Beschleunigung und Katastrophe – Schismogenese (deleuze/Guattari) vs. Todesmetaphysik (Nick land)

Als Transhumanist vertritt Kurzweil die Ansicht, dass computergestützte Geräte, insbesondere die der KI, den Trend der natürlichen Evolution hin zur Produktion geordneter Informationsmuster fortsetzen. Während die Ordnung der natürlichen Informationsverarbeitungssysteme daran gemessen wird, ob das Verhalten für das Überleben und die Verbreitung der Art geeignet ist, gilt für die technische Entwicklung, dass es der wirtschaftliche Ertrag ist, der den Erfolg einer technischen Innovation bestimmt. Wachstum ist somit ein Zeichen für die Beschleunigung der Evolution; es wird durch die neuen Informationstechnologien ermöglicht, wobei die Voraussetzung für weiteren Fortschritt Computer und KI sind.  Informationstechnologien sind sowohl das Ergebnis menschlichen Lernens als auch das Mittel, durch das Lernprozesse optimiert und produktiver werden. Laut Kurzweil kann die KI den Prozess der Evolution und Transformation der Realität ins Unendliche beschleunigen.

Nick Land teilt mit Kurzweil die Auffassung, dass evolutionäre Veränderungen heute von den Erfordernissen der technischen Entwicklung gesteuert werden. Sein antihumanistisch inspirierter Vorschlag, die Entfaltung des Technokapitalismus zu beschleunigen, ist offen von Deleuze/Guattaris „Anti-Ödipus“ inspiriert, wenn diese schreiben, dass man die Tendenz immer weite treiben müsse, bis zu dem Punkt, an dem der Kapitalismus sich selbst mit all seinen Strömen auf den Mond schießt. Land schließt daraus, dass der Kapitalismus ein revolutionärer Prozess ist, in dem sich das Begehren als “Produktion der Produktion” ausdrückt. Man sollte also die Deterritorialisierung bis zu ihren absoluten Grenzen treiben. Der Technokapitalismus ist, so Land, ein Prozess der technischen Transformation der Evolution, der das Lebendige in ein anorganisches Werden mitnimmt. Wie Kurzweil ist auch Land davon überzeugt, dass die Beschleunigung dieses Prozesses von dem positiven Rückkopplungskreislauf abhängt, durch den technische Innovationen, die für die weitere Entwicklung notwendigen energetischen und wirtschaftlichen Ressourcen immer effizienter verfügbar machen. Die Singularität bleibt die Schwelle der absoluten Deterritorialisierung, sie zeigt die Auflösung der individualisierten Formen im organlosen Körper an.

Kurzweil ist davon überzeugt, dass sich das Problem der materiellen Grenzen nicht stellt, da der technologische Fortschritt nicht nur eine bessere Nutzung der Ressourcen und damit eine Steigerung der Effizienz mit sich bringt, sondern auch die Möglichkeit, reichlich vorhandene oder unerschöpfliche Energiequellen (Atom- oder Sonnenenergie) zu nutzen.

Ausgeblendet wird damit die irreversible Zerstörung, die mit der Steigerung der kapitalistischen Produktionseffizienz einhergeht. Es gibt kaum einen Ökonomen, der einen wichtigsten Aspekt der kapitalistischen Produktivität berücksichtigt, nämlich die damit einhergehende und zum Teil irreversible Vermüllung und Überverschmutzung, die sich als Antiproduktion fassen lässt.  Jason Moore hat das in seinen Beiträgen zum Kapitalozän herausgearbeitet.  Materie und Energie werden in einem Zustand niedriger Entropie aufgenommen und verlassen ihn in einem Zustand hoher Entropie. Bestimmte Reste mit hoher Entropie können in keinem produktiven Prozess mehr verwendet werden, weder in einem technischen noch in einem natürlichen Prozess. Auch Beben atailles Verschwendungsprogramm würde jetzt seine Grenzen erreichen. So schafft der kinetische Strom kapitalistischer Innovation nicht nur Ordnung, sondern auch Unordnung, derzeit insbesondere durch den Einsatz fossiler Energieträger, die Abfallstoffe produzieren und die Umwelt erwärmen und schädigen. Je geordneter bestimmte technischen Produktionen im Hinblick auf ihre Effizienz sind, desto giftigeren Müll erzeugen sie. Die technologische Entwicklung ist also keineswegs ein anti-entropischer Prozess, wie Kurzweil behauptet. Es gilt aber dennoch zu bedenken: Je mehr verschiedene Arten des menschlichen Wissens und Seins es gibt, desto mehr Möglichkeiten gibt es, Energie zu zerstreuen, die dem jeweiligen Ort angemessen sind und auf ihn reagieren.

