ACAB – Marche blanche und AUFSTAND für Nahel

Norma Thameng

Einige Worte zum 29. Juni 2023 in Nanterre

Zwei Tage nach dem Tod von Nahel, der bei einer Verkehrskontrolle in Nanterre von einem Polizisten erschossen wurde, fand am Freitagnachmittag, dem 29. Juni, in den Straßen der Stadt eine Gedenkdemonstration (marche blanche) statt, die seinem Andenken gewidmet war.

Tausende Menschen waren anwesend (6000 laut Polizei – wie von den Medien berichtet -, aber wahrscheinlich viel mehr, da die Menge extrem kompakt war, viel mehr als auf den üblichen Demonstrationen). Viele Menschen aus Nanterre, natürlich, aber auch aus der gesamten Pariser Region: Junge, alte Menschen, Menschen aller Hautfarben, unterschiedlicher Herkunft, alle waren im Gedenken an Nahel versammelt, mit der Hauptparole „Gerechtigkeit für Nahel“, aber auch gegen die Institution Polizei, die seit viel zu langer Zeit für viel zu viele Tote verantwortlich ist, regelmäßig, wiederholt, und es ist traurig, das zu sagen, aber auch auf banalisierte, normalisierte Art und Weise.

Während dieses Marsches und lange bevor es zu Krawallen und Zusammenstößen mit der Polizei kam, war die kollektive Energie bereits elektrisiert, die Wut war spürbar, sowohl in dem recht schnellen Tempo des Marsches als auch in den Slogans, die die Menge rief, und den Inschriften, die im Laufe der Demonstration an den Wänden erschienen.

Über „Gerechtigkeit für Nahel“ hinaus reichten die von der Menge gerufenen Slogans von „Keine Gerechtigkeit, kein Frieden“ über „Ein Bulle, eine Kugel, soziale Gerechtigkeit“ bis hin zu „Jeder hasst die Polizei“, „Polizei Mörder“, „Nieder mit dem Staat, den Bullen und den Faschos“, „Bullen-Vergewaltiger- Mörder“ und sicherlich noch einigen anderen, die ich vergessen habe. Die Polizei war eindeutig das Hauptziel der Wut, die sich ausdrückte. Auf jeden Fall war in den Slogans das Zusammentreffen unterschiedlicher, aber kompatibler politischer Kulturen zu spüren, zwischen der Jugend aus den Arbeitervierteln, den erfahreneren antirassistischen Aktivisten, den Anarchisten und Autonomen, die in den letzten Monaten zahlreich in der Bewegung gegen die Rentenreform vertreten waren, und sicher noch einer ganzen Reihe anderer Leute. Diese Begegnungen sind nicht neu, sie fanden bereits in schönen Momenten des Kampfes statt, zum Beispiel 2006 während der Bewegung gegen den CPE oder 2017 während der Solidaritätsrevolte mit Théo (der in Aulnay-sous-Bois von der Polizei grausam angegriffen worden war).

Soviel zum Kontext, aber ich möchte euch von einer kurzen Diskussion erzählen, die ich während des Marsches mitbekommen habe.

Als ein Typ gerade „ACAB“ auf ein Straßenschild geschrieben hatte, fragte ihn ein anderer:

Was bedeutet „ACAB“?

All Cops Are Bastards, alle Polizisten sind Bastarde.

Ah okay… Ich denke, es sind nicht alle Bastarde, es gibt einige, die in Ordnung sind.

Hmm, es gibt sicher einige, die menschlich gesehen gute Menschen sind, aber das Problem ist, dass ihre soziale Funktion schlecht ist und sie als Polizisten nur dem System dienen können.

Hör zu, ich bin in dieser Stadt geboren, ich lebe seit über 35 Jahren in dieser Siedlung und ich sage dir, dass nicht alle Polizisten Scheiße sind.

Okay, aber wem und was dienen sie? Auf jeden Fall nicht für uns. Selbst wenn einige von ihnen nett sind, ändert das nichts an ihrer sozialen Funktion, ein ungerechtes System aufrechtzuerhalten.

Ja, aber wenn es keine Polizei gäbe, würde Chaos und Anarchie herrschen.

Aber das ist keine Anarchie! Anarchie ist nicht das Chaos, sondern eben eine soziale Organisation ohne Hierarchie, die die Existenz der Polizei überflüssig macht, eine Gesellschaft, in der es keine sozialen Ungleichheiten mehr gibt wie im kapitalistischen System, wo es sehr reiche Menschen gibt, die auf Kosten der anderen leben.

Ah, aber du bist Anarchist?

Ja. Ich bin übrigens nicht der einzige. Und im Gegensatz zu dem, was Darmanin sagt, sind wir keine Bourgeois.

Es ist toll, dass ihr hier seid, genießt es.

Danke!

Dieses kleine Gespräch während des Marsches ist nur ein Beispiel für das gute Einvernehmen zwischen den Menschen, sowohl während des Marsches als auch während der anschließenden Krawalle, bei denen es eine Solidarität zwischen allen gab, die schön anzusehen war (in Momenten der Konfrontation, auf der Flucht, beim Austausch von Informationen, bei der medizinischen Hilfe und dem Teilen von Kochsalzlösungen gegen die Auswirkungen von Tränengas usw.).

Die aktuelle Revolte wird eindeutig von den Jugendlichen in den Arbeitervierteln des ganzen Landes initiiert, und Glückwunsch zur Entschlossenheit und zum Einfallsreichtum bei den Krawallen! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um zu sagen, dass diese Revolte anschlussfähig ist und dass, wenn sie sich auf andere Bevölkerungsgruppen ausweitet, die Machthaber noch mehr Sorgen haben werden! Wir werden das brauchen, um den Staat und den Kapitalismus zu Fall zu bringen, wir werden es brauchen, dass wir alle mitmachen, über unsere (vermeintlichen) Unterschiede hinweg.

Damit die Solidarität weitergeht, kann es hilfreich sein, zu den Schnellverfahren zu gehen, um die Menschen zu unterstützen, die vor Gericht stehen. Verfolgt diese in den verschiedenen Gerichten im Großraum Paris, insbesondere in Nanterre und Bobigny, aber nicht nur dort.

Viel Mut für Nahels Angehörige und alle, die kämpfen.

Norma Thameng

Dieser Text erschien am 30. Juni 2023 auf Paris-Luttes.Info und wurde von Bonustracks in Deutsche übersetzt. 

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