AFD und Staatsfaschisierung

Der klassische Faschismus gewinnt als eine dem Staat zunächst äußerliche und streng hierarchisch gegliederte Organisation durch legale Machtübernahmen die Dominanz über die Staatsapparaturen, um dann mit spezifischen Apparaten zu verschmelzen, wobei das in die Krise geratene kapitalistische System beibehalten und auf einer neuen Ebene gewaltsam abgesichert wird. Am Anfang des Faschisierungsprozesses steht die faschistische Partei also noch außerhalb der Staatsapparate, die sie später übernimmt und schrittweise verändert, wobei vor allem der umstrukturierte repressive Staatsapparat in der zweiten Phase der Machtintegration die faschistische Partei sogar dominieren kann, und zwar über die Mechanismen der politischen Polizei, die jetzt in ihrer Bedeutung vor der Verwaltung, der Armee und der Bürokratie anzusiedeln ist. (Poulantzas 1973: 356)

Dabei wird die Kriegsmaschine in den Staat als ein performatives Organisationsprinzip eingepflanzt und entwickelt im und durch den Staat in einem Prozess der Flucht und der Steigerungen eine suizidale Tendenz, währenddessen die politische Polizei zur Praktizierung des Terrors gegen die Bevölkerung, insbesondere gegen deren widerständige und oppositionelle Teile, übergeht, wofür die faschistische Massenpartei große Bevölkerungsteile  aber auch mobilisieren kann (wünschen sich die Massen den Faschismus?). Die  hysterisch agierende faschistische Massenpartei, die eine besondere Funktion nicht nur in den repressiven, sondern auch in den ideologischen Staatsapparaten einnimmt, betreibt die permanente Mobilisierung der Volksmassen, während gleichzeitig die schärfste Form der sozialen Exklusion und der Lagerhaltung stattfindet, wobei im Zentrum des deutschen Faschismus die Vernichtung der Juden als zu spezifizierende Rasse sowie  der bolschewistischen Produzenten (als Klasse ohne Rasse) stehen. Propagandistisch bringt der Faschismus gegenüber dem Liberalismus ständig die Konzeptionen der Volksgemeinschaft, des Rassismus und des Nationalismus ins Spiel und lässt sie hysterisch zirkulieren, gerade um auch bei der Bevölkerung die Einfühlung in das Vernichtungspotenzial des Staates zu sensibilisieren und zu verstärken.

Der Faschismus markiert somit den Übergang vom scheinbaren Frieden zum offenen Krieg, womit auch der Staat Teil einer Kriegsmaschine wird, die er ab einem bestimmten Zeitpunkt selbst losgelassen hat. Diese Art der faschistischen Kriegsmaschine, die auf Vernichtung der Bevölkerungen abzielt, geht eben aus dem Staat selbst hervor, so Deleuze/Guattari. Von Poulantzas als eine spezifische Form des Ausnahmestaates bezeichnet (weitere Formen sind für ihn die Militärdiktatur und der Bonapartismus), kommt es im Faschismus zu einer Reorganisation des staatlichen Systems und zu Verlagerungen und Machtverschiebungen innerhalb seiner repressiven, ideologischen und ökonomischen Apparate, wobei der repressive Apparat dominant wird, aber auch drastische Veränderungen in den anderen Apparaten stattfinden, wenn beispielsweise die politische Polizei immer stärker auch ideologische Aufgaben übernimmt. (Ebd.: 342). Das juristische System garantiert im Faschismus weiterhin die Produktions- und Eigentumsverhältnisse, übernimmt aber darüber hinaus die unmittelbare politische Funktion der Kontrolle und des Eingriffs in die Klassenkämpfe. Zu berücksichtigen ist, dass das Recht  nicht mehr zuverlässig die Exekution der Macht durch die staatlichen Apparate und den Zugang zu diesen Apparaten und ihre Relationen zueinander regelt, vielmehr herrscht Rechtswillkür, mit der auch die Präjudierzierbarkeit der eigenen Transformationsregeln für das juristische System selbst ausfällt.

