Zur Frage der Staatsfaschisierung

Dieser Text wurde vor ca. 2 Jahren geschrieben, also lange vor der Covid19 Pandemie. Wenn in dem Text von Regierungs- und Machttechniken die Rede ist, die einen Prozess der Faschisierung des Staates in Gang setzen, dann sind darin sicherlich auch “biopolitische Techniken” eingeschlossen, die zur Kontrolle und Stabilisierung der Bevölkerung gehören. Foucault hat auf die verschiedenen rechtlichen, disziplinarischen und sicherheitspolitischen Technologien und Rationalitäten der Regierung aufmerkdam gemacht, die unterschiedliche Techniken und Arten des Umgangs mit einem epidemiologischen Phänomen (Ausschluss, Quarantäne, Impfung) entsprechen. Ansteckung und Epidemien sind immer auch kulturelle Kategorien, deren Management und Verwaltung das Ergebnis einer bestimmten, wenn auch vorübergehenden, politischen Rationalität ist. Mit der Pandemie ist das Leben der biologisch-demographisch-medizinischen Kontrolle der Bevölkerung und damit jedes einzelnen Individuums als Lebewesen entglitten und zwar über eine absehbare – wenn auch von der westlichen Welt weitgehend verdrängte – Begegnung unserer Körper mit einer gefährlichen tierischen Materialität.

Marios Emmannouilidis schreibt: “Die Staatsapparate entscheiden sich also dafür, das zu tun, was logisch ist, oder einfach das zu tun, was sie zu tun wissen, und sich in den zerschnittenen, segmentierten Raum des Nationalstaates zu begeben. Nationale Segmentierungen, die sich von Natur aus gegenseitig ausschließen, funktionieren als Modi der Eingrenzung, die die Übertragung abfangen. In der Folge fordern uns die Staatsapparate auf, uns vor einem Virus zu schützen, der alles besetzt hat, vor einem Virus, der sowohl präsent als auch nicht präsent ist. Auf einer primären Ebene wird die staatliche Politik der Rettung horizontal eingeführt: Der gesamte innere nationale Raum wird unter Quarantäne gestellt. Natürlich wird der Staat innerhalb seiner eigenen Logik die Bevölkerung beschuldigen, sich nicht genug zu schützen, nicht zu gehorchen, zu versuchen, die moralische Last zu übertragen (wie während der Finanzkrise). Doch der Staat teilt den inneren Raum auf und verwaltet ihn unterschiedlich. Manche Orte sind frei von Quarantänebeschränkungen, andere sind komplett abgeriegelt. Arbeitsplätze, Pflegeheime, Gefängnisse, Flüchtlingseinrichtungen (sogar Kreuzfahrtschiffe) sind zu einem großen Teil lebenswichtige Disziplinarstrukturen; sie werden zu Räumen, in denen sich entweder eine nützliche oder eine verlassene – wenn auch öffentlich verschlossene – Bevölkerung konzentriert, in denen die Quarantäne nicht in Kraft ist, was zu einer internen Übertragung des Virus führt.”

Angemerkt werden soll, dass der Staat als vielzitierter “ideeller Gesamtkapitalist” (Engels) natürlich dafür sorgen muss, dass eine halbwegs gesundheitlich intakte Bevölkerung bestehen bleibt, die das Reservor für Lohnarbeit und weitere prekäre Tatigkeit darstellt. Aber er bleibt eben nur ideeller Gesamtkapitalist, regiert wird das Kapital nicht durch den Staat, sondern die Einzelkapitale müssen den Gesetzen folgen, die das Gesamtkapital als transzendentale Bedingung setzt. So schreibt Alex Demirović im AK zu Recht: “Für den Profit kann es sinnvoll sein, die Betriebe zu schließen: Der Markt wird bereinigt, angesichts geringer Nachfrage lassen sich Kosten vermeiden, staatliche Unterstützung kassieren und die Lohnabhängigen, mit Kurzarbeitsgeld an die Unternehmen gebunden, gleichzeitig gesundheitlich schützen, um sie dann, wenn die Wirtschaft wieder anzieht, sofort in die Produktion zurückzuholen. Es ist eine widersprüchliche Bewegung: Wann sind die Verluste größer oder niedriger, wann die unmittelbaren Kosten höher? Mit welchen langfristigen Wettbewerbsvorteilen oder Kosten ist zu rechnen? Kapitalinteressen sind unterschiedlich und durchaus konfliktreich. Der Staat tritt nicht für das Kapitalinteresse im Allgemeinen ein, denn das gibt es nicht.”

