Lektüre von Hans-Dieter Bahrs “Die Klassenstruktur der Maschinen: Anmerkungen zur Wertform”

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Der folgende Text enthält einige lose Kommentare zu Hans-Dieter Bahrs “Die Klassenstruktur der Maschinen: Anmerkungen zur Wertform”. Wie in einer von Phil Slater verfassten Einleitung erwähnt, erweitert Bahrs Arbeit die marxistische Kritik an der Technik um die Frage nach ihrer Beziehung zur Wertform (1980: 97). Insbesondere versucht Bahr, den historischen Prozess zu klären, in dem die Technik die Form der “abstrakten sozialen Zweckmäßigkeit” (Bahr 1980: 104) angenommen hat. Warum, so fragt er, erscheint Technik heute so, als sei sie unbestimmt von den sozialen Verhältnissen, die sie in Wirklichkeit bestimmen?

Bahr behauptet, diese Form der Erscheinung von Technik sei einzigartig für den Kapitalismus – in früheren Epochen habe die Konstruktion von Produktionsmitteln ihre “soziale Existenz” offenbart, da sie an “klassenspezifische Berufe” wie Bauernschaft und Handwerk gebunden waren (ebd.: 139). Bahr sucht also nach den historischen Möglichkeitsbedingungen für die “indifferente” Erscheinung der Technik. Er begründet diese Möglichkeit in der realen Subsumtion der Arbeit, bei der die Arbeit nicht nur der Arbeitsmittel enteignet wird, sondern deren Entwicklung objektiv, selbständig und “wissenschaftlich-rational” wird und damit ihren gesellschaftlichen Charakter aufhebt. Die Maschinerie ist die Materialisierung dieses Prozesses, den Bahr, wie Slater andeutet, als nichts anderes definiert als die “zweckgebundene Grundlage der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise, d.h. des Wertes im Prozess” (1980: 97).

Damit steht Bahr natürlich in engem Austausch mit Herbert Marcuse, dessen Kritik der “technologischen Rationalität” die Klassenherrschaft nicht in der bloßen Anwendung, sondern in der “Konstruktion des technischen Apparats selbst” begründet (1968: 224). In diesem Zusammenhang erklärt Bahr, dass die Erscheinung der Maschinerie als “klassenneutral” gerade vom “Fetischcharakter der ‘inneren Wertform’ der Produktionsmittel” zeugt (1980: 138). Die Genese der technischen Entwicklung wird in ihrem Ergebnis vergessen, so dass die Arbeitsmittel vom Standpunkt des arbeitenden Subjekts aus als immer nur Mittel erscheinen, d.h. die Arbeitsmittel werden als “Gebrauchsinstrumente” naturalisiert, “die sich jeder aneignen und benutzen kann” (ebd.: 101).

Bahr versucht aber auch, über Marcuse hinauszugehen, indem er in viel weiterem Maße verdeutlicht, wie die technologische Rationalität durch diese “innere Wertform” (ein eigenwilliger Begriff, auf den ich gegen Ende zurückkommen werde) politische Herrschaft mit “unpolitischen” Mitteln erreicht. Zu diesem Zweck schreibt Bahr, dass “politisch-militärische Gewalt letztlich keine adäquate Grundlage für die Aufrechterhaltung des sozialen Zusammenhalts in einem Produktionssystem ist” (ebd.: 139). Stattdessen hängt die Klassenherrschaft von der Vermittlung der “subjektlosen Form” von “Maschinerie und Technik” (ebd.: 140) ab – also von einem “objektiven Rahmen” für die Produktion von Wert (Marx 1976: 489).

I.

Wenn der Marxismus “idealistisch” geblieben ist, wenn er “mit der Wahrheit der Natur konfrontiert wurde”, wie Alfred Sohn-Rethel vorschlug (1978: 3), dann fügt Bahr hinzu, dass er dies noch mehr war, “und zwar mit noch schwerwiegenderen Folgen, was die begriffliche Behandlung der Technik betrifft” (1980: 126). “Idealistisch” deshalb, weil die Sozialgeschichte der wissenschaftlichen Entdeckungen als unwesentlich für die “Naturwahrheit” betrachtet wird, die diese Geschichte offenbaren soll, und die Entwicklung der Technik von den Marxisten weggezaubert wird, als ob die sozialen Verhältnisse ihrer Produktion für ihren Gebrauch zufällig wären. Es ist, als ob die Maschinen, obwohl die Ausbeutung der Arbeit eine ausdrückliche und notwendige Bedingung des “technischen Fortschritts” ist, von den Arbeitern, die von ihnen unterworfen wurden, so genommen werden könnten, wie sie sind, und einfach in die Richtung neuer Ideale gelenkt werden. Die “Produktivkräfte” werden von den Marxisten so gesehen, wie sie von den Industriekapitalisten gesehen werden: “rein instrumentell”, schreibt Bahr, als abstrakte Mittel, die in einer zukünftigen, postkapitalistischen Gesellschaft genauso leicht zur Produktion von gesellschaftlichem Bedarf eingesetzt werden können, wie sie heute zur Produktion von Mehrwert eingesetzt werden.

