Rhythmus und non-frequency-politics (Ultrablack of Music 4)


Wenn der Rhythmus sich radikal von der Metrik und der Uhr unterscheidet, dann betreten wir das Feld der non-frequency-politics; scheinbar ist diese nichts weiter als eine Politik der deleuzanisch-produktivenDifferenzen, die anzeigt, dass sich der Rhythmus als differenzielles Phänomen von der Metrik und der messenden Wissenschaft unterscheidet. Der nicht-musikologische Begriff der Rhythmusmacht (Fowler 2015) eröffnet hier zunächst die Möglichkeit für experimentelle Rhythmusproduktionen: Wir können von Rhythmusmacht etwa im Hinblick auf nicht-periodische Pulse und »clicked music«sprechen. Wir finden in den Clicks & Cuts transversale Disjunktionen und heterogene Temporalitäten sowie divergente räumliche Komponenten vor, die sich in einem Track überlappen und koexistieren; ganz im Dienst der heterogenen Temporalitäten und räumlichen Komponenten zeigt der Click genau dann seine unbesiegbare Evidenz, wenn er verschiedene Potenziale, die das Immer-Weiter-Machen fordern, öffnet (ein Aspekt der Ultrablackness der Musik), weil das Signal kurz und ohne kontextuelle Referenz ist, sodass eben Anschlussfähigkeit notwendig ist, ohne dass aber der weitere rhythmische Verlauf determiniert wird. Vielmehr beginnt durch die Verkettung eine Indetermination sich anzudeuten. An dieser Stelle ist der Fehler nicht etwas, das als Bedeutung in die Clicks & Cuts eingeschrieben wird, sondern er ist ein Faktum, das Potenziale freisetzt. Indem potenziell jedes Geräusch zum musikalischen Material und zugleich zum a-signifikativen Zeichen wird, das ohne einen Zeichenträger auskommt, der sui generis etwas bedeuten muss, wird der Kopf kirre. Die Musik entsteht jetzt gerade durch eine Verschiebung dessen, was als Click, Pulse oder Geräusch minimal zeichenhaft verfahren muss. Erst durch die Verkettung von a-signifikanten Zeichen wird aus dem Material Rhythmus und Musik. Der Track ist jedoch keine dem Zeichen eingelagerte Bedeutung, sondern ein Referieren auf vorgängige und auf zukünftige Zeichenketten. Selbst der traditionelle Ton ist nicht an sich Musik, sondern die Verkettung und die Zusammensetzung erschafftdie Musik. Nono schreibt:»Die Bedeutung liegt in den Beziehungen, die zwischen den Tönengeschaffen werden« (Nono zitiert nach Schläbitz 2003: 122).

 Durch die Verkettung der Zeichen wird eine lose Kopplung zum Track gezurrt, gerade weil ein »Zeichen« wie bspw. der Click »für sich nicht feststeht und eine aufgeschobene Präsenz nur beweist, indem er seinem folgenden Verwandten die Referenz erweist« (ebd.). Durch die Folge weiterer Clicks und deren verschobener Wiederkehr wird der Track verändert und zugleich etabliert. Wo früher Verunreinigungen oder Kratzer auf dem Vinyl den behäbigen Musikgenuss störten, werden nun Geräusche/Zeichen in die Musik integriert. Der Click ist zu kurz, um für sich allein eine phantastische Bilderwelt zu assoziieren oder um eine schon bekannte Geschichte zu erzählen, aber doch lang genug, um in der rhythmischen Relation mit anderen Clicks zu wirken und an die Musik des Realen heranzureichen. Es gibt eine transversale Disjunktion, die intern im Track artikuliert ist, die aber auchin seiner Beziehungzu anderen Tracks existiert, und dies impliziert die Transition der Clicks&Cuts. Transversalität ist ein topologisches Konzept, ein extending over, lying across und intersecting ohne resultierende Koinzidenz, während transversale Musik den Click/Cut im Spiel zwischen aktuell und virtuell im Ereignis selbst verdichtet, von der Mutation eines Instruments, das die Vergangenheit mit der Gegenwart verknüpft, hin zu einer neuen futuristischenArt desSounds. Wenn man einen Track hört, dann beschreibt Deleuze ihn als Kraft, Dauer und Sensation,welche durchTempi, Rhythmen, Texturen und Sound variiert werden.