Hier der Text:

In einem Text aus dem Jahr 1973, der im Kursbuch erschien, hat Manfred Clemenz den
Begriff des strukturellen Staatsfaschismus eingeführt, wobei der Autor voraussetzt, dass
es keine grundlegenden funktionalen Unterschiede zwischen den Formen der
parlamentarischen Demokratie und den faschistischen Ausnahmestaaten gibt, sondern nur
phänomenologische Veränderungen konstatiert werden können, die drastische Formen
annehmen können bis hin zu Brüchen. Diese Fragestellung hat sich verschoben. Es
handelt sich hinsichtlich des neuen Phänomens der Staatsfaschisierung zwar tatsächlich
nicht um eine neuartige Staatsform, aber auch nicht bloß um Phänomen, deren Summe
dann so etwas den Staatsfaschismus ausmachen. Der Begriff der Staatsfaschisierung, der
von vornherein das prozessuale Moment betont, inkludiert einen konjunkturellen oder
situativen Wandel des Regierens, eine Verschiebung und schließlich Neuordnung von
Staatsapparaten und Governance/Regierungsformen, die noch keine endgültige Gestalt
gefunden haben, sodass zum einen der gewöhnliche Kapital-Staat nicht ganz aufgehoben
ist, zum anderen aber auch nicht entschieden ist, ob der Prozess der Faschisierung in
einem faschistischen Ausnahmestaat münden wird. Das den Staat heute auszeichnende
„institutionelle Präventiv-Dispositiv“ (Poulantzas, 192), das für Poulantzas allerdings auch
schon den autoritären Etatismus in den 1980er Jahren kennzeichnete, ist heute dermaßen
in staatliche und nichtstaatliche Apparate und Institutionen eingeschliffen und hat sich zu
einem grundlegenden Dispositiv neben dem offiziellen Staat der parlamentarischen
Demokratie entwickelt, dass man nicht nur von einer permanenten Überlagerung dieses
Dispositivs mit dem offiziellen Staat oder von einer gegenseitigen Osmose sprechen kann,
wie Poulantzas es noch tut, sondern von der Dominanz eines durch die Präventivlogik
gekennzeichneten Faschisierungsprozesses, der in seiner Struktur vollkommen neu ist
und keiner bisherigen historischen Periode der Staatlichkeit entspricht. Aufgrund eines
spezifisch codierten Krisenszenarios (Terrorismusbekämpfung) und insbesondere
aufgrund der Durchsetzung der Präventivlogik ergreift der Sicherheitsstaat heute politische
und rechtliche Maßnahmen, die die Struktur des normalen kapitalistischen Staates und
nachhaltig verändern und seine Rechtsstaatlichkeit soweit transformieren, dass sie mit der
Verfassung in Teilen nicht mehr in Einklang gebracht werden können, ohne dass man aber
diese selbst verleugnen muss. (In der liberalen Staatskonzeption ist das Parlament
Ausdruck des allgemeinen Willens, der Nation und des Volkes, und die Institutionalisierung
des Gesetzes erfolgt als ein Modell universaler, allgemeiner und formaler Normen.
Rechtsstaatlichkeit impliziert hier die Kontrolle der Regierung und Verwaltung durch das
Parlament. Heute ist eine vor allem im Parlament inkarnierte Legitimität längst ausgesetzt und
wird durch andauernde und angebliche alternativlose Zuschreibungen ersetzt, die sich auf
Fragen der Effizienz kaprizieren und von einer neuen technischen Rationalität geleitet sind und
sich organisatorisch in der Exekutive und Verwaltung verdichten.)