Selbst die oberflächlichste Untersuchung der heutigen kapitalistischen Spitzentechnologien sollte dieses angebliche Versprechen ihres verborgenen emanzipatorischen Potenzials in Frage stellen. Ganz konkret und praktisch sollten wir uns fragen: Ist die Produktion sozialer Bedürfnisse technologisch mit Minenbaggern, Smartphones und ChatGPT vereinbar? Das ist natürlich nicht dasselbe wie die allgemeine Frage, ob wir Mineralien oder Kommunikationsmittel oder Werkzeuge brauchen, sondern die Frage, ob die technischen Spezifikationen der gegenwärtig existierenden Technologien im Sozialismus umgestaltet werden müssen oder nicht – es ist also eine Frage, welche Form die sozialistische Technologie annehmen muss.

Anders formuliert: Was genau eignet sich der Sozialismus an, wenn er sich die zutiefst atomisierenden, verschwenderischen und zerstörerischen Maschinen als Produktivkräfte aneignet, die heute das zeitgenössische kapitalistische Leben nicht nur produzieren, sondern vollständig durchdringen? Wenn der Kommunismus die radikale Umgestaltung des arbeitenden Subjekts mit sich bringt, warum sollte er dann nicht auch die radikale Umgestaltung der technologischen Mittel, mit denen sich dieses Subjekt reproduziert, mit sich bringen? Und wenn der Kommunismus diese letztere Umwandlung mit sich bringt, was meint Marx dann wirklich, wenn er behauptet, dass die kapitalistische Produktionsweise die materiellen Bedingungen für ihre eigene Transzendenz schafft?

Eine mögliche Antwort lautet: Die technologische Entwicklung im Kapitalismus behält immer einen doppelten und widersprüchlichen Charakter. In dem Maße, in dem die technologische Entwicklung nicht nur die Produktivität der Arbeit steigert, sondern auch ihre Vergesellschaftung intensiviert, d.h. den Grad der Zusammenarbeit zwischen den (intellektuellen und manuellen, produktiven und reproduktiven) Arbeitskräften immer weiter erhöht, ist sie progressiv. Im Gegensatz dazu ist die technologische Entwicklung insofern regressiv, als sie die Bedingungen für die Reproduktion der Arbeit untergräbt, indem sie sie als etwas der Arbeitstätigkeit Fremdes verdinglicht.

Technologie kann diese regressive Eigenschaft auf mindestens zwei Arten aufweisen. Erstens kann sie das weitere Eindringen der Wertform in soziale Beziehungen erleichtern, die ironischerweise in einer früheren Periode des Kapitalismus abgewertet worden waren (z. B. Hausarbeit, Altenpflege, Unterhaltung). Zweitens kann die Technologie die Reproduktion untergraben, indem sie dieselbe in Bezug auf die bereits bestehenden Beziehungen zwischen menschlicher und nicht-menschlicher Natur erleichtert und so die metabolische Kluft zwischen sozialer und natürlicher Welt zum ausdrücklichen Zweck der Produktion von mehr Wert vergrößert.