Die Sonnenenergie ist die primäre Quelle der Ökosysteme, wobei in natürlichen Kreisläufen die Abfallprodukte, die bei einem Energieumwandlungsprozess entstehen, fast vollständig von einem anderen nutzbar sind. Ein metastabiler Zustand wird durch ein relatives Gleichgewicht von einfließender und ausgehender Energie aufrechterhalten, die sich durch ihn bewegt. Wir finden diese Zustände überall in der Natur: in Sturmsystemen, Wasserströmungen und allen lebenden Systemen. Indem sie Veränderungen und Rückkopplungen in ihre Bewegungsmuster einbeziehen, passen sich metastabile Systeme an und bleiben bestehen. Technische Systeme beschleunigen im Kapitalismus hingegen die Tendenz zur Unordnung. Es ist ein gefährlicher Irrtum zu glauben, dass die menschliche Kultur nicht Teil der Natur ist oder ihre Geschichte völlig frei gestalten kann. Wenn wir den Blickwinkel weit genug fassen, können wir erkennen, dass ihre Muster fraktale Iterationen anderer natürlicher Muster sind.

Im Gegensatz zu Kurzweil erkennt Land die dissipative Tendenz an, die im Evolutionsprozess des Technokapitalismus impliziert ist. Er schlägt dann jedoch vor, die Entwicklung bis zur vollständigen Auflösung aller organisierten Formen zu beschleunigen. So ist dann die Entropie Ausdruck des Todestriebes, in dem nach Land das Begehren besteht. Er will, von Deleuze/Guattari inspiriert, die von der technologischen Innovation gezogene Linie der Deterritorialisierung bis zum organlosen Körper fortzusetzen, den er als die Intensität = 0 des Chaos versteht, als die Differenz an sich. Die Entropie ist eine Form des Chaos. Aus dieser Sicht hemmen die individualisierten Organisationen in ihrem Bemühen, sich in ihren wechselseitig begrenzten Formen zu erhalten, den Fluss des Begehrens als Tendenz zur intensiven Dissipation innerhalb der unbegrenzten Substanz des organlosen Körpers. Für Land ist der organlose Körper der Tod, wobei die Identität der Differenz (Intensität = 0) durch die Auflösung der differenzierten Formen (Intensitätsgrade) begehrt wird: Nur der Tod begehrt, und jedes Begehren ist ein Begehren des Todes. Der Technokapitalismus ist somit für Land insofern eine wahrhaft revolutionäre Kraft, als die Deterritorialisierung und Entropie beschleunigt wird, durch die das Leben allmählich zu seinem anorganischen Wesen zurückgeführt wird.

Was wäre, wenn der Kapitalismus in und mit den Kreisläufen der finanziellen Zirkulation implodieren würde, indem sie sich in sich selbst einfalten, man denke hier tatsächlich an Land’s cyber-positive Rückkopplungsschleifen, Teleonomie etc., und sich zugleich mit einer solchen Vektorkraft bewegen würden, dass sie die Machtpotenziale des (industriellen) Kapitals zunehmend auslöschen? Daraus ergeben sich zwei Hypothesen über das virtuell-finanzielle Kapital als reine Zirkulation: Zum einen die Zukunft des Kapitals als leer und endlaufend – wie Baudrillard schreibt, keine unbegrenzte Produktion, kein notwendiger Konsum, keine Romantik des Gebrauchswerts, kein Tauschwert, keine Dialektik, nur ein Kreislauf digitaler Tauschvorgänge, die sich mit der Hyper-Geschwindigkeit der finanziellen Zirkulation bewegen (d. h. Gedanken, Licht, etc.), oder ein Hyperkapitalismus als Explosion der Produktion und ein Fest des Konsums, eine Periode des abwechselnden Exzesses und der Rezession, Fetische überall und immer, Wechsel aller Zeichen ohne Stabilität, weil die Geschwindigkeit des Kapitalismus die Geschwindigkeit des ökonomischen Schwindels erreicht hat. Wahrscheinlicher ist wohl das erstere