Diese Entwicklung verweist wiederum auf wichtige Veränderungen im Verhältnis zwischen
den internationalen Kapitalbewegungen und den Operationen der Staaten, die aber nicht
nur seine ökonomischen Funktionen und Handlungsweisen, sondern auch seine
politischen und organisatorischen Bereiche selbst betreffen. Der gegenwärtige Staat
versucht nicht nur andauernd effektive Antworten auf ökonomische und politische
Krisenprozesse zu finden, sondern er transportiert spezifische Präventionslogiken in die
Regierungstechniken, die zweifelsohne ihre letzte Bedingung in längst einer auf die
Zukunft umgestellten Kapitalisierung haben. Und dies bedeutet auch, dass sich die
Transformationen des Staates keineswegs eindeutig als eine Stärkung oder Schwächung
seiner Machtpotenziale ausmachen lassen, sondern eine ungleichmäßige Entwicklung
anzeigen, die in Relation zur Kapitalökonomie eine Schwächung, bezüglich der Formen
des autoritären Managements eine Stärkung vermuten lässt (wobei letztere wiederum
durch den zunehmenden Einfluss von privaten Sicherheitsdiensten auf das polizeiliche
Management von Konflikten und Situationen gefährdet ist. Der Staat verlöre damit immer
stärker das Gewaltmonopol, gerade insofern die Mittel des Zwangs diversifiziert werden
müssen: diplomatisch, ökonomisch, sozial und kulturell, was zur Multiplizierung der Apparate
führt, in denen die finanzielle Gewalt sicherlich die effektivste ist, insofern ihre Effekte den
gesamten Gesellschaftskörper destabilisieren können, während die Effekte differenziert
werden.)

Dabei gehen die Spezifika des gegenwärtigen Staates in Begrifflichkeiten wie etwa autoritärer
Neoliberalismus nicht mehr auf. Auch andere Begriffe wie Totalitarismus, autoritäre
Demokratie oder autoritärer Etatismus erscheinen zunehmend ungeeignet, um das
Charakteristische und Neuartige der staatlichen Transformationen zu bezeichnen, weshalb wir,
zugleich auch um das Moment der Entwicklung darin stärker hervorzuheben, den Begriff
strukturelle Staatsfaschisierung vorschlagen, der zudem auf die Transformationen der
Globalisierung, wie wir sie skizziert haben, sowie auf neue nationale und internationale
Klassen- und Kräfteverhältnisse hinweist, welche die heutige historische Phase der weltlage
kennzeichnen. Der kommende Faschismus, der als „Faschismus« in Anführungszeichen
gesetzt werden muss, nimmt heute nicht unbedingt jene Gestalt an, nach der vielleicht in den
1970er Jahren noch gefragt wurde. Dabei gilt es auch zu beachten, dass der
Faschismusbegriff vor allem im linken Feld oft genug dort einspringt, wo Transformationen,
Ausnahmen und Frakturen adressiert werden sollen, für die Begriffe allerdings noch fehlen.
Wenn dann aber daraufhin der Begriff des Faschismus in den Kämpfen um die Hegemonie in
den Theorien und Diskurse ganz ausgespart wird, dann entsteht eben längst auch kein
diskursiv leerer Raum. Wir befinden uns also auf einem schwierigen Terrain.
Der Begriff strukturelle Staatsfaschisierung, wir wir ihn vorläufig verwenden, basiert auf
historischen Voraussetzungen, die in den 1970ern Jahren so noch nicht gegeben waren. Zu
nennen sind vor allem die Prozesse der Scharfmachung der finanziellen Kriegsmaschinen und
der rein auf die Zukunft bezogenen Kapitalisierung, die sich transformierenden Krisen und
Rezessionsphasen insbesondere des industriellen Kapitals, die Implementierung neoliberaler
Maßnahmen und Projekte wie die Deregulierung, Austeritätspolitik, Privatisierung von
öffentlichen Einrichtungen, die globale Fragmentierung der Produktionsprozesse und die
gleichzeitige Herstellung eines fragmentierten globalen Proletariats. Die daraus
entspringenden Wirkungen kommen heute global einem ökologischen und sozialen
Katastrophenprogramm gleich: So nimmt der Klimawandel schärfere Konturen an und in den
Peripherien sind immer mehr Menschen gezwungen, in den Slums der Großstädte oder in
failed states dahinzuvegetieren.