Wenn non-frequency-politics der Uhr zuhört, hört sie nicht das gleichförmige tic tic, tic, sondern sie hört tic – toc – fuckthe clock. Non-frequency-politics arbeitet mit dem Click, der jetzt als inhärenter Stress zu verstehen ist, welcher auf bestimmte Metriken oder Beats fällt, wobei jeder weitere Beat unter Stress gestellt wird und dieser sich wiederholende Stress ist das Click-Clock im Sound – verschiedene Möglichkeiten der Überlagerung und Verkettung von Clicks, Pulsen und Geräuschen bis hin zu Gruppierungen von Beats, die wiederum in ungleiche Patterns verteilt sind. (Wenn die Nicht-Musik der non-frequency-politics im nicht-standardisierten Phasenraum situiert ist, nämlich zwischen periodischen Pulsen und Sinustönen und nicht-periodischen komplexen Modulationen und Transformationen, dann lässt sich hier vielleicht eine Nachbarschaft zu Dantes Bourdon oder Messians kompositorischen Techniken feststellen. Messian kombiniert das Rhythmische jedes einzelnen Vogelgesangs mit dem Rhythmus als Orchester aller Vögel: Auf der einen Seite gibt es keine vollkommene rhythmische Unordnung, aber auf der anderen Seite werden die Vögel als Orchester auch nicht durch eine tickende Uhr synchronisiert.)

 Non-frequency-politics widersetzt sich den Einschreibungen des Werts, der als Differenziator des Kapitals die Bedingung für das Geld in all seinen Registern ist; sie widersetzt sich dem semiotischen Wert oder den Schlägen und Beats der Signifikanten, welche das tic, tic, tic der schlagenden Differenz als Preis zählen. In der Standard-Musik wird diepunktierte Produktionszeit der Codes in den Körper der Musik eingepflanzt, was die non-frequency-politics wiederum weiß und deshalb zur pulsierenden rhythmischen Kraft übergeht und sich dabei einer antikausalen Methode der perkussiven Verkettung bedient, die aus dem Bann der Uhrzeit herausführen soll (and-when-you-hear-in-rhythm-you-are-the-co(s)mic-warrior-with-the-golden-imperative-in-the-last-instance:tic-toc -fuck the clock). Man hört nun tic-toc anstatt tic-tic. Der Rhythmus kann in diesem Kontext eben als Stress bezeichnet werden, der in der Konfrontation, der Verschiebung und der Überlagerung diverser Clicks, Pulsen und Beats entsteht, wobei jedes kommende Pattern noch mehr gestresst wird als das vorherige schon wurde. Das Pattern als ein singuläres zeitliches Ereignis kann aber auch schwimmen, ja verschwimmen, wenn es zu einer Serie von schwindenden Echos degradiert wird … der Rhythmus wird Soundschweif (Eshun 1999:076): Dehnungen des Rhythmus und Rhythmustrümmer, die selbst wieder rhythmisch werden und zu Sound-Texturenführen.

 Solche Prozesse sind für Eshun eher als Texturendenn als Rhythmen zu verstehen. Scratchen ist ein Textureffekt per se. (In den Werken vonYannis Xenakis wie»Pleiades«ist die Klangtextur der Musik noch einakzidentelles Element. Perkussive Stücke hingegen, bei denen das Perkussive zur Mobilisierung der Geräusche eingesetzt wird, sind meistens nicht für Schlaginstrumente geschrieben.) Das Scratchen einzig als Fehlbedienung zu verstehen, das der Erzeugung geräuschhafter Klänge dient, geht fehl. Aber wenn im Zuge dieser Position jedes Instrument, jedes Gerät und jede Maschine in einen Geräuschmodulator verwandelt werden soll, dann taucht die These von der musikalischen Suffizienz auf, die einschließt, dass alles, was gehört werden kann, musikalisch ist.