Wie sieht es nun bei Deleuze/Guattari aus? Sie erkennen zwar die Anti-Produktion an, die für Land im organlosen Körper besteht und mit der Deterritorialisierung des kapitalistischen Systems einhergeht, schlagen aber nicht vor, einer Todesmetaphysik zu gehorchen, sondern im Gegenteil mit Flucht oder gar der Zerstörung der Welt zu reagieren. Für sie ist das Todesunternehmen eine der wichtigsten und spezifischsten Formen der Mehrwertabschöpfung im Kapitalismus. Dafür wird die Antiproduktion als Strategie eingesetzt, um die schizophrenen Fluchtwege zu verstopfen. Die schizoide Flucht ist der Ausdruck eines Lebenswunsches, der sich dem Todeswunsch entgegenstellt.

Land lässt die für Deleuze/Guattari wichtige Unterscheidung zwischen molaren kapitalistischen Maschinen und molekularen begehrenden Maschinen unberücksichtigt. Es gibt eine Kluft zwischen dem molaren Regime der sozialen Maschine und dem der molekularen begehrenden Maschine. Im Gegensatz zu dem, was Land behauptet, ist für Deleuze/Guattari das absolut Deterritorialisierte nicht der Tod und das Chaos alsn Antiproduktion. Keineswegs darf er auch mit dem vollen Körper des Geldkapitals gleichgesetzt werden, den Deleuze/Guattari mit Baudrillard als metastatisch qualifizieren. Der organlose Körper fungiert als eine abstrakte Materie-Maschine der Abstoßung und Kontraktion, als das virtuelle Kontinuum der Variation, als Auflösung oder Liquidation der psychosozialen Organisation in Richtung einer nicht aktualisierbaren, rein virtuellen De-Organisation, in diesem Sinne einer Anti-Produktion, die eine sozusagen tödliche Geschichte ist, wenn das Kapital es eben nicht schafft, mit Hilfe der verschiedenen Verfahren der Stratifizierung auf dem kapitalistischen Sozius eine andere Art der Aufzeichnungsoberfläche als die des organlosen Körpers herzustellen. Der organlose Körper operiert zwar immer noch gemäß den Regimen der Ordnung, er selbst besteht aber aus einem Feld von prä-aktuellen Potenzialitäten, wobei man Ordnung hier allenfalls in Form von Tendenzen, Neigungen und Kräften vorfindet, die sich jedoch gerade nicht ausdrücken, indem sie sich aktualisieren. Insofern können Deleuze/Guattari vom organlosen Körper tatsächlich als Anti-Produktion sprechen, die jedoch keineswegs komplett im Gegensatz zur Produktion steht.

Die absolute Deterritorialisierung (Virtualität) hat für Deleuze/Guattari den Zweck, zu Bedingungen der Individuation zu gelangen, die jenseits der kapitalistischen Axiomatik liegen. Das Virtuelle ist eine höchst idiosynkratische Art des Universellen, das über generische Prozesse der Aktualisierung mit dem Singulären-Individuellen, das heißt durch reale Beziehungen der morphogenetischen Produktion, verbunden ist. Die virtuelle Vielheit der Immanenzebene ist eine Art topologischer Raum, in dem sich die differentiellen Beziehungen und Singularitäten (Intensitäten, die gegen 0 tendieren) verteilen, die wiederum die problematischen Bedingungen darstellen, die geeignet sind, als Lösung kollektive Individuationsprozesse hervorzubringen. Jeder Bereich der Multiplizität der Immanenzebene ist seinerseits eine Multiplizität, d.h. jedes in einer kollektiven Anordnung individualisierte Wesen ist seinerseits eine singuläre kollektive Anordnung: Das ist der Sinn der Schizophrenie.