Wir gehen davon aus, dass diese Krisenentwicklung in Frequenz und Intensität weiter
zunehmen wird, und damit einhergehend auch die soziale Polarisierung nicht nur im Süden,
sondern auch in den Metropolen des Nordens sich verschärfen wird, zugleich aber eine
Rückkehr zum national-sozialstaatlichen Kompromiss des Fordismus, d. h. einer historischen
Sonderperiode, die durch Systemkonkurrenz, Klassenkompromiss, Korporatismus und
keynesianische Wirtschaftspolitik gekennzeichnet war, heute nicht mehr möglich erscheint.
Aus den genannten Gründen wird die Regulation gesellschaftlicher Fragmentierung
zunehmend auch polizeilich statt durch materielle Gratifikationen gelöst. In dem Maße, in dem
der Staat soziale Leistungen abbaut, muss er in seiner Funktion als soziale Polizei aufrüsten,
indem er etwa die Arbeitspolitik am verstärkten Einsatz repressiver Methoden ausrichtet
(restriktive Verwaltung von Arbeitslosigkeit und Armut durch die Bundesagentur für Arbeit und
Hartz4). Austerität und Autoritarismus gehören zusammen. Oder, um es anders zu sagen, der
Markt und starker Staat schließen sich zwar in der neoliberalen Doktrin, nicht aber in der
Praxis gegenseitig aus. Das widerspricht sich also überhaupt nicht.
Die neuartige strukturelle Staatsfaschisierung entsteht aber nicht ausschließlich als eine
Reaktion auf regressive Entwicklungstendenzen und Krisenprozesse, sondern sie antizipiert
die kommenden Trends, die ökonomischen, sozialen und politischen Krisen und
Konfliktpotentiale, was in entsprechenden offiziellen Verlautbarungen auch klar benannt wird.
Dazu entwickelt der Staat eine Reihe von Techniken, wie etwa neue Kontroll- und
Überwachungsinstrumente, die Daten aufzeichnen, akkumulieren und auswerten, Techniken
zur weiteren Quantifizierung und Vermessung der Bevölkerung und solche polizeilicher und
militärischer Art. Die Transformation des gewöhnlichen Kapital-Staates zu einem faschisierten
Staat ergibt sich heute daher nicht unbedingt durch einen spektakulären Bruch, sondern durch
die schleichende, aber beständig vorangetriebene Akkumulation, Verschiebung und
Verdichtung und Verschärfung restriktiver Operationen, durch Umbauten und Maßnahmen, die
nicht zwangsläufig zu einem faschistischen Staat führen müssen, aber einen Bruch auch nicht
ausschließen. Es erfolgt die Integration einer ganz spezifischen Kriegsmaschine in den Staat.
Dazu zählt umfassende Militarisierung und Zugriffserweiterung der Polizei im Rahmen eines
sich immer weiter entfaltenden Sicherheitsstaates bei gleichzeitiger Einschränkung der
Grundrechte. Vor allem der Repressionsapparat erhält dafür immer weitere technische Mittel,
rechtliche Möglichkeiten und exekutive Kompetenzen.[17] Zu den weiteren Maßnahmen
gehören die Verschmelzung von Polizei und Militär[18] sowie von Polizei und
Geheimdiensten[19] (und auch von zivilen und bewaffneten Behörden);[20] darauf aufbauend
die flächendeckende Überwachung,[21] Datensammlung und -speicherung durch die
staatlichen Dienste;[22] außerdem die zunehmende Integration der Massenmedien in die
ideologischen Staatsapparate, die Schaffung und gleichzeitige Kriminalisierung der Armut bei
gleichzeitiger Senkung des Reproduktionsniveaus der subalternen Bevölkerungsanteile, die
Kooperation von »Sicherheitsbehörden« mit faschistischen und terroristischen Netzwerken im
Inland[23] (und ebensolchen Milizen im Ausland) und eine zunehmend aggressiver und
kriegerischer werdende Außenpolitik.[24] Evident sind die Verschärfungen von Gesetzen,
Verordnungen und Richtlinien bis hin zur Etablierung eines Feindstrafrechts und rechtlich
verankerten Zugriffsbefugnissen weit im Vorfeld konkreter Straftaten – bis zur Vorbeugehaft.
[25] Anderseits aber eilt die Exekutive dieser Entwicklung stetig voran und antizipiert sie: So
forschen beispielsweise Pentagon und CIA seit Jahrzehnten an der Verwissenschaftlichung
der Folter,[26] und die sogenannte »weiße Folter« und andere Methoden wurden exzessiv
bereits in den 1970er Jahren umfassend erprobt,[27] während das Folterverbot weiterhin noch
existiert. In den USA ist seit 2001 eine exorbitante Zunahme extralegaler Hinrichtungen im
Ausland, meist durch Drohnenangriffe, aber auch durch Spezialtruppen bekannt geworden,
denen keinerlei Gerichtsverfahren vorausgeht.[28] Wird eine rechtswidrige Praxis bekannt,
führt das meist nicht zu ihrer Einstellung, sondern zu ihrer nachträglichen Legalisierung oder
ihrer stillschweigenden Duldung. Zunehmend verschwimmen dabei die Grenzen von Krieg,
Polizeioperation und verdeckter Tätigkeit. Es kommt zu einer legislativen, und, wo dies noch
nicht durchsetzbar ist, operativen Aushöhlung der Schutzrechte der Bevölkerung gegenüber
dem Staat unter Beibehaltung des formaldemokratischen Überbaus.

