisches Teilchen und nicht als physikalische Welle interpretiert werden. Der konsequenteste Weg ist daher, es als ein Informationsquant zu behandeln, das durch die Impuls- und Polarisationsvektoren gegeben ist.


[1] Das Bell-Theorem zeigt, dass die Quantentheorie nicht gleichzeitig real und lokal sein kann, womit entweder die Beobachtung das zu beobachtende Phänomen mit hervorbringt oder die beobachten Phänomene in eine nicht-lokale Relation in einer Versuchskonstellation integriert sind. Quantenphänomen können nur holistisch oder relational verstanden werden.

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