Dieser doppelte Charakter der technologischen Entwicklung im Kapitalismus ist allen seinen Maschinen eigen, allerdings in unterschiedlichem Maße, je nach den unterschiedlichen Spezifikationen der verschiedenen Maschinen. Einige neuere Technologien, wie das Internet, haben bemerkenswerte Möglichkeiten für die erweiterte Kooperation und Integration der gesellschaftlichen Arbeit eröffnet – auch wenn das Internet natürlich ebenso bemerkenswerte Möglichkeiten für das Entstehen neuer Formen der Entfremdung der Arbeit bietet. Die entscheidende Frage für sozialistische Politik ist daher, ob das Internet die Kommunikation von Informationen erleichtern und gleichzeitig seine Tendenz zur Atomisierung und Entfremdung der Arbeit von gesellschaftlichen Individuationsprozessen in Schach halten kann. Andere Technologien, wie z.B. das private Auto, sind ausdrücklich für eine antisoziale, von unabhängigen Produzenten und privatem Konsum geprägte Welt konzipiert und meiner Meinung nach untrennbar mit ihr verbunden. Es scheint mir nicht gerechtfertigt zu sein, letztere als eine geeignete Form von Produktivkräften für den sozialistischen Übergang zu betrachten. Zumindest sollte die Frage nach der “sozialistischen Nutzung” der privaten Automobilität tatsächlich gestellt werden, und zwar explizit und konkret in diesen Begriffen – statt dass Gattung und Art der Technik, wie es viel häufiger der Fall ist, weiterhin verworren bleiben.

Eine marxistische Technikkritik wäre also zunächst einmal eine, die in der Lage ist, diesen widersprüchlichen Charakter der technologischen Entwicklung im Kapitalismus nicht nur zu artikulieren, sondern konkret zu klären, welche Technologien mehr oder weniger auf die Vergesellschaftung der Arbeit ausgerichtet sind und welche in ihrer Spezifikation, wenn nicht gar in ihrer Funktionalität, viel eher die Verwirklichung eines gemeinsamen Lebens behindern. Die Trennung zwischen der Technik als solcher und ihren besonderen Formen ist genau das, was es zu vermeiden gilt, und daher ist der Schleier der Technik als “abstrakte soziale Zweckmäßigkeit” zu lüften.

Allerdings müssen wir auch hier jeden technologischen Determinismus vermeiden. Mit Bahr ist zu konstatieren, dass es kein “direktes Ursache-Wirkungs-Verhältnis” zwischen der Maschinerie als “Gebrauchsinstrument” und der Maschinerie als “Form des konstanten Kapitals” gibt, das in der Produktion von Wert eingesetzt wird (ebd.: 126). Diese Transformation erfolgt durch “verschiedene Subjekte”, die ihre eigenen Arbeitsfähigkeiten haben und von denen wir nicht annehmen können, dass sie automatisch die Rolle erfüllen, die das Kapital von ihnen erwartet. Ebenso behalten die Maschinen an sich einen “Rand der Unbestimmtheit” (Gilbert Simondon), der sie für das sie umgebende technische Milieu öffnet (2017: 147). Sie behalten daher eine Variabilität der Nutzung, die vom Standpunkt ihrer Produktion aus unvorhersehbar ist.

Dennoch bedeutet die Feststellung, dass es immer ein Subjekt der Arbeit und einen “Spielraum der Unbestimmtheit” gibt und dass der Prozess, der Maschinen qua “Gebrauchsinstrumente” in konstantes Kapital verwandelt, nicht automatisch abläuft, nicht, dass die Technik keine objektiven Bestimmungen besitzt. Die Produktivkräfte existieren niemals als reine Konzentration proteanischer, mechanischer Kraft: Um überhaupt eine Kraft auszuüben, müssen sie selbst produziert worden sein und daher selbst eine gesellschaftliche Form angenommen haben. Gerade um die Klärung der verschiedenen gesellschaftlichen Formen der Technik – in ihrer historischen Bedingtheit – muss sich eine marxistische Technikkritik kümmern.

II.

Eine marxistische Technikkritik geht also davon aus, dass der Anschein der Gleichgültigkeit der Technik gegenüber dem Klassenkampf eine Mystifizierung der unveränderlich sozialen Determinanten ihrer Produktion ist. Da die Arbeitsmittel selbst Produkte der Arbeit sind, ist und war die Maschinerie nie ein “klassenneutrales” Substrat der gesellschaftlichen Aktivität. Die Arbeitsmittel sind nämlich das Produkt der gesellschaftlichen Tätigkeit und haben daher ihre eigene spezifische Entwicklungsgeschichte; als Produkte der Arbeit entwickeln sie sich entsprechend den spezifischen Produktionsverhältnissen. Die grundsätzliche “Frage nach der Technik” ist also nicht, wie Heidegger vorgeschlagen hatte, eine phänomenologische Untersuchung der modernen Technik in ihrer Art des “Offenbarwerdens” als “herausforderndes Vorwärts”, sondern eine materialistische Untersuchung der historischen Genese ihrer gesellschaftlichen Form im Kapitalismus – der Maschine – durch die Arbeit.