Den neuen Kriegsmaschinen des Kapitals entsprechen dem Zusammenspiel von ziviler und
repressiver Macht im Staat und machen beide Komponenten tendenziell ununterscheidbar.
Der Staat tendiert längst zur Privilegierung der Exekutivmacht, die mit dem Rückgang der
legislativen Macht verbunden ist und zu einer tiefen Transformation seiner administrativen und
gouvernementalen und juridischen Funktionen führt, wobei letztere durch die fast tägliche
stattfindende Produktion von Gesetzen, Dekreten und Direktiven redundant werden, während
sie zugleich die Funktionen der sozialen Polizei perfektionieren, sich insgesamt als wesentlich
flexibler und effektiver als die drastischen Interventionen des Ausnahmestaates darstellen.
Carl Schmitt hat den Staat als einen motorisierten Gesetzgeber bezeichnet und eine
wachsende Motorisierung der exekutiven Maschinerie konstatiert. Die Transaktionen und
Krisenschübe des finanziellen Kapitals gehen heute mit Geschwindigkeiten und Reaktionen
einher, die es einfach erfordern, dass insbesondere Gesetze, die der parlamentarischen
Untersuchung und Absegnung bedürfen, durch schnelle Dekrete ersetzt werden müssen.
Diese Anforderungen werden durch die Beschleunigungen der „Marktgesetze“ produziert.
Nach den Dekreten drücken die Direktiven die nächste Stufe der Anpassung bzw. der
Zentralisation der politischen Repräsentation in der Exekutive aus. Während das Dekret als ein
motorisiertes Gesetz gilt, wird das Direktiv nun ein motorisiertes Dekret. So wird die
allgemeine Rationalität des Gesetzes durch die technische Rationalität der der Dekrete und
Direktiven un ersetzt, womit auch der Raum für Rechtswillkür geöffnet wird, insofern das, was
die politischen Fragmentierungsprozesse bisher zusammenhielt, nämlich das Recht, durch ein
Vielzahl von Direktiven, Normen, Rechtsprechungen und Regeln überlagert wird. Das
Wuchern der Regelungen, der Gesetze und ihrer vielfältigen Umschreibungen anlässlich jedes
politisches Ereignisses, bestimmter Konjunkturen und Situationen ist Teil der Aufhebung des
Rechts. Geltende Gesetze werden je nach aktuellen Erfordernissen angepasst oder geschleift,
und bsiher gültige Rechtsgarantien werden nivelliert oder so angepasst, dass sie den Zustand
der Prekären nur noch weiter prekarisieren. Man denke Sondergesetze, die Zerschlagung von
Rechten, Spezialisierung der Gerichte, Vorverlagerung des Strafrechts, neue Polizeigesetze,
Techniken der Gesichtserkennung, der Datenüberwachung und Biometrik, Pathologisierungen
etc.