Gleichzeitig werden die Massen permanent mobilisiert und als Nation konstituiert, ein spezifischer Prozess, den George Mosse in seinem Buch Ein Volk, ein Reich, ein Führer ausführlich beschrieben hat. Für Mosse ist der Nationalsozialismus lediglich der Grenzfall der Demokratie, indem er die Indoktrination homogener kollektiver Vorstellungen, die in Demokratien immer zu beobachten ist, in das Extrem hinein treibt. (Mosse 1979: 15ff.) )  Die Predigt der Macht ist hier dem Irrationalismus einer faschistischen Massenpolitik verwandt, die eine Einheit des Volkes, die erst nur auf dem Papier besteht, realisiert und gewissermaßen fühlbar und erlebbar macht. So wird der allgemeine Wille des Staates Tag für Tag als eine kollektive Emotion vorgeführt. Die Nazis haben den Prozess der Konstruktion der Emotionalisierung der Einheit auf ein ganzes Volk ausgedehnt und bis zum Äußersten der Vernichtung vorangetrieben, was ihren eigenen Suizid einschloss. Dabei übersetzt der Faschismus die kollektiven Psychologien in äußere Manifestationen, Monumente und Kanalisationssysteme, in die die Massen hineinfließen und in denen ihre Äußerungen und Wünsche kollektiv zirkulieren können, Wünsche, die auch die Übertretung des Verbots einschließen, die wiederum mit vielen geteilt werden will und in monumentalen Repräsentationen kulminiert. Es findet eine rasante Steigerung von medialen Tendenzen statt, die in bestimmten demokratischen Verfahren und Zeremonien aber auch anzutreffen sind. (Deleuze und Guattari haben die Demokratie in all ihren Formen und Konstellationen scharf kritisiert und nennen sie den Cousin des Totalitarismus.) Die Nation gerinnt jetzt zur imaginären Inkarnation des Volkes, es handelt sich um eine spezifische nationale Selbstrepräsentation, die auf dem beruht, was das Volk vereint: Sprache, Geschichte, Heimat, Blut etc.[1]

Die AfD dominierte in weiten Zügen den vorletzten Wahlkampf, indem es ihr in der Öffentlichkeit gelang, den sozialen Antagonismus zwischen arm und reich durch die Propaganda »Deutsche versus Ausländer« zu ersetzen, und alle großen Parteien haben ihre Politik mehr oder weniger nach den Einwürfen der AfD ausgerichtet. Mit ihrem unermüdlichen Warnen vor der AfD zeigt wiederum der aufgeklärte Flügel der Deutschen vor allem eines, dass man nämlich wild entschlossen ist, weiterzumachen wie bisher, in seinem kleinen Land zusammenzurücken und beide Augen vor der Welt da draußen zu schließen, außer diese als billiges Urlaubsparadies und als Müllhalde für die eigenen Waren zu benutzen, und schließlich in sozialer Amnesie, jede Institution, der man sich unterwirft, als selbstverständlich hinzunehmen und vor allem alles, was stört, sei es auch einmal die AfD, lediglich als Anlass für seelische Verdauungsstörungen zu begreifen. Die Zuschreibung des Rassismus allein an die AfD verdeckt den Rassismus der Mehrheit. Es gilt nämlich inzwischen als Gemeingut, dass man den Flüchtling, um ihn zu beherrschen, integrieren oder wahlweise zum potenziell Kriminellen machen muss, zu rassistisch verachteten Beherrschten. Integration heißt dann für den Flüchtling wiederum, den Deutschen nachzuäffen. Darin besteht die bis heute verkannte Idee der deutschen Bildung: Einen Affen zu erziehen. Und man darf man nicht vergessen, dass die Rechtspopulisten von der AfD bis zur CSU dem in der sozialen Hierarchie ganz unten stehenden Teil der Bevölkerung ein Angebot gemacht haben, das darauf basiert, dass man dessen soziale Unzufriedenheit mit der Bedrohung des deutschen Wohlstands durch die Flüchtlinge erklärt. Als beleidigte Deutsche dürfen sich dann auch die sozial Schwachen stark fühlen und fordern,  dass die Geldsummen, die der Staat für die Kontrolle der Flüchtlinge ausgibt, einzuschränken sind, da die Flüchtlinge ja alles bekommen und die Einheimischen nichts und so weiter und so fort. In der Ablehnung gegen alles Fremde schließen sich die verschiedenen Klassen und Schichten dann eng zusammen, wendet das Klassensystem seine Antagonismen und die Härte seiner Konkurrenz ganz nach außen.