Für Deleuze/Guattari gibt es zudem keine Mensch-Natur-Unterscheidung. Nicht der Mensch als König der Schöpfung, sondern entscheidend ist vielmehr derjenige, der vom tiefen Leben aller Formen oder Arten berührt wird, der mit den Sternen und den Tieren selbst vertraut ist und der unaufhörlich eine Organmaschine an eine Energiemaschine anschließt, die Sonne in den Arsch. Man könnte so argumentieren: Der menschliche Körper weist fraktale Muster in seinem Herzschlag, seiner Atmung, seinen Augenbewegungen, seinem Gefäßsystem, seinem Stoffwechsel, seiner Sprache und seinen verschachtelten Gehirnwellenfrequenzen auf. Die Infrastruktur der Städte und ihre Verkehrs- und und Versorgungsnetze – wie die Gesamtlänge von Stromleitungen, Straßen, Tankstellen, Wasser- und Gasleitungen – sind auch fraktal. Genau wie bei riesigen Bäumen nimmt die Häufigkeit der Verzweigungen von Straßen und Treibstoffleitungen in kleineren Maßstäben zu. Der urbane Raum ähnelt auf diese Weise dem Herz-Kreislauf- und Atmungssystem oder der Gefäßstruktur von Pflanzen und Bäume. Für Baudrillard zeichnet sich die letzte Stufe der Simulation durch das Fraktale aus. Kulturelles Engagement und Innovation sind in den physischen Flussarchitekturen fraktaler Stadtnetze verankert. Diese physischen Netze erleichtern und beschränken die Anzahl der Interaktionen, die ein durchschnittlicher Stadtbewohner in einer Stadt aufrechterhalten kann.

Die Axiomatik des Kapitals besteht in der Erweiterung des Bereichs der spekulativen Kapitalprozesse (Deterritorialisierung), der Erfassung von Existenzweisen, die sich dem Kapital entziehen (Decodierung), und in der Rückumwandlung in neue und begehrenswerte Konsumgüter (Reterritorialisierung). Diese Prozese beinhalteen einerseits die ständige Innovation, die notwendig ist, um dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegenzuwirken, und andererseits die Zerstörung, durch die der Mangel an Mehr innerhalb des Überflusses ständig reproduziert wird (Anti-Produktion).

Die Antiproduktion manifestiert sich heute insbesondere als die Produktion von Überverschmutzung, die die Fähigkeit der Ökosysteme, das Leben zu erhalten, untergräbt, sowie als Unterdrückung von Lebensweisen, die in Bezug auf die Wirtschaftsleistung weniger wettbewerbsfähig sind.

Die revolutionäre Flucht, von der Deleuze/Guattari sprechen, zielt darauf ab, sich von der produktivitätskonformen Art der Individuation der kapitalistischen Maschinen durch eine absolute Deterritorialisierung zu befreien, die in der Lage ist, auf die Ebene der Immanenz zu gelangen. Es geht um begehrende Maschinen, die in der Lage sind, neue Formen der singulären und kollektiven Individuation zu produzieren. Meistens enden aber kreative Lecks im Kapitalismus damit, dass sie das Wachstum des Systems befeuern, und das Verlangen, das sie nährt, wird in das Verlangen nach Reichtum umgeleitet. Das Geld und der Markt beschreiben Deleuze/Guattari als die wahre Polizei des Kapitals.  Während Deleuze/Guattari dazu auffordern, die Macht der Axiomatik trotz der sehr geringen Erfolgsaussichten weiterhin herauszufordern, fordert Land dagegen dazu auf, die Gelegenheiten der repressiven Deterritorialisierung zu vervielfachen, durch die das Bestehende allmählich in den Strömen des Kapitals aufgelöst wird.