Diese Art der Technologisierung der Staatsapparate erfolgt durch den Einsatz von privaten,
informellen und staatlichen Expertenregimen, die über den Einsatz von Techniken, die sich in
Serien von Projekten, Praktiken, Kanäle und Stützungen ausdrücken, zudem einen
statistischen Volkskörper erschaffen, der ständig überwacht, bewertet und zugleich mobilisiert
werden muss, gerade indem auf ihn Macht ausgeübt wird. Es werden ständig neue Codes,
Ranking- und Ratingverfahren installiert und variiert, mit denen sich das Funktionieren der
Macht in eine Matrix der molekularen Segregationen der Bevölkerung einschreibt.
Die Machtverschiebung von der Legislative zur Exekutive, der Bedeutungsverlust der Parteien,
die Ausdehnung der Bürokratie und die Verlagerung der Entscheidungsfindung zu informellen
und neben dem offiziellen Staat parallel operierenden Machtnetzen hat schon Poulantzas zur
Kennzeichnung des autoritären Etatismus herangezogen – für ihn ein Begleitspiel der
Intensivierung der ökonomischen Intervention des Staates, der nun nicht nur im Rahmen einer
kurzfristigen Wirtschaftspolitik und der technischen Rationalität andauernd Regeln, Direktiven
und Verordnungen gemäß den Konjunkturen, Frakturen und Zyklen der Kapitalbewegungen
erlassen muss, sondern selbst als Unternehmen agieren muss. Die Exekutive operiert gerade
im Sinne ihrer ökonomischen Interventionen mit einem sich permanent wandelnden Set von
Regelungen und Normalisierungen, das auf spezielle Konjunkturen, Situationen und
Kräfteverhältnisse ausgerichtet und fein justiert ist. Die Rationalität dieser Praktiken betreffen
jegliche Gesetzesinitiativen und -verfahren, die in den Gremien der Exekutive aus- und
umgearbeitet, regional und lokal weiter gereicht, durch Erlasse, Direktiven, Verordnungen
ergänzt, welche in die Finanz-, Geld-, Sozial- und Wirtschaftspolitiken eingeschrieben werden
und zunehmend den partikularen Interessen des großen Kapitals dienen anstatt noch eine
durch das Gesetz garantierte Allgemeinheit und Universalität zu markieren.

Die Regierungen und die Staatlichen Apparate müssen sich nun um ihre eigenen Outputs
kümmern, die durch staatliche Evaluationen gefördert und von den Finanzmärkten monetär
bewertet werden, sodass der Staat zu einer Fabrik der Gesetze, der Dekrete und Regulationen
transformiert, ja er transformiert zu einer Maschine, um Regeln zu produzieren und exekutive
Macht herzustellen. Der Staat selbst wird zu einem Unternehmen. Der Taylorismus kann dafür,
wenn er als ein Modus der Kommandostrukturen und der Gestaltung einer homogenen,
kontinuierlichen und geteilten Raumzeit, in der jede Einheit ihren funktionalen Platz hat, und
Raum und Zeit in der gegenseitigen Durchdringung auf ein fertiges Produkt ausgerichtet
werden, bis zu einem gewissen Maß als Vorbild dienen. Der wahre Impact ist hier aber nicht
allein technisch in der Organisation der Netzwerke und Dispositive der Verwaltung zu sehen,
sondern liegt in der spezifischen Organisation der Macht, was auch heißt, dass die
Arbeitsteilungen, die in der Ökonomie vorzufinden sind, nicht einfach nur abgebildet werden,
sondern in den Verwaltungen und Bürokratien eigene Formen annehmen.
Staatsfaschisierung zielt deshalb nicht einfach nur auf die Ausweitung der Repression und der
autoritären, rassistischen und nationalistischen Diskurse und Meinungssysteme, sondern
erfordert vielmehr den Einsatz hochtechnologisierter Machttechniken, welche nicht mehr auf
die Kontrolle freier Individuen-Bürger abzielen, sondern die Bevölkerung zum potenziellen
Gefahrenherd umdeuten und transformieren und schließlich auf einer nachhaltigen
Veränderung der Materialität der Staatsapparate und ihrer Interventionen, sodass man in der
Tat von einem neuen Dispositiv der Faschisierung sprechen kann. Schließlich geht das Private
trotz aller Versuche des monadischen Rückzugs in neuen Öffentlichkeitsstrukturen auf,
während umgekehrt der Niedergang des alten öffentlichen Lebens auf seine
Instrumentalisierung für einen possessiven Individualismus zurückzuführen ist.
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