Die neuen neofaschistischen Bewegungen versuchen, die kapitalistische Ökonomie der Logik des Bürgerkrieges unterzuordnen (ohne allerdings die Ökonomie in ihren Spielregeln auch nur ansatzweise anzutasten), vor allem wenn es wie heute nicht weiter möglich erscheint, dass Teile der Mittelklassen diversen neoliberalen Postulaten, die eine Bereicherung des Selbst, den eigenverantwortlichen Unternehmer und die kulturelle Singularität einfordern, aufgrund ihrer ökonomischen Prekarisierung noch folgen können. Das neoliberale Projekt hat in seiner Boomphase den Individualismus ohne Individuum sowie den harten Wettbewerb propagiert und muss nun bei drohendem Abstieg der Mittelklassen die Ressentiments (der Mittelklassen) füttern und damit eben auch identitäre Politiken, Fremdenfeindlichkeit und die Paranoia befördern. Das Konglomerat von neoliberalen Governancepraktiken haben die postfaschistischen Bewegungen zunächst einfach nur übernommen, um daraufhin ein Set von Dispositiven, die den zivilen Bürgerkriegs intensivieren, neu zu konfigurieren. Das biopolitische Konzept dieser Postfaschismen besteht in der direkten Einpflanzung des Rassenkrieges in die Klassenkonflikte. Es verwundert deshalb nicht, dass die wichtigen Operationen der rechtspopulistischen und neofaschistischen Politiken, die sich im realen Milieu des Krieges mit und gegen die Bevölkerungen bewegen, als ihre Feinde vor allem die tief kolonialisierten Bevölkerungsanteile wie die Migranten, Flüchtlinge und Muslime bestimmen. Die in diesem Kontext widerständigen Subjekte, die heute politisch sui generis sind, da sie quasi als eine homogene Gruppe in den globalen Weltmarkt integriert sind, wo man sie total enteignet und entrechtet und sie damit die Wahrheit der heutigen ökonomischen und politischen Welt-Situation ausdrücken, sind die Migranten und Flüchtlinge, die während der Flucht meistens ihr (nacktes) Leben riskieren.[2]

Es ist nicht die Dynamik der Biomacht, welche den Rassismus determiniert, sondern dieser insistiert unter der Notwendigkeit, die Klassenteilung innerhalb der Bevölkerung zu intensivieren, einer Bevölkerung, die sich nicht reproduzieren kann, ohne geteilt zu sein,  womit sie auch unter biopolitischen Gesichtspunkten von vornherein durch die Strategien des Kapitals differenziert wird, dessen Klassenkampf damit je schon eine rassistische Komponente besitzt. Als im Jahr 2008 das Management der Finanzkrise in den kapitalistischen Kernländern, das insbesondere In Europa im Transfer der Schulden der privaten Banken hin zu den Steuerzahlen bestand[3], in der Öffentlichkeit akzeptiert wurde, war es klar, dass sowohl die transnationale Kriegsmaschine des Kapitals als auch die Staaten eine neue Welle der internen und externen Kolonialisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen in Gang setzen mussten, um einerseits durch eine verschärfte Austeritätspolitik die staatliche Verschuldung aufzufangen und anderseits einen Feind zu finden, der für die Misere verantwortlich gemacht werden konnte.[4] Der Abbau des Sozialstaates und die Stagnation oder Reduktion der Reallöhne führte dazu, dass die privaten Haushalte weiter in die Schuldenökonomie integriert wurden und auf ihre Einkommen in finanzieller Hinsicht »spekulieren« mussten. Und Schulden müssen als Machtapparate verstanden werden, die besonders die Frauen, die Schwarzen und Armen betreffen. Rassistische Politiken, insbesondere die institutionalisierten Rassismen, waren von Anfang an Teil der Austeritätspolitik. Nach der Krise von 2008 wurde der Rassismus und der Nationalismus also endgültig auf die Höhe der Staatsmacht gehoben.