Genau aus diesem Grund fragt Bahr: Welche Arbeiten mussten im Laufe einer bestimmten Phase der menschlichen Entwicklung getrennt werden, damit die Maschinerie als besondere Gesellschaftsform dazu dienen konnte, sie wieder zu vereinen?

Damit Maschinen überhaupt entstehen konnten, musste die Arbeit bereits in zwei “Pole” geteilt sein, den “Antrieb” (objektivierende Verausgabung von Arbeitskraft qua Triebkraft) und das “Werkzeug” (objektivierte Fertigkeit qua zweckgebundenes Wesen). “Einfache Mechanismen”, wie z.B. Handwerksgeräte, hätten diese dialektische Struktur bereits besessen oder zumindest vorweggenommen; die Maschinerie habe ihre Trennung nur noch deutlicher gemacht, indem sie sie vereinigte (ebd.: 103). Auch der “Übertragungsmechanismus”, der Werkzeug und Antrieb vermittelte, existierte bereits vor der eigentlichen Maschine als lebendige “Verkehrsform” zwischen plebejischen und bäuerlich-handwerklichen Arbeitsformen (ebd.: 104). Die Maschinerie, qua abstrakter gesellschaftlicher Zweckmäßigkeit, ist die objektive “Verknöcherung” dieser Form der Vermittlung zwischen Werkzeug und Antrieb.

Bahr setzt in seinem Aufsatz stark auf die Gegenüberstellung des gegenwärtigen technologischen Kontextes mit dem einer vorangegangenen historischen Epoche, in der die “naturgegebene Form” der Arbeitsmittel offenbar an die soziale Existenz der sie nutzenden Arbeiterklassen qua “Berufsstände” gebunden war (1980: 139). Mit anderen Worten: Die Arbeitsmittel (Pflüge, Webstühle usw.) entsprachen in dieser früheren Epoche unmittelbar den verschiedenen Tätigkeiten der konkreten Arbeit. Im Kapitalismus hingegen lösen sich die “naturgegebenen” Formen auf und werden zum “Grund der gesellschaftlichen Form” (ebd.: 123). Vom Standpunkt der Klasse der Produzenten aus: “sind die Mittel, mit denen das naturgegebene Material bearbeitet wurde, [jetzt] einfach die Bedingungen für [die] abstrakte Tätigkeit [der Arbeiter]” (ebd.: 139).

Zwar erkenne auch die bürgerliche Wissenschaft die Arbeitsmittel als vergegenständlichte gesellschaftliche Verhältnisse an, schreibt Bahr, doch tue sie dies nur als “Archäologie”. In vorkapitalistischen Gesellschaften werden also aus dem Auftreten bestimmter Arten von Werkzeugen Rückschlüsse auf die “Lebensform bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse” abgeleitet. Dieser “Steinbohrer” oder jener “Speer” ist ein Produkt der Arbeit, das die Grenze dieses oder jenes Grades der gesellschaftlichen Organisation dieser Arbeit ausdrückt (ebd.: 102). Die bürgerliche Wissenschaft erkennt jedoch die historisch-materielle Grundlage ihrer eigenen Arbeitsmittel (d.h. der Maschinen) nicht an. Vielmehr betrachtet sie ihre eigenen Arbeitsmittel als die Materialisierung einer rein wissenschaftlichen Rationalität, deren konkrete historische Entwicklung, wie oben ausgeführt, für ihre Teleologie qua “abstrakter Zweckmäßigkeit” akzidentell ist.

Auf diese Weise wird der soziale Charakter der Arbeitsmittel in der kapitalistischen Maschinerie aufgehoben, so dass jede Form der Herrschaft, die sich dieser Mittel bedient, als Folge von post-hoc-“politischen” Zielen erscheint:

Das Paradoxe ist, dass Maschinerie und Technologie zwar als zweckmäßige Grundlage der bürgerlichen Klassenherrschaft geschaffen wurden, aber in der gesellschaftlichen Vermittlung der Einzelkapitale durch den Markt als ihr Gegenteil erscheinen: Das heißt, sie erscheinen als neutrale, indifferente Grundlage für die Vergesellschaftung des Produktionsprozesses durch die Arbeitsteilung. Sie erscheinen spezifisch "klassenneutral", vor allem im Vergleich zu Objekten aus der Sphäre des Konsums, wo Autos, Einrichtungsgegenstände, ausgefallene Verpackungen und Gebäude noch unmittelbar beide Formen ihrer gesellschaftlichen Natur, nämlich Nutzen und Herrschaft, aufweisen. (ebd.: 139)