Das Wachstum als unbegrenzte Reproduktion des Kapitals bedroht die Vielfalt der Lebensformen und der begehrenden Produktion. Die Produktivität der abstrakten Maschinen soll sich bei Deleuze/Guattari nicht an der Reproduktion des Gleichen (des Kapitals) messen, sondern an der Vielfalt der Existenzen, singulär und kollektiv, menschlich und nicht-menschlich. Aus dieser Perspektive ist die Evolution eher ein Prozess der Vermehrung heterogener Arten und Lebensweisen als ein selektiver Wettbewerb, der die globale Verbreitung des Kapitals legitimiert. Differentielle Beziehungen und Singularitäten, die eine virtuelle Multiplizität bilden, bilden intensive morphogenetische Prozesse, indem sie Systemschwellen markieren und die unbestimmte differentielle Multiplizität in ein bestimmbares Feld intensiver morphogenetischer Prozesse verwandeln, das seinerseits durch die (raumzeitlich-kausal-objektive) Integration (Verdichtung, Stabilisierung, Vereinfachung) und Auflösung (Maßstab, Granularität, Genauigkeit) des dynamischen prozessualen Informationsinputs in Form von tatsächlichen Dingen mit Ausdehnung und Qualitäten determiniert wird. Es gibt bei Deleuze eine meta-physikalische Prozess-Ontologie, die mit einem evolutionär-prozessualen Erklärungsmodell verbunden werden kann, dessen Bild von der Realität transformatorisch ist: Jeder weltliche Prozess kann sich als adaptive Reaktion auf Veränderungen in anderen entsprechenden Prozessen in der Umwelt verändern. Man könnte das als Schismogenese bezeichnen, die ein historischer Prozess ist, der die Zahl der kulturellen Merkmale, die durch Nachahmung weitergegeben werden können, bevor sie sich in neue Richtungen verzweigen, einschränkt. Sie ist die spielerische und experimentelle Quelle aller Muster kultureller Bewegung. Entscheidend ist die Mobilität: Zentripetale Bewegungen sammeln sich von einer Peripherie zu einer zentralen Region, während zentrifugale Bewegungen sich von einem Zentrum aus in alle Richtungen ausbreiten. Muster bewegen sich zusammen und halten sich auseinander, wie die Bahnen der Planeten in unserem Sonnensystem, und elastische Muster dehnen sich aus und ziehen sich um einen optimalen Bewegungsbereich zusammen.

Das Virtuelle oder die Ebene der Immanenz wird bei Deleuze als ein topologischer Raum konzipiert, der zugleich einzigartig und vielfältig ist, in dem sich die differentiellen Bedingungen für die intensive Genese einer Realität verteilen, in der es Unterschiede sind, die sich durch Differenzierung ausdrücken. Jedes Ding ist ein singulärer Ausdruck der Vielheit innerhalb einer Realität, die umso reicher ist, je mehr heterogene Körper umschließt. Daraus folgt, dass die von der kapitalistischen Maschine produzierte Realität insofern sehr arm ist, als ihre Axiomatik durch ihre Produktion ständig nur das Kapital realisiert. Die Produktion dieser Maschine ist zudem verarmend, insofern sie jeden Wunsch unterdrückt und ablenkt, eine andere Anordnung zu treffen als eine, die der Zirkulation der Geldströme entspricht.