Man muss es sich noch einmal auf der Zunge zergehen lassen, es verschwanden auf globaler Eben nach der Finanzkrise von 2008 Vermögenswerte in Höhe von circa 40 Billionen US-Dollar im Nichts und allein in den USA lösten sich 14 Billionen US-Dollar an Vermögen privater Haushalte in Luft auf. Schon lange zuvor hatten sich die in US-Dollar denominierten Geldkapital- und Finanzströme, die seit den 1970er Jahren untere anderem aufgrund des US-Handelsdefizits ständig gewachsen waren, von den globalen Handelsvolumen gelöst. Gerade die europäischen Großbanken hatten seit den 2000er Jahren in gigantischen Summen in US-Dollar notierte Wertpapiere und Derivate gekauft,  die, wie sich in der Krise dann herausstellte, zum teil toxisch waren, sodass sich eine gigantische Deckungslücke bei der Dollarfinanzierung der europäischen Banken auftat. Als der Markt im Jahr 2008 einbrach, betrugen beispielsweise die Außenstände der deutschen Banken bei der Wall Street mehr als 1.000 Milliarden US-Dollar. Man hatte also in großem Stil US-Derivate mit von der Wall Street geliehenen Dollars gekauft, die nun von dieser zurückverlangt wurden. Es brach Panik unter den Banken aus, worauf  die Regierungen Billionen in das Finanzsystem pumpen und Verstaatlichungen von Banken, Versicherungsunternehmen und anderen Unternehmen vornehmen mussten, sodass man durchaus von einem Kommunismus des Kapitals sprechen konnte. Das belastete die Haushaltskassen der USA und der Staaten In Europa schwer und eine verschärfte Austeritätspolitik war die logische Folge, wobei die Regierungen die Verluste des Kapitals und des Finanzsystems zu den lohnabhängigen Arbeitern und Angestellten, Teilen der verschuldeten Mittelschicht und des Prekariats, zu den Arbeitslosen und den ganz Abgehängten zu transferieren versuchten. In Europa wurden die Länder gegeneinander aufgehetzt, das heißt, die vom finanziellen Kapital ausgehende Krisenproblematik wurde in einen Konflikt zwischen arbeitsscheuen Südländern und hart arbeitenden Nordeuropäern umgedeutet, oder wahlweise waren es der angeblich aufgeblähte Wohlfahrtsstaat in Deutschland, Italien oder Griechenland, zu hohe Löhne, zu starre Arbeitsmärkte oder gar die Gewerkschaften, die für die Krise verantwortlich waren. Hinzu kommt, dass die staatlichen Bailouts bei größeren Teilen der Bevölkerung unpopulär sind, Finanzkrisen oft mit moralischem Versagen nicht nur der Banker, sondern auch der Politiker in Verbindung gebracht werden und die Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner leicht personifiziert werden kann. All dies stärkt rechte Bewegungen. Es ist leicht anzusehen, dass in den USA und in Europa ideologische Versatzstücke, die sich aus Nationalismus, Rassismus und neoliberalem Müll zusammensetzen, nach der Finanzkrise an Gewicht und Fahrt gewinnen konnten. Und die rechtspopulistischen Bewegungen mussten sich an diese Art von »Diskursen« nur noch anschmiegen, um mit  ihren Paranoia-Inszenierungen und  Ausrottungsphantasien gerade auch in den sozialen Netzwerken Teile der Bevölkerung zu beflügeln und um dann endlich selbst tätig zu werden und mit Brandsätzen und Stahlkugeln die Lagerunterkünfte der Flüchtlinge zu attackieren. Die nationalen Präferenzen, die heut inszeniert werden, man denke etwa an den Brexit, können nicht Teil des reibungslosen Funktionierens der sozialen Fürsorge des Staates werden, ohne dass man ständig die Furcht vor den Migranten, Flüchtlingen und Muslimen konstruiert, verbreitet und mobilisiert und sie damit in den Dienst der Kontrolle der Mobilität von solchen Bevölkerungsteilen stellt, die vom Süden des Globus in den Norden wandern müssen, um überhaupt zu überleben. Der Gegensatz zwischen den kompletten Freiheiten der Waren-, Geld- und Kapitalströme einerseits und der fehlenden Mobilität großer Teile der Weltbevölkerung andererseits muss über spezifische Formen der Regulierung befriedet werden, die von den Staatsapparaten materialisiert und von den populistischen neofaschistischen Bewegungen ideologisch befeuert werden. So hat der grenzüberschreitende freie Fluss von Waren, Dienstleistungen und Kapital grundsätzlich Vorrang gegenüber der Mobilität von Menschen, wobei hochqualifizierte ausländische Arbeitskräfte aus dem Süden durchaus auch in die Ökonomien der Metropolen integriert werden sollen, aber nur den Eigentümern und Managern des großen Kapitals sowie den politischen und kulturellen Eliten ist eine relativ freie Beweglichkeit auf dem ganzen Globus garantiert. Ein großer Teil der Menschheit sitzt heute in mehr oder weniger lagerartigen Zuständen und Behausungen einfach fest.


