Logik und Künstliche Intelligenz

Dies ist ein Auszug aus dem kommenden Buch: im Delirium der Simulation. Baudrillard Revisited.

In englisch zu kaufen hier: https://forceincmilleplateaux.bandcamp.com/merch/in-the-delirium-of-the-simulation-baudrillard-revisited-by-achim-szepanski

Bei der Künstlichen Intelligenz handelt es sich um netzwerkartige Computertechnologien, die auch den Großteil der Prozesse automatisieren, mit denen alle möglichen Formen von Verhaltensabläufen gesteuert werden, und dies hat grundlegende Auswirkungen sowohl auf die Produktions- als auch auf die Tauschmodalitäten. Die Automatisierung des »allgemeinen Intellekts« auf der Grundlage der Häufigkeit der Datennutzung verweist auf eine neue mediale Infrastruktur der statistischen Modellierung, der Mustererkennung, des Data Mining, der Industrialisierung des Wissens, der prädiktiven Analytik und der selbstorganisierenden und adaptiven Systeme. Insbesondere mit der Entwicklung des maschinellen Lernens wurde in den 1990er Jahren in den Bereichen der künstlichen Intelligenz (KI) mit der Automatisierung der Kognition eine neue Art der algorithmischen Verarbeitung eingeführt, die aus Daten lernt, ohne jedoch einer expliziten Programmierung zu folgen. Der zunehmende Einsatz von Systemen des maschinellen Lernens in Finanz-, Militär-, Regierungs- und Bildungssystemen stellt die Vorstellung von Automatisierung, die klassischerweise als bloße Reproduktion physischer oder mentaler Funktionen gedacht war, grundlegend in Frage. Beim maschinellen Lernen der KI-Systeme geht es nicht mehr um die Automatisierung manueller und geistiger Arbeit, sondern es vollzieht sich mit der qualitativen Erweiterung der Automatisierung über die mechanische Reproduktion von Anweisungen hinaus eine Transformation der Automatisierung selbst, indem sich nun aus der Neuzusammensetzung von Daten neue Muster generieren lassen. Es geht hier um die Automatisierung der Automatisierung bzw. um die automatisierte Generierung neuer algorithmischer Regeln auf der Grundlage der granularen Analyse und der multimodalen logischen Synthese wachsender Datenmengen. (Parisi 2019) Insbesondere das maschinelle Lernen gilt heute als Manifestation einer neuen Form von Intelligenz, die in der Lage ist, die Automatisierung zu automatisieren. Die Automatisierung der Automatisierung betrifft eine Metaebene der algorithmischen Funktion, wobei die Kognition nicht nur von Maschinen organisiert, sondern algorithmisch durch neuronal vernetzte Schichten erzeugt wird.

Von der deduktiven Resonanz eines mathematischen Theorems spricht man dann, wenn es ähnlich einer kristallinen Struktur eine feste Korrelation zwischen einzelnen und allen weiteren Begriffen herstellt, wobei nichts dem Zufall überlassen wird und keine Mehrdeutigkeit entstehen kann. Die neuen Formen des maschinellen Lernens sind aus einer Verlagerung der Berechnungsmodelle des logischen Denkens hervorgegangen, nämlich von der Logik der deduktiven Schlüsse, die auf kleine Daten angewandt werden, hin zur induktiven Abfrage und Rekombination unendlicher Datenmengen. Diese Verlagerung von der formalen Kognition auf der Grundlage deduktiver Schlussfolgerungen hin zu einem Modell der unbewussten Kognition, das in der vernetzten Intelligenz lokaler Systeme verankert ist, hat zu einem immer dichteren Kommunikationsfluss zwischen den automatisierten Maschinen selbst und zwischen Menschen und Maschinen geführt. Wenn Maschinen übersetzen oder Poesie formulieren, dann ist für die Sprachverarbeitung subjektives menschliches Bewusstsein nicht unbedingt nötig. Ein netzwerkförmig konfiguriertes Computergehirn, das mit sprachlichen Äußerungen gefüttert wird, ist hinreichend genug, um sich kommunikativ in der Sprache zu bewegen. Mit zunehmender Zahl könnten vernetzte intelligente Maschinen, die ohne Bewusstsein operieren, bewusstseinsgebundene Prozesse der menschlichen Intelligenz an Leistungsfähigkeit überholen. Je besser KI-basierte Plattformen selbst schon die emotionalen Reaktionsmuster und Präferenzen von Individuen lesen können, umso schwieriger wird es für diese, zu unterscheiden, was ihr eigener Wille ist und welche Impulse und Wünsche sich den suggestiven Rechenoperationen der Plattformen verdanken. Nicht-bewusste Formen der automatisierten Kognition können heute schon komplexe Probleme lösen, ohne formale Sprachen oder schlussfolgerndes, deduktives Denken zu verwenden, und zudem ohne die Intervention des menschlichen Bewusstseins. Mit der Verwendung niedriger Ebenen neuronaler Organisation, iterativer und rekursiver Muster setzt die induktive Denkmethode auf intelligente Wirkung, die – wie in der Quantentheorie – größer ist als die Teile, aus denen sie besteht. Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich Emergenz, Komplexität und Anpassung sowie die phänomenale Erfahrung der Kognition nicht auf materielle Prozesse reduzieren. Stattdessen wird das Spannungsverhältnis zwischen Automatisierung und Denken von Luciana Parisi im Sinne eines dreiteiligen Systems unterschiedlicher Grade des Denkens rekonstruiert, welches das bewusste Denken, die unbewusste Kognition und materielle Prozesse verbindet. (Ebd.)

Wenn sich die Auseinandersetzung zwischen deduktiven und induktiven Modellen des automatisierten Denkens lediglich auf die wissenschaftliche Beschreibung der Kognition (entweder in der symbolischen Sprache oder in der affektiven, unbewussten Unmittelbarkeit) konzentriert, dann wird der sozialen Einbettung des Denkens und dessen Transformation im Kontext des automatisierten Lernens zu wenig Beachtung geschenkt. Luciana Parisi schlägt deswegen vor, die Nutzung von Daten nicht rein als funktionale Nutzung bzw. als Problemkonstruktion, sondern als dynamische Neubewertung sozialer Bedeutung (und nicht Wahrheit) zu verstehen, die in die rechnerische Konstruktion der sozialen Nutzung von Daten eingebunden ist. (Ebd.) Die Bedeutung der neuen Formen der Datenverarbeitung impliziert für Parisi die kollektive Bildung von abduktiven Schlussfolgerungen innerhalb und durch die gesamte Computerlogik hindurch, basierend auf der hypothetischen Ausarbeitung der Bedeutung, die in der nicht-diskursiven und lokalen Nutzung von Daten enthalten ist – und dies im Kontext von Algorithmen, Software, Subroutinen, Codes sowie Datenbanken, Plattformen, Schnittstellen etc. Es geht hier um den pragmatistischen Versuch, Logik im Sinne einer Kontinuität des Prozesses zwischen materiellen Praktiken, diskursiven Artikulationen und axiomatischen Wahrheiten zu erklären, wobei dieser Prozess als eine dreiteilige Konfiguration von Methoden verstanden werden, die deduktives, induktives und abduktives Schließen einschließen.

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