Nebenbei bemerkt scheint mir die Linie, die Bahr hier zwischen der Sphäre des Konsums und der Sphäre der Produktion zieht, heute unhaltbar. Wie eine Reihe italienischer Marxisten etwa zu der Zeit, als Bahr schrieb (1973), feststellte, hängt die kapitalistische Produktion von einer weit verbreiteten sozialen Fabrik ab, so dass jedes Maß an analytischer Prüfung der Technologien des Konsums gegenüber denen der Produktion heute die Unterscheidung zwischen Freizeitkonsum und produktiver Arbeit verwischt sehen würde, und zwar in dem, was Antonio Negri die “reale Subsumtion der Gesellschaft unter das Kapital” nennt.

Nichtsdestotrotz bleibt Bahrs Einsicht bezüglich der “neutralen” Erscheinung von Maschinen insofern relevant, als Produktivkräfte weiterhin als bloße “Instrumente” einer “abstrakten sozialen Zweckmäßigkeit” angesehen werden. In der Tat ist dieser Glaube heute weit verbreitet, wobei die Arbeitsteilung im Kapitalismus vielen Liberalen und Sozialisten gleichermaßen als eine selbstverständliche, wissenschaftliche und “natürliche” Folge der langsam voranschreitenden Vergesellschaftung der Produktion durch die Technologie erscheint.

In diesem Sinne fährt Bahr fort:

Die höchste Stufe der Entwicklungsformen der Produktionsmittel als "Rationalität der inneren Wertform" erzeugt dagegen den gegenteiligen Anschein: Die melancholische Gleichförmigkeit der proletarischen Arbeitsbedingungen rühmt sich als "Transzendenz der Klassengesellschaft", und zwar aus dem einfachen Grund, weil sich das Kapital als "innere gesellschaftliche Wertform der Produktionsmittel" abstrakt als deren gesellschaftliche Natur und Allgemeingültigkeit darstellt: nämlich als Gesellschaft an sich, die als allgemeingültiger Zwang, der die Arbeitsbedingungen kennzeichnet, materielle Gestalt annimmt. (Bahr 1980: 140)

Darin liegt der Widerspruch, der der “kritischen” Beurteilung der kapitalistischen Maschinerie durch den Sozialisten zugrunde liegt. Auf der einen Seite erscheint die äußere Form der Produktionsmittel als passives, natürliches, wenn auch unebenes Terrain, auf dem sich der Klassenkampf abspielen wird. Auf der anderen Seite besteht das innere Geheimnis der Produktivkräfte darin, dass ihre Entwicklung in einem inhärenten Widerspruch zu den kapitalistischen Produktionsverhältnissen steht, die sie gleichzeitig ermöglichen und fesseln. Indem sie ihr “gesellschaftliches Wesen und ihre universelle Gültigkeit” offenbaren, sollen die Produktivkräfte also nach und nach ihre Unangemessenheit für die Klassengesellschaft offenbaren.

Aber auch hier stellt sich die Frage: Von welchen Formen der Produktivkräfte ist hier die Rede? Nicht wenige Technologien scheinen heute kaum eine andere Funktion zu haben als die der Spaltung und Ausbeutung der Arbeiter. Dazu könnte man nicht nur die fordistische Konstruktion von Maschinen am Fließband zählen, sondern auch die zahlreichen Plattformanwendungen, die darauf abzielen, die verschiedenen Tätigkeiten der gesellschaftlichen Reproduktion im Kapitalismus zu vereinfachen, zu stratifizieren und auszubeuten – Einkaufen, Autofahren, Hausarbeit usw. Vom Standpunkt der Arbeit aus betrachtet, erscheinen viele kapitalistische Technologien der Klassengesellschaft durchaus angemessen und untrennbar mit ihr verbunden. Wie sieht der gesellschaftliche Charakter der authentisch sozialistischen “Produktivkräfte” aus? Um diese Frage zu beantworten, müsste eine marxistische Technikkritik nicht nur eine streng materialistische Darstellung der Klassenstruktur der Maschinen liefern, sondern sich auch mit dieser “melancholischen Gleichheit” befassen, wie Bahr sie beschreibt, die sich als eine entscheidende Tendenz der technologischen Entwicklung sowohl im Kapitalismus als auch im “real existierenden Sozialismus” erwiesen hat.