[1] Der Staat kann die Wahrnehmungskategorien innerhalb der Grenzen seines Territoriums dadurch universalisieren, dass er eine Bevölkerung konstituiert, deren Mitglieder die gleichen Wahrnehmungskategorien besitzen, nachdem sie spezifische Konditionierungen und Einimpfungen von Prozeduren, die man Bildung nennt, durchlaufen und erlitten haben. Dies betrifft insbesondere die Konstruktion des Bürgers: In der liberalen Staatsauffassung ist der Bürger jeder, der von einer Verfassung als solcher anerkannt wird, er muss dafür keine besonderen Eigenschaften mitbringen, die etwa mit dem Blut oder der Herkunft verbunden sind, wie es später der völkische Rassismus annimmt. Der Staat etabliert den Bürger als ein formell freies und gleiches Subjekt, das mit seiner Atomisierung identisch ist, und repräsentiert zugleich die Einheit, die in formell gleichberechtigte Monaden unterteilt ist. So zeigt sich seine politische Souveränität an.

Hingegen setzt der Faschismus die Nation vor den Staatsbürger, um diesen letztendlich zu liquidieren. Der Nationalcharakter, der keineswegs mit der Staatsbürgerschaft gleichzusetzen ist, den aber die Deutschen immer mit dieser vermischen, um schließlich sogar die Nation gegenüber dem allgemeinen Staatsbürger zu bevorzugen, ist das Ergebnis von bestimmten Disziplinierungen und Einimpfungsprozeduren, die allesamt auf einen sublimierten Rassismus hinauslaufen. Im Gegensatz zum Nationalcharakter ist der Bürger eine rein juridische Einheit, die existiert, insofern der Bürger in ein Verhältnis von Rechten und Pflichten zum Staat gesetzt ist, wohingegen die Nation in der deutschen konservativen Staatslehre als eine ethnokulturelle Einheit gilt, die zwar gesetzlich definiert und vom Staat territorialisiert werden kann, aber doch deutlich von der Staatsbürgerschaft unterschieden ist. Letztendlich ist es aber der kapitalistische Staat, der die Nation mit seinen konstitutiven Elementen (einheitlicher ökonomischer Markt, Territorium und Sprache) hervorbringt, indem er gezielt in die materiellen Raum- und Zeitmatrizes interveniert, die Bestandteil der kapitalistischen Ökonomie und der Produktionsverhältnisse werden sollen.