Die Kraft des Rhythmus erzeugt Spannung und Erstarrung zugleich; die non-frequency-politics wird sich jetzt gewahr, dass diese Kraft dem Metrum entzogen ist oder es einfach überrollt: tic-toc -fuck the clock! heißt das Prinzip. Non-frequency-politics ist irreguläre»click music«, aber ähnliche Effekte erzeugt auch der unend liche Loop des Breakbeat: vertikale, verstolperte, kontra-, polar-, nicht-synchrone Rhythmen, Ströme des sonischen Materials, das zudem»flüssige Klavierperlen«, »kreischende Motorsägen« und»gedämpfte Trompetennebelbänke« moduliert (Eshun 2009: 007). Perkussion mutiert laut Eshun zu einer »nonlinearen Boshaftigkeit«(ebd:008), wenn sie eine kriechende, sich windende Taktilität erzeugt. Im Grunde genommen ist schon die Drummachine ein Rhythmus-Synthesizer (ebd.: 224), der im Sinne einer Sprengmaschine und neuen Ballistiken Signale und Pulse ausgibt, die zu neuen Pulsen und Signalen verkettetet werden. Non-frequency-politics generiert die Superspur, ist Flow an sich oder Quant, mit dem ihre Generatoren die Metrik oder den Beat des Signifikanten ding-ding-ding-ding überschwemmen. Und non-frequency-politics präsentiert nun an Stelle der Wahrheit, die ihr Telos im weißen Rauschen eines vollen Sprechens hat, mit dem ja selbst das Hintergrundrauschen, das Reale selbst zählbar werden soll -, sie präsentiert eine inzestiöse Konjunktion des Prinzips der Überlagerung und der Nicht-Kommutativität. Wellen überlagen sich, durchqueren einanderund kreuzen sich in der Geschwindigkeit ihres in-rhythm-in-rhythm. (Non-frequency-politics liefert sozusagen das Speed für die Soundmaschinen, während die Analyse des Musikalischen denTranquilizer bereithält.) Non-frequency-politics weiß, dass dieMatheme des Kapitals keine Götter sind.

 

 DieTechnik einer ahumanen Musik forciert eine Produktion von dermaßen nuancierten Patterns, dass nur noch Maschinen in der Lage sind, dieseauszuführen, und wenn der Zuhörer die Patterns einfangen will, rennen sie ihm manchmal einfach davon oder prasseln als Rhythmusschauer auf ihn ein oder oder ziehen ihm den Boden unter den Füßen weg. Es ist der computerisierte und posthumane Hyper-Rhythmus, der als Effekt von Effekten (die Struktur ist der Effekt) von Menschen nicht gespielt werden kann und manchmal auch gar nicht mehrhörbar ist. »Hyperkussion«und »Superkussion« (Eshun) implizieren eine neuerhythmische A-Logik, wenn Beats sich spalten oder sich gegenseitig abschießen, oder sie überlagern sich und mutieren zu »rieselnden Stricknadeln« und »hochgepitschtem Quietschen« und»Klapperschlangenspasmen« (ebd:082); beschleunigen bis auf180 bpm, wo sie sich wieder in das unhörbar Körnige des Noise verwischen und gleichzeitig gigantische Soundwände aufbauen. Und solch eine Musik muss, was ihre Konzeptualisierung betrifft, sich gar nicht der Technologie unterwerfen, sondern sie muss sich selbst als Form verstehen, die mit Technik rekombinierbar ist. Diese Rekombination der Klang- und Rhythmusfülle verschluckt den Produzenten. Parallel dazu hat eine Theorie der Musik-Fiktion die Essenz des musikalischen Seins sowie das fraktale Sein der musikalischen Objekte einzufangen, um sie als Hypothese, Deduktion und experimentellen Test zu behandeln.

Foto: Stefan Paulus

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