III.

Abschließend möchte ich noch kurz auf Bahrs Unterscheidung von “inneren” und “äußeren” Formen der kapitalistischen Maschinerie eingehen. Die “äußere” Form der Maschinerie konstituiert ihre instrumentelle Form und die “innere” Form, schreibt Bahr, konstituiert ihre klassenbestimmte Struktur (ebd.: 104-105). Meines Erachtens löst Bahr mit dieser Trennung das Rätsel auf, das er im ersten Satz des Aufsatzes aufwirft: Die “historische Entwicklung der Arbeitsmittel”, durch die sich “naturgegebene Formen” durch Arbeit in “gesellschaftlich zweckmäßige Formen” verwandeln, ist “zugleich die ‘Naturalisierung’ der gesellschaftlichen Formen der Gebrauchsinstrumente” (ebd.: 101). Diese der Entwicklung der Arbeitsmittel innewohnende Doppelbewegung, die sich gleichzeitig in die Richtung der Vergesellschaftung und der Naturalisierung bewegt, verdichtet sich in den inneren und äußeren Formen der Maschine. Während die “innere Wertform” der Maschine genau das ist, was es ihr ermöglicht, sich in konstantes Kapital zu verwandeln und die Produktion von Wert zu ermöglichen, ist es ihre “äußere” und “naturalisierte” instrumentelle Form, die es der Maschine ermöglicht, den Anschein der Neutralität aufrechtzuerhalten und somit die Klassenherrschaft durch die “unpolitischen” Arbeitsmittel zu ermöglichen.

Wichtig ist, dass Bahrs Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Formen des Werts seine Darstellung des Verhältnisses zwischen wissenschaftlicher Arbeit und Wertform von derjenigen Sohn-Rethels trennt: Fixiert auf die Entstehung von “Gedankenformen” im Austausch, verdeckt Sohn-Rethel die Bestimmung des kapitalistischen Austauschs durch Maschinen, die an sich frühere Gedankenformen vergegenständlichen und verinnerlichen – kurz gesagt, er berücksichtigt nicht die historische Entwicklung der Arbeitsmittel, die der Möglichkeit der “Verwissenschaftlichung” der Produktion innewohnt. Für Bahr ist es gerade die Kommodifizierung der Arbeitsmittel, die wissenschaftliches Denken und Tausch in ein durch und durch dialektisches Verhältnis bringt, mit dem Ergebnis, dass bestimmte “Formen des gesellschaftlichen Intellekts ebenso Produkte wie bestimmende Momente der Universalisierung des Werts” sind (ebd.: 132). Dies ist eine wichtige Behauptung, da eine provokante Konsequenz darin besteht, dass die kapitalistische Produktionsweise nicht nur durch den Austausch “formbestimmt” ist, sondern durch die Materialisierung des Werts als “innere Form” der Maschine innerlich bestimmt wird.

Eine Bemerkung mag diesen Punkt verdeutlichen: Die Struktur der Maschinerie in der Warenproduktion erhält gleichzeitig eine Form des Gebrauchswertes und eine Form des Wertes (ebd.: 126). Andererseits aber nimmt die Ausdehnung der Wertform im Falle der Erleichterung der Entwicklung der Arbeitsmittel einen spezifischen, einzigartigen Weg. Wiederum als “innere Form” wohnt der Maschine der Wert als “abstrakte gesellschaftliche Zweckmäßigkeit” oder als “immanente Wertform der Produktionsmittel” inne (ebd.: 104). Gerade deshalb, als Involution der Wertform in der Maschine, kommt dem Wert eine Rolle in der Produktion zu: Der Wert “spielt” als “innere Form” der Maschinerie mit, indem er die “Weiterentwicklung adäquater Gebrauchswertformen für die Produkte” “mitbestimmt” (ebd.: 132).