[2] Das Proletariat ist je schon ein migrantisches Proletariat, denn zu jedem Zeitpunkt kann der im Lohnarbeitsverhältnis stehende Arbeiter entlassen werden, um sich gemäß den Anforderungen der Kapitalakkumulation woanders niederlassen zu müssen. Diese Mobilität des Proletariats,  wenn sie auch räumlich begrenzt bleibt, ist eine Bedingung der modernen Industrie. Und ohne die Migration des globalen Proletariats hin zu neuen Märkten, vom Land zur Stadt, von der Stadt zur Stadt, von Land zu Land, wäre die kapitalistische Akkumulation nicht möglich. Als der am weitesten deterritorialisierte Teil des Proletariats besitzt heute die globale Surplus-Bevölkerung, obgleich sie räumlich hart festgesetzt wird, siehe die Lagerbildung, das größte Potenzial für eine revolutionäre Transformation. Dies ist so, weil sie im Sinne von Deleuze/Guattari als eine Minderheit fungiert, die nichts weiter als eine proletarisierte Masse ist, aber als Masse sofort mit den institutionellen, polizeilichen und juristischen Strukturen der Nationalstaaten konfrontiert wird.

Dabei muss der schmittschen Konstruktion der Migrationspolitiken unbedingt Einhalt geboten werden: Der Nomadismus ist für ihn immer nur eine zeitweilige Erscheinung der Migration, sodass sie unweigerlich zur Quelle einer neuen territorialen Ordnung, die sich zwischen Imperialismen oder Staaten abspielt, werden muss; sie findet ihr historisches Schicksal darin, Teil dieser Formationen zu werden, und wenn von ihr bestimmte Bedingungen verweigert werden, dann kommt es schnell zu Gewaltakten, die sie zerstören.

[3]Die staatlichen Interventionen zur Rettung des Finanzsystems erstreckten sich auf die Kreditvergabe an private Banken und an auf ihre Rekapitalisierung, auf den Kauf von Bankaktiva und staatliche Garantien für Bankeinlagen oder gar für Bankbilanzen. Insgesamt wurden von beteiligten Institutionen, (Zentralbanken, Bankenaufsichten und Finanzministerien) dafür über 7 Billionen Dollar  zur Verfügung gestellt. Diese Intensität der Maßnahmen waren für die jeweiligen Volkswirtschaften davon abhängig, in welchem Grad der Vernetzung ein Land sich mit dem globalen finanziellen Kapital befand, der Höhe der verfügbaren öffentlichen Gelder, der Exekutivpolitiken und der Macht der einheimischen Konzerne und Banken. In den USA wurde durch die Rettungsmaßnahmen des US-Finanzministeriums der Steuerzahler weniger als in Europa belastet.

[4] Diese Verschärfungen gründen auf den Vorspielen der Exklusion, hat doch der  HartzIV-Empfänger auf demjenigen Markt nichts zu schaffen, auf dem es eine einigermaßen abgesicherte Kernbelegschaft in den großen Unternehmen, das zum Teil selbständige Prekariat und die staatlich subventionierte abhängigen Beschäftigten gibt. Der überflüssige Rest wird als HartzIV-Empfänger in die Zwangsarbeit verwiesen, in der die Arbeit selbst das geringfügige Einkommen ist, da ein von der Arbeit unabhängiges Grundeinkommen weiterhin abgelehnt wird.

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