Wenn man es von der Mobilität her denkt, dann ist eines der Probleme des westlichen Kapitalismus, dass man sich in einem Bewegungsmuster festgefahren hat und versucht, es auf die ganze Welt zu übertragen, wobei die geografischen und historischen Besonderheiten der Energiedissipation außer Acht gelassen werden. Wenn man die Häufigkeit der Musterwechsel und die geografische Vielfalt der Muster erhöht, nimmt die kulturelle und ökologische Vielfalt tendenziell zu, während die Durchsetzung eines einzigen Musters zur Zerstörung dieser Vielfalt führt. Das Ergebnis ist ökologische Verwüstung und zunehmendes menschliches Elend für die meisten. Im Falle des kapitalistischen Wachstums hat es eine superexponentielle Wachstumsrate eines einzigen Musters gegeben, die zu einem enormen Umwelt- und Epistemizid geführt hat. Ich habe das in meinem neuen Buch „Die Ekstase der Spekulation“ als die Tendenz zu Polykrisen und zur Katastrophe thematisiert:

“Es ist heute insbesondere die spekulative Kapitalisierung, die – untrennbar verbunden mit dem Aufstieg der vernetzten Computer – in Folge von ekstatischen Steigerungsexzessen zum Über geführt hat: Zu viel Kapital, aber auch zu viele Bilder und zu viele Zeichen, die jeglichen historischen Sinn neutralisieren und eine weiße Zensur durch Exzess ausüben. Diese Art der Simulation durch exzessive Realitätsüberlastung, die wiederum zu Realitätsverweigerung führen kann, zieht eine neue Eskalation der Fettleibigkeit (Baudrillard) nach sich, die schließlich im Müll aller Art sichtbar wird: Atommüll, Chemiemüll und Industriemüll, aber auch das Übermaß an Meinungen, Gesetzen und Texten, die wie Kadaver im Strom des Verderbens und des Verderblichen treiben. Als Marx schrieb, dass das Kapital tote Arbeit sei, dessen Funktion im kontinuierlichen und vampirmäßigen Einsaugen von lebendiger Arbeit bestehe, und dass es als Vampir umso besser lebe, desto mehr lebendige Arbeit es einsauge, da hatte Marx nur eine ganz leise Ahnung davon, wie das Kapital mit seiner Expansion über zweihundert Jahre hinweg einen monströsen Auto-Kannibalismus erzeugen konnte, im Zuge dessen es bis in alle Ewigkeit alles aufsaugen möchte, bis es sich am Ende doch selbst zu Tode aufbläht (und die Erde zerstört)…

Den unendlichen ekstatischen Fortschritt (des Kapitals) als einzigen Horizont vorzuschlagen, ist dasselbe wie die Aufforderung an alle, auf Godot zu warten. Seit wir modern sind, leben wir in Zeiten des Endes oder nach Baudrillard sogar nach dem Ende. Nicht, dass die Geschichte zu einem Ende gekommen wäre, sondern dass sie kein Ende im Sinne einer Finalität hat, steht im Zuge der Eliminierung eines Erwartungshorizonts zur Debatte.  Das Fehlen einer neuen Zukunft, die sich von der Gegenwart radikal unterscheidet, konfiguriert eine Endzeit von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in der Kontiguität. Wir leben für das Morgen und wissen, dass es das neue Morgen nicht gibt. Wir wollen uns bewegen, immer und überall, uns mit Energien aufladen, immer schneller werden und ekstatisch ins Unendliche wachsen, ja unser Humankapital kongenial vermehren. Gerade deshalb wartet wahrscheinlich der versklavende Roboter auf uns. Und es wird immer jemanden geben, selbst wenn er 200 Jahre lang in seinem robotisierten Bunker eingesperrt ist und sich von Gelee und virtuellem Sex ernährt, der dann sagen wird: »Das ist Freiheit«. Aber selbst solche Endzeitträume, die die Katastrophenpornos heute rund um die Uhr erzählen, sind nichts weiter als Simulakren. Selbst die Apokalypse ist vorbei, sagt Baudrillard, sie ist heute die Präzession des Neutralen und der Gleichgültigkeit. Man müsste hinzufügen, aber auch die Präzession der Ekstase (des Mehr und des Minder): Nichts ist mehr möglich, weil nichts mehr unmöglich ist.”


Wer im großen energetischen Pluriversum nach anderen Mustern oder einer anderen Mischung von Mustern leben will, muss sich vom Kapital lösen. Widerstand gibt es immer. Er konzentriert und vervielfacht sich heute im Migranten, eine wichtige Figur des Surplus-Proletariats.

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