Wie Bahr betont, hatte Marx diese “innere” Form des Werts bereits angedeutet, indem er das “sinnliche Maß” der Ware als die Vermittlungsform ihres Gebrauchswerts und ihres Tauschwerts bezeichnete. “Maße”, schreibt Bahr, “sind quantitative Relationen […] als soziale Eigenschaften von Gegenständen” (ebd.: 127). Die überwiegende Mehrheit der Maße kann als besondere Äquivalentformen des Wertes betrachtet werden, “die sich aus verschiedenen Gründen nicht zur allgemeinen Wertform weiterentwickeln konnten” (ebd.). Die historische Entwicklung der “sinnlichen Maße” führt also nicht nur zur Entstehung der Preisform, sondern gleichzeitig auch zur historischen Entwicklung aller möglichen industriellen Standards für Gewicht, Anzahl, Länge, Fläche, Raum usw. Während es sich bei ersterem um die “äußere” Entwicklung des Werts im Austausch handelt, ist letzteres die “innere” Entwicklung des Werts innerhalb der Produktion – nämlich innerhalb der technischen Spezifikationen der Maschinen selbst.

Angesichts der inneren Form des Werts ist die Bestimmung der “Warenmengen” also nicht mehr ausschließlich dem Bereich des Tauschs vorbehalten, sondern wird “von vornherein zusammen mit der Ware produziert” (ebd.: 130). Anders ausgedrückt: Die innere Form des Wertes ist genau das, was den produzierten Gegenstand nicht mehr für das gesellschaftliche Bedürfnis, sondern als Ware zum “Zweck” des Tausches produziert – nämlich insofern, als er durch die Anwendung der standardisierten Maschinerie ein “sinnliches Maß” erhält. Auf diese Weise heften sich die Maßeinheiten an “technisch spezifische, naturgegebene Formen der Ware als innere Wertformen” (ebd.: 131).

So “versinkt”, wie Bahr in Anlehnung an Marcuse bemerkt, die technische Rationalität in der “eigentlichen Warenproduktion” (ebd.). Das liegt daran, dass im Bereich der Produktion die Wertform die technischen Spezifikationen der Maschinen prägt: “Die ‘gleichförmige Bewegung’ der Maschinerie selbst beherbergte die Schaffung einer ‘inneren Wertform’ der Warenobjekte (als einander gleich), so wie die Maschinenbewegung selbst die ‘innere Wertform’ der Produktionsmittel als Prozess ausdrückt. Die Gleichwertigkeit der Beträge der verschiedenen Waren wird zu ihrer tatsächlichen Gleichheit” (ebd.: 132). Die erwähnte “melancholische Gleichförmigkeit” der proletarischen Arbeitsbedingungen wiederum kann schließlich als notwendige Konsequenz technischer Spezifikationen, wie der Gleichförmigkeit der Maschinenbewegung, gesehen werden, die ihrerseits gleichsam die “innere Vereinnahmung” der Produktionsmittel im Kapitalismus durch die “innere Wertform” zum Ausdruck bringen.

Sobald die innere Klassenstruktur der Maschine hinreichend geklärt und damit die “innere Wertform” der Maschine enthüllt ist, kann eine marxistische Technikkritik meines Erachtens die “äußere Form” der Maschine nicht mehr als “klassenneutrale” Instrumentalität verwechseln. Stattdessen würde diese “äußere Form” des bloßen instrumentellen Gebrauchs als untrennbar verbunden mit der “inneren Form” des Werts, den sie verbirgt, erkannt werden. An diesem Punkt müsste eine marxistische Technikkritik die Spekulation über eine revolutionäre soziale Form der Technik riskieren, die die Dialektik der “inneren” und “äußeren” Formen der Maschinerie im Kapitalismus überwindet.

Literaturhinweise

Bahr, Hans-Dieter. 1980. “Die Klassenstruktur der Maschinerie: Anmerkungen zur Wertform”. Übersetzt von Pete Burgess. In Outlines of a Critique of Technology. Herausgegeben von Phil Slater. London: Ink Links, S. 101-141.

Marcuse, Herbert. 1968. Negations: Essays in Critical Theory. Übersetzt von Jeremy J. Shapiro. London: Penguin.

Marx, Karl. 1976. Das Kapital, Band I. Übersetzt von Ben Fowkes. London: Penguin.

Simondon, Gilbert. 2017. Über die Existenzweise von technischen Objekten. Übersetzt von Cécile Malaspina und John Rogove. Minneapolis: Univocal.

Slater, Phil. 1980. “Introduction to Bahr.” In Outlines of a Critique of Technology. Herausgegeben von Phil Slater. London: Ink Links, S. 97-100.

Sohn-Rethel, Alfred. 1978. Intellektuelle und manuelle Arbeit. New Jersey: Humanities Press.

english version here: https://phases.substack.com/p/reading-hans-dieter-bahrs